Wehrmedizinische Monatsschrift

REFRESHER INTENSIVMEDIZIN

Gerinnung und Massivtransfusion

Carsten Veit a, Maja Florentine Iversen a

a Bundeswehrkrankenhaus Hamburg, Klinik X – Anästhesie, Intensiv- und Notfallmedizin, Schmerztherapie

 

Zusammenfassung

Störungen der Hämostase gehören zu häufigen Problemen auf einer Intensivstation und sind oftmals sowohl in diagnostischer als auch in therapeutischer Hinsicht eine Herausforderung für die Behandelnden. Der Beitrag stellt häufige und relevante Pathologien mit ihrem klinischen Bild bzw. der klinischen Fragestellung vor und erläutert daran die entsprechenden Gerinnungstests bzw. deren Kombination zur differenzierten Diagnostik. Die in den letzten Jahren an Bedeutung zunehmenden medikamentös bedingten Gerinnungsstörungen werden ebenfalls erörtert.

Dem Ausgleich großer Blutverluste – in der Einsatzmedizin eine nicht seltene Notwendigkeit – widmet sich der zweite Teil dieses Beitrags. Dabei wird vor allem die Bedeutung eines standardisierten Vorgehens zur Minimierung lebensbedrohlicher Komplikationen bei Massiv­transfusionen herausgearbeitet.

Stichworte: Gerinnung, Koagulopathie, Massivtransfusion, Thrombozyten, disseminierte intravasale Gerinnung

Keywords: coagulation, coagulopathy, massive tranfusion, thrombocytes, disseminated intravascular coagulation

Gerinnung und Gerinnungsdiagnostik

Jeder auf einer Intensivstation tätige Mediziner wird regelmäßig mit Störungen der Hämostase bei seinen Patienten konfrontiert. Eine unkontrollierte hämostatische Aktivität trägt zur Entstehung eines Multiorganversagens bei. Das wesentliche Problem bei der Diagnostik besteht darin, dass der komplexe Ablauf der in vivo stattfindenden Blutgerinnung nur ansatzweise in vitro abgebildet werden kann.

Der bloße Nachweis normabweichender Gerinnungsparameter korreliert allerdings nicht in jedem Fall mit einer klinisch relevanten pathologischen Koagulopathie oder einer Organdysfunktion.

Darin begründet sich die zum Teil schwierige Differenzierung zwischen einer adaptiven und einer pathologischen Hämostaseaktivierung. Deshalb gilt:

Die Gerinnung kann nur durch kombinierte Bewertung unterschiedlicher Gerinnungstests und des klinischen Bildes bzw. der klinischen Fragestellung beurteilt ­werden

Der Vorgang der Gerinnung umfasst 4 Phasen. An jeder dieser Phasen sind zahlreiche zelluläre und humorale Faktoren beteiligt, die im Rahmen der Gerinnungsdiagnostik bestimmt werden können (Tabelle 1).

Tab. 1: Gerinnungsphasen, jeweils beteiligte Faktoren und Diagnostika

Das Prinzip der „klassischen Gerinnungsanalytik“ besteht aus der Bestimmung der Zeitspanne bis zum Beginn der Fibringerinnselbildung nach der Zugabe von Aktivatoren. Im Blut-Entnahmeröhrchen wird durch eine definierte vorgelegte Menge Citrat das im Blut befindliche Calcium gebunden und damit die Gerinnung gehemmt. Nach Zentrifugation und Abheben des Plasmas wird der Aktivator und eine definierte Menge Calcium zugegeben. Anschließend startet die Gerinnungsreaktion. Das gebildete Thrombin führt zur Bildung eines Fibringerinnsels, welches zur Trübung der Probe führt; diese wird photo­metrisch erfasst.

Das Entnahmeröhrchen muss ausreichend mit Blut gefüllt sein, weil sonst ungebundenes Citrat in der Probe verbleibt. Das gilt auch für Point of care-Diagnostik auf der Station, wie z. B. bei der Rotations-Elastometrie ­(ROTEM®-Analyse). Dabei ist zu beachten:

Einschränkungen bezüglich der Interpretation der klassischen Gerinnungsanalytik in Bezug auf die in vivo-Situation ergeben sich durch die standardisierten Bedingungen, unter denen die Diagnostik stattfindet; diese sind:

Achtung!

Eine Hypofibrinämie kann auch bei normaler Thrombinkonzentration zu pathologischen Quick-, aPTT-­Werten und Thrombinzeiten führen, weil kein adäquates Fibringerinnsel entstehen kann.

 

Störungen der primären Hämostase

90 % aller präexistenten Gerinnungsstörungen finden sich in der Phase der primären Hämostase, z. B. verursacht durch einen Mangel an von-Willebrand-Faktor, Thrombozytopathien oder aggregationshemmende Medikamente. Daher sollte zwingend eine Blutungsanamnese erfolgen.

von-Willebrand-Syndrom (vWS)

Das vWS kommt mit einer Häufigkeit von etwa 1 % in der Gesamtbevölkerung relativ häufig vor. Bei der Blutgruppe 0 ist der vWF um bis zu 20 % erniedrigt, allerdings ist bei dieser Population die Blutungsneigung auch physiologisch etwas höher [8].

Der bei diesem Syndrom vermindert verfügbare vWF hat zwei wesentliche Funktionen:

In Folge einer Verminderung des vWF kommt es auch zu einer Verminderung des Faktor VIII, die jedoch bei weitem nicht so ausgeprägt ist wie bei einer Hämophilie A. Die Diagnostik des vWS ist aufgrund der Komplexität des Moleküls vergleichsweise aufwendig. Erschwerend kommt hinzu, dass der vWF als Akut-Phase-Protein bei Infektionen hochreguliert werden kann. Das kann im Einzelfall wiederholte Untersuchungen erforderlich machen.

Erworbene vWF-Mangelzustände werden häufig im Rahmen lymphoproliferativer Erkrankungen, bei Gammopathien oder bei künstlichen Aortenklappen gesehen. Milde Formen werden nicht durch die aPTT erfasst, da die grenzwertig reduzierte Aktivität von Faktor VIII nicht zu einer Verlängerung führt. Daher ist die

Diagnostik der Wahl beim vWS

Allerdings sind die Ergebnisse dieser Bestimmungen nicht kurzfristig verfügbar.

Thrombozyten -Funktion

Ein wertvolles Tool zum Screening auf Störungen der primären Hämostase ist mit einer Sensitivität von > 95 % die Plättchenfunktionsanalytik (PFA). Diese setzt voraus, dass die Thrombozytenzahl > 100 Tsd/µl und Hämatokrit > 35 % sind. Eine Differenzierung zwischen Thrombozytopathien oder gar unterschiedlichen Typen des vWS ist allerdings nicht möglich.

Störungen in der Thrombingeneration

Störungen in der Thrombingeneration sind zumeist durch die Einnahme oraler Antikoagulantien, seltener durch Hepatopathien bzw. angeborene oder erworbene Faktorenmängel verursacht. Ein Beispiel für den erworbenen Faktorenmangel ist die „Hemmkörper (Autoantikörper)-Hämophilie“, die vorzugweise im Alter > 60 Jahre bei bis dahin unauffälliger Blutungsanamnese auftritt. Davon abzugrenzen ist das „Antiphospholipid-Syndrom“, welches aufgrund von Antiphospholipid (APL)-Antikörpern zwar zu pathologischen Globaltests (v. a. aPTT) führt, bei dem jedoch klinisch eher die Thrombophilie im Vordergrund steht.

Störungen der Clotbildung/-stabilität

Störungen der Clotbildung bzw. der Clotstabilität sind häufig erworben. Neben dem Fibrinspiegel sollte das Augenmerk auf den Faktor XIII gelenkt werden. Ein Mangel an Faktor XIII < 60 % kann zu einer Reduktion der Fibrinstabilisierung und zu Wundheilungsstörungen führen. Aufgrund seiner langen Halbwertzeit (7 Tage) können auch lang anhaltende moderate Blutungen zu einem isolierten Faktor XIII-Mangel (Antigenbestimmung erforderlich!) führen.

Erhöhte Fibrinogenwerte können verminderte Thrombozytenzahlen partiell kompensieren. Im Vergleich zu den übrigen Gerinnungsfaktoren (Ausnahme Faktor II) ist Fibrinogen physiologisch mindestens 80-mal mehr vorhanden und bei kritischen Blutungen trotzdem als erstes im unteren kritischen Bereich. Neben dem Verlust durch die Blutung spielt der Verbrauch eine zentrale Rolle.

Im Gegensatz zu den enzymatisch aktiven Gerinnungsfaktoren, die lediglich Reaktionen katalysieren, handelt es sich bei Fibrinogen um ein Strukturprotein, welches für die Matrix des Clots verantwortlich ist und in diesem Prozess verbraucht wird. Eine Hyperfibrinolyse würde die Verminderung zusätzlich verstärken.

Differenzialdiagnostische Überlegungen

Bei pathologischen Werten in der klassischen Gerinnungsdiagnostik sollten folgende Differenzialdiagnosen in die Überlegungen einbezogen werden. Veränderung von Quick-, aPTT-Wert und Thrombinzeit und mögliche Differenzialdiagnosen sind in Abbildung 1 dargestellt.

Abb. 1: Differenzialdiagnosen bei pathologischen Befunden im Rahmen der klassischen Gerinnungsdiagnostik (* siehe Hinweise zur Therapie mit DAOK im Text)

Hinweise zu DOAK

Grundsätzlich ist ein Monitoring der DOAK routinemäßig nicht erforderlich. Im intensivmedizinischen Bereich (bei veränderter Leber- und Nierenfunktion, aufgrund von Thrombembolien oder bei Blutungen) kann eine Beurteilung der „DOAK-Spiegel“ indiziert sein. Als grobe Orientierung kann folgendes genutzt werden:

Thrombozytenfunktionsdiagnostik

Aufgrund der Komplexität und der Vielzahl an funktionellen Eigenschaften der Thrombozyten ist die Durchführung einer Thrombozytenfunktionsdiagnostik nicht einfach. Es können jeweils nur einzelne funktionelle Aspekte abgebildet werden. Im klinischen Alltag haben sich zwei Systeme etabliert, der Platelet Function Analyzer (PFA) und der Multiplate®-Analyzer.

Im PFA wird die Probe durch eine Kollagenmembran, welche mit ADP oder Epinephrin beschichtet ist, durch eine kleine Öffnung gesaugt. Entsprechend der Fähigkeiten der Thrombozyten, einen primären Clot zu bilden, wird diese Öffnung nach einer bestimmten Zeit verschlossen. Diese Verschlusszeit ist hoch sensitiv für ein vWS.

Beim Multiplate®-Analyzer handelt es sich um eine Impedanz-Aggregometrie. Dabei lagern sich Thrombozyten nach Aktivierung an eine Elektrode an, in der Folge erhöht sich der Widerstand. Abhängig vom eingesetzten Thrombozytenaktivator lassen sich unterschiedliche Path­ways untersuchen (Thrombozyten-Rezeptor aktivierende Peptide (TRAP), In-vitro-Bestimmung der durch Arachnidonsäure (ASPI-Test) oder Adenosindiphosphat (ADP-Text) aktivierten Plättchenfunktion). Diese Methode ist sehr sensitiv bezüglich des Nachweises von Aspirin oder ADP-Rezeptorantagonisten.

Thrombelastometrie

In der Intensivmedizin liegt der Schwerpunkt der Störungen der Hämostase im Bereich der Thrombingeneration und der Clotqualität bzw. Clotstabilität. In den letzten Jahren kristallisierte sich zunehmend die Thrombelastometrie – heute meist als Rotations-Thrombelastometrie durchgeführt – als Basisdiagnostik heraus. Hierbei rotiert ein Stempel um die Längsachse in einer ruhenden Küvette mit Citratblut. Durch Zugabe eines Aktivators bilden sich zwischen der Wand der Küvette und dem Stempel Fibrinfäden, welche die Bewegung des Stempels entsprechend ihrer Festigkeit hemmen. Die Bewegungshemmung wird als Kurve aufgezeichnet Abbildung 2). Nicht erfasst werden Störungen der primären Hämostase, ASS-Effekte, Effekte von ADP-Antagonisten und milde Hyperfibrinolysen.

Abb. 2: ROTEM®-Thrombelastogram: Die Clotting-Time (CT) zeigt den Beginn der Gerinnung an und entspricht aPTT bzw. TPZ/Quick. Die Clot-Formation-Time (CFT) ist die Dauer bis eine Festigkeit von 20 mm erreicht ist. Der Alpha-Winkel ist ein Maß für die Geschwindigkeit der Gerinnselfestigung. Die Maximum-Clot-Firmness (MCF) entspricht der maximalen Gerinnselfestigkeit.

Eine Indikation für die Durchführung einer Thrombelastometrie besteht

Disseminierte intravasale Gerinnung (DIC)

Eine unkontrollierte hämostatische Aktivität trägt zur Entstehung eines Multiorganversagens bei. Der bloße Nachweis normabweichender Gerinnungsparameter korreliert allerdings nicht in jedem Fall mit einer klinisch relevanten pathologischen Koagulopathie oder einer Organdysfunktion. Darin begründet sich die zum Teil schwierige Differenzierung zwischen einer adaptiven und einer pathologischen Hämostaseaktivierung.

Beispiel: Sepsis und DIC

Beim intensivmedizinisch häufigen Krankheitsbild der Sepsis zeigen etwa 50-70 % der Patienten klinisch relevante hämostatische Veränderungen; bei 35 % der Patienten sind die Kriterien einer DIC erfüllt [19][20]. Ältere Beobachtungsstudien zeigten bei septischen Patienten mit DIC eine Letalität von 43 % vs. 27 % ohne DIC [10].

In der frühen Phase der DIC kommt es zu einer prothrombotischen Aktivität. Dabei spielt der tissue factor (TF), exprimiert durch das im Rahmen der Inflammation freigelegte Subendothel und durch aktivierte Monozyten, eine entscheidende Rolle. Parallel initiieren Inflammation, Endotoxine und Entzündungsmediatoren über den tissue factor-FVIIa-Komplex die Thrombingenerierung. Thrombozyten werden neben dem Thrombin auch direkt durch Entzündungsmediatoren aktiviert und führen zur diffusen Fibrinbildung [34]. Gegenreguliert wird über Antithrombin (AT) III, aktiviertes Protein C und den tissue factor pathway inhibitor. Der gesteigerte Verbrauch, gekoppelt an eine verminderte Synthese, führt häufig zu einem Ungleichgewicht zugunsten der Prokoagulation.

In der Spätphase der DIC führen der Verbrauch von Thrombozyten und prokoagulatorischen Proteinen zu einer diffusen hämorrhagischen Diathese. Somit ist das Krankheitsbild ein thrombo-hämorrhagisches Geschehen mit variabler Ausprägung. Die Diagnose einer DIC kann anhand von Laborparametern mit hoher Sensitivität, aber aufgrund der zahlreichen Differenzialdiagnosen (z. B. Knochenmarksuppression oder Synthesestörung) nur mit sehr schlechter Spezifität gestellt werden.

Diagnostik einer DIC

Die International Society on Thrombosis and Haemostasis (ISTH) hat einen Algorithmus zur Diagnosestellung einer DIC etabliert [30].

Wenn der Patient an einer Erkrankung, die mit einer DIC assoziiert sein kann, leidet, erfolgt die Erhebung globaler Gerinnungsparameter. Zur Berechnung des DIC-Scores sind Thrombozytenzahl, INR, Fibrinogen und D-Dimere zu bestimmen (Tabelle 2). Ein Score ≥ 5 spricht für eine floride DIC. Zur Verlaufsbeurteilung wird die tägliche Reevaluation empfohlen.

Liegt der Punktwert des DIC-Scores unter 5, so besteht der Verdacht auf eine nicht floride DIC; die Score-Bestimmung soll alle 1-2 Tage wiederholt werden.

Tab. 2: Berechnung des DIC-Scores

Therapie der DIC

Eine spezifische Therapie der DIC gibt es nicht, eine physiologische Antikoagulation brachte keine sichere Senkung der DIC-assoziierten Letalität [32]. Basis bleibt die Therapie der zugrundeliegenden Erkrankung.

Für die in der Praxis häufig etablierte Heparin- und ggf. AT III-Gabe in der Frühphase der Erkrankung gibt es keine klare Evidenz. Eine prophylaktische Korrektur der Gerinnungsveränderungen kann zu Komplikationen führen. Eine Gabe von Thrombozytenkonzentraten oder Gerinnungsfaktoren kann bei klinisch relevanten Blutungen oder vor invasiven Eingriffen erforderlich sein. Die Entscheidung sollte individuell unter Beachtung der aktuellen Gerinnungssituation erfolgen.

Arzneimittelinduzierte Gerinnungsstörungen

Die Behandlung von lebensbedrohlichen Blutungen wird bei Behandlung des Patienten mit antikoagulatorischen Medikamenten erschwert. Bei bekannter Einnahme von Thrombozytenaggregationshemmern (ASS, ADP-Rezeptor-Antagonisten, GP-IIb/IIIa-Antagonisten) und resistenter Blutung empfiehlt es sich, die Thrombozytenfunktion diagnostisch zu beurteilen (z. B. mit dem Multiplate®-Analyzer). Da keine Antidote zur Verfügung stehen, erfolgt die Transfusion von Thrombozyten.

ASS und ADP-Rezeptor-Antagonisten

Bei bekannter Einnahme von ASS und/oder ADP-Rezeptor-Antagonisten kann eine medikamentöse Therapie mit Desmopressin die Thrombozytenfunktion verbessern. In experimentellen Ansätzen konnte die aspirininduzierte Verminderung der Thrombozytenfunktion durch Applikation von Desmopressin (0,3 µg/kgKG über 30 min) verbessert werden [12]. Die vermehrte Expression des thrombozytären GP-I-Rezeptors und Freisetzung des vWF führen zu einer unspezifischen Thrombozyten­aktivierung. Systematische Studien zu dieser Indikation bei Traumapatienten mit Massivtransfusion liegen nicht vor.

Neue orale Antikoagulantien

Die rasche Wirkung und zuverlässige Wirksamkeit sowie das gegenüber der konventionellen Therapie zum Teil verminderte Nebenwirkungsprofil haben zur Einführung und zunehmenden Verbreitung neuer oraler Antikoagulanzien (NOAK) geführt. Dazu zählen u. a. direkte FXa-Inhibitoren (z. B. Rivaroxaban, Apixaban) oder direkte Thrombininhibitoren (z. B. Dabigatran). Obgleich dia­gnostische Mittel wie aPTT oder PT eine Alterierung in Korrelation mit den Plasmaspiegeln der direkten Thrombininhibitoren zeigen, können die Absolutwerte nicht im Sinne einer klinischen Wirkungskorrelation interpretiert werden. Das gilt besonders unter den Kautelen einer komplexen Koagulopathie wie bei einer Massivblutung.

Mit Idarucizumab (Praxbind®) ist bei lebensbedrohlichen Blutungen ein spezifisches Antidot für Dabigatran verfügbar; weiterhin ist Dabigatran als einziges der NOAK dialysierbar. Ein Antidot für FXa-Inhibitoren (Andexanet alfa) ist seit Mai 2018 in den USA zugelassen. Eine Zulassung seitens der Europäischen Kommission liegt seit April 2019 ebenfalls vor.

Marcumar, Heparin und Heparinoide

Die Antagonisierung von Vitamin K (z. B. durch Marcumar) kann durch die Substitution eines Prothrombin-­Komplexpräparates (PPSB) in Kombination mit einer intravenösen Vitamin-K-Gabe schnell und effektiv unterbrochen werden.

Die antikoagulatorische Wirkung von unfraktioniertem Heparin kann durch Neutralisation mit Protamin aufgehoben werden. Im Fall von bedrohlichen Blutungen unter Behandlung mit einem niedermolekularen Heparin sollte eine Neutralisation mit Protamin versucht werden, auch wenn damit nur die höhermolekularen Anteile neutralisiert werden können. Eine genaue Dosisberechnung ist meist nicht möglich. Deswegen wird bei Erwachsenen eine Bolusgabe von 5 000 heparinneutralisierenden Einheiten Protamin empfohlen.

Im Fall von Blutungen unter Therapie mit Danaparoid-­Natrium und Fondaparinux ist die Gabe von rFVIIa die Ultima-­Ratio-Therapie.

Massivtransfusion

Grundlagen

Das Verbluten ist die häufigste Todesursache bei einsatzbedingten Traumata. Der Blutersatz im Einsatz stellt sowohl die anwendenden Mediziner als auch die Logistik vor erhebliche Herausforderungen, insbesondere im Falle massiver Blutverluste.

Eine Massivblutung [33] ist definiert als

Der geordnete Ressourceneinsatz im Hinblick auf Überwachung, Narkoseführung, Diagnostik und Therapie umfasst:

Zur Lokalisation der Blutungsquelle werden die zeitnahe Ultraschalluntersuchung und/oder die Mehrschicht-Spiral-Computertomographie empfohlen.

Als Prädiktor einer Massivtransfusion kann der „Trauma Associated Severe Hemorrhage Score“ (TASH) des Deutschen Trauma-Registers (DGU) verwendet werden [3], aus dem daraus ermittelten Punktwert sich die Wahrscheinlichkeit (P) für eine Massivtransfusion ableiten lässt [22]. Der Score ist in Abbildung 3 dargestellt.

Abb. 3: Berechnung des TASH aus dem Traumaregister der DGU; die linken Spalten zeigen die Wahrscheinlichkeit einer Massivtransfusion in Abhängigkeit vom errechneten Score (nach [22]).

PT, INR, aPTT, Thrombozytenzahl (Achtung: Bei initialer Blutung fällt die Thrombozytenzahl in der Regel erst verzögert auf kritische Werte ab.) und Fibrinogenkonzen­tration können einen Anhalt für komplexe Gerinnungsstörungen geben. Die Werte korrelieren allerdings nur bedingt mit der Schwere der Blutung [18]. Bei einer PT <50 %, einer aPTT > 45 s und einer Fibrinogenkonzen­tration < 100 mg/dl können mikrovaskuläre Blutungen erwartet werden.

Auf die Anamnese in Hinblick einer Einnahme von Thrombozytenaggregationshemmern ist zu achten.

Weitere Informationen zum Gerinnungsstatus und zur Fibrinpolymerisation liefert die Thrombelastographie. Erste retrospektive und kontrollierte Studien aus der Herz- und Unfallchirurgie zeigen einen reduzierten Transfusionsbedarf durch Anwendung eines thrombelastometriegesteuerten Gerinnungsmanagements [13][28][31].

Therapie

Für ein suffizientes Funktionieren des Gerinnungssystems muss eine Reihe von Voraussetzungen erfüllt sein.

Voraussetzungen für ein funktionierendes Gerinnungssystem:

In Ermangelung prospektiv randomisiert kontrollierter Studien zum optimalen Trigger für die Transfusion von Erythrozytenkonzentraten (EK) bei massiv blutenden Patienten wird aktuell ein Hb > 7-9 g/dl nach Terminieren der Blutung angestrebt [24]. In mehreren Studien konnte gezeigt werden, dass die Bluttransfusion per se ein unabhängiger Prädiktor für die Sterblichkeit und Entstehung des Multiorganversagens (MOV) ist [1].

EK sollten auch im Notfall nach Möglichkeit AB0-kompatibel verabreicht werden. Die Beachtung des Rhesusfaktors wird im Notfall lediglich bei Frauen im gebärfähigen Alter gefordert. Ein Bedsite-Test und die Überprüfung der Identität der Konserve sind zwingend erforderlich.

Bei lebensbedrohlichen Massivblutungen und gleichzeitig vorliegendem SHT wird für die Transfusion von Thrombozytenkonzentraten ein Schwellenwert von ≥ 100 000/µl empfohlen.

Fresh Frozen Plasma

Nach Aufbereitung von gefrorenem Frischplasma (GFP oder FFP für Fresh Frozen Plasma) beträgt die Konzentration der Gerinnungsfaktoren 70-100 % und variiert am stärksten bei Fibrinogen und Faktor VIII. Sowohl das zu transfundierende FFP-Volumen als auch das Verhältnis von EK : FFP werden weiterhin kontrovers diskutiert. In den Empfehlungen wird darauf hingewiesen, dass die klinische Situation einer bestehenden Koagulopathie die Applikation höherer FFP-Volumina (> 20 ml/kgKG) bedarf [9]. Ob dieses Vorgehen für ein verbessertes Überleben sorgt [2][14] oder eher die frühzeitige Therapie der Koagulopathie bleibt offen.

Gegen die alleinige Verwendung von FFP spricht u. a. der Mangel an Thrombussubstrat (v. a. Fibrinogen). Für die Verwendung im physiologischen Gleichgewicht sprechen die Nichtverfügbarkeit industriell hergestellter Konzentrate der Gerinnungsfaktoren V und XI. Vor allem im Rahmen einer Massivtransfusion sollte die FFP-Gabe nicht nur AB0-kompatibel sondern AB0-identisch erfolgen.

Tranexam-Säure

Zur sinnvollen Anwendung der medikamentösen Therapie wird, z. B. zur Detektion einer Hyperfibrinolyse, die frühzeitige Thromboelastometrie empfohlen [26].

Patienten mit

Die CRASH 2-Trial 1 [6] konnte eindrucksvoll anhand von 20 000 randomisierten Patienten eine signifikante Reduktion der Gesamt- und blutungsbedingten Mortalität durch den Einsatz von Tranexamsäure zeigen. Die Applikation wird in einer Dosierung 15-20 mg/kgKG (Bolus 1-2 g) und bei klinischer Notwendigkeit durch anschließend kontinuierliche Infusion von 1-5 mg/kgKG/h empfohlen. Der Nutzen war eindeutig zeitlich begrenzt, daher ist darauf zu achten, diese Therapie frühzeitig (< 3 h) zu initiieren.

Fibrinogen

Fibrinogen ist ein in der Leber synthetisiertes Glykoprotein mit einer Halbwertzeit von 96-120 h. Obwohl die mit der Massivblutung verbundene Koagulopathie alle Prokoagulatoren betrifft, sind kritische Fibrinogenspiegel laborchemisch als Erstes zu messen. Eine frühzeitig exogene Substitution von Fibrinogen konnte in Studien den Blutverlust und die Ausbildung einer Thrombozytopenie reduzieren [7][15]. Der hämostatisch wirksame Mindestspiegel ist Gegenstand aktueller Forschung. Im Rahmen massiver Blutungen wird ein Spiegel 1,5-2 g/l empfohlen [26], was zumeist einer Substitution von 3-4 g entspricht. Eine nachgewiesene Hyperfibrinolyse muss selbstverständlich zuvor therapiert werden.

Prothrombinkomplex-Konzentrate

Prothrombinkomplex-Konzentrate (PPSB) enthalten die Gerinnungsfaktoren II, VII, IX und X sowie antikoagulatorische Proteine S und C, einschließlich AT III und Heparin. Obwohl nicht alle essenziellen Gerinnungsfaktoren enthalten sind, konnte für PPSB ein Nutzen zur Behandlung komplexer Koagulopathien gezeigt werden, allerdings weisen Publikationen auch auf ein gesteigertes Risiko für thrombembolische Ereignisse bzw. das Auftreten einer DIC nach Anwendung höherer Konzentrationen von PPSB hin [29]. Daher muss außerhalb der cumarininduzierten Koagulopathie die Anwendung von PPSB im Rahmen komplexer Gerinnungsstörungen kritisch betrachtet und umgesetzt werden. Da zurzeit keine praktikable Messung der Thrombingenerierung erhältlich ist, wird die Thromboelastometrie zur Steuerung vorgeschlagen [25].

Rekombinierter aktivierter Faktor VII

Rekombinanter aktivierter Faktor VII (rFVIIa) bindet in supraphysiologischer Konzentration mit geringer Affinität an aktivierte Thrombozyten, aktiviert Faktor X und führt letztendlich zu einem „Thrombin-Burst“. Abhängig von der hämostaseologischen Beeinträchtigung werden Dosierungen von 40-120 µg/kgKG empfohlen.

Basierend auf den aktuellen Daten wird eine Anwendung von rFVIIa nur als Ultima-Ratio-Therapie empfohlen, da vermehrt thrombembolische Ereignisse im arteriellen und venösen Gefäßsystem berichtet worden sind [11][21].

Die Wirksamkeit von rFVIIa ist an bestimmte Rahmenbedingungen gebunden:

Wenn rFVIIa sehr spät nach Ausschöpfung aller anderen Optionen verabreicht wird, besteht prinzipiell die Gefahr, dass die oben genannten Umgebungsbedingungen nicht mehr erreicht werden können. Aus diesem Grund gibt es studiengestützte Vorgehensweisen im Falle einer schweren Blutung, rFVIIa früher in reduzierter Dosis (1 mg) zu applizieren, um den Transfusionsbedarf zu reduzieren [27]. Es gibt für diese rationale Überlegung allerdings keine klare Evidenz.

Permissive Hypotension

Das Konzept der permissiven Hypotension (MAP ca. 50 mmHg) in der initialen Behandlung polytraumatisierter Patienten ohne SHT oder Rückenmarksverletzung dient der Unterstützung der Thrombusbildung, der Verringerung der Gefahr frühzeitiger Gerinnselablösung und der Vermeidung iatrogener Dilution [4][17].

Volumenersatz bei schwerer Blutung

Der Volumenersatz bei schwerer Blutung sollte nach aktuellem Stand mit balancierten Kristalloidlösungen erfolgen [24]. In kleineren Studienpopulationen konnte bei Vorliegen eines penetrierenden Traumas eine schnellere Normalisierung des Laktatspiegels nach Infusion von HAES vs. 0,9 %iger NACl-Lösung gezeigt werden [16]. Der Stellenwert moderner kolloidaler balancierter Hydroxyäthylstärke- oder Gelantinelösungen in diesem Zusammenhang (akute Blutung) ist gegenwärtig Thema kontroverser Diskussionen und noch nicht endgültig zu beantworten.

Schlussbemerkung

Verbluten ist die häufigste Todesursache bei schweren Unfällen und bei Kriegsverletzungen. Der Ausgleich großer Blutverluste durch Massivtransfusionen kann über die Ursachen des Blutverlustes hinaus selbst ein lebensbedrohliches Krankheitsbild bedingen. Ein organisiertes Vorgehen anhand eines standardisierten Massivtransfusionsprotokolls verbessert die Überlebensrate schwer traumatisierter Patienten [5].

Der Effekt basiert auf frühzeitiger Korrektur der Koagulopathie, einer frühzeitig antizipierten Handlungsaware­ness in Hinblick auf gerinnungsoptimierende Grundbedingungen (Vermeidung oder Behandlung einer Azidose, Normothermie, Normocalcämie) sowie struktureller und organisatorischer Vorbereitung der Massivtransfusion. Die Bedeutung einer effektiven und konsequenten Blutungskontrolle darf dabei nicht außer Acht gelassen werden. Die Kontrolle einer Massenblutung ist eine Teamaufgabe.

Die Erfordernis einer standardisierten Vorgehensweise wurde 2010 in der „Helsinki-Deklaration zur Patientensicherheit“ der Europäischen Gesellschaft für Anästhesiologie erneut unterstrichen [23] – eine „conditio sine qua non“, insbesondere unter einsatzmedizinischen Gesichtspunkten.

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Manuskriptdaten

Zitierweise

Veit C, Iversen MF: Refresher Intensivmedizin – Gerinnung und Massivtransfusion; WMM 2020; 64(2): 66-73.

Verfasser

Flottillenarzt Dr. Carsten Veit

Flottillenarzt Dr. Maja Florentine Iversen

Bundeswehrkrankenhaus Hamburg –

Klinik für Anästhesie, Intensiv- und Notfallmedizin, Schmerztherapie

Lesserstrasse 180, 22049 Hamburg

E-Mail: carstenveit@bundeswehr.org


1 CRASH-2: Clinical Randomisation of an Antifibrinolytic in Significant ­Haemorrhage 2;