Wehrmedizinische Monatsschrift

Wie wach ist die Bundeswehr zu Wasser, Luft und Land? –
Erste Ergebnisse eines Fragebogenprojekts (Vortrags-Abstract)

Reinhard Starka, Aidin Kashgara, Heidi Danker-Hopfeb, Frank Weber c, Cornelia Sauterb

a Bundeswehrkrankenhaus Hamburg, Klinik IX – Neurologie

b Charité Berlin, Kompetenzzentrum Schlafmedizin

Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe, Fürstenfeldbruck

 

Problemstellung

Schläfrigkeit bei zivilen Pilotinnen/Piloten, Flugführungspersonal und Wachpersonal auf Schiffen führt zu einem erhöhten Unfallrisiko. So wiesen 90,6% der Piloten von portugiesischen Fluglinien einen erhöhten Wert in der Fatigue-Schweregrad-Skala (FSS) auf und 46,2% zeigten Hinweise auf eine vermehrte Tagesschläfrigkeit in der Epworth Schläfrigkeitsskala (ESS) [2]. 67,4 % der Piloten von Luftfahrzeugen der Vereinigten Arabischen Emirate berichteten, dass ihnen mindestens einmal fatigue-bedingte Fehler unterlaufen seien, ohne Absprache waren 45,1 % schon einmal im Cockpit eingeschlafen [1].

Von den Crewmitgliedern eines Flugzeugträgers der US Navy klagten 31, 8 % über verstärkte Tagesschläfrigkeit (auffällige ESS), 28 % wiesen einen erhöhten Wert in der FSS auf [3].

Offiziell verfügbare Daten zur Situation in der Bundeswehr fehlen. In diesem Fragebogenprojekt soll daher geklärt werden, ob ein erhöhtes Risiko aufgrund von Tagesschläfrigkeit auch in der Bundeswehr vorliegen kann.

Probanden und Methoden

Mittels einer anonymen Fragebogenerhebung wurden 1712 Soldaten1 der Marine, der Luftwaffe und einer Kontrollgruppe (KG) mit regulärem Tagesdienst kontaktiert. Der Fragebogen umfasste je nach Einsatzgebiet 18 bis 22 Items zur beruflichen Situation und Müdigkeit im Dienstalltag sowie die ESS, die FSS und einen Depressionsfragebogen (PHQ-9).

Ergebnisse

Die Gesamtrückläuferquote betrug N = 438 (25,6 %). Sie variierte je nach Gruppe:

Luftwaffe 14,7 % (n = 163),

Marine 41,3 % (n = 165) und

KG 55 % (n = 110).

Die Soldaten der Marine (46,6 %) zeigten signifikant häufiger auffällige Werte in der ESS als die der Luftwaffe (31,7 %; p = 0.006), aber nicht im Vergleich zur KG (34,9 %; p = 0.054). Die Marine zeigte im Vergleich zur Kontrollgruppe und auch im Vergleich zur Luftwaffe signifikant höhere Gesamtwerte in der ESS (Abbildung 1).

Abb. 1: Der Gesamtwert der ESS war in der Marine signifikant höher als in der KG und als in der Luftwaffe.

Die Prozentwerte erhöhter FSS-Scores unterschieden sich nicht signifikant (p = 0.187) zwischen Marine (47,5 %), Luftwaffe (53,5 %) und KG (42,2 %) (Abbildung 2). Die Gruppen unterschieden sich signifikant hinsichtlich der Häufigkeit von ungewolltem Einnicken innerhalb der letzten 12 Monate (Abbildung 3). So gaben hier 63 % der Marinesoldaten an, innerhalb der letzten 12 Monate ungewollt eingenickt zu sein, davon nahezu die Hälfte (30 %) sogar viermal und mehr.

Abb. 2: Der FSS-Index unterschied sich nicht signifikant zwischen den Gruppen.

Abb. 3: Häufigkeit ungewollten Einnickens während der letzten 12 Monate: Die Gruppen unterschieden sich signifikant (p<0.001) in den Häufigkeiten.

Schlussfolgerung

Nahezu die Hälfte der befragten Marinesoldaten wurde als auffallend schläfrig klassifiziert. Die Ergebnisse sind mit einer Studie der US-Marine [3] aus dem Jahr 2016 vergleichbar und am ehesten auf das spezifische Schichtmodell und den Erholungsschlaf beeinträchtigende Faktoren (Lärm, Seegang, Vibrationen) zurückzuführen.

Etwa ein Drittel des fliegenden Personals zeigte eine vermehrte Tagesschläfrigkeit und mehr als 50 % erhöhte Fatigue-Werte. Im Vergleich mit einer zivilen Studie ­waren diese Werte dennoch niedriger [2], was mit der im Durchschnitt kürzeren täglichen Flugdauer mit Rückkehr an den Heimatort am Abend zusammenhängen dürfte.

Zusammenfassend zeigte sich in allen drei Gruppen bei mindestens einem Drittel der Teilnehmenden eine vermehrte Tagesschläfrigkeit und/oder Fatigue, deren Ursachen nachgegangen werden sollte, um ein erhöhtes Unfallrisiko zu vermeiden.

Literatur

  1. Aljurf TM, Olaish AH, BaHammam AS: Assessment of sleepiness, fatigue, and depression among Gulf Cooperation Council commercial airline pilots. Sleep Breath. 2017 Sep 7. mehr lesen
  2. Reis C, Mestre C, Canhão H, Gradwell D, Paiva T: Sleep complaints and fatigue of airline pilots. Sleep Science2016; 9(2): 73–77. mehr lesen
  3. Shattuck NL et al. Prevalence of Musculoskeletal Symptoms, Excessive Daytime Sleepiness, and Fatigue in the Crewmembers of a U.S. Navy Ship. Mil Med. 2016; 181(7): 655-662. mehr lesen

 

Für die Verfasser

Oberfeldarzt Dr. Reinhard Stark

Bundeswehrkrankenhaus Hamburg

Klinik für Neurologie

Lesserstr. 180, 22049 Hamburg

E-Mail: reinhardstark@bundeswehr.org

Plenarvortrag beim 51. Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie e. V. (23.-24. Oktober 2020, Rostock-Warnemünde)


1 Zur besseren Lesbarkeit wird ausschließlich die maskuline Form „Soldat“ verwendet; gemeint sind immer alle Geschlechter.