Wehrmedizinische Monatsschrift

Der Einfluss militärischer Ausrüstung und
Belastung auf das Gang- und Haltungsbild von Soldaten

Gregor Dethloff a, Patricia Lang a, Benedikt Friemert a, Hans-Georg Palm a

a Bundeswehrkrankenhaus Ulm – Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie, Septische und Rekonstruktive Chirurgie, Sporttraumatologie

 

Einführung

Das Ausrüstungsgewicht von Soldaten erfährt bis in das 21. Jahrhundert trotz des technischen Fortschritts eine stetige Zunahme. Die durchschnittliche Kampfausrüstung eines Soldaten wiegt 28,6 kg und im Rahmen eines notfallmäßigen Annäherungsmarsches kann das Gewicht bis zu 59,7 kg betragen. Dies entspricht einem durchschnittlichen Körpergewichtsanteil von ca. 77 %. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Rückenschmerzen bei Soldaten eine der führenden Ursachen für Dienstunfähigkeit oder Repatriierung aus dem Einsatz sind. Beschwerden der Lendenwirbelsäule wurden z. B. bei 77 % aller Soldaten eines US-Infanterieverbandes in Afghanistan binnen eines Jahres beobachtet; die betroffenen Studienteilnehmer gaben als Ursache das Ausrüstungsgewicht an. Da sich Ausrüstung und Gewicht nur bedingt reduzieren lassen, erscheint eine Fokussierung auf die Optimierung von Trageform und Identifikation beschwerdeanfälliger Soldaten zielführend.

Unklar ist bisher, inwieweit militärische Belastung und Ausrüstung das Gang- und Haltungsbild der betroffenen Soldaten beeinflussen und ob sich Veränderungen auch quantifizieren lassen. Ziel unserer über Sonderforschungsmittel der Bundeswehr finanzierten Studie ist es daher, mit Hilfe eines Gang- und Haltungsanalyse-Systems die alte versus neue Schutzweste der Bundeswehr unter Marschbelastung hinsichtlich ihres Einflusses auf das Gang- und Haltungsbild zu evaluieren.

Abb. 1: Strahlungsfreie Analyse der Wirbelsäulenstellung mittels Videorastersterographie: Die Abbildung zeigt links die Raumskizze der Versuchsanordung und rechts eine aus den Oberflächenprofil der projezierten horizontalen Linien errechnete Darstellung der jeweiligen Wirbelsäulen­stellung.

Probanden und Methoden

22 männliche Probanden im durchschnittlichen Alter von 26 Jahren (Range: 21-40 Jahre), mit einem Durchschnittsgewicht von 82,7 kg (Range: 58,7-103,9 kg), einer Körpergröße von 1,82 m (Range 1,65-1,97 m) und einem BMI von 24,7 kg/m² (Range: 19,0-28,8 kg/m²), absolvierten drei 12 km-Märsche in je zwei Stunden unter folgenden Bedingungen:

Zwischen den Märschen musste eine siebentägige Ruhepause liegen. Es erfolgte jeweils sowohl vor als auch nach den Märschen eine strahlungsfreie Analyse mittels Videorasterstereographie (Ganganalysesystem Diers 4Dmotion Lab®). Die Videorastersterographie nutzt die Triangulation zwischen zwei Kameras und einem sich stetig verschiebenden Bildpunkt auf dem Rücken des Probanden. Daraus resultiert ein Oberflächenprofil, welches mit der Stellung der Wirbelsäule korreliert.

Eingeschlossen wurden männliche Soldaten in einem Alter 21 bis 40 Jahre; Ausschlusskriterien waren eine muskuloskelettale Erkrankung nach ICD-10-GM M00-99 sowie eine eingeschränkte Dienstfähigkeit. Die Probanden konnten im Bundeswehrkrankenhaus Ulm und im ­be­nach­barten Sanitätsregiment 3 akquiriert werden. Aufgrund von anatomischen Anomalien mussten zwei Probanden im Verlauf von der Gesamtauswertung aus­­geschlossen werden. Unterschiede zwischen den Zeitpunkten PRÄ und POST wurden beobachtet. Die Messungen wurden jeweils dreimalig erhoben, anschließend gemittelt und eine Differenz zwischen POST und PRÄ gebildet. Es erfolgte eine deskriptive Auswertung der Haltungswerte der jeweiligen Marschgruppen. Mit Hilfe des Linear-Mixed-Modells konnten diese auf statistische Signifikanz untereinander geprüft werden.

Als Hauptzielgröße wurde die Rumpfneigung definiert; als Nebenzielgröße wurden Schmerzangaben (Visu­elle-Analogskala (VAS)) erhoben, um ein Schmerzkorrelat zu beleuchten. Deren Prüfung auf eine statistische ­Signifikanz zwischen den zusammengehörigen PRÄ- und POST-Werten erfolgte mittels Wilcoxon-Test. Die Studie wurde registriert unter der Ethikantragnummer 233/17 (Universität Ulm) und gefördert als Sonderforschungsprojekt der Bundeswehr (Projekt-ID: 36K3-S-101622).

Ergebnisse: Die Messung der Rumpfneigung ergab

Somit wies die Gruppe SWneu vs. Kontrolle eine Differenz von 6,1 (p = 0,006**) auf. Zwischen den Gruppen SWalt und SWneu lagen die Unterschiede der Rumpfneigung bei -5,4 mm (p = 0,046*).

Im Vergleich der Brustwirbelsäulenschmerzen der Gruppe SWaltprä (VAS 0,1 ± 0,5) vs.Gruppe SWaltpost (VAS 1,4 ± 2,0) ergab sich ein p-Wert von 0,01*. Für die Schmerzen der Lendenwirbelsäule der Gruppe SWaltprä (VAS 0,1 ± 0,5) vs.Gruppe SWaltpost (VAS 1,7 ± 2,0) ergab sich ein p-Wert von < 0,01*. Die SWneu zeigte keine signifikanten Unterschiede der VAS.

Abb. 2: Differenzen der Rumpfneigung PRÄ und POST Marschbelastung

Diskussion und Ausblick

Ziel unserer Studie war es, mit Hilfe des Ganganalyse-­Systems Diers 4Dmotion Lab® die alte vs. neue Schutzweste der Bundeswehr unter Marschbelastung hinsichtlich ihres Einflusses auf das Gang- und Haltungsbild zu untersuchen. Wir konnten zeigen, dass die SWneu – trotz der Entlastung durch den Beckengurt – im Vergleich zur „Kontrolle“ als einzige Weste eine signifikante Steigerung der Rumpfneigung aufwies, wobei die Schmerzangaben nicht signifikant waren. In Zusammenschau der Tragedauer und der Schmerzangaben können wir schlussfolgern, dass die SWneu evtl. zur Verbesserung der kurzfristigen Durchhaltefähigkeit beitragen kann. Jedoch steht die erhöhte Rumpfneigung in Zusammenhang mit einer erhöhten Belastung der Wirbelsäule, die wiederum mit einem erhöhten Risiko für Lower Back Pain einhergeht. Davon sind insbesondere Menschen bzw. Soldaten mit bereits bestehenden degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule betroffen. Da nur die SWneu einen Hüftgurt aufweist, der eine axiale Entlastung zulässt und das Gewicht auf dem Becken überträgt, steht dieser Effekt bei gleichem Ausrüstungsgewicht vermutlich mit dem Hüftgurt in Zusammenhang und wir nehmen an, dass es dadurch zu einer Veränderung von Kraftübertragung und Hebelkräften kommt. Es liegen uns bisher keine Hinweise bezüglich des langfristigen Effektes vor.

Betrachtet man nur die Hauptzielgröße „Rumpfneigung“, dann scheint die SWalt die geeignetere Schutzweste zu sein. Das Ausbleiben der Steigerung der Rumpfneigung ist überraschend und muss kritisch betrachtet werden, da dieser Effekt bei Soldaten häufig angetroffen wird. Zusätzlich liegt aufgrund des nicht vorhandenen Hüftgurts eine axiale Belastung der Wirbelsäule vor. Die daraus resultierenden möglichen Degenerationen der Wirbelsäule treten für gewöhnlich erst nach Wochen bis Monaten auf.

Das Tragen sowohl eines hohen Ausrüstungsgewicht als auch einer Vielzahl an Ausrüstungsgegenständen ist für Soldaten unverzichtbar. Auch in Verbindung mit einer optimalen Ausrüstung können Rückenschmerzen und deren langfristige Folgen vermutlich nicht vollständig verhindert werden. Jedoch sollte die Belastung verstanden werden und daraus ggf. Verbesserungen abgeleitet werden. Zwischen der Einstellung und der erstmaligen Vorstellung aufgrund von Rückenschmerzen des Soldaten bei seinem Truppenarzt vergehen vermutlich Monate bis Jahre. Da der stattgehabte Lower Back Pain in der Literatur mehrfach als Risikofaktor für ein rezidivierendes Auftreten beschrieben wird, vergeht so wertvolle Zeit. Anhand eines Screenings könnte diese Zeit genutzt werden, um Soldaten zu identifizieren, die z. B. eine auffällige Rumpfneigung aufweisen, und diesen eine geeignete Ausrüstung zur Verfügung zu stellen und sie ggf. in ein spezifisches Training einzusteuern. Bisher findet kein standardisiertes Screening der Wirbelsäulenhaltung von Soldaten bzgl. der Rückenschmerzen statt, noch sind flächendeckende Präventionsprogramme, die gezielt auf die militärische Belastung in Abhängigkeit des individuellen Risikoprofils vorbereiten, vorhanden.

Nachfolgende Studien sollten z. B. zur Identifizierung von risikobehafteten Soldaten deren Rumpfneigung untersuchen. Dabei könnte z. B. das Tragen eines G36 oder anderer Waffensysteme untersucht werden. Weiterhin sollten Einflussfaktoren, Trainings- und Präventionsprogramme evaluiert werden. Zusätzlich kann die Erstellung einer „Militärischen Wirbelsäulennorm“ bzgl. der Haltungsdaten von Soldaten erwogen werden, um ein weiteres Instrument als Untersuchungsmöglichkeit oder ggf. für die wehrmedizinische Begutachtung etablieren zu können.

Literatur

Manuskriptdaten

Zitierweise

Dethloff G, Lang P, Friemert B, Palm HG: Der Einfluss militärischer Ausrüstung und Belastung auf das Gang- und Haltungsbild von Soldaten (Vortrags-Abstract). WMM 2019; 63(12): 409-411.

 

Für die Verfasser

Leutnant (SanOA) Gregor Dethloff

Bundeswehrkrankenhaus Ulm

Oberer Eselsberg 40, 89081 Ulm

E-Mail: gregordethloff@gmail.com

 

Der Beitrag wurde als Vortrag im Rahmen des Wettbewerbs um den Heinz-Gerngroß-Förderpreis beim 50. Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie e. V. in Leipzig am 11. Oktober 2019 gehalten.