Wehrmedizinische Monatsschrift

INNOVATIONSSCHUB IN DER KRISE

Neuentwicklung eines Datenerfassungs-
und -auswertetools für epidemiologische Großlagen

Boris Mey a, Andreas Schimke a, Sebastian Leitner a, Sven Rommel a

a Überwachungsstelle für öffentlich-rechtliche Aufgaben des Sanitätsdienstes der Bundeswehr Süd, München

 

Zusammenfassung

Erst die elektronische Datenerfassung der im Infektionsschutzgesetz (IfSG) vorgeschriebenen Angaben zu Infizierten, Verdachts- und Kontaktpersonen ermöglichte eine effiziente und effektive Bearbeitung der durch die Überwachungsstellen für öffentlich-rechtliche Aufgaben des Sanitätsdienstes der Bundeswehr (ÜbwStÖffRechtl­AufgSanDstBw, Kurzform: ÜbwSt) im Zuge der SARS-CoV-2-Pandemie zu bewältigenden Datenflut. Bei der ÜbwSt Süd wurde dazu ein speziell für die Belange der Bundeswehr konzipiertes Datenerfassungs- und -auswertetool für epidemiologische Großlagen neu entwickelt. Das datenbankbasierte System eignet sich für eine simultane Nutzung durch viele Anwender und die Bewältigung großer Datenmengen mit schnellem Zugriff. Es verfügt über nahezu beliebig erweiterbare, passgenaue Auswerte-, Präsentations- und Schnittstellenfunktionen. Besonders relevant ist dabei der Datenaustausch mit den Meldesystemen des Robert Koch-Instituts (SurvNet@RKI, DEMIS).

Herausforderung: Datenerfassung

Gleich zu Beginn der SARS-CoV-2-Pandemie wurden die ÜbwSt vor massive Herausforderungen bei der nach IfSG geforderten Datenerfassung gestellt. Allen Beteiligten war sehr schnell klar, dass die Flut zu dokumentierender und zu bewertender Personendaten mit herkömmlicher, papiergestützter Dokumentation nicht zu bewältigen sein würde. Aufgrund des hohen Ansteckungspotenzials des Erregers SARS-CoV-2 waren nicht nur infizierte Angehörige der Bundeswehr zu erfassen, sondern im Zusammenwirken mit den zivilen Gesundheitsbehörden auch alle Verdachts- und Kontaktpersonen zu ermitteln und zu dokumentieren, um Infektionsketten schnell aufzuspüren und zu unterbrechen.

Datenbank statt Papier oder Tabelle

Eine erste Entspannung brachten herkömmliche Datenbanken, basierend auf Microsoft Office®-Produkten, die in allen vier Überwachungsstellen rasch selbst erstellt wurden. Die effiziente und effektive Bewältigung großer Datenmengen erfordert allerdings eine relationale Datenbank unter Nutzung des SQL-Standards (SQL = Structured Query Language) und eine Bereitstellung der Applikation auf einem Webserver. Diese Konfiguration ermöglicht die simultane Dateneingabe durch mehrere Anwender sowie einen raschen Datenzugriff bei Suchanfragen und statistischen Auswertungen.

Hilfe durch Reservistendienst Leistende

Durch Vermittlung des Kreisverbindungskommandos München Stadt konnten Mitte März 2020 zwei versierte SQL-Programmierer – beide Co-Autoren dieses Beitrags – als Reservistendienst Leistende zur ÜbwSt Süd herangezogen werden. Diese entwickelten sehr zügig parallel zu einer behelfsmäßig eingerichteten herkömmlichen Microsoft-Access®-Datenbank eine webbasierte SQL-Anwendung, die speziell auf die Belange der Bundeswehr abgestimmt ist.

Vielfältige Features und Erweiterungen

Ziel dieser erfolgreichen Eigenentwicklung ist es, allen vier Überwachungsstellen einen raschen Datenzugriff und -austausch zu ermöglichen. Bei einer Infektionswelle mit sehr hohem Meldeaufkommen soll dabei die Option der erweiterten Dateneingabe bereits auf Ebene der regionalen Sanitätseinrichtungen und der Bundeswehrkrankenhäuser verfügbar sein. Zudem ist ein reibungsloser Datenaustausch mit den zivilen Gesundheitsbehörden über Im- und Exportmöglichkeiten zum Meldesystem des Robert Koch-Instituts (SurvNet@RKI, DEMIS) vorgesehen.

Die Auswerte- und Darstellungsmöglichkeiten sind auf die Belange der Bundeswehr maßgeschneidert und bieten eine Dashboard-Darstellung in Echtzeit (siehe Abbildung). Die Erhebung der gesetzlich genau spezifizierten Personendaten der Kategorie 3 (PersDat 3) ist ohne Einwilligung der Betroffenen gemäß § 9 IfSG i. V. m. Art. 6 Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) zulässig, wenn die Datenermittlung nach Maßgabe des IfSG erforderlich ist. Sobald diese Daten nicht mehr zur behördlichen Aufgabenerfüllung gemäß IfSG benötigt werden, sind sie zu löschen. Für eine spätere statistische Auswertung oder für epidemiologische Forschungs­zwecke ist deshalb die Option zur Archivierung und zum Export anonymisierter Datensätze vorgesehen.

Abb. 1: Visualisierung von Daten auf der graphischen Benutzeroberfläche als Dashboard

Das vorgestellte Database Management System ist auf einem virtuellen Webserver beim Betriebszentrum IT-SysBw installiert. Die Inbetriebnahme in der ersten Realisierungsstufe kann sofort erfolgen, sobald Informationssicherheitsbefehl, Datenschutzkonzept, Nutzerkonzept sowie Betriebs- und Notfallkonzept in Kraft gesetzt sind. Die nicht vernetzten Datenbanken der Überwachungsstellen können dann in die IfSG-Datenbank überführt werden. Im Zielbetrieb soll die Soft- und Hardware-­Administration an einen zentralen Dienstleister überantwortet werden, um eine effiziente und nachhaltige Betreuung aus einer Hand zu erreichen. Bis dahin sollte auch das für PersDat 3 durch eine akkreditierte Institution zu erstellende Informationssicherheitskonzept verfügbar sein.

Fazit

Die rasche Eigenentwicklung der vorgestellten Datenbank, die für alle nach dem IfSG meldepflichtigen Krankheiten einsetzbar ist, zeigt eindrücklich, dass in jeder Krise auch eine Chance steckt. Die Nutzung des enormen Potenzials von Reservistendienst Leistenden und die, bedingt durch SARS-CoV-2 Pandemie, vereinfachten Verfahren innerhalb der Bundeswehr haben diese zukunftsorientierte Weiterentwicklung ermöglicht.

Für die Verfasser

Oberstapotheker Dr. Boris Mey

Überwachungsstelle für öffentlich-rechtliche Aufgaben des Sanitätsdienstes der Bundeswehr Süd

Dachauer Straße 128, 80637 München

E-Mail: borismey@bundeswehr.org