Wehrmedizinische Monatsschrift

VOLANTI SUBVENIMUS

60 Jahre flugmedizinische Forschung im Dienste unserer fliegenden Besatzungen

Carla Ledderhosa
a Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe, Fürstenfeldbruck



„Flugmedizinische Forschung und Lehre sind im Zeitalter des Überschallfluges eine Aufgabe, der sich keine Industrienation entziehen kann. Nur durch das zielstrebige Zusammenwirken von Physik, Medizin und Technik lässt sich ein Optimum an Sicherheit für den Aufenthalt in der dritten Dimension erreichen.“
 
Erwin A. Lauschner, 1965 [8]


Einleitung und geschichtlicher Abriss

Die Aufstellung des Flugmedizinischen Institutes der Luftwaffe (FlMedInstLw) im Jahre 1959 markiert den Beginn einer institutionalisierten militärischen Flugmedizin in der Bundesrepublik Deutschland, die 2019 auf 60 Jahre ihres Bestehens zurückblicken kann. Dabei erfolgte die Gründung des Instituts nicht nur unter dem Aspekt der Zen­tralisierung der bis dahin deutschlandweit bestehenden vier fliegerärztlichen Untersuchungsstellen. Der Weitsicht der Gründungsväter ist es zu verdanken, dass sie auch die flugmedizinische Forschung als Garant und conditio sine qua non einer auf höchster Sicherheit beruhenden Militärfliegerei betrachteten und sie daher von Beginn an zu einem integralen Bestandteil des im Aufstellungsbefehl niedergelegten Auftrages des FlMedInstLw machten.

Neben der Aufgabe der Durchführung aller ärztlichen Untersuchungen auf Wehrfliegertauglichkeit sowie der flugphysiologischen Ausbildung waren darin wissenschaftliche und praktische Arbeiten sowie die Auswertung der in- und ausländischen Literatur auf dem Gebiet der theoretischen und angewandten Flugmedizin bereits fest verankert.

Die Anfänge der Forschung am Flugmedizinischen Institut der Luftwaffe

Der Standort des Institutes in der Nähe von München war gut gewählt. Zum einen konnten auf dem Militärflugplatz im Fliegerhorst Fürstenfeldbruck, der 1956 zur „Wiege der neuen deutschen Luftwaffe“ [9] geworden war, alle Luftfahrzeugmuster der Luftwaffe bereitgestellt werden. Die so geschaffene enge Verbindung von Flugmedizin und militärischer Fliegerei erwies sich schnell als sehr befruchtend und ließ Fürstenfeldbruck „zu einem Begriff in der internationalen Luftfahrtmedizin“ [9] werden. Zum anderen erwies sich die Nähe des Institutes zu den medizinischen Fakultäten der Ludwig-Maximilians-Universität, zu den auf den Gebieten der Biophysik und Biotechnik tätigen Instituten der Münchener Technischen Universität sowie zu den fünf im Großraum Münchens arbeitenden medizinischen oder biologischen Instituten der Max-Planck-­Gesell­schaft und nicht zuletzt die Nachbarschaft zur Luftfahrtindustrie und zu einer Erprobungsstelle der Bundeswehr, die das gesamte Gerät der Luftwaffe testet, als ein weiterer klarer Standortvorteil [9]. In diesem Umfeld konnten sich das Institut und vor allem auch die flugmedizinische Forschung optimal entwickeln.

Struktur des Institutes

Zur Erfüllung der zugewiesenen Aufgaben wurde das Institut anfänglich in drei Abteilungen gegliedert (siehe auch Abbildung 1):

Abb. 1: Aufstellungsbefehl und Organigramm (von 1969) des FlMedInstLw: Der Aufstellungsbefehl enthält u. a. eine Weisung an Stabsarzt (?) Dr. Grunhofer (*1922, †2000), den späteren Inspekteur des Sanitäts- und Gesundheitswesens der Bundeswehr (1980-1982). Anfänglich hatte das Institut 3 Abteilungen, die Abteilungen IV (grün) und V (rot) kamen 1961 bzw. 1963 hinzu.

Die Aufgabe der Abteilung III bestand ausschließlich in der angewandten Zweckforschung. Sie startete zunächst mit zwei Arbeitsgruppen (AG Atmungs- und Kreislaufphysiologie und AG Sinnesphysiologie), 1961 kam die Arbeitsgruppe Flugpsychologie und 1963 noch eine naturwissenschaftliche Arbeitsgruppe hinzu.

Im Jahre 1964 entstanden die Abteilung IV „Ergonomie“ und die Abteilung V „Flugunfallmedizin“. Aus der bereits mit Gründung des Institutes tätigen Fachgruppe „Flugpsychologie“ wurde unter Einbeziehung der „Zentralen Fliegerpsychologischen Untersuchungsstelle“ (Teileinheit des Jagdbombergeschwaders 49) 1982 die Abteilung VI „Flugpsychologie“.

Die 1960iger Jahre

Nachdem die ersten Jahre vor allem Jahre des Aufbruchs, der Findung und der Strukturierung des Institutes waren, folgte jedoch bald eine Zeit intensiver Forschungsarbeiten, die ihren Niederschlag in einer ansehnlichen Reihe von Veröffentlichungen fand. Insgesamt erschienen allein in den 60iger Jahren rund 235 Arbeiten [3], 13 wissenschaftliche Arbeiten wurden im Rahmen der Qualifizierung zum Fliegerarzt („Fliegerarztarbeiten“) erstellt.

Thematisch standen Fragen der Beurteilung der Leistungsbreite und Leistungsgrenzen des Menschen sowie der Erhaltung seiner Gesundheit und Leistungsfähigkeit insbesondere auch beim alternden Piloten im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Arbeiten. In der Klinik übliche Methoden der Früherkennung gefährdeter Patienten wurden kritisch hinterfragt, systematische Suchmethoden nach Risikofaktoren mit präklinischen Zeichen bei Gesun­den ausgebaut und damit bereits damals das präventive Konzept in die Betreuung der fliegenden Klientel eingebracht. Eigene Funktionsprüfungen und Untersuchungsverfahren wurden erarbeitet, um Leistungsbreite und Regulationsweise von Herz, Kreislauf und Atmung erfassen und näher beurteilen zu können. Daneben spielten in der Forschung immer mehr auch psychologische Aspekte eine Rolle. Man hinterfragte psychologische ­Gesichtspunkte bei der Fliegerauslese und Flugzeugführerausbildung, analysierte Gründe fliegerischen Versagens und versuchte, das psychophysische Belastungsvermögen von Flugzeugführern, sowie psychische Stressoren und Reaktionen auf diese zu erfassen. Ebenso beschäftigte man sich mit Fragen der Identifikation und Aufklärung bei flugunfallmedizinischen Untersuchungen, bei Flugzeugkatastrophen und mit den flugmedizinischen Aspekten beim Lufttransport von Verwundeten.

Ein anderer Schwerpunkt der Forschung lag auf der Bedeutung von Gehör und Gleichgewichtsorgan im modernen Flugbetrieb. In dieser Zeit wurden verschiedene Gehörschutzgeräte hinsichtlich Schalldämmung und Sprachverständigung bei Fluggeräuschen erprobt und Untersuchungen zur Sprachverständlichkeit im Cockpit durchgeführt. Auf dem Gebiet der Augenheilkunde standen Anforderungen an Nacht- und Farbensehen sowie die Korrektionsbrille beim fehlsichtigen Piloten auf dem Prüfstand. In der Ergonomie wurde eine Studie zum Tragen von Kälteschutzanzügen durchgeführt und bereits in das erste Jahrzehnt des Bestehens des Institutes fällt die Schaffung einer Arbeitsgruppe „Telemetrie“.

Die 1970iger Jahre

Die Forschung der siebziger Jahre stand ganz im Zeichen der Erfassung der Belastbarkeit des Luftfahrzeugführers (Lfz-Führers) an seinem Arbeitsplatz im Flugbetrieb. Die technischen Fortschritte in der Flugzeugtechnik hatten den Menschen mehr und mehr zum begrenzenden Faktor im Mensch-Maschine-System werden lassen und so rankte sich eine Reihe von Forschungsvorhaben um die Erfassung der Leistungsgrenzen des Menschen und die Möglichkeit, diese mit entsprechenden Hilfsmitteln zu erweitern [5]. Die auf die Lfz-Führer einströmende Datenflut, der hohe Automatisierungsgrad ihrer Tätigkeiten und die Überforderung der Sinnesorgane waren Probleme, denen sich die Piloten in den neuen fliegenden Waffensystemen stellen mussten. Deshalb waren Fragen der Zumutbarkeit und möglicher Leistungseinschränkungen im Flugbetrieb zu untersuchen. Um dies erfolgreich zu tun, mussten allerdings zunächst einmal eine Reihe von Voraussetzungen für diese Projekte geschaffen werden.

Unter den Veröffentlichungen der damaligen Zeit befinden sich mehrere Arbeiten, die sich mit der tele­metrischen Erhebung physiologischer Daten (EEG und telemetrische inflight-Ableitungen, Messung des Atemvolumens mit Heißleitersensoren, Telemetrie als Hilfsmittel der Arbeits- und Leistungsphysiologie etc.) im Fluge beschäftigten. Parallel dazu ging die Fachgruppe „Klimaphysiologie“ daran, das Klima unter den verschiedenen Umweltbedingungen am Arbeitsplatz „Cockpit“ sowie die Brauchbarkeit von Schutzanzügen, persönlicher Ausrüstung sowie Rettungs- und Überlebensgerät zu testen; in der Fachgruppe „Kreislauf und Atmung“ erfolgten Untersuchungen zur Belastungsfähigkeit dieser beiden Organsysteme beim Fliegen. Die Fachgruppe „Neuro- und Sinnesphysiologie“ widmete sich der Informationsaufnahme von kleinen, schnell bewegten, optischen Signalen und bewertete diese als Maß der allgemeinen Leistungsfähigkeit des Menschen im Fluge. In der Folge wurde die Störanfälligkeit derselben durch Faktoren wie Ermüdung, gleichzeitige akustische Informationsauf­nahme und Erschöpfung untersucht.

Die 1980iger und 1990iger Jahre

Aus Anlass des 25jährigen Bestehens des FlMedInstLw wurde in einer nicht veröffentlichten Jubiläumsschrift [3] Rechenschaft über den Stand seiner Entwicklung abgelegt. Aus dieser Schrift stammt auch eine Übersicht der bis dahin aus dem Institut hervorgegangenen 557 Veröffentlichungen. Die Forschung konzentrierte sich mehr und mehr auf die Großgeräte, die zur Verfügung standen. So waren es nicht primär neue Forschungsthemen, sondern vielmehr ein tieferes Eindringen in die Materie selbst, das diesen Zeitabschnitt auszeichnete. Die Erfassung der Beanspruchung des Lfz-Führers wurde zunehmend zu einem Schwerpunkt der Forschungsarbeit dieser Zeit, wobei man sich dem Thema vor allem mit traditionellen Methoden (subjektive Befragungen) näherte. Allerdings gab es auch schon damals erste ­Ansätze, diese traditionellen Verfahren mit objektiven Messwerten zu unterlegen [7].

Die 1990iger Jahre waren vor allem geprägt durch die Vereinigung der beiden deutschen Staaten, die auch für das Institut mit Umstrukturierungen verbunden war. Die bisherige Abteilung II „Flugphysiologische Ausbildung“ wurde an das ehemalige Institut für Luftfahrtmedizin der NVA in Königsbrück verlegt. Die bisher von der ursprünglichen Abteilung in Fürstenfeldbruck genutzten Großgeräte fielen an die Forschungsabteilung, die meist in Zusammenarbeit mit Universitäten (München, Greifswald, DLR Köln etc.) eine Reihe größerer Projekte sowohl in der Unterdruck- als auch in der Klimakammer und in dem neu hinzugekommenen Flugorientierungstrainer durchführte. Inhaltlich ist vor allem eine große vergleichende Studie an 99 Besatzungen verschiedener Lfz-Muster der Bundeswehr (Jet, Fläche, Hub) hervorzuheben, die sich zum Ziel gesetzt hatte, psychophysische Belastung und Beanspruchung in verschiedenen Lfz-Mustern differenzierbar und objektivierbar zu machen. An ihr waren mehr als 50 Mitarbeiter des Institutes, darunter etwa 30 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, beteiligt [4]. Daneben ist eine Studie in der Unterdruckkammer in Fürstenfeldbruck zu nennen, die in Zusammenarbeit mit der Universität Greifswald durchgeführt und mit einem der nur zweimal nach Deutschland vergebenen Young Investigator Awards der Aerospace Medical Association (AsMA) ausgezeichnet wurde (siehe auch Abbildung 8).

Das neue Jahrtausend

In diese Zeit fielen das 50-jährige Bestehen des FlMedInstLw, die erstmalige Evaluation der Ressortforschungseinrichtungen des Bundes durch den Wissenschaftsrat, die Einrichtung eines wissenschaftlichen Beirates, die Aufstellung des Zentrums für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe sowie die Unterzeichnung des Kooperationsvertrages mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Daneben rückte der schockierende Absturz einer Germanwings-Maschine im März 2015 in den französischen Alpen die mentale ­Gesundheit von Piloten nicht nur in den Fokus von ­Öffentlichkeit und Regulierungsbehörden, sondern auch in den der Arbeit in unserem Zentrum.

Leider hat die Forschung im neuen Jahrtausend nicht mehr den Umfang vergangener Zeiten erreichen können. Im Rahmen der Ministerweisung zur Neuausrichtung der Bundeswehr im Jahre 2000 und der damit verbundenen einsatzorientierten Umstrukturierung der Streitkräfte wandelten sich auch die Prioritäten im FlMedInstLw. So führte die Änderung der Struktur und Personalausstattung (STAN) im Jahre 2003 zu einer erheblichen personellen Verkleinerung der Forschungsabteilung. Die mit der Neuausrichtung der Bundeswehr ab 2010 sowie dem Erlass der Verteidigungspolitischen Richtlinien im Jahr 2011 verbundene deutliche Reduzierung des Streitkräfteumfangs führte dazu, dass es auch mit der Aufstellung des ZentrLuRMedLw nicht zu einem personellen Aufwuchs in der Forschung kam, obwohl dies der Wissenschaftsrat im Jahre 2009 empfohlen hatte. Dies verlangte von den Mitarbeitern ein ausgesprochen hohes Maß an Engagement und die Bereitschaft, sich mit Professionalität, aber auch Einfallsreichtum und Fantasie den neuen Herausforderungen zu stellen.

Kennzeichnend für die flugmedizinische Forschung dieser Zeit war ein grundlegender Wandel. Labor- und großgerätegebundene Forschungsprojekte wurden durch Feldstudien und inflight-Messungen ergänzt. Dies erforderte zum einen eine Anpassung der Geräteausstattung – an die Stelle stationärer Messgeräte traten kleine, portable und handliche Messgeräte –, zum anderen aber auch eine wesentlich größere Flexibilität der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie ein deutlich gestiegenes Reiseaufkommen. Die Entwicklungsfortschritte in der Computertechnik ermöglichten nunmehr die Bearbeitung auch großer Datenmengen – ein Problem, das insbesondere den inflight-Messungen der 70iger Jahre noch ein jähes Ende bereitet hatte.

Geblieben und von noch größerer Bedeutung sind die Großgeräte wie Unterdruckkammer, Humanzentrifuge, Desorientierungstrainer usw. Überdies eröffnet ein kürzlich beschafftes modernes 3 Tesla-MRT nicht nur für die Untersuchungsmethodik in der klinischen Flugmedizin, sondern auch in der Forschung neue Horizonte.

Inhaltlich wurde und wird die flugmedizinische Forschung im 21. Jahrhundert bestimmt durch die Einführung neuer Luftfahrzeugmuster von bisher nicht gekannter Kom­plexität (Eurofighter, Tiger, NH-90 und A400M sowie schwerer Transporthubschrauber) und den damit einhergehenden Erwerb neuer Komponenten von Fliegersonderbekleidung und Rettungssystemen („Life-Support“- und „Crew-Escape“-Equipment“). Nie zuvor in der Geschichte der Bundeswehr wurden so viele Lfz-Muster gleichzeitig beschafft. Bei knappen Ressourcen insbesondere im Personalbereich verlangte und verlangt dies eine Konzentration auf ausgewählte Sachgebiete. Das Forschungspotenzial musste und muss nach Maßgabe der Möglichkeiten noch weiter als bisher abteilungsübergreifend aktiviert und genutzt werden, zusätzliche personelle Ressourcen außerhalb des militärischen Bereichs (Doktoranden, Diplomanden) sind zu erschließen und die wissenschaftliche Expertise durch Vernetzung mit nationalen wie internationalen universitären und außeruniversitären Forschungseinrichtungen zu erweitern. Weitere Synergieeffekte sind durch die Verknüpfung der Hauptaufgaben des Zentrums – Begutachtung, Ausbildung und Forschung – erzielbar.

Der multidisziplinäre Aspekt der Flugmedizin hat in dieser Zeit mehr denn je an Bedeutung gewonnen. Dabei konnte und kann die flugmedizinische Forschung von den allgemeinen Fortschritten in den Naturwissenschaften, der Telemedizin und der Informations- und Biomedizintechnik profitieren. Wesentliche Fortschritte in der Sensortechnik, kleinere tragbare Registrier- und Speichertechnik sowie das Zeitalter der modernen Rechentechnik ermöglichen das Aufgreifen „alter“ Fragestellungen der Flugmedizin, bei denen der damalige Stand der Technik einen fundamentalen Erkenntnisfortschritt noch nicht zuließ und deren Bearbeitung heute auf einem wesentlich höheren Niveau möglich ist.

Evaluation des FlMedInstLw durch den Wissenschaftsrat

In seiner Stellungnahme zum Ergebnis der Evaluation der flugmedizinischen Forschung und Entwicklung in der Bundeswehr vom Juli 2009 [11] bezeichnete der Wissenschaftsrat (WR) die Forschung am FlMedInstLw als in hohem Maße anwendungsorientiert, auf den Bedarf der Bundeswehr zugeschnitten und als qualitativ hochwertig. Die erbrachten wissenschaftsbasierten Dienstleistungen wurden als sehr gut bis teilweise ausgezeichnet bewertet. Nach seiner Einschätzung war die Arbeit des wissenschaftlich als kompetent eingeschätzten Personals durch methodisch geschickt formulierte Untersuchungshypothesen gekennzeichnet, das Vorgehen innovativ, die Forschungsergebnisse überzeugend. Dabei wurde hervorgehoben, dass die sehr guten Forschungsleistungen umso höher einzuschätzen sind, als dass die Rahmenbedingungen hierfür eher ungünstig waren. Ebenfalls kritisch angemerkt wurde, dass die personelle Ausstattung insbesondere im Forschungsbereich zu knapp bemessen, eine strukturelle Anpassung der Personalentwicklung an die Bedingungen wissenschaftlichen Arbeitens dringend erforderlich und der Umfang der Forschungstätigkeit – gemessen am Bedarf – zu gering sei. Folglich empfahl der Wissenschaftsrat, die Rahmenbedingungen für die Forschung nachhaltig zu verbessern, ein für Forschungszwecke einzusetzendes flexibles Budget einzurichten, die Beschaffung von Forschungsgerät zu vereinfachen und zu beschleunigen, sowie die Kooperationen mit zivilen Forschungseinrichtungen weiter auszubauen.

Diese Empfehlungen des WR´s waren gerade im 50. Jahr des Bestehens des Flugmedizinischen Institutes der Luftwaffe besonders wertvoll und erfreulich; bekräftigten sie doch eindrucksvoll, dass die Forschung, als Garant für die weitere Fortentwicklung der Flugmedizin, intensiviert und ausgebaut werden sollte.

2013 – Aufstellung des Zentrums für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe

Mit Befehl des Kommando Luftwaffe Nr. 13/2013 wurden mit Wirksamkeitsdatum 30.09.2013 die Dienststellen Generalarzt der Luftwaffe und das ­FlMedInstLw aufgelöst. Zugleich wurde das Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe ­(ZentrLuRMedLw) zum 01.10.2013 aufgestellt. Wie bereits das 1959 gegründete FlMedInstLw ist auch das ZentrLuRMedLw als zentrale Einrichtung der Bundeswehr für Luft- und Raumfahrtmedizin und deren Grenzgebiete für das gesamte Luftfahrtpersonal aller Organisationsbereiche im Geschäftsbereich des BMVg zuständig.

Die Forschung wurde grundlegend umstrukturiert. Die ehemalige Abteilung Forschung, Wissenschaft und Lehre des FlMedInstLw ging nun zusammen mit den ehemaligen Abteilungen Ergonomie, Rechts- und Flugunfallmedizin und der Abteilung Flugphysiologie in Königsbrück in der Fachabteilung I „Forschung, Wissenschaft, Erprobung, Flugphysiologisches Trainingszentrum, Flug­unfalluntersuchung“ auf, während der Lehranteil der ­ursprünglichen Forschungsabteilung in der jetzigen Fachab­teilung III ausgebracht wurde. Ein strukturell zur Fachabteilung I gehörendes, neu aufgestelltes Dezernat übernahm seitdem die Forschungskoordination, wobei die Zahl der ausschließlich in der praktischen Forschung tätigen Wissenschaftler wiederum geringer geworden ist.

Kooperation mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt

Entsprechend der Empfehlung des WR´s, nach der die hervorragende technische Infrastruktur des FlMedInstLw künftig effizienter und insbesondere im Rahmen von ­Kooperationen mit universitären und außeruniversitären Forschungseinrichtungen genutzt werden sollte, wurde im Mai 2014 auf der Internationalen Luftfahrtausstellung in Berlin von der damaligen Bundesministerin der Verteidigung, Dr. Ursula von der Leyen, und dem Vorstandsvorsitzenden des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), Prof. Dr. Johann-Dietrich Wörner, ein Kooperationsvertrag zwischen dem DLR und dem ZentrLuRMedLw abgeschlossen, um die vorhandene zivil-­militärische Kompetenz der Luft- und Raumfahrtmedizin gezielt auszubauen. Vorgesehen sind u. a. die Durchführung gemeinsamer Forschungs- und Ausbildungsvorhaben, eine ressourcensparende Nutzung von Großgeräten und der Austausch von wissenschaftlichem Personal.

Mitarbeit in NATO-Arbeitsgruppen

Schon 2009 lobte der WR das aktive Engagement des Instituts auf internationalen NATO-Fachkonferenzen und in NATO-Arbeitsgruppen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Zentrums, wie auch zuvor des FlMedInstLw, arbeiteten und arbeiten projektbezogen immer wieder an verschiedensten Aktivitäten des „Human Factors and Medicine Panel“ (HFM) und des „Sensors and Electronics Technology Panel“ (SET) der NATO Science and Technology Organization (STO) mit und können ihre Expertise dort einbringen (Tabelle 1).

Von 2015 bis 2019 war Generalarzt Prof. Dr. Schick, ­Generalarzt der Luftwaffe, Co-Chair bzw. Chair des ­STO-HFM-­Panels und hatte in dieser Funktion u. a. die Verantwortung für Koordination und Management der Forschung und des Informationsaustausches auf dem Gebiet der Flugmedizin der NATO.

Der Leiter der Fachabteilung II des ZentrLuRMedLw ist seit 2009 Chairman der Aeromedical Working Group des Air Standardization Board (AirSB) und damit zuständig für Fragen der flugmedizinischen Standardisierung im militärischen Flugbetrieb innerhalb der NATO.

Der jetzige Leiter der Fachgruppe „Klinische Flugmedizin“ war 2015 im Rahmen des „Ramstein Aerospace Medicine Summit“ der NATO STO als „Technical Course Director“ des „HFM-256 Technical Course on Aerospace Medicine – Going to extremes“ mit der Organisation und Durchführung dieser jährlich stattfindenden größten Fachkonferenz für militärische Flugmedizin in Europa betraut.

Die Arbeit im HFM-Panel und in den HFM-Arbeitsgruppen unterstützt die fachliche Netzwerkbildung und sorgt für einen unkomplizierten und raschen Informationsaustausch innerhalb der NATO-Nationen: Dieses begünstigt die wissenschaftliche Arbeit außerordentlich und verschafft dem ZentrLuRMedLw auch international einen guten Ruf.

Tab. 1: NATO-STO-Arbeitsgruppen, in denen Wissenschaftler des ZentrLuRMedLw bzw. aus dem Fliegerärztlichen Dienst in den letzten 10 Jahren mitgewirkt haben

Arbeitsgruppe Titel
HFM-138-ET
HFM-274-RTG
The impact of hypobaric exposure on aviators and high-altitude ­special operations personnel
HFM-171-ET Fatigue management in aircrew
HFM-172-ET
HFM-312-RTG
Unexplained physiologic events in high-performance aircraft
HFM-191-RTG Refractive surgery: New tech­niques and usability for military personnel
HFM-251-RTG Occupational cardiology in military aircrew
HFM-252-RTG Aircrew neck pain
HFM-299-RTG Pulmonary screening and care in aviators
HFM-314-RLS Aircrew neck pain prevention and management lecture series
SET-198 RTG Visible laser dazzle: Effects and protection
SET-249-RTG Laser Eye Dazzle – Threat evalua­tion and impact on human performance

ET = Exploratory Team, RTG = Research Task Group

Forschungsschwerpunkte in diesem Jahrtausend

Experimentelle flugmedizinische Forschung

Die Forschungsabteilung und das spätere Dezernat „Experimentelle Flugmedizinische Forschung“ widmeten sich in diesem Jahrtausend drei wesentlichen Forschungsfeldern:

Daneben leistete das Dezernat Hilfestellungen bei einer Reihe von Projekten mit dem Ziel wissenschaftlicher Graduierungen.

G-Raffe – ein neuer Anti-G-Schutzanzug

2009 erhielt die Forschungsabteilung des FlMedInstLw den Auftrag, die von der Schweizer Firma iii-solutions für G-nius ausgeführte Entwicklung eines neuartigen ­Anti-G-Anzuges mit dem Namen „G-RAFFE“ wissenschaftlich zu begleiten. Anknüpfend an die zuvor bei den Vergleichserprobungen entwickelten Untersuchungsverfahren (s.u.) konnte dabei das Methodenspektrum unter den Bedingungen hoher G-Beschleunigungen weiter ausgebaut und der Anti-G-Schutz nun auch bei freien, durch den Probanden aktiv, selbst „geflogenen“ Zentrifugenprofilen anhand hämodynamischer Parameter objektiviert werden. Das Projekt wurde 2013 mit einer umfangreichen Potenzialabschätzung des neuen Anzugs im Vergleich zum gegenwärtig bei den Eurofighter-Piloten im Gebrauch befindlichen AEA-Anzugs abgeschlossen.

Fliegen in Schwerelosigkeit

Eine Herausforderung war es, dass für die Hyper-G-Bedingungen in der Humanzentrifuge entwickelte Methodenspektrum zur nichtinvasiven Erfassung von Volumenverschiebungen und Kontraktilitätsänderungen des Herzens auch unter den Bedingungen der Schwerelosigkeit zu überprüfen. Dazu nahmen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Forschungsabteilung von 2008–2011 an insgesamt 4 Parabelflugkampagnen in Bordeaux und Köln teil und untersuchten in Zusammenarbeit mit dem Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin des DLR individuelle autonome und kardiovaskuläre Mechanismen bei Schwerelosigkeit.

Mountain-Wave-Project

Eine außergewöhnliche Gelegenheit für operationelle flugmedizinische Forschung der besonderen Art bot sich dem Team des Dezernats „Experimentelle Flugmedizinische Forschung“ mit der Teilnahme an Wellen-Höhenflügen, die im Rahmen des „Mountain Wave Projects“ (MWP) im Himalaya und den Französischen Alpen stattfanden [10]. Bei diesem multidisziplinären Projekt, an dem Wissenschaftler und Piloten des MWP sowie des Instituts für Optische Sensorsysteme Berlin-Adlershof beim DLR und des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) teilnahmen, war die Gruppe des ZentrLuRMedLw für die flugmedizinischen Aspekte dieser Expedition verantwortlich. Ziel des Teilprojektes „Höhenphysiologie“ war es festzustellen, wie robust pulsoximetrische Messungen der O2-Sättigung unter den zu erwartenden extremen Umweltbedingungen von Höhensegelflügen mit ihren in der Atmosphäre ausgeprägten Temperaturschwankungen und Turbulenzen sein würden. Zum einen interessierte dabei der Aspekt der Ausfallhäufigkeit von inflight-Messungen der O2-Sättigung an verschiedenen Messorten am Körper (Stirn, Brust- und Schienbein), um daraus Aussagen für eine optimale Positionierung eines Sauerstoffmangelsensors für inflight-Messungen abzuleiten. Zum anderen sollte den Piloten aber auch eine Rückmeldung zur Güte ihres O2-Managements bei Höhenflügen, die in ein bisher für Motorsegler und Segelflugzeuge unerreichtes extremes Höhenband von 7 000 m bis ca. 9 200 m (FL 290) bis über den Mount Everest gingen, gegeben werden. Dieses Projekt hat international große Aufmerksamkeit auf sich gezogen. So konnten die Gesamtergebnisse aller beteiligten Wissenschaftler auf der Internationalen Luftfahrtausstellung 2014 in Berlin vorgestellt werden: Es ergingen u.a. Einladungen zu Vorträgen bei der Royal Aeronautical ­Society sowie zu Eröffnungsvorträgen auf der SAFE Europe 2015, dem Bayerischen Fliegertag 2017 und auf der 6. European Conference of Aerospace Medicine (ECAM) 2018 in Prag. Ein begleitender Film des RBB zu diesem Projekt wurde inzwischen nicht nur in Deutschland, sondern auch im Ausland ausgestrahlt. Auch auf dem XXXIII. Kongress der Organisation Scientifique et Technique Internationale du Vol à Voile (OSTIV) im Januar 2017 in Benalla, Australien stießen die Ergebnisse dieser Expedition auf großes Interesse.

Abb. 2: Mountain Waive Project:
Anbringen des Pulsoximetriesensors (Bild li. oben, © Bundeswehr/ZentrLuRMedLw)
Vorbereitungen für das MWP in der Unterdruckkammer in Königsbrück (Bild re. oben, © Bundeswehr/ZentrLuRMedLw)
Forschungsplattform Stemme S10VTX mit den Piloten Jona Keimer und René Heise über dem Anapurna Massiv (Bild Mitte, © René Heise)
Die Grafik (Bild unten) zeigt die Summe der Ausfallzeiten der Sensoren an den 3 Messorten (rot) als prozentualen Anteil an der Gesamtflugzeit (GFZ) (69,86 h); an der Stirn kam es am seltensten zu Ausfällen.

Solarimpulse 2

Die große internationale Resonanz auf das MWP führte im Dezember 2014 auch zur Einladung des wissenschaftlichen Leiters, Oberstleutnant René Heise, und der Leiterin des flugmedizinischen Teilprojektes, Oberfeldarzt Priv-Doz. Dr. Carla Ledderhos, nach Payerne (Schweiz), den Heimatflughafen des allein mit Solarenergie betriebenen Motorflugzeugs „Solarimpulse 2“. Zweck des Besuchs war die Teilnahme am Mission Readiness Review vor der ersten erfolgreichen Weltumrundung eines Flugzeuges dieser Art durch die Piloten Bertrand Picard und André Borschberg, auf dem die Erfahrungen aus dem MWP aufmerksam aufgenommen wurden.

DPOAE

In Kooperation mit der Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten des Universitätsklinikums Dresden führte das Dezernat „Experimentelle Flugmedizinische Forschung“ eine experimentelle Studie zur Evaluation des Einflusses von +Gz - Beschleunigungen und hypobarer Hypoxie auf die Funktion der äußeren Haarzellen des menschlichen Innenohres mittels Messung von Distorsionsprodukten otoakustischer Emissionen (DPOAE) durch. In der Humanzentrifuge und der Höhen-Klima-­Simulationsanlage in Königsbrück sollte der Frage nachgegangen werden, inwiefern unter kontrollierten Bedingungen bei hypobarer und stagnierender Hypoxie Störungen der Innenohrfunktion auftreten. Im Ergebnis konnte gezeigt werden, dass bei akuter hypobarer Hypoxie entsprechend einer Höhe von 5000 m trotz deutlichem Sauerstoffmangel und fehlender Höhenadaptation die Innenohrfunktion durch Kompensationsmechanismen sehr lange aufrechterhalten wird. Im Gegensatz dazu beeinflusste die beschleunigungsbedingte stagnierende Hypoxie sowohl Funktionen des Mittel- als auch des Innenohrs. Es kam zu einer Verminderung der ­DPOAE und einer Erhöhung der Trommelfell Impedanz.

Verifizierung eines vorangegangenen O2-Mangels mittels Biomarkern

Ein in Zusammenarbeit mit der Fachgruppe I 4 „Flugunfalluntersuchung/ Rechtsmedizin“ und dem Institut für Rechtsmedizin der Universität Leipzig durchgeführtes Projekt zielte darauf ab, ein auf Biomarkern basierendes Testverfahren zu entwickeln, mit dem nach einer aufgetretenen Hypoxie der unmittelbar vorangegangene O2-Mangel belegt werden kann. Dies ist insofern von flugmedizinischer Relevanz, da damit eine ursächlich für einen Flugunfall bzw. -zwischenfall infrage kommende Hypoxie nachträglich verifiziert werden könnte. Tatsächlich wurden in dieser Studie Biomarker gefunden, die nach einem O2-Mangel hochreguliert werden; allerdings waren diese bei Personen mit familiärer Hypertonie andere als bei den normotensiven Vergleichspersonen. Zukünftig bedarf dieser Befund daher weiterer Untersuchungen. Erste Ergebnisse dieses Projektes konnten im Oktober 2018 auf dem Annual Meeting of the American College of Chest Physicians (ACCP) in San Antonio, ­Texas vorgestellt werden, trafen dort auf breite Resonanz und wurden mit einem Posterpreis ausgezeichnet.

Kampf dem „neck pain“

Im Sommer dieses Jahres konnte eine Promotionsarbeit erfolgreich abgeschlossen werden, die sich mit der Auswirkung eines funktionellen Krafttrainings auf die muskuläre und subjektive Beanspruchung der Hals-, Nacken- und Schultermuskulatur unter hohen G-Belastungen in der Humanzentrifuge beschäftigt hatte. Insgesamt ließ sich dabei nachweisen, dass ein speziell für das Umfeld von Jet-Piloten konzipiertes Trainingsprogramm das mittels Magnetresonanztomographie ermittelte Muskelvolumen vergrößert und die Beanspruchung der Muskulatur sowohl subjektiv als auch objektiv verringert hat. Insbesondere unter Bedingungen, bei denen die Probanden einen Helm trugen, wurden im Oberflächenelektromyogramm signifikante Abnahmen der muskulären Aktivität unter Beschleunigung festgestellt. Damit konnte überzeugend belegt werden, dass ein speziell für die Bedürfnisse von Luftfahrzeugführern entwickeltes Trainingsprogramm die Gesunderhaltung des fliegenden Personals unterstützen und einen wichtigen Beitrag in der kom­plexen Problematik zur Verringerung von Wirbelsäulen­beschwerden bei Luftfahrzeugbesatzungen zu leisten vermag.

Abb. 3: Anti-G-Schutz für die HWS durch gezieltes Training: Der obere Teil zeigt die Versuchsperson in der Humanzentrifuge (rechts mit Helm incl. NVG), die Grafik zeigt am Beispiel des M. trapezius die deutliche Zunahme der muskulären Aktivität durch Helm und NVG bei Baseline (≈ 1Gz) und 3 Gz. (Bilder (modifiziert) aus WMM 2018; 62(1-2): 16)

Funktionelle Konsequenzen sog. „White Matter Hyperintensities“

Aktuell werden in einem multinationalen Projekt die funktionellen Konsequenzen von repetitiven Höhenexpositionen bei Innenbegleitpersonal von Höhensimulationskammern untersucht. Hintergrund dieser Fragestellung sind Befunde an U2-Piloten, bei denen ein vermehrtes Auftreten sog. White Matter Hyperintensities (WMH) beobachtet werden konnte, die mit großer Wahrscheinlichkeit den hypobaren Bedingungen, denen sie in ihrem Berufsleben wiederholt ausgesetzt waren, zuzuschreiben sind. Da Innenbegleiter von Unterdruckkammern ein ähnliches berufliches Umfeld aufweisen, ist diese Fragestellung für alle NATO-Nationen von vordring­lichem Interesse.

Während sich die Partnernationen vor allem mit der Erhebung der morphologischen Befunde beschäftigen, fiel dem Dezernat „Experimentelle Flugmedizinische Forschung“ des ZentrLuRMedLw die Aufgabe zu, die funktionellen Folgen repetitiver hypobarer Expositionen zu untersuchen. Da die Zahl der zu untersuchenden Innenbegleiter in den einzelnen Nationen jedoch jeweils zu gering ist, um wissenschaftlich belastbare Aussagen zu erhalten, entsenden unsere Partnernationen aus Belgien, Frankreich, den Niederlanden, Großbritannien und Skandinavien ihr Personal für diese Studie nach Fürstenfeldbruck.

Human Performance Optimization und Human Performance Enhancement

Betrachtet man die Flugzeugentwicklung der letzten Jahrzehnte, so wird sehr schnell deutlich, dass ihr Leistungsvermögen inzwischen das des Menschen bei weitem überschritten hat. Kaum eine andere Kennzahl als die des Auftretens der sog. P100-Welle im visuell evozierten Potenzial (VEP) ist besser geeignet, um deutlich zu machen, wie groß diese Diskrepanz inzwischen ist. Ein visuelles Signal braucht im Allgemeinen 100 ms, um seinen Weg in die Sehrinde des Gehirns zu finden; dabei ist es beim Eintreffen noch nicht mental verarbeitet. Geht man von dem bis heute bestehenden Geschwindigkeitsrekord für ein bemanntes Flugzeug, der 1967 von William Knight mit der North American X-15 aufgestellt wurde, von 7 274 km/h aus, so hat das Flugzeug in diesen 100 ms bereits eine Strecke von 200 m zurückgelegt. Diese Zahlen verdeutlichen sehr eindrucksvoll, dass ohne Ergebnisse aktiver flugmedizinischer Forschung dem weiteren technischen Fortschritt in der Fliegerei Grenzen gesetzt sind. Neben der Geschwindigkeit zusätzlich auftretende Beanspruchungen durch Informa­tionsüberflutung, Beschleunigungen, Sauerstoffmangel, Fatigue usw. sind bei diesen Betrachtungen noch gar nicht berücksichtigt.

Insbesondere auf dem Gebiet der menschlichen Leistungsoptimierung (Human Performance Optimization –HPO) und -steigerung (Human Performance Enhancement – HPE) sind daher in den letzten Jahren im Zentrum die Forschungsanstrengungen intensiviert worden, um die Grundlagen für geeignete präventive und die Leistungsfähigkeit optimierende Maßnahmen zu entwickeln, zu prüfen und in den fliegerischen Verbänden zu etablieren, d.h. kurzum aktiv Human Performance Optimization zu betreiben – und dieses wissenschaftlich zu begleiten. Im Rahmen der Evaluation von HPO wird im Dezernat Ergonomie/Erprobung des ZentrLuRMedLw in Manching gegenwärtig eine biomechanische Belastungsanalyse des Arbeitsplatzes von Piloten im Waffensystem Eurofighter durchgeführt.

Fortschritte in der Flugunfallmedizin

Im Falle eines Flugunfalls ist es Aufgabe der Rechtsmediziner des ZenrLuRMedLw, die Flugunfallopfer im Rahmen staatsanwaltlicher Ermittlungen zu untersuchen und insbesondere Fragen nach der Identität und möglichen Unfallursachen juristisch belastbar zu klären. Weil die Verletzungen oft komplex sind, möglicherweise Vorerkrankungen vorliegen und die Leichen, z.B. durch Brandeinwirkung oder Ähnliches, sekundär verändert sein können, ist neben der Obduktion daher oft eine ergänzende Diagnostik nötig. Dies ist aus den genannten Gründen nicht immer ganz einfach; dennoch konnten gerade auf diesem Gebiet in den letzten Jahren beachtliche Erfolge erzielt werden.

DNA-Nachweis des Ertrinkungstodes

Die neuen methodischen Entwicklungen auf dem Gebiet der DNA- und RNA-Analytik bzw. die Etablierung molekularpathologischer Diagnostik haben die rechtsmedizinische Untersuchung von Flugunfallopfern methodisch deutlich erweitert. So konnten Todesursache und vorbestehende Erkrankungen insbesondere bei Leichen mit komplexen Verletzungen und fortgeschrittenen postmortalen Veränderungen mittels spezieller Sequenzierungstechniken, wie z.B. der Pyrosequenzierung, einfacher und besser diagnostiziert werden. In Zusammenarbeit mit dem Institut für Rechtsmedizin der LMU München ist es der Fachgruppe I 4 „Flugunfalluntersuchung/ Rechtsmedizin“ gelungen, einen Real-time-PCR basierten Nachweis der DNA von Kieselalgen (Diatomeen) sowie von Aeromonas-­Spezies (gramnegative Süßwasserbakterien) zu etablieren. Dieses Verfahren ermöglicht den Nachweis entsprechender mikrobieller DNA im Oberschenkelvenenblut oder in der Wadenmuskulatur von Ertrinkungsopfern. Damit lässt sich – unabhängig von morphologischen Organbefunden – zweifelsfrei feststellen, ob ein Unfallopfer beim Eintauchen ins Wasser noch gelebt hat. Bedeutung hat dies vor allem bei der Beantwortung der Frage, ob ein Herz-Kreislaufversagen bereits vor dem Auftreffen eines Unfallflugzeuges auf das Wasser eingetreten war.

Postmortale Diagnostik der Hypoxie

Auch können nun durch Bestimmung eines relevanten Signalweges, der bei einer verminderten Oxygenierung aktiviert wird, länger vorbestehende – gegebenenfalls auch nur intermittierend auftretende – Sauerstoffmangelsituationen am Herzmuskel unabhängig von morphologischen Kriterien diagnostiziert werden. Entsprechende Vorschädigungen am Herzen konnten bereits in Vorstudien bei bis zu 50 % der Piloten mittlerer und höherer Altersgruppen nachgewiesen werden. Zielgerichtete Aussagen lassen sich zudem über die Erfassung regulatorischer microRNAs im Herzmuskelgewebe machen. Da die entsprechenden Untersuchungen nur vergleichsweise kurze RNA-Fragmente benötigen, können sie auch an „schwierigem“ Material mit bereits fortgeschrittenen sekundären Leichenveränderungen durchgeführt werden.

Schädigungsmarker

Ein weiteres im ZentrLuRMed für flugmedizinische Fragestellungen weiterentwickeltes Verfahren ermöglicht es, bei Überbelastung des Körpers eintretende Zelluntergänge gewebespezifisch zu identifizieren. Dabei wird zellfreie zirkulierende DNA, die als Folge von Gewebeschädigungen in den Blutkreislauf eingespült wird, mit molekularpathologischen Methoden aufgearbeitet. Anwendung fand diese Methodik auch bei Untersuchungen in der Humanzentrifuge (HZF) des ZentrLuRMedLw in Königsbrück, bei dem es um die Frage der Auswirkung positiver Druckbeatmung auf die Lungenfunktion von Eurofighter-Piloten ging. Hier wurden Blutproben vor und nach Zentrifugenläufen entnommen und u.a. auf die Expression des für die Bildung von Surfactantprotein zuständigen Gens untersucht. Die Auswertungen dieser Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen.

Alter und DNA-Methylierung

Durch die Altersabhängigkeit von DNA-Methylierungen in bestimmten Genomregionen können diese auch als Markersystem für eine Altersbestimmung herangezogen werden. Mittels Korrelation zu einem Referenzdatensatz aus Proben von Menschen bekannten Alters konnte aus einer Pyrosequenzierung auf das Alter von Unbekannten geschlossen werden. Untersuchungen an dem für Blutproben besonders geeigneten ELO-VL2-Gen bestätigten die Eignung des Verfahrens auch an Proben solider Organe wie beispielsweise der Milz von Brandopfern und Fäulnisleichen. Der Vergleich unbekannter Opfer nach einem Flugunfall, aber auch nach Massenkatastrophen wie etwa einem Tsunami, mit Bilddokumenten einer Vermisstenliste wird hierdurch deutlich erleichtert, weil es einfacher wird, das Alter des Opfers zu schätzen.

Abb. 4: Pyrogramm mit Darstellung des sog. CpG-Methylierungsgrades in der Promotorregion des ELO-VL2-Gens. Die quantitativen Ergebnisse erlauben eine Abschätzung des biologischen Alters eines unbekannten Flugunfallopfers an Hand einer Blut- oder Gewebeprobe. Die ermittelten Prozentwerte methylierter Cytosin-Basen in den einzelnen Positionen werden hierzu mit den Werten einer Vergleichsstichprobe von Personen bekannten Alters verglichen. (Bild: © Bundeswehr/ZentrLuRMedLw)

Forschungsschwerpunkte des Flugphysiologischen Trainingszentrums in Königsbrück

Die Themenkomplexe Sauerstoffmangel und Beschleunigungswirkungen und deren Wirkungen auf den Menschen, Phänomene von Orientierung und Desorientierung sowie die Nachtsehfähigkeit stehen im Mittelpunkt der Forschungsarbeiten des Teams in Königsbrück. ­Einige Arbeiten der jüngsten Zeit widmeten sich dem online-­Monitoring von Vitalparametern und Biosignalen zur Gesunderhaltung unserer Soldatinnen und Soldaten, der Suche nach Möglichkeiten zur Reduktion psychischer Belastungen bei militärischen Drohnenoperateuren sowie der Aufarbeitung historischer Literatur und Quellen aus dem Zentrum.

Erkennen des Sauerstoffmangels

Die Erkennung und Objektivierung eines Sauerstoffmangels im Flug ist auch heute noch von ausschlaggebender Bedeutung für den Erfolg einer fliegerischen Mission, aber aufgrund fehlender validierter Sensorik mit Flugzulassung nach wie vor problembehaftet. Daher beschäftigen sich einige der neueren wissenschaftlichen Projekte des flugphysiologischen Trainingszentrums mit der Testung bzw. Implementierung verschiedenster Sensoren zum kontinuierlichen Monitoring der O2-Sättigung bei Innenbegleitern und Lehrgangsteilnehmern der flugphysiologischen Ausbildung in der Höhen-Klima-Simula­tionsanlage. Unter den Bedingungen hoher Beschleunigungen waren zuvor bereits in der Humanzentrifuge mit einem vom Institut für Luft- und Raumfahrttechnik der TU Dresden entwickelten Sensorsystem für Atemgase ­erfolgversprechende Untersuchungen durchgeführt worden. Die dabei verwendeten Festkörperelektrolyt -­Gas-Sensoren ermöglichten auch im Bereich hoher Be­schleu­nigungen von 7–9 Gz eine in-situ Messung von Atemgasen (O2, CO2) und Atemflow.

Beeinflussung von Geruchs- und Geschmackssinn

Daneben wurde eine Reihe von Projekten in Zusammenarbeit mit den Universitätskliniken für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde der Martin-Luther-Universität Halle und dem Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden sowie der Abteilung Othorhinolaryngologie des Bundeswehrkrankenhauses Hamburg durchgeführt, die sich erstmals systematisch mit dem Einfluss von Umgebungsgeräuschen und -lärm, Luftdruck, Luftfeuchtigkeit und Temperatur auf den Geruchs- und Geschmackssinn befassten. Im Ergebnis konnte gezeigt werden, dass all diese Faktoren selektiv sowohl ausgewählte Qualitäten des Geruchs- als auch des Geschmackssinns beeinträchtigen können.

Störungen der Motorik und Arrhythmieentstehung durch Beschleunigungskräfte

Bekanntermaßen können hohe Beschleunigungen sehr schnell zum limitierenden Element im Fluge werden. Aber selbst bei geringen Beschleunigungen muss man bereits mit Störungen der motorischen Funktionen des Menschen und damit mit einer Beeinträchtigung beim Führen eines Luftfahrzeugs rechnen. Dies war das Ergebnis eines Projektes, das in Kooperation mit dem Institut für Physiologie und Anatomie der Deutschen Sporthochschule Köln durchgeführt wurde.

In einem weiteren Projekt wurden bei Lehrgangsteilnehmern in der flugphysiologischen Ausbildung die während der Zentrifugenfahrten abgeleiteten EKGs einer systematischen Analyse unterzogen und Daten zur Arrhythmieentstehung gesammelt, von denen man sich weitere Informationen zur klinischen Relevanz von unter Beschleunigungen auftretenden Herzrhythmusstörungen verspricht.

Future High G Training

Besondere Aufmerksamkeit verlangt gegenwärtig ein multinationales von der European Defense Agency (EDA) auf den Weg gebrachtes Projekt mit dem Titel „Future High G Training in Military Aviators“, an dem ­Österreich, die Niederlande, Polen, Schweden und Deutschland beteiligt sind und bei dem es um die zukünftige Gestaltung der Ausbildung von Lfz-Führern im Hochbeschleunigungsbereich geht. Dies hat insofern eine besondere Relevanz, da mit den bereits auf dem Reißbrett existierenden neuen Hochleistungsflugzeugen der 6. Generation die Schere, die sich zwischen dem Leistungsvermögen des Menschen und der jeweiligen Flugzeuggeneration auftut, so groß sein wird, dass sie ohne weitere Entwicklungsarbeit und eine enge Kooperation von Flugmedizinern mit ingenieurtechnischen und naturwissenschaftlichen Fachrichtungen sowie Human Factor- und anderen Spezialisten mit Expertise auf diesem Gebiet nicht zu schließen bzw. zu verkleinern sein wird. Schon heute muss daher über ein zukünftiges Training der Lfz-Führer nachgedacht werden. Dabei wird gar nicht so sehr die Leistungssteigerung der Zentrifugen als vielmehr die sog. „dynamic flight simulation“ im Fokus der Entwicklung stehen. Die Abbildung realistischer Flugszenarien in den Trainingsverfahren in einer sicheren, boden-basierten Umgebung (Simulation jeglicher Flugphasen mit Beschleunigung, Vibration, voll umfänglich kontrollierbaren Achsen sowie realistischen Displays und „Controls“) sowie die Nachbildung der gleichen physiologischen Stressoren, wie sie im realen Flug vorkommen, stehen dabei ebenso im Zentrum des Interesses wie die Ausschaltung der negativen Begleiteffekte (Tumbling, Coriolisphänomene) und die Optimierung und Ökonomisierung der Ausbildung luftgebundener Fähigkeiten und Techniken.

Risiko Desorientierung

Nach wie vor stehen in der Forschung in Königsbrück auch Phänomene der Desorientierung im Flug im Fokus, sind sie doch ein beitragender, zum Teil sogar der hauptsächliche Faktor bei vielen Flugunfällen. In einer Studie, die in Kooperation mit dem Fraunhofer Institut Wachtberg durchgeführt worden ist, wurde der Frage nachgegangen, inwieweit der vestibulo-okuläre Reflex (VOR) ein Indikator für die mögliche Anfälligkeit einer Person für eine räumliche Desorientierung sein könnte. Die Daten sprachen für eine Abhängigkeit zwischen den torsionalen Augenbewegungen und der Fähigkeit zur räumlichen Orientierung. Allerdings war es nicht möglich, eine verlässliche Voraussage zu treffen, welche der Versuchspersonen besonders empfänglich für eine mögliche räumliche Desorientierung sein würde.

Nachtsehen und NVG

Zum Themenkomplex Nachtsehvermögen wurde eine Studie zum Zwecke der Qualifizierung und Quantifizierung des BiV Sehens mit modernen night vision goggles durchgeführt, die sich auf die Einflüsse der Hypoxie auf die Farbdiskriminierung und insbesondere auf das Grün-Sehen konzentriert hat.

Abb. 5: Die Nachtsehanlage in Königsbrück ermöglicht die Simulation des Sehens bei unterschiedlichen Lichtverhältnissen. Oben links sind die tatsächlichen Verhältnisse, unten rechts ist das grünliche Bild des Nachtsichtgerätes eingeblendet. (© Bundeswehr/ZentrLuRMedLw)

Schwerpunkte Ergonomie

Auf dem Gebiet der Ergonomie beschäftigte sich das Team in Manching in den letzten Jahren intensiv mit dem Problem der „Simulator Sickness“ bei den im Ausbildungsbetrieb der Bundeswehr eingesetzten Simulatoren sowie deren ergonomischer Bewertung, erarbeiteten anthropometrische Grenzwerte für die verschiedensten Lfz-muster und bewerteten den Tragekomfort und die Bedienbarkeit verschiedener Helmsysteme und Nachtsichtgeräte, insbesondere im Waffensystem Eurofighter. Eine ausführliche Akzeptanzanalyse zum Crew Ressource Management Training in der Bundeswehr sowie ­vorbereitende Arbeiten zur Akzeptanzanalyse des erarbeiteten Human Performance Enhancement- Konzepts ergänzte das Spektrum der Arbeiten.

Im Rahmen weiterer wehrtechnischer Aufträge wurde die Integration verschiedener Missionsfunkgeräte in die Fliegersonderausstattung untersucht und eine Arbeitsplatzanalyse für das Bedienpersonal in der Bodenkontrollstation der zukünftigen Eurodrohne durchgeführt. In Zusammenarbeit mit der Universität Mainz und Airbus Defense and Space wird aktuell an Studien zur Integration von Touch Displays in Luftfahrzeugen bzw. von sogennanten head mounted, d.h. am Kopf getragenen, Displays für Operateure gearbeitet.

Forschungsthemen in der Klinischen Flugmedizin

In der klinischen Flugmedizin wurden über Jahrzehnte „Big Data“ an Untersuchungsbefunden gesammelt, deren Auswertung in den letzten Jahren intensiv vorangetrieben wurde. Die Arbeiten zur Hebung dieses „Flugmedizinischen Datenschatzes“ werden in den kommenden Jahren fortgesetzt.

Innere Medizin

Das Dezernat Innere Medizin hat sich in enger Zusammenarbeit mit dem Deutschen Herzzentrum München über viele Jahre hindurch mit der Mehrschicht-Computertomografie und der Abklärung ihrer klinischen Wertigkeit bei Piloten der Bundeswehr mit einem intermediären Risiko für das Vorliegen einer koronaren Herzerkrankung befasst. In diesem Rahmen konnte auch eine Promotion zur Bedeutung der nichtinvasiven Koronarangiographie mittels Multidetektor-Computertomografie (MDCT) in der flugmedizinischen Diagnostik der koronaren Herzerkrankung an der Medizinischen Fakultät der Technischen Universität München erfolgreich abgeschlossen werden.

Ophthalmologie

Bedenkt man, das 90 % aller für die Flugdurchführung relevanten Informationen den Piloten über das Auge ­erreichen, so wird sofort deutlich, wie wichtig die Augen als Sinnesorgane für das Fliegen sind. Dies zeigt auch das breite Spektrum an Forschungsthemen, denen sich die Opthalmologen des ZentrLuRMedLw in den vergangenen Jahren widmeten. Dabei reichte das Spektrum von Untersuchungen zur Farbdiskriminierung in modernen Glascockpits und der Auswahl entsprechend geeigneter Testverfahren über neue Techniken der refraktiven Chirurgie und deren Bewertung für fliegendes Personal der Bundeswehr bis hin zu Fragen der Eignung von Gleitsichtgläsern und Kontaktlinsen der neuesten Generation für den fliegerischen Einsatz. Daneben wurden auch Möglichkeiten des ballistischen Augenschutzes und des Schutzes gegenüber Laserattacken für Luftfahrzeugbesatzungen eruiert und in den flugmedizinischen Kontext eingeordnet. Immer wieder wurden die Tauglichkeitsrichtlinien und die daraus resultierende Vorschriftenlage auf den Prüfstand gestellt und einer kritischen Betrachtung und Wertung unterzogen sowie ophthalmologische Problemfelder und Vorteile moderner Helmet Mounted Displays und Fragen des Lufttransports augenoperierter Patienten untersucht. Im Ergebnis sind hierbei eine Reihe von Diplomarbeiten und eine Vielzahl an Fliegerarztarbeiten entstanden. Die im ZentrLuRMedLw im Verlauf der Jahre erhobenen Daten dienten im Rahmen einer Promotionsarbeit an der Universität Ulm als Grundlage zur Durchführung einer Longitudinalstudie zur Myopieentwicklung.

Orthopädie

Auf dem Gebiet der Orthopädie wurden systematische Analysen von Verletzungen der Wirbelsäule bei einem Rettungsausstieg mit dem Schleudersitz und bei Hubschrauberunfällen sowie zum Auftreten von Rückenschmerzen bei Hubschrauberpiloten durchgeführt. Eine gegenwärtig laufende Studie analysiert die jahreszeitlichen Veränderungen der Vitamin D-Konzentration im Blut bei gesunden Probanden. Daneben wurden im Dezernat gezielte Überlegungen zur flugmedizinischen Bewertung bestimmter Erkrankungen (Krankheiten aus dem rheumatischen Formenkreis, Osteosynthesen/­Spondylodesen/­Endoprothesen, Osteologie, muskulo-skeletale Erkrankungen) im Hinblick auf die militärische aber auch auf die zivile Fliegertauglichkeit angestellt.

Die Überprüfung anthropometrischer Daten und ihrer ­Bedeutung für die Auswahl der Bewerber und des Luftfahrzeugs ist ein kontinuierlicher Prozess. Neben der Erhebung dieser „statischen Messwerte“ wurde eine muskuläre Leistungsdiagnostik entwickelt, die bei Bedarf auch in den Begutachtungsprozess integriert werden kann. Überdies wurden – dank der Möglichkeiten der 3 Tesla-MRT-Bildgebung – auch Fragen der (Neu-)Einordnung von Befunden an der Wirbelsäule von Bewerbern und aktiven Luftfahrzeugführern bei der flugmedizinischen Begutachtung bearbeitet.

Grundlagenforschung

Dem Bereich der Grundlagenforschung ist ein in Zusammenarbeit mit dem Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin des DLR und Mitarbeitern aus dem Dezernat „Bild­gebende Diagnostik“ des ZentrLuRMedLw durch­ge­führtes ­Projekt zuzuordnen. Hierbei ging es darum, bei höhenadaptierten Bergsteigern den Verlauf von durch die Höhen­exposition ausgelösten cerebralen Veränderungen mittels MRT-Untersuchungen des Schädels sichtbar zu machen, um sowohl pathophysiologische Mechanismen der akuten Höhenkrankheit (acute mountain sickness) bzw. des sog. high altitude cerebral edema (HACE), als auch mögliche Adaptationsmechanismen zu erforschen. Dazu wurden 10 nicht professionelle Bergsteiger für 7 Tage auf die Capanna Regina Margharita (4 554 m) in den italienischen Alpen gebracht und jeweils vor dem Aufstieg sowie innerhalb von 12 h und nochmals ca. 3½ Monate nach dem Abstieg einer magnetresonanztomographischen Messung unterzogen. Die Untersuchungssequenzen wurden dabei so gewählt, dass sowohl globale als auch fokale Volumenveränderungen, aber auch Wasserdiffusionsbewegungen und strukturelle Läsionen, wie zum Beispiel Mikroblutungen, sichtbar gemacht werden konnten. Trotz fortgeschrittener Höhenakklimatisation waren nach dem 7-tägigen Höhenaufenthalt sowohl globale (weiße und graue Substanz) als auch fokale zerebrale Volumenveränderungen (Gyri paracentralis und postcentralis, Thalamus) bei den Probanden nachweisbar. Die beobachteten Diffusionsbewegungen ließen auf ein vasogenes extrazelluläres Hirnödem als Ursache schließen, in Einzelfällen wurden auch cyto­toxische intrazelluläre Ödeme gefunden. Ein größeres intrakranielles Volumen schon bei der Ausgangsmessung vor dem Höhenaufenthalt schien ein Risikofaktor für Volumenveränderungen in der Höhe zu sein. Alle cerebralen Veränderungen waren reversibel und in der Untersuchung nach 3½ Monaten nicht mehr nachweisbar.

Großgeräte, ihre Entwicklung und Nutzung seit 1959

Höhensimulationskammern

Bereits vor der Gründung des FlMedInstLw gab es in Fürstenfeldbruck eine Unterdruckkammer, die 1944 in den USA gebaut worden war und „Fürsty“ im Jahre 1956 erreichte. Sie wurde am 16. Februar 1956 im Gebäude der Ausbildungsstelle der damals dort ansässigen Flugzeugführerschule „B“ eingerüstet, die später entsprechend dem Aufstellungsbefehl des Institutes mit damaligem Ausrüstungsstand und vorhandener personeller Besetzung zum Kern der Abteilung II „Flugphysiologische Ausbildung“ des Institutes wurde.

Abb. 6: Die erste Unterdruckkammer in Fürstenfeldbruck wurde im Februar 1956 installiert. Das untere Bild zeigt die Unterdruckkammer mit dem Steuerstand der Schleuse, die auch als Dekompressionskammer benutzt wurde. Der Steuerstand, von dem aus die eigentliche große Kammer (rechts vom Steuerstand der Schleuse) „gefahren“ wurde, ist an der Stirnseite der Kammer (Bild oben rechts).
(© Bundeswehr/ZentrLuRMedLw)

1965 – nach Vergrößerung der Abteilung II um eine Lehrgruppe, die für die Ausbildung der zukünftigen Fliegerärzte und Fliegerarztgehilfen sowie das Sanitätspersonal für den Lufttransport Kranker und Verletzter verantwortlich zeichnete – erfolgte eine Erweiterung des U-Kammer-­Gebäudes um einen Hörsaaltrakt. Die Fertigstellung erfolgte im Winter 1965/66.

Von Beginn an erfolgte die Nutzung aller Großgeräte gleichermaßen für Ausbildung und Forschung. In der Ausbildung ging es dabei nicht nur allein um die barometrischen Höhenwirkungen, sondern insbesondere um die im Luftfahrzeug als Notfall auftretende Minder­versorgung mit Sauerstoff und die damit verbundene individuelle O2-Mangelsymptomatik. In diesem Rahmen wurden verschiedene Notfall-Sauerstoffversorgungssysteme in einzelnen Luftfahrzeugen untersucht. Auch wurden Höhenflüge auf 42 000 ft mit Überdruckbeatmung und – mit der Aufstellung der Abteilung III – erste Forschungsprojekte, die sich zunächst mit Anpassungs­reaktionen von Atmung und Kreislauf beschäftigten, durchgeführt. Daneben gab es in Zusammenarbeit mit der Industrie verschiedene Gerätetestungen.

Abb. 7: Ausbildung mit simuliertem Höhenflug auf 42 000 ft mit Überdruck-Sauerstoffatmung (oben) und Forschung auf dem Gebiet der angewandten Flugphysiologie mit Ruhe-EKG nach Belastung auf Master-Treppe bei 18 000 ft (unten)
(© Bundeswehr/ZentrLuRMedLw)

In der zweiten Hälfte der 1990iger Jahre erfolgten Untersuchungen zur Prävention der Höhenkrankheit und zu Einflüssen von Sauerstoff-Bolus- oder Press­atmung auf die Sauerstoffsättigung des Blutes unter körperlicher Belastung in einer Flughöhe bei 14 000 ft. Die letzte in der Kammer in Fürstenfeldbruck durchgeführte Studie war ein Verbundforschungsvorhaben in Zusammenarbeit mit dem Institut für Physiologie der Universität Greifswald und beschäftigte sich mit kardiorespiratorischen, renalen und endokrinologischen Reaktionen normotensiver
und primär hypertensiver junger Männer in hypobarer ­Hypo­xie.

Abb. 8: Die letzte in der „Fürsty“-U-Kammer durchgeführte Studie untersuchte physiologische Parameter bei längerem Aufenthalt unter Höhenbedingungen (hypobare Hypoxie) bei Probanden mit und ohne familiäre Belastung für eine essenzielle Hypertonie.
(© Bundeswehr/ZentrLuRMedLw)

Neben der Hauptkammer gab es eine zweite U-Kammer, die Parasite-Chamber. Sie diente vor allem der Ausbildung im Umgang mit Druckanzügen. Schon 1967 konnten hier mit Profilen bis 77 000 ft annähernd Weltraumbedingungen simuliert werden. Beide Kammern wurden Ende der 1990er Jahre stillgelegt und verschrottet.

Abb. 9: Einzelausbildung für den Teildruckanzug C SU4/P(G) auf dem C2-Schleudersitz (F-104 Starfighter) bei Höhen bis zu 72 000 ft in der Parasite Chamber im Jahre 1967; dieses Einsatzprofil wurde später verlassen.
(© Bundeswehr/ZentrLuRMedLw)

Derzeit verfügt das ZentrLuRMedLw nur noch über die Höhen-Klima-Simulationsanlage (HKS) in Königsbrück, die 1987 im damaligen Institut für Luftfahrtmedizin der NVA in Betrieb genommen worden war und bis zum heutigen Tag sowohl für Ausbildungs- als auch für Forschungszwecke genutzt wird. Sie wurde zuletzt 2013 vollständig modernisiert und gehört heute zu den modernsten Simulationsanlagen dieser Art in Europa.

Hier wurden Studien zur Problematik der Ermüdung des fliegenden Personals und zum Einfluss der hypoxischen Hypoxie auf die Funktion verschiedenster Organsysteme durchgeführt. Daneben gab es immer wieder höhenphysiologische Untersuchungen zur Prüfung, Erprobung und Bewertung verschiedenster Materialien, Geräte und ­Ausrüstungen (Notebook-Computersystem für den NATO-E3A-Verband, Funktionstest des Atemfunktionsanalysegerätes Exhalyzer D“, Erprobung des Ganzkörperschutzanzuges „LASA“ in Kombination mit dem Helmsystem „FAS“, Höhenschutz bei Libelle G Multiplus, Eignungsuntersuchung des Ausrüstungssystems „Infanterist der Zukunft“, Bewertung von Druck­atmungs­techniken, Fliegerhelmen, Anti-G- und Seenotanzügen etc.).

Die Forschungsabteilung konnte ein bereits in Fürstenfeldbruck begonnenes Forschungsprojekt zum Einfluss einer Sauerstoff-Bolusatmung auf die Sauerstoffsättigung des Blutes in Ruhe und unter körperlicher Belastung in simulierten Höhen bis 25 000 ft erfolgreich abschließen. Die dabei erprobten Geräte sind inzwischen in die Truppe eingeführt und werden erfolgreich bei Flügen über den Hindukusch genutzt.

Auch wurden Sensoren zur Erfassung der Sauerstoffsättigung im Blut zur Früherkennung eines plötzlich und unerwartet auftretenden Sauerstoffmangels erprobt sowie Parameter des oxidativen Stresses bei Belastungen von Lfz-Führern der Bundeswehr mit stark wechselnden Sauerstoffpartialdrücken während Höhensimulationen erfasst. Neuere Untersuchungen befassten sich mit der Riechfunktion im Unterdruck.

Abb. 10: Die HKS des ­ZentrLuRMedLw in Königsbrück (oben Blick auf Steuerstand und in die Kammer) wurde u.a. für Untersuchungen der psychischen Leistungsfähigkeit unter hypobarer Hypoxie (A), zur Erprobung von Sauerstoffsensoren (B) und eines Sauerstoff-Bolusatmers für Hubschrauberbesatzungen (C) genutzt. Ebenso fanden Untersuchungen zum Riechvermögen im Unterdruck statt (D).
(© Bundeswehr/ZentrLuRMedLw)

Klimakammern

1976 wurde die erste Klimasimulationsanlage in Fürstenfeldbruck in Betrieb genommen. Die Anlage war schon damals in der Lage, reproduzierbar nahezu jedes auf der Erde und in der Höhe vorkommende Klima zu simulieren. Ein Blick auf die Kammerdaten verrät das große Spektrum der vorhandenen Simulationsmöglichkeiten:

Darüber hinaus verfügte die Kammer über ein Medical-­Monitoring-System, mit dem die Atem- und Kreislaufparameter sowie die Temperatur der Versuchspersonen erfasst werden konnten. Später wurde dieses System noch durch eine Waage ergänzt, die eine Massenänderung der Probanden während des Versuches mit einer Genauigkeit von 5 g aufzeichnen konnte.

Hier wurden Untersuchungen in verschiedenen Klimaten in Ruhe, unter Belastung, mit und ohne Infraroteinstrahlung und im Wasserbad durchgeführt. Schwerpunkte der Arbeiten bildeten vor allem bekleidungsphysiologische Fragestellungen wie beispielsweise die thermophysiologische Beanspruchung von Lfz-Führern beim Tragen von neuen Schutzanzügen und die Erprobung von Kälteschutzanzügen (die bei Flügen über Wasser zu tragen waren) in heißen Klimaten. Daneben wurden aber auch Untersuchungen zur Beeinträchtigung der Leistungs­fähigkeit und zu Problemen der Wiedererwärmung nach Unterkühlung durchgeführt.

Aus dem technischen Bereich gehörten die Entwicklung von Verfahren zur Enteisung von Flugbetriebsflächen und Startbahnen sowie Studien zum Öffnungsverhalten von Atemventilen bei Fallschirmspringermasken bei Absprüngen in großen Höhen mit sehr niedrigen Temperaturen (26 000 ft Höhe und 10 min Gleitzeit bei -47 °C) und Prüfungen der Verträglichkeit von Kontaktlinsen in ­trockener Höhenluft zum Spektrum der bearbeiteten Fragestellungen. Aus dieser Zeit stammen auch erste Grundsatzdaten zur Simulation des Arbeitsplatzes „Cockpit“ in der Klimakammer. Die HKS war bis Anfang der 1990er Jahre im Betrieb.

Im Wandel der Zeit sind diese grundsätzlichen Fragestellungen erhalten geblieben, deren Komplexität hat sich allerdings enorm vergrößert. Zum Teil sehr umfangreiche und arbeitsaufwendige Studien wurden von der Abteilung Ergonomie ab Mitte der 1990er Jahre in der Klimakammer der Wehrtechnischen Dienststelle 61 in Manching fortgeführt. Dabei standen vor allem thermophysiologische Erprobungen von Fliegersonderausrüstung (Lärmschutzanzug, ABC-Schutzausrüstung für Fliegendes Personal, verschiedene Seenotanzüge, Kälteschutzanzüge, Aircrew Equipment Assembly (AEA) mit Liquid Conditioning Garment (LCG) und Libelle) auf dem Programm. Im Rahmen dieser Untersuchungen konnte eine Arbeitsgruppe um Frau Dr. Schlykowa ein einzigartiges physiologisch-physikalisches Verfahren zur Ermittlung der Überlebenszeit in kalter Umgebung entwickeln, welches im Jahre 2008 patentiert wurde. Mit diesem Verfahren kann unter Laborbedingungen der thermische Schutz der Fliegersonderausrüstung ermittelt und eine fundierte Voraussage zur möglichen Schutzwirkung auch bei weiteren, nicht im Test – und damit mit Belastung von Probanden verbundenen – simulierten Klimabedingungen erfolgen. Dies ermöglicht es der Bundeswehr, entsprechende konkrete Qualitätsanforderungen für Bekleidung an die Industrie zu stellen und deren Verwirklichung zu überprüfen.

Abb. 11: Bis Anfang der 1990er Jahre war die Klimakammer in Fürstenfeldbruck im Betrieb. Die obere Abbildung zeigt den Steuerstand und Vorbereitungsraum für die Probanden, das untere Bild einen Ergometermessplatz in der Kammer.
(© Bundeswehr/ZentLuRMedLw)

Zentrifugen

Eine erste Konzeption zum Bau einer Humanzentrifuge (HZF) zur Beschleunigungssimulation gab es bereits im Jahr 1959, verwirklicht werden konnte sie jedoch erst im Jahr 1971, nachdem das dafür notwendige Gebäude – ein mit einer frei tragenden Kuppel versehener Rundbau von 40 m Durchmesser – errichtet worden war. Die eigentliche Inbetriebnahme der Zentrifuge nahm aufgrund immer wieder auftretender technischer Probleme nochmals einige Jahre in Anspruch.

Abb. 12: Der Inspekteur des Sanitäts- und Gesundheitswesens der Bundeswehr, Generaloberstabsarzt Prof. Dr. Ernst Rebentisch (1920-2013, Bildmitte), wird Ende 1976 in Anwesenheit des Leiters des FlMedInstLw, Generalarzt Dr. Hubertus Grunhofer (1922-2000, rechts) in Technik und Funktion der ersten Humanzentrifuge (1971 – 1980) von Rhode und Siemens eingewiesen (oberes Bild). Das untere Bild zeigt das Zentrifugengebäude in Fürstenfeldbruck.
(© Bundeswehr/ZentrLuRMedLw)

Anfang der 1980er Jahre entstand dann aus der ursprüng­lichen Zentrifuge von Rhode und Siemens in enger Zusammenarbeit der Mitarbeiter der Fachgruppe Klima- und Beschleunigungsphysiologie mit verschiedenen, u. a. auch US-amerikanischen, Betreibern von Zentrifugen und der Firma Messerschmitt-Bölkow-Blohm (MBB) ein modernes Hochleistungsgerät.

Die Länge des Zentrifugenarms betrug 10 m. Seine Konstruktion in Gitterbauweise aus Spezialstahl und eine in Flugzeugbautechnik hergestellte Gondel trugen zur Verminderung des Gewichtes und damit zur Leistungsfähigkeit der Zentrifuge bei.

Abb. 13: Ab der ersten Hälfte der 1980er Jahre in Fürstenfeldbruck betriebene Zentrifuge (1981 – 1990) von Messerschmidt-Bölkow-Blohm (MBB): Arm mit Gondel und Gegengewicht (oben links), Gondel mit Bedienelementen für den „Piloten“ (oben rechts), in 3 Freiheitsgraden bewegbliche Gondel (unten links) und Steuer- und Überwachungsstand (unten rechts).
(© Bundeswehr/ZentLuRMedLw)

Die Fachgruppe Beschleunigungsphysiologie führte mit dieser Zentrifuge Untersuchungen über die Auswirkungen verschiedener Sportprogramme auf die G-Toleranz sowie zur Tauglichkeit neuer Bekleidungsstücke bei ­hoher Fliehkraft durch. Daneben wurden Versuche unternommen, G-Beschleunigungen als Provokationsmethode zur Therapie der Luftkrankheit zu benutzen. Auch diente die Zentrifuge dazu, für die Abteilung I fragliche medizinische Befunde im Rahmen der Untersuchung auf Wehrfliegerverwendungsfähigkeit abzuklären. Desgleichen wurden spezielle Terrain-Following-Programme entwickelt, die als Vorstufe für die heutigen interaktiven Flugprofile betrachtet werden können.

Aktuell wird Forschung auf dem Gebiet der Beschleunigungsphysiologie im Simulationszentrum des ZentrLuRMedLw in Königsbrück betrieben, das sowohl die HZF als auch die HKS beherbergt.

Abb. 14: Simulationszentrum des ZentrLuRMedLw in Königsbrück mit Zentrifugenhalle (A) und HKS-Gebäude (B)
(© Bundeswehr/ZentrLuRMedLw)

Diese Anlagen waren am früheren Institut für Luftfahrtmedizin der NVA nach einer Bauzeit von vier (HZF) bzw. fünf Jahren (HKS-Anlage) in Betrieb genommen und nach der Wiedervereinigung sowie einer Erneuerung der peripheren Geräte auch weiter betrieben worden.

Die bei der Erstellung im Jahr 1986 modernste Humanzentrifuge Europas konnte vom Luftfahrzeugführer sowohl passiv als auch aktiv als Flugsimulator mit einem Lastvielfachen bis zu + 12 Gz ”geflogen” werden. Bei einer Masse des drehenden Systems von insgesamt 38 t wurde sie in weniger als 3 s auf eine Umlaufgeschwindigkeit von ca. 120 km/h gebracht [1], [2].

Abb. 15: Zentrifuge von Austria Metall (später AMST), wie sie von 1986 bis 2005 in Betrieb war (oben) und Versuche mit einem „Libelle“-­Prototypen (Hartschale + wassergefüllter Unteranzug, ­Füllvolumen ca. 20 l, unteres Bild) (oberes Bild: © AMST) (unteres Bild: © pc concepts/Reinhard)

Die Forschungsvorhaben standen vor allem im Zusammenhang mit der Einführung neuer Waffensysteme (Eurofighter) und konzentrierten sich auf die Bewertung von im Flugbetrieb zur Verfügung stehender Fliegersonderbekleidung und Ausrüstungsgegenständen. Dabei ging es vor allem um Fragen der Qualität des Anti-G-­Schutzes und mögliche gesundheitliche Auswirkungen von hohen Gz-Belastungen auf die Lfz-Führer. So wurden von 1994 – 2003 Tests zur Entwicklung eines Ganzkörperschutzanzuges durchgeführt. In Zusammenarbeit mit der Firma Austria Metall (seit 1987 Austria Metall System Technik - AMST) erfolgte von 1995 bis 2004 die Entwicklung des interaktiven Steuerungssystems der Zentrifuge. Von 1996-2008 begleitete die Abteilung Flugphysiologie Versuche des schweizerischen Herstellers von Anti-G-Schutz-Ausrüstung (Fa. pc concepts) und nachfolgend auch die Entwicklung der „Libelle“, eines alternativen Anti-G-Schutzanzuges der Firma Autoflug für den Eurofighter. Des Weiteren wurden ein Fliegerhelm mit ABC-Schutz (FAS) (Fa. Gentex), eine Atemmaske HA/LP, eine Halsstütze zur Reduzierung der Gz-Last, ein Notfunksender für den Eurofighter und die Stabilisation moderner torischer Kontaktlinsen untersucht.

Obwohl die Zentrifuge in Königsbrück nach ihrer Inbetriebnahme zu den modernsten Anlagen dieser Art in der Welt gehörte, war es nach nahezu 20 Betriebsjahren erforderlich, sie mit der Einführung der neuen agilen Flugzeugmuster der vierten Generation zu erneuern. Nach erfolgter Kampfwertsteigerung und Wiederinbetriebnahme der HZF im Mai 2006 erfüllt sie alle Leistungskennziffern des Eurofighters.

Abb. 16: Humanzentrifuge in Königsbrück nach Kampfwertsteigerung im Mai 2006: Mit der neuen Technik wird das Leistungsprofil des Eurofighters vollständig abgebildet. Die Bilder in der Mitte zeigen Piloten mit der Enhancement Variante der Libelle (links) und dem AEA-Anti-G-Anzug (rechts); ganz rechts ist das Protokollblatt, mit dem bei der Vergleichsuntersuchung verschiedener Anzüge petechiale Blutungen (G-Measles) erfasst wurden, abgebildet.
(© Bundeswehr/ZentrLuRMedLw)

Bei dem ersten Großprojekt, das mit dieser neuen Zentrifuge bearbeitet wurde, ging es darum die Frage zu beantworten, welcher der beiden zu der Zeit im Eurofighter zur Auswahl stehenden Anti-G-Schutzanzüge bei gutem Komfort den besten Schutz für den Lfz-führer bietet. Um diese Frage zu beantworten, sind zwei ­umfangreiche Vergleichsuntersuchungen durchgeführt worden.

Zunächst wurde eine Vergleichsstudie der zwei im Waffensystem EF 2000 „Eurofighter“ eingesetzten Anti-G-Schutzsysteme AEA (BAeS) und A-AEA (Modell LP 08 - LIBELLE G-Multiplus® Fa. Autoflug) durchgeführt. Hierbei zeigte sich, dass beide Systeme Defizite aufwiesen, die zum Teil als flugsicherheitsrelevant oder flugmedizinisch als gesundheitliche Gefährdung betrachtet werden mussten. Deshalb sollten in einem vorgegebenen Zeitrahmen Maßnahmen zur Verbesserung beider Systeme getroffen werden. Nach erfolgten Enhancement-Maßnahmen wurden in der zweiten Hälfte des Jahres 2008 die dann veränderten Versionen der Anti-G-­Schutzausrüstungen AEA und LIBELLE erneut in der HZF des Flugmedizinischen Institutes der Luftwaffe in Königsbrück auf den Prüfstand gestellt.

Zur Lösung der Aufgabe wurden erhebliche Anstrengungen in die Entwicklung einer geeigneten Methodik für diese Untersuchung gesteckt. Zunächst musste ein Verfahren zum hämodynamischen Monitoring bei Zentrifugenbelastungen entwickelt werden, darüber hinaus gelang es, die bei hohen Beschleunigungen auftretenden G-Measles und Druckstellen quantitativ zu erfassen und letztendlich wurde noch eine Methodik aufgebaut, die in der Lage war, statische und dynamische Lungenfunktionsdaten sowie das Ausmaß der Gz–induzierten Atelektase bei den in Betracht gezogenen Anti-G-Schutzanzügen vergleichend zu erfassen. Daneben wurden in umfangreichen Befragungen eine Reihe von subjektiven Daten zu G-Schutz, Sicherheitsgefühl, körperlicher Befindlichkeit und Komfort/Diskomfort erhoben und systematisch ausgewertet.

Am Ende konnte ein Versuchsaufbau verwirklicht werden, der in dieser Form flugmedizinisches Neuland darstellt. Besonders hervorzuheben war dabei der multidisziplinäre Ansatz, der zwar erhebliche personelle Kapazitäten gebunden hat, aber in seiner Ganzheit einmalig war und völlig neue Aspekte der Beurteilung von Anti-G-Schutzanzügen hervorgebracht hat.

Desorientierungstrainer

Räumliche Desorientierung, ein Zustand, der nach Gillingham durch eine fehlerhafte Wahrnehmung der eigenen Position und Bewegung relativ zur Erdoberfläche gekennzeichnet ist, wird heute in 15-17 % aller Fälle als ursächlich für tödliche Flugunfälle angenommen. Die Fähigkeit zur räumlichen Orientierung sollte bei einem Lfz-Führer daher besonders gut ausgeprägt sein.

Um Piloten das Problem der räumlichen Desorientierung durch Verlust des Gefühls für die Lage im Raum wie auch ein mögliches Missverhältnis zwischen tatsächlicher Lage und „fliegerischem Empfinden“ nahe zu bringen, wurden in der Flugmedizin schon früh Desorientierungs-Demonstratoren genutzt. Solche Geräte haben sich in der Prävention von Flugunfällen und als Trainingsgeräte für Flugzeugführer-Anwärter, die eine Anfälligkeit für Luftkrankheit zeigten, bestens bewährt. Das Institut verfügte im Laufe seiner Historie über verschiedene Desorientierungstrainer.

Abb. 17: Desorientierungs-Demonstrator (Foto entstand wahrscheinlich um 1975): Auf dem kurzen Arm konnte eine gleichförmige Kreisbeschleunigung der geschlossenen Kapsel erfolgen, die sich ihrerseits nach links oder rechts drehte; ohne Referenz zur Außenwelt konnten im Vestibularapparat so Fehlinformationen zur Lage im Raum erzeugt werden.
(© Bundeswehr/ZentrLuRMedLw)

Mittels eines Desorientierungsdemonstrators konnte Flugschülern und Luftfahrzeugbesatzungen sehr eindrucksvoll vorgeführt werden, dass beim Flug ohne Sichtreferenzen von den für die Lage-Orientierung im Raum verantwortlichen Sinnesorganen fehlerhafte Eindrücke vermittelt werden und dass demzufolge eine „räumliche Desorientierung“ mit all ihren Gefahren unvermeidlich ist. Das Gerät wurde vor allem dazu genutzt, Lfz-Führern zu vermitteln, sich nur auf die Instrumente und nicht auf die eigenen Sinneseindrücke zu verlassen („Only trust your instruments!“).

Abb. 18: In den 1990er Jahren installierter FOT in der ehemaligen Zentrifugenhalle in Fürstenfeldbruck: Steuerstand mit oben links ­eingeblendeter Gondel, die die Aufschrift „Gyrolab“ trägt.
(© Bundeswehr/ZentrLuRMedLw)

In den 1990er Jahren trat an die Stelle des alten Desorientierungsdemonstrators ein wesentlich modernerer Flugorientierungstrainer (FOT), der als Vierachs-Gerät Bewegungen über 360 Freiheitsgrade zuließ sowie über eine Außen- und Innensteuerung verfügte. Für ihn wurden zahlreiche Ausbildungsprofile zunächst erarbeitet und dann später in verschiedenen Programmen auch geflogen, um Luftfahrzeugbesatzungen vor dem Auftreten von Desorientierungssymptomen zu schützen.

Insbesondere konnte ein in Zusammenarbeit mit der Abteilung VI (Flugpsychologie) etabliertes Anti-Air-Sickness-Programm (AATP) für Flugschüler und Lfz-Führer zur Konditionierung gegen Luftkrankheit mit Erfolg praktiziert werden. Ebenso kam der FOT im Rahmen flugmedizinischer Auswahl zur Untersuchung der Orientierungsfähigkeit der Anwärter und für die Objektivierung der Ausbildung der Piloten in räumlicher Orientierung zum Einsatz.

Daneben wurden verschiedene Forschungsprojekte bearbeitet. Im Rahmen eines Sonderforschungsvorhabens wurden Ursachen und Auswirkungen von Kinetosen näher beleuchtet. Dabei reichte das Spektrum der Untersuchungen von Bestimmungen von Stress- und intestinalen Hormonen sowie Interleukinen über EEG-Analysen bis hin zur Erfassung der simultan mit der Kinetose auftretenden Atmungs- und Kreislaufveränderungen. Ergänzt wurde die Methodik durch Kinetose-Fragebögen und Paper-Pencil-Testverfahren.

In einem weiteren Forschungsvorhaben wurden, in Zusammenarbeit mit dem DLR in Köln, hormonelle Reaktionen auf Belastungen mit dem Drehstuhl, dem FOT, der Zentrifuge sowie durch Lower Body Negative Pressure vergleichend untersucht. Auf Grund seiner Komplexität konnte sich der FOT allerdings nicht als Routinegerät durchsetzen.

Beide Geräte, d. h. Desorientierungsdemonstrator und FOT, wurden zu Beginn des neuen Jahrtausends ausgesondert und durch inzwischen zwei Desorientierungstrainer (DISO) neuerer Bauart ersetzt, die in der Fachgruppe „Flugphysiologisches Trainingszentrum“ im Moment vor allem der Ausbildung dienen.

Abb. 19: DISO neuester Bauart in Königsbrück: Außenansicht (links oben), Blick in das Cockpit (rechts) und Simulation einer Runway (unten links)
(© Bundeswehr/ZentrLuRMedLw)

Datenerhebung am Arbeitsplatz „Cockpit“ im Wandel der Zeit

Ein Thema hat die Flugmedizin schon von jeher ganz besonders fasziniert und gerade auf diesem Gebiet lässt sich die Entwicklung des Fachgebietes der letzten 60 Jahre ganz besonders eindrucksvoll nachweisen – nämlich bei der „Datenerhebung am Arbeitsplatz Cockpit“.

Die im Frühjahr 1966 am FlMedInstLw gegründete Fachgruppe Telemetrie hatte es sich zur Aufgabe gemacht, physiologische Daten des Lfz-Führers im realen Flugbetrieb zu erfassen und aufzuzeichnen. Der Gruppe stand dabei zeitweise ein speziell ausgerüstetes „eigenes“ Forschungsflugzeug vom Typ Fiat G 91 zur Verfügung, aus dem die erhobenen Messwerte zur Bodenstation weitergeleitet wurden. Dort wurden sie von den Registrier- und Sichteinheiten gesammelt, aufgezeichnet und einer späteren Auswertung zugeführt.

Die Aufgabe dieser Fachgruppe bestand darin, die Beanspruchung des Flugzeugführers im Flugzeug, also direkt am Arbeitsplatz, zu erfassen. Von Beginn an wurde bei der Lösung dieser Aufgabe ein multidisziplinarer Ansatz gewählt, der Psychologen, Mediziner, Ingenieure und Messtechniker zusammenführte. Allerdings gab es unter den Rahmenbedingungen der damaligen Zeit eine Reihe von Limitationen:

Zunächst führten die noch sehr begrenzten Möglichkeiten der Messtechnik und der gesamten Kette der Datengewinnung über die Datenübertragung bis hin zur ­anschließenden Datenverarbeitung zu nahezu unüberwindbaren Schwierigkeiten. Auch waren zu Beginn nur wenige Messwertaufnehmer kommerziell verfügbar; deshalb mussten die spezielle Sensoren für EKG, Herzfrequenz, Atemfrequenz, Lidschlagfrequenz, galvanischen Hautwiderstand und viele andere mehr erst im eigenen Labor entwickelt und getestet werden, bevor sie im Flugzeug eingesetzt werden konnten. Auch führte die große Beweglichkeit des Flugzeuges und die begrenzte Reichweite der Funkübertragung zu Problemen. Die schwierigste Aufgabe jedoch war die Verarbeitung und Wichtung der großen analogen Datenmengen von Flugzeug und Besatzungen, die mit der damaligen Technik nicht zu beherrschen war und letztendlich 1976 zur Aussetzung der Arbeit dieser Fachgruppe führte.

Abb. 20: Telemetrische inflight-Messungen gaben Aufschluss über Belastungen und Belastungsgrenzen im Fluge. Der obere Teil zeigt das Blockschaltbild der in eine Fiat G-91 (Bild unten, bei Flugvorbereitungen) eingebauten Anlage und die Systematik der analogen Datenspeicherung am Institut.
(© Bundeswehr/ZentrLuRMedLw)

Danach gab es im Laufe der Zeit immer wieder Versuche, sich dieser Fragestellung auf traditionelle Weise auf der Verhaltensebene durch Erhebung von Leistungsmaßen sowie auf der subjektiven Ebene zu nähern. Eine Vielzahl von Untersuchungen beschäftigte sich mit der Erfassung subjektiver Indikatoren psychophysischer Beanspruchung im Cockpit mittels Fragebogentestverfahren. Auch wenn diese Ansätze zur Erfassung der Beanspruchung von Luftfahrzeugführern ohne Frage wertvolle Daten lieferten, waren sie jedoch entweder von geringer Sensitivität bzw. diagnostischer Güte und Aufgabenspezifität oder sie genügten den Anforderungen an eine Implementierung und Interferenzfreiheit mit der fliegerischen Aufgabe nicht, fanden keine Akzeptanz bei den Untersuchungsteilnehmern oder zeigten oft nur eine geringe Korrelation zu anderen Beanspruchungsindikatoren. Sie erwiesen sich damit insgesamt als nur bedingt geeignet. Erschwerend kam hinzu, das konsistente Theorien zur psychophysischen Beanspruchung fehlten und die Fachwelt selbst in den Begriffsbestimmungen noch nicht in allen Punkten einen Konsens erreichen konnte.

Die objektive Erfassung der psychophysischen Beanspruchung von Luftfahrzeugführern direkt an ihrem Arbeitsplatz „Cockpit“ stellt auch heute noch eine besondere Herausforderung für die Flugmedizin dar. Nachdem die technologischen Grenzen der Vergangenheit in Bezug auf die Messwertaufnehmer zur Erfassung der relevanten physiologischen Parameter und die Rechentechnik im Zuge der Fortschritte in der Mikroelektronik, Messtechnik und Informatik in neuerer Zeit ausgeräumt werden konnten, bleibt allerdings die Bewertung der erhobenen psychophysischen Indikatoren mentaler Beanspruchung immer noch problembehaftet.

Erfolgversprechend scheint hier ein in der Arbeitsgruppe um Dr. Bernd Johannes vom DLR entwickeltes Verfahren zu sein, das eine Wichtung der erhobenen physiologischen Messparameter versucht und damit sowohl eine inter- als auch intraindividuelle Vergleichbarkeit der Beanspruchung ermöglicht. Eine erste Verifizierung dieses Vorgehens in einer Studie, die Mitarbeiter der Forschungsabteilung des ZentrLuRMedLw in Zusammenarbeit mit Dr. Johannes und der Fliegerärztin in Geilenkirchen an AWACS-Piloten im Simulator- und realen Flugbetrieb durchgeführt haben, verlief erfolgreich und konnte zeigen, dass die Methodik tatsächlich geeignet ist, Beanspruchungen während belastender Flugmanöver (Start, Landung, Touch and Go, Luft- zu Luftbetankung) nachvollziehbar zu quantifizieren [6].

Abb. 21: Mobile Aufzeichnungsgeräte (Pfeil im linken Bild) lassen auch im Cockpit ohne Beeinträchtigung des Lfz-Führers die digitale Aufzeichnung zahlreicher Stress-Parameter zu, die dann zu den jeweiligen fliegerischen Belastungen (z. B. Anflug zur Luftbetankung (oben rechts) oder Start eines AWACS (unten rechts) in Beziehung gesetzt werden können. (linkes Bild: © Bundeswehr/ZentrLuRMedLw) (rechtes Bild: ©Bundeswehr/Luftwaffe)

Ausblick

Auch in Zukunft wird sich die Forschung auf dem Gebiet der Luft- und Raumfahrtmedizin der klassischen Großgeräte der Flugmedizin wie Höhensimulations-, Klima- und Überdruckkammer, multiaxialer Beschleunigungsgeräte wie Humanzentrifuge und Flugorientierungstrainer sowie physiologischer, ergonomischer, psychologischer und klinischer Standarduntersuchungstechniken bedienen können und müssen. Diese sind allerdings auf die neuen Erfordernisse der immer komplexer werdenden Ausrüstungs-, Flug- und Waffensysteme und insbesondere auf die noch höhere Agilität zukünftiger Luftfahrzeuge sowie das erweiterte Einsatzspektrum der Bundeswehr auszurichten und dem aktuellen Stand der Wissenschaft anzupassen.

Untersuchungen zur Beschleunigungs- und Höhenphysiologie sowie Studien auf den Gebieten der räumlichen Desorientierung, der ergonomischen Gestaltung des Cockpits, zur Bewältigung der erhöhten physischen, psychischen und kognitiven Belastungen sowie des Informationsmanagements der zukünftigen Luftfahrzeugbesatzungen werden dabei weiter an Bedeutung gewinnen.

Auch wird man zukünftig nicht mehr umhinkommen, dem wichtigsten Teil im fliegenden System, nämlich dem Piloten, auch in Bezug auf die Überwachung im Fluge noch mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Eine Zukunft ohne „aircrew-mounted sensors“ und physiologisches inflight-Monitoring wird es nicht geben. An der entsprechenden Messtechnik wird weltweit mit Hochdruck gearbeitet. Dies ist eine der größten Herausforderungen für die Flugmedizin seit ihrer Etablierung als eigenständige Disziplin der Medizin.

All diejenigen, die sich diesen Herausforderungen stellen, werden sich dabei der Faszination, die der Umgang mit modernsten Technologien und interessanten Fragestellungen in der Luft- und Raumfahrtmedizin mit sich bringt, nicht entziehen können und als Jünger des Asklepios alles dafür tun, ihrer Verantwortung zur Gewährleistung der Sicherheit im Flugbetrieb gerecht zu werden.

Volanti subvenimus

Literatur

  1. Andexer A: Das Flugmedizinische Institut der Luftwaffe. Wehrmedizin und Wehrpharmazie 1999; 4: 19-30. mehr lesen
  2. Andexer A: Das Flugmedizinische Institut der Luftwaffe. Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2000; 4: 52- 64.
  3. Burchard, E: 25 Jahre Flugmedizinisches Institut der Luftwaffe. Unveröffentlichte Jubiläumsschrift 1984.
  4. Daumann FJ et al.: Gutachten über die Belastungen des fliegenden Personals auf der Grundlage neuer flugmedizinischer Untersuchungen und neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse. Flugmedizinisches Institut der Luftwaffe, 1995.
  5. Garbe J: Das Flugmedizinische Institut der Luftwaffe. Wehrmedizin und Wehrpharmazie 1980; 2: 76-82.
  6. Johannes B, Rothe S, Gens A, Westphal S, Birkenfeld K, Mulder E, Rittweger J, Ledderhos C: Psychophysiological Assessment in Pilots Performing Challenging Simulated and Real Flight Maneuvers. Aerospace Medicine and Human Performance 2017; 88 (9): 834-840. mehr lesen
  7. Kastner M, Harss C: Psychophysiologische Belastungen und Beanspruchungen von Heeresfliegerbesatzungen beim Nachtflug mit Bildverstärker-Brillen: Untersuchung von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen. Forschungsbericht aus der Wehrmedizin. BMVg-InSan I 1989; 1186-V-6788.
  8. Lauschner EA: Flugmedizin in Deutschland. Bild der Wissenschaft 1965; 2(6): 467-473.
  9. Lauschner EA: Das Flugmedizinische Institut der Luftwaffe. in: Festschrift anlässlich des 10-jährigen Bestehens des Flugmedizinischen Institutes der Luftwaffe 1959-1969, Fürstenfeldbruck März 1969: 14-30.
  10. Ledderhos, C., Heise, R., Gammel C. und A. Gens: Inflight-Messungen der Sauerstoffsättigung bei Höhenflügen im Himalaya und den französischen Alpen im Rahmen des “Mountain Wave Project” (MWP). WMM 2015; 59(9-19): 286-292. mehr lesen
  11. Wissenschaftsrat. Pressemitteilung zum Flugmedizinischen Institut der Luftwaffe. Juli 2009 ; letzter Aufruf: 12. August 2019. mehr lesen

Manuskriptdaten

Zitierweise
Ledderhos C: Volanti Subvenimus- 60 Jahre flugmedizinische Forschung im Dienst unserer fliegenden Besatzungen. WMM 2019; 63(10-11): 338-357.

Verfasser
Oberfeldarzt Priv.-Doz. Dr. Carla Ledderhos
Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe
Dezernat I 3b – Experimentelle Flugmedizinische Forschung
Straße der Luftwaffe 322, 82256 Fürstenfeldbruck
E-Mail: carlaledderhos@bundeswehr.org