Wehrmedizinische Monatsschrift

Vor- und Nachteile von
Anreizsystemen aus psychologischer Sicht

Dieter Hackfort a

a Universität der Bundeswehr München

 

Einleitung

Das hier verfolgte Anliegen besteht darin, konzeptuelle und programmatische Überlegungen auf der Grundlage bisheriger Erfahrungen vorzustellen und dafür auch auf relevante Analysen und Meta-Analysen zurückzugreifen. Die Fragestellung ist nicht, ob – hier speziell für die Bundeswehr und in gewisser Hinsicht auch exemplarisch – Anreizsysteme zur Förderung von Fitness und Gesundheit durch sportliche Aktivitäten angezeigt sind, sondern vielmehr wie sie effektiv gestaltet werden können.

Effektivität von Anreizsystemen

Bisherige Erfahrungen damit, bei definierten Personengruppen Anreize zu gestalten, um bei ihnen fitness- und gesundheitsorientierte Bewegungsprogramme zu initiieren, zeigen lediglich bescheidene Erfolge (siehe z. B. Pavey et al., 2011). Offensichtlich sind ebenfalls die gegebenen Orientierungen hinsichtlich empfohlener Intensitäten und Frequenzen (siehe z. B. Riebe & ACSM, 2017; Rütten & Pfeifer, 2016) nicht sonderlich anreizend. Dies führt zu der Frage nach effektiv(er)en Anreizsystemen.

Aus handlungstheoretischer Sicht (siehe [2]) ist es angezeigt, bei der Konzeption von Programmen für bestimmte Zielgruppen zunächst deren Handlungssituation [3] zu analysieren. Darüber hinaus ist zu beachten, dass nicht nur die objektiven Parameter handlungswirksam sind, sondern deren subjektive Wahrnehmung und Einschätzung wesentliche Bedeutung bei der Handlungsorganisation und -regulation zukommt und bei dieser sowohl die kognitiven Prozesse als auch die affektiven Prozesse und deren Interaktion in den Blick zu nehmen sind. Das Anreizpotenzial einer Handlungssituation ergibt sich aus der subjektiven Einschätzung der Person-Umwelt-Aufgabe-Konstellation (siehe Abbildung 1).

Abb.1: Anreize der Handlungssituation

Aus motivationspsychologischer Sicht wird von einem Anreiz gesprochen, wenn etwas zur Erklärung herangezogen wird, das vorausgehendes Verhalten unter Kontrolle bringt, also, wenn bestimmte Folgen des Handelns antizipiert werden (Finalzusammenhang) und diese wesentlich die Planung und Ausführung des Handelns regulieren, weil ihnen ein Bekräftigungswert zuzuschreiben ist. Im Common Sense wird demgegenüber – ähnlich einer behavioristischen Sicht – ein Reiz als Ursache darauffolgenden Verhaltens gesehen (Kausalzusammenhang). Alltagspsychologen bevorzugen zudem eine monokausale Ursachenzuschreibung.

In dem Anreizpotenzial einer Handlungssituation liegen allerdings verschiedene Anreize, die danach unterschieden werden, ob sie in der Beziehung zur Aufgabe (internale Anreize) oder der Beziehung zur Umwelt (externale Anreize) liegen (siehe Abbildung 1) und die durchaus kombiniert wirksam werden können. Dies ist in Anreizsystemen oder in Strategien der Anreizgestaltung zu beachten und hinsichtlich von kurz- und langfristigen Vor- und Nachteilen zu kalkulieren, zum Beispiel im Sinne von ‚costs and benefits‘. So können etwa kurzfristig wirksame Anreize (z. B. Anordnungen) langfristig nicht oder nur durch ständige Kontrolle oder/und Steigerung ihre Effektivität behalten; internale Anreize können erst langfristig und in Verbindung mit dem Aufbau von Selbstwirksamkeitsüberzeugungen wirksam werden, aber Nachhaltigkeit durch eine Einstellungsänderung sichern (siehe dazu Abbildung 2).

Abb.2: Die drei Phasen einer Anreizstrategie zur Veränderung der Bewegungsaktivität

Die Funktionalität von Anreizsystemen verlangt es, dass sie einerseits zweckrational zu organisieren sind, um z. B. dem sog. ‚Korrumpierungseffekt‘ (Effekt der Überveranlassung; siehe [4]) vorzubeugen, dem nachgesagt wird, dass er nicht gerade selten auftritt, weil es eine nicht-alltägliche ‚Erziehungskunst‘ sein soll, nicht mehr als nötig zu tun, um die Wirkung bestimmter Anreize für angestrebtes Verhalten nicht durch weitere Anreize zu untergraben. Andererseits sind affektive Prozesse zu berücksichtigen, um z. B. Aversionen („negative Anreize“) mit Meidungsverhalten im Gefolge zu vermeiden oder durch Attraktionen („positive Anreize“) zu überwinden.

Die Antizipation von Entspannung und Wohlbefinden oder das Ausleben von Funktionslust, Bewegungsfreude etc. stellen affektive Prozesse dar, die als intrinsische Anreize zur Zuwendung, Aufnahme und Ausübung einer Tätigkeit wirken. Extrinsische Anreize (etwa Gratifikationen oder Sanktionen) sind insbesondere geeignet, kurzfristig die (extrinsische) Motivation anzufachen und über die Handlungserfahrung eine langfristige intrinsische Motivation sukzessive zu entwickeln. Dies ist häufig gerade im Hinblick auf die sportliche Betätigung zu beobachten, wenn Sport zur Gesundheitsförderung oder zur Rehabilitation ‚verordnet‘ wird.

Fazit

Für die Gestaltung von Anreizsystemen ist das ‚Sowohl-als-auch-Prinzip‘ vielversprechender als eine ‚Entweder-oder-Orientierung‘, da es sowohl unter der Zeitperspektive (kurzfristig, langfristig) als auch im Hinblick auf flankierende Maßnahmen (Aufwand) darum geht, eine handlungswirksame Dynamik sich ergänzender Anreize im Motivierungsprozess zu erreichen (siehe Abbildung 2). Zuwendung zu einem Bewegungsprogramm und die kontinuierliche Ausübung erfordern differenzierte Anreizsysteme und Motivierungsstrategien[1] mit Elementen, wie sie aus einer Zusammenstellung von Hardcastle und Taylor [5][S.788] hervorgehen. Hierzu gehören u. a.:

Die Fremdkontrolle mag zum Einstieg hilfreich (evtl. notwendig) sein, langfristig ist die Selbstkontrolle mit Übernahme der Verantwortlichkeit (Selbstverantwortlichkeit) unabdingbar.

Diese drei Maßnahmen passen zu den in Abbildung 2 dargestellten Phasen einer Anreizstrategie.

Literatur

  1. Hackfort D: Psychologische Aspekte des Freizeitsports. In: Gabler H, Nitsch JR, Singer R (Hrsg.), Einführung in die Sportpsychologie (Teil 2: Anwendungsfelder; 2. erw. Aufl., S. 207‐236). Schorndorf: Hofmann, 2001.
  2. Hackfort D, Nitsch JR: Das Handeln als theoretischer Bezugsrahmen interdisziplinärer Forschung ‐ Humanwissenschaftliche Perspektiven der Sportwissenschaft. In Pietraß M (Hrsg.): Krise und Chance: Humanwissenschaftliche Perspektiven (S. 25‐31). Neubiberg : Universität der Bundeswehr München, 2015
  3. Hackfort D, Nitsch J R: Action and action situation. In: Hackfort D, Schinke RJ, Strauss B (Eds.): Dictionary of sport psychology (pp. 2‐3). London: Elsevier 2019.
  4. Hackfort D, Regös R, Schlattmann A:Effekte beim Handeln – 100 Beispiele aus Sport, Beruf und Alltag. Aachen: Meyer & Meyer, 2005.
  5. Hardcastle S J, Taylor AH: Counselling to promote physical activity. In: Papaioannou AG, Hackfort D (Eds.): Routledge companion to sport and exercise psychology (pp. 785‐800). London: Routledge, 2014.
  6. Nitsch J R, Hackfort D: Theoretical framework of performance psychology: An action theory perspective. In: Raab M, Lobinger B, HoffmannS, Pizzera A, Laborde S (Eds.): Performance psychology. Perception, action, cognition, and emotion (pp. 11‐29). London: Elsevier, 2016.
  7. Pavey TG, Fox KR, Anoyke N et al.: Effect of exercise referral schemes in primary care on physical activity and improving health outcomes: systematic review and meta‐ analysis. BMJ 2011; 343: d6462. mehr lesen
  8. Riebe D, ACSM: ACSM’s guidelines for exercise testing and prescription. Philadelphia: Wolters Kluwer, 2017.
  9. Rütten A, Pfeifer K (Hrsg.): Nationale Empfehlungen für Bewegung und Bewegungsförderung. Erlangen: FAU Erlangen‐Nürnberg, 2016. mehr lesen

 

Verfasser

Prof. (mult.) Dr. Dieter Hackfort

Universität der Bundeswehr München

Werner-Heisenberg-Weg 39, 85577 Neubiberg

E-Mail: dieter.hackfort@unibw.de