Dynamische intraligamentäre Stabilisierung (DIS) von Rupturen des vorderen Kreuzbandes – ein Benefit für Patient und Bundeswehr?
Matthias Ring a, Thomas Moser a, Helmut Gulbins a, Michael Nowak a, Matthias Johann a
a Bundeswehrkrankenhaus Hamburg, Klinik XIV – Orthopädie und Unfallchirurgie
Einleitung
Die Ruptur des vorderen Kreuzbandes (VKB-Ruptur) gehört mit einer Inzidenz von 50 000 Fällen pro Jahr deutschlandweit zu den häufigsten Sportverletzungen des Kniegelenks. Aufgrund der Leistungsanforderungen sind hiervon die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr in besonderem Maße betroffen. Es bestehen verschiedene Therapiemöglichkeiten: die autologe Kreuzbandersatzplastik als Goldstandard, kreuzbanderhaltende Augmentationstechniken mittels arthroskopischer Naht oder die konservative Vorgehensweise mit physiotherapeutischer Beübung.
Seit 2007 erfolgte als weitere Behandlungsmethode der VKB-Ruptur die Entwicklung der dynamischen intraligamentären Stabilisierung (DIS) des Kniegelenks. Das Verfahren geht von der Annahme aus, dass die Entfernung des nativen Kreuzbandes durch einen funktionellen Verlust zu einer Minderung der Propriozeption führt. Das kreuzbanderhaltende Verfahren soll diesen Funktionsverlust durch die intraligamentäre Augmentation mittels resobierbarem Faden und Implantation einer Spannfeder verhindern. Die Spannfeder wird im Verlauf nach Einheilung des VKB entfernt und der knöcherne Defekt gegebenenfalls durch autogenes oder homologes Knochenmaterial aufgefüllt.
Abb. 1: Schema der DIS:
- Monoblock-Spannfeder in der Tibia( wird nach 6 Mon. entfernt) Fixierung mittels Polyethylen-Faden im Femur
- Sicherung mit Endobutton/Flipanker
- Adaptation mit resorbierbarem Faden
(Aus: „Ligamys – Erhalt des frisch gerissenen Kreuzbandes“, Sporthopaedics, MATHYS European Orthopaedics, www.ligamys.com)
Das optimale Ausheilen einer Ruptur des VKB spielt unter gesundheitsökonomischen Aspekten im Allgemeinen und unter militärischen Aspekten als Beitrag des Sanitätsdienstes zur Auftragserfüllung der Bundeswehr im Speziellen eine wichtige Rolle. Ziel unserer Untersuchung war es, die postoperativen Ergebnisse der DIS zu erfassen und unsere Ergebnisse im Literaturvergleich mit anderen kreuzbanderhaltenden Techniken zu betrachten.
Abb. 2: Lage der Spannfeder und des Endobuttons sowie Verlauf der Bohrkanäle in a.a.p-Ansicht (links) und in seitlicher Aufnahme (rechts)
Methoden
Bei Patienten, welche nach VKB-Ruptur mit einer DIS im Zeitraum 2017 bis 2019 im Bundeswehrkrankenhaus Hamburg versorgt wurden, erfolgte eine Nachbetrachtung. Einschlusskriterium in unsere Studie war eine frische VKB-Ruptur mit Typ-A-Verletzung (proximale femorale VKB-Ruptur), welche zum Zeitpunkt der Versorgung weniger als 21 Tage zurücklag. Es erfolgte 6 Monate postoperativ die ausführliche Beschwerdeanamnese und klinische Testung sowie die Entfernung der Spannfeder und eine Arthroskopie des Kniegelenks. Erhoben wurden
- der Ausheilungserfolg des nativen Kreuzbandes,
- das Bewegungsausmaß,
- die subjektive Funktionsfähigkeit generell,
- das Ausmaß möglicher Einschränkungen in unterschiedlichen Belastungssituationen und
- die subjektiven Einschränkungen der Dienstfähigkeit im Allgemeinen.
Die Bewertung erfolgte anhand einer numerischen Analogskala (0-10). Weiterhin erfolgten die Erhebung des Lysholm-Knee-Scores 1 und die Einteilung im Tegner-Aktivitätsscore [4]. Zusätzlich wurde das Vorliegen eines verletzungsbedingten Verwendungs- oder Laufbahnwechsels erfasst.
Abb. 3: Operativer Ablauf: (A) Proximale Ruptur des vorderen Kreuzbands; (B) Umschlingen des Kreuzbandstumpfes; (C) Einbringen des Ligamysfadens; (D) Prüfung der Stabilität
Ergebnisse
Im Zeitraum 2017 bis 2019 wurden im Bundeswehrkrankenhaus 46 Patienten mittels DIS versorgt. 34 Patienten erfüllten die oben angegeben Kriterien. Hiervon waren 76 % (n=26) männlich und 24 % (n=8) weiblich bei einem Durchschnittsalter von 28,8 Jahren (Median: 27,5 Jahre; Max: 55 Jahre; Min: 18 Jahre). Die Patienten wurden durchschnittlich am 14. Tag nach Trauma versorgt. Nachträglich mussten 3 Patienten ausgeschlossen werden, da sie nach 6 Monaten keine Follow-up-Untersuchung mit Materialentfernung und Arthroskopie durchliefen.
Bei den verbleibenden 31 Patienten zeigten sich bei Follow-up-Untersuchung folgende Ergebnisse:
- 90 % (n=28) der Kreuzbänder waren in der arthroskopischen Tasthakenuntersuchung intakt, 10 % (n=3) waren nicht intakt.
- Die Reruptur-Rate infolge eines erneuten Traumas bis zur Follow-Up-Untersuchung lag bei 3 % (n=1).
- Bei Erhebung des Bewegungsumfanges zeigten 7 Patienten ein Streckdefizit (Mittelwert: 8,3°; Min: 3°; Max: 15°). Hierbei wiesen 4 ein funktionelles Defizit auf, welches sich mit einem konservativen Therapieansatz durch Physiotherapie beheben ließ.
- 2 Patienten wurden während der Arthroskopie einer Arthrolyse unterzogen.
- Bei einem Patienten entschlossen wir uns aufgrund narbiger Verwachsungen zur vorzeitigen Spannfederentfernung mit Arthrolyse.
Der Lysholm-Knee-Score ergab einen durchschnittlichen Wert von 88,7/100 (Median: 91/100). Auf dem Tegner-Aktivitätsscore zeigte sich ein Durchschnitt von 4,7/10 (Median: 4,5/10). Die Studienteilnehmer fühlten sich im Durschnitt nach 6 Monaten subjektiv eingeschränkt mit einem Wert von 1,4/10 (Median: 0/10). Im Seitenvergleich betrug die Patientenzufriedenheit im Mittel 7,2/10 (Median: 7/10). Laufbahn- oder Verwendungswechsel betrafen keinen Studienteilnehmer.
Abb. 4: Ergebnisse der Follow-up-Untersuchungen 6 Monate postoperativ
Diskussion
Die herstellerunabhängigen Erfahrungen mit DIS sind überschaubar. AHMAD et al. (2019) fassten in einem Review die ersten Erfahrungen von 15 Studien zusammen [1]. Hierbei wurde eine Failure-Rate von 4,0 % bis 13,6 % beschrieben. Die Revisionsrate nach 1 Jahr lag zwischen 2,1 % und 15 %. Im Literaturvergleich reihen sich daher unsere Beobachtungen in vorbeschriebene Erkenntnisse ein.
Kritisch zu betrachten sind die von uns beobachteten und in der Literatur beschriebenen Streckdefizite. BENCO et al. (2019) vermuten hier eine zu straffe Bandrekonstruktion durch Vorspannung des resorbierbaren Fadens als Komplikationsursache [2].
Auffällig in unserer Anwendungsbeobachtung ist, dass der einzige Patient, der sich aufgrund eines Streckdefizites einer vorzeitigen Materialentfernung unterziehen musste, ein 55 Jahre alter Mann war. Bei ihm musste bei ausgeprägter Arthrofibrose eine intensive Lösung der Narbenverwachsungen durchgeführt werden und der Patient im stationären Setting intensiv physiotherapeutisch beübt werden. Hierunter gelang die teilweise Reduktion des Streckdefizits bis auf 5°. Der Patient wurde an unsere unfallchirurgische Ambulanz angebunden. Hier das Patientenalter als alleinige Komplikationsursache heranzuziehen, erscheint unbefriedigend. Aufgrund der erfreulich geringen Zahl konservativ nicht therapierbarer Streckdefizite erscheint aus unserer Sicht ein zu starkes Vorspannen des Fadens nicht als alleinige Ursache plausibel. Vielmehr denken wir, dass häufig ein defensives Nachbehandlungsschema Grund für eine unbefriedigende Mobilität des Kniegelenks ist. Ein offensives Vorgehen mit besonderem Fokus auf eine Vermeidung des Streckdefizits könnte in Zukunft die Inzidenz postoperativer Bewegungsdefizite senken.
Im Vergleich zu anderen kreuzbanderhaltenden Techniken konnten wir bessere respektive vergleichbare Ergebnisse erzielen. Bei der von WASMAIER et al. (2013) untersuchten „Healing Response Technique“ wurde eine Failure Rate von 36 % beschrieben. Wir vermuten, dass die geringere Failure Rate auf die zusätzliche intraligamentäre Fadenaugmentation zurückzuführen ist, auch wenn eine invasivere Operationstechnik angewandt wird. HEUSDENS et al. (2018) führen eine 4,8 % Reruptur-Rate bei Versorgung durch „Independent Suture Tape Reinforcement“ auf [3]. Ergebnisse über das intakte Heilen des Kreuzbandes finden sich in der Literatur nicht. Hier bleiben bei vergleichbarer Reruptur-Rate die abschließenden Ergebnisse abzuwarten.
Fazit
Insgesamt lässt sich festhalten, dass die DIS bei proximaler Typ-A VKB-Ruptur mit zeitgerechter Versorgung unter 21 Tagen nach Trauma eine gute Behandlungsalternative in der Kreuzbandchirurgie sein kann.
Literatur
- Ahmad S, Schreiner A, Hirschmann M et al.: Dynamic intraligamentary stabilization for ACL repair: a systematic review. Knee Surg Sports Traumatol Arthrosc 2019; 27(1): 13-20. mehr lesen
- Benco M, Tylla A, Stangl R: Dynamische intraligamentäre Stabilisierung der akuten vorderen femoralen Kreuzbandruptur. Der Unfallchirurg 2019; 9/2019. mehr lesen
- Heusdens C, Hopper G, Dossche L, Roelant E, Mackay G: Anterior cruciate ligament repair with Independent Suture Tape Reinforcement: a case series with 2-year follow up.Knee Surg Sports Traumatol Arthrosc 2019; 1/2019. mehr lesen
- Tegner Y, Lysholm J. Rating systems in the evaluation of knee ligament injuries. Clin Orthop Relat Res. 1985; 198: 43-49. mehr lesen
Manuskriptdaten
Zitierweise
Ring M, Moser T, Gulbins M, Nowak M, Johann M: Dynamische intraligamentäre Stabilisierung (DIS) von Rupturen des vorderen Kreuzbandes – ein Benefit für Patient und Bundeswehr? WMM 2020; 64(6-7): 224-226.
Für die Verfasser
Stabsarzt Matthias Ring
Bundeswehrkrankenhaus Hamburg
Klinik XIV – Orthopädie und Unfallchirurgie
Lesserstraße 180, 22049 Hamburg
E-Mail: MatthiasRing@Bundeswehr.org
Als Vortrag gehalten bei der 27. ARCHIS (29.-31. Januar 2020) in Papenburg.
1 Lysholm-Knee-Score: Fragebogenbasierter Test zur Erfassung der Kniefunktion im Alltag nach einen konservativ oder operativ behandelten Kreuzbandverletzung