Wehrmedizinische Monatsschrift

Trigger zur Re-Fokussierung auf soldatische Grundfertigkeiten?

Dieter Leyk a

Institut für Präventivmedizin der Bundeswehr, Andernach/Koblenz

 

In der Vergangenheit gab es immer wieder Pressemitteilungen, in denen von „körperlich überforderten Rekruten“ wie auch von „Mängeln in der soldatischen Ausbildung“ gesprochen wurde. Die schwerwiegenden Hitzezwischenfälle bei der Grundausbildung in Munster im Juli 2017 lösten anhaltendes mediales und politisches Interesse aus und führten letztlich zur Durchführung des präventivmedizinischen Symposiums „Gesundheit und Leistung bei Hitzestress“. Ziel war der Wissensabgleich auf nationaler und internationaler Ebene, um Hitzezwischenfälle zu vermeiden und einen Konsens für wirkungsvolle Präventions-/Rettungsmaßnahmen herbeizuführen. Dies ist mit Qualifizierung und Sensibilisierung von Ausbildern, dem Erstellen von „Taschenkarten“, und dem Aufbau eines „Risk-Assessment-Verfahrens“ für die Truppe erfolgreich gelungen [2][8].

Der zweite Schwerpunkt war die sinkende Leistungsfähigkeit junger Erwachsener, die sich zu einem wachsenden Ausbildungsproblem entwickelt. Ein unmittelbares Ergebnis des Symposiums war die „Neukonzeption der Grundausbildung im Heer“, bei der das InstPrävMedBw Pionierarbeit für die Streitkräfte geleistet hat [9][13][14].

Bei der sinkenden Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit handelt es sich allerdings um einen generationsübergreifenden gesellschaftlichen Trend: Allein die Zunahme von Krankheitstagen deutscher Arbeitnehmer (+70 % in 10 Jahren) spricht für zunehmende Überlastungen und Gesundheitseinbußen [1][4][11]. Dieser Negativtrend wird – auch mit Blick auf den demografischen Wandel – in der Arbeitswelt zu einer wachsenden Herausforderung und wirkt sich auch beim Militär zusehends aus [7][9][10][15].

Unter der Federführung des Sanitätsdienstes fand daher am 29./30.10.2019 in Koblenz die internationale Tagung „Verbesserung der #Einsatzbereitschaft“ statt. Auf diesem Einladungssymposium haben hochkarätige Führungskräfte und Experten aus Wissenschaft, Großunternehmen, Gesundheitsbranche, Bundespolizei und Berufsfeuerwehr, befreundeter NATO-Partner und der Bundeswehr vorgetragen.

Zunächst wurden die weitreichenden Folgen der Digitalisierung in der Gesellschaft thematisiert. Dabei wurde deutlich, dass es nicht nur zu körperlichen Beschwerden und Leistungsverlusten durch das allgegenwärtige Dauersitzen kommt: Der weitverbreitete intensiv-exzessive Medienkonsum kann psychische Problematiken, Schlafstörungen, Konzentrationsprobleme etc. auslösen [3][5][6][12][16][17]. Die ersten beiden Sitzungen zeigten, dass Großunternehmen, Polizei und Feuerwehr ähnliche Probleme wie die Bundeswehr haben und veränderte Lebenswelten, Alltagsgewohnheiten und Einstellungen von Menschen die Hauptursachen der Negativentwicklungen sind.

Militärexperten aus den USA, den Niederlanden, Kanada und Frankreich unterstrichen, dass in ihren Streitkräften die Gesundheits- und Fitnessförderung erheblich an Bedeutung gewonnen haben. Dort scheinen Maßnahmen stärker auf individuelle Einsatzbereitschaft ausgerichtet und die persönliche Verantwortung für die individuelle Einsatzbereitschaft größer zu sein. Dabei wurde (wie auch beim diesjährigen „International Congress on ­Soldiers´ Physical Performance“ in Quebec) deutlich, dass Anreizsysteme bei NATO-Partnern weitaus häufiger eingesetzt werden.

Die gemeinsame Botschaft der Vorträge von Heer, SKB, CIR und KSK war (i) das unabdingbare Erfordernis ausreichender körperlicher und mentaler Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit für den Einsatz sowie (ii) die zunehmende Schwierigkeit, genügend einsatzbereite und belastbare Soldaten für Einsätze zu finden. Im weiteren Tagungsverlauf ging es um neue Trainings-/Ausbildungskonzepte, das veränderte Mindset und Handlungsoptionen. Das gesamte Symposium zeichnete sich neben der hohen wissenschaftlich-fachlichen Qualität vor allem durch die Offenheit und Ernsthaftigkeit der Diskussionen aus. Insbesondere beim abschließenden Round Table wurde das große Engagement der Teilnehmer und Teilnehmerinnen deutlich:

Die professionelle Förderung von Gesundheit, Fitness und Einsatzbereitschaft „matters“!

Literatur

  1. BKK-Dachverband: AU-Kennzahlen BKK Gesundheitsreport (Interaktive Grafik): , letzter Aufruf 3. Juli 2020. mehr lesen
  2. Glitz KJ, Rohde U, Piekarski C, Leyk D: Prävention bei anstrengungsbedingtem Hitzestress. WMM 2020; 64 (1): 42-43. mehr lesen
  3. Junghanns G, Kersten N: Informationsüberflutung am Arbeitsplatz. Zbl Arbeitsmed 2019; 69 (3): 119-132. mehr lesen
  4. Knieps F, Pfaff H, Adli M: Psychische Gesundheit und Arbeit: Zahlen, Daten, Fakten. < https://www.bkk-dachverband.de/fileadmin/publikationen/gesundheitsreport_2019/BKK_Gesundheitseport_2019_eBook.pdf>, letzter Aufruf 3. Juli 2020. mehr lesen
  5. Kreutzer RT: Einfluss von Smartphone, Social Media & Co. auf die physische und psychische Gesundheit. In: Kreutzer RT (Hrsg.): Die digitale Verführung: Warum wir uns auch mit den Schattenseiten moderner Entwicklungen beschäftigen sollten. Wiesbaden: Springer 2020; 97–125.
  6. Levenson JC, Shensa A, Sidani JE, Colditz JB, Primack BA: The association between social media use and sleep disturbance among young adults. Prev Med 2016; 85: 36-41. mehr lesen
  7. Leyk D, Helmhout PH: Epidemic of sedentary lifestyle: Evolution and implications. In: North Atlantic Treaty Organization (Hrsg.): RTO-TR-HFM-178: Impact of lifestyle and health status on military fitness. Final Report of Task Group HFM-178. Neuilly-Sur-Seine Cedex 2012; 1.1.–1.12.
  8. Leyk D, Hoitz J, Becker C et al.: Health risks and interventions in exertional heat stress. Dtsch Arztebl Int 2019; 116 (31-21): 537-544. mehr lesen
  9. Leyk D, Rohde U, Harbaum T, Schoeps S: Körperliche Anforderungen in militärischen Verwendungen: Votum für ein „Fitness-Register Ausbildung und Einsatz“. WMM 2018; 62 (1-2): 2-6. mehr lesen
  10. Mensink GBM, Schienkiewitz A, Haftenberger M et al.: Übergewicht und Adipositas in Deutschland: Ergebnisse der Studie zur Gesundheit Erwachsener in   Deutschland (DEGS1). Bundesgesundheitsblatt 2013; 56 (5-6): 786-794. mehr lesen
  11. Meyer M, Maisuradze M, Schenkel A: Krankheitsbedingte Fehlzeiten in der deutschen Wirtschaft im Jahr 2018 – Überblick. In: Badura B, Ducki A, Schröder H, Klose J, Meyer M (Hrsg.): Fehlzeiten-Report 2019: Digitalisierung - gesundes Arbeiten ermöglichen. Berlin, Heidelberg: Springer Verlag 2019; 413–477.
  12. Psychoreport 2019: Entwicklung der psychischen Erkrankungen im Job. Langzeitanalyse 1997 -2018. Hamburg: DAK Gesundheitsreport 2019. mehr lesen
  13. Rohde U, Leyk D: Neustrukturierung der Grundausbildung im Heer – Evidenzbasierte Begleitung durch das Institut für Präventivmedizin der Bundeswehr. WMM 2020; 64 (3-4): 125-126. mehr lesen
  14. Rohde U, Leyk D, Krause M, Wesseler M: „Steigerung der Körperlichen Leistungsfähigkeit vom ersten Tag an“ – Ergebnisse des Pilotdurchganges zur Neustrukturierung der Grundausbildung im Heer. In: Bundesministerium der Verteidigung (Hrsg.): Wehrwissenschaftliche Forschung & Technologie. Jahresbericht 2018. Wehrwissenschaftliche Forschung für deutsche Streitkräfte. Bonn 2019; 104–105.
  15. Santtila M, Pihlainen K, Koski H, Vasankari T, Kyröläinen H: Physical Fitness in Young Men between 1975 and 2015 with a Focus on the Years 2005-2015. Med Sci Sports Exerc 2018; 50(2): 292-298. mehr lesen
  16. Schulz-Dadaczynski A, Junghanns G, Lohmann-Haislah A: Extensives und intensiviertes Arbeiten in der digitalisierten Arbeitswelt – Verbreitung, gesundheitliche Risiken und mögliche Gegenstrategien. In: Badura B, Ducki A, Schröder H, Klose J, Meyer M (Hrsg.): Fehlzeiten-Report 2019: Digitalisierung - gesundes Arbeiten ermöglichen. Berlin, Heidelberg: Springer Verlag 2019; 267–283.
  17. Vahedi Z, Saiphoo A: The association between smartphone use, stress, and anxiety: A meta-analytic review. Stress Health 2018; 34 (3): 347-358. mehr lesen

Verfasser

Oberstarzt Prof. Dr. Dr. Dieter Leyk

Institut für Präventivmedizin der Bundsewehr

Aktienstraße 87, 56626 Andernach

E-Mail: dieterleyk@bundeswehr.org