Wehrmedizinische Monatsschrift

125 JAHRE RÖNTGENSTRAHLEN

Vom „Röntgenkabinett“ zu den Röntgengeräten
der Feldsanitätsausrüstung (Vortrags-Abstract)

André Müllerschön a

a Sanitätsversorgungszentrum Neubiberg

 

Einleitung

Die Entdeckung der „X-Strahlen“ durch Wilhelm Conrad Röntgen im Jahre 1895, der dafür 1901 mit dem ersten Physiknobelpreis ausgezeichnet wurde, gilt zweifelsfrei als ein Meilenstein auf dem Weg zu einer modernen medizinischen Diagnostik. Mit ihnen war es erstmals möglich, Organe, Strukturen und Knochen ohne chirurgische Maßnahmen mittels Aufnahmen gleichsam von „außen“ zu beurteilen. Das preußische Militär erkannte sehr bald die Möglichkeiten dieses neuartigen Verfahrens und begann bereits im Februar 1896 mit der Einrichtung zweier sogenannter „Röntgenkabinette“. Von diesen bis zu mobilen Computertomografen der heutigen Zeit war es ein langer Weg.

Abb. 1: „Röntgenoskopische Operation“ mittels Kryptoskop

Erster Weltkrieg

Im Ersten Weltkrieg wurde die Radiologie im Krieg vor allem zur Fremdkörpersuche, zur Steckschusslokalisation sowie zur Beurteilung der Schwere von Schuss­brüchen anhand der Splitterverteilung genutzt. Dazu verfügte das Feldheer über stationäre und mobile Röntgeneinrichtungen, wobei letztere entweder mit pferdebespannten Sanitätswagen oder Kraftfahrzeugen transportiert werden konnten. Man unterschied damals zwischen einer (Röntgen-)„Aufnahme“ und der „Durchleuchtung“. Bei der Aufnahme handelte es sich um das klassische Röntgenbild, das auf Platten projiziert sowie in Dunkelkammern entwickelt wurde und anschließend nach Fixierung begutachtet werden konnte. Im Gegensatz dazu trafen bei der Durchleuchtung die Röntgenstrahlen auf einen mit fluoreszierenden Materialien beschichteten Leucht- oder Verstärkerschirm. Es entstand dabei eine Art Echtzeitbild. Eine Besonderheit der Durchleuchtung war die „röntgenoskopische Operation“, bei der sich unter dem Operationstisch eine Durchleuchtungsröhre befand und der Operateur ein „Kryptoskop“ – einen innen mit Bleiglas verkleideten Leuchtschirm zum Aufsetzen – trug.

Zwischen den beiden Weltkriegen lag der Hauptschwerpunkt der Röntgendiagnostik in der Bekämpfung der Tuberkulose, die im Reichsheer als häufigste Ursache bei Dienstunfähigkeit oder Tod im Bereich der internistischen Erkrankungen lag. Zur Bekämpfung der Krankheit war eine frühzeitige Diagnosestellung enorm wichtig. Bereits 1921 wurden daher vereinzelte Röntgenreihenuntersuchungen von Rekruten sowie der kompletten Besatzung des Kreuzers „Emden“ durchgeführt. In der Aufbauphase der Wehrmacht wurden diese Untersuchungen intensiviert, ab 1935 sind Röntgenreihenuntersuchungen ganzer Standorte, eines Armeekorps und einer Division dokumentiert.

Zweiter Weltkrieg

Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges war die Fremdkörpersuche erneut eine der wichtigsten Aufgaben der Röntgendiagnostik. Im späteren Verlauf erhöhte sich das Untersuchungsspektrum mit Röntgenstrahlen deutlich. Neben Schuss- und Extremitätenverletzungen wurden Röntgenaufnahmen auch zur Diagnostik von Gasbrand und Ulkuserkrankungen durchgeführt. Für notwendige diagnostische Aufnahmen verfügte die Wehrmacht über, den Kriegslazaretten zugeordnete, leicht zu transportierende Sätze des „Röntgen-Kleingerätes“ mit der sogenannten „Röntgenkugel“ für Zahn- und Kieferaufnahmen sowie Durchleuchtungen und Aufnahmen für kleine ­chirurgische und internistische Untersuchungen. Die ­Sanitätskompanien und Feldlazarette rüstete die Sanitätsinspektion mit dem „Satz Leichtes Röntgengerät“ aus, womit Knochenaufnahmen und orientierende Durchleuchtungen durchgeführt werden konnten. Der „Satz Schweres Röntgengerät“ blieb ausschließlich den Kriegslazaretten vorbehalten. Damit waren nahezu alle radiologisch-diagnostischen Untersuchungen, aber auch besondere Diagnoseverfahren – wie beispielsweise Fernröntgenaufnahmen an stehenden und liegenden Patienten – möglich. Als weiteres wichtiges Untersuchungsgerät stand den Militärärzten der Kriegslazarette das „Fremdkörpersuchgerät“ als Bestandteil des schweren Röntgengerätes zur Verfügung.

Abb. 2: Leichtes Feldröntgengerät aus den 60er Jahren

Bundeswehr

In der Aufbauphase der Bundeswehr orientierte sich die Konstruktion der Feldröntgengeräte an den bereits von der Wehrmacht genutzten Apparaturen. Die radiologischen Geräte gliederten sich in das leichte und das schwere Feldröntgengerät.

Bei dem in drei Kästen verpackten leichten Gerät, das zur Ausstattung der Hauptverbandplätze gehörte, handelte es sich um ein Universalröntgengerät. Die Feldlazarette waren mit einem schweren Feldröntgengerät ausgerüstet. Mit dem in 7 Kästen eingelagerten Gerät konnten chirurgisch, aber auch internistisch begründete Durchleuchtungen und Aufnahmen am stehenden, sitzenden und liegenden Patienten sowie Über- und Untertischaufnahmen durchgeführt werden. Zusätzlich waren spezielle Untersuchungen wie zum Beispiel Lungenfernaufnahmen und die Anfertigung von Röntgenbildern bei schwerverletzten und auf Tragen liegenden Patienten möglich.

Mit der Beteiligung an multinationalen Einsätzen ergab sich die Notwendigkeit der Überarbeitung der gesamten Feldsanitätsausrüstung, was schließlich in den Röntgencontainern der modularen Sanitätseinrichtungen (MSE) – wie zum Beispiel dem Spezialcontainer „Zahntechnik Röntgen“ oder den in Standardcontainern installierten Computertomographen – mündete.

Abb. 3: Blick in einen CT-Container der modularen Sanitätseinrichtungen, wie er seit Beginn der 2000er Jahre im Einsatz ist. (Bildquelle „Kating W: Radiologisches Know-how im Einsatz – Heute und morgen. Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2016; 2.“)

Strahlenschutz

Ziemlich bald nach der Entdeckung der X-Strahlen zeigten sich neben den Möglichkeiten des Einsatzes auch die schädlichen Nebenwirkungen. So kam es zwei bis drei Wochen nach mehrmaliger oder längerer Anwendung zu Rötungen, Schwellungen, Haarausfall und in unterschiedliche Gewebetiefe reichende, schlecht bis nicht heilende Geschwüre. Vor allem zu Beginn des Ersten Weltkrieges kam es durch mangelnden Strahlenschutz beziehungsweise das Unterschätzen der Gefahr von Röntgenstrahlung häufig zu sogenannten Röntgenverbrennungen, auch Radiodermatitis genannt. Auch wenn eigentlich ausreichend Schutzausstattung vorhanden war, unterschätzten viele Ärzte offensichtlich die tatsächliche Gefahr.

In der Wehrmacht fanden sich in mehreren Merkblättern Vorgaben zur Verhinderung von Strahlenschäden. Eine gegen Ende des Krieges geplante Verbesserung des Schutzes von mit der Durchführung von Röntgenaufnahmen betrauten Ärzten und dem dabei assistierenden Sanitätspersonal (diese sollten zukünftig nicht mehr als 48 Stunden pro Woche arbeiten und regelmäßigen Blut- und Gewichtskontrollen unterzogen werden) kam nicht mehr zur Umsetzung.

Der Schutz von Personal und Patienten hat bei der Bundeswehr einen hohen Stellenwert. Daher werden – auch im Einsatz – alle gesetzlichen Vorgaben des Strahlenschutzes eingehalten. Dazu zählen neben technischen Maßnahmen zur Reduzierung von Strahlendosis und Streustrahlung die Überwachung des eingesetzten Sanitätspersonals mittels Dosimetrie, der Einsatz von standardisierter Schutzausrüstung und die Minimierung von Röntgenaufnahmen durch Stellen einer rechtfertigenden Indikation.

Verfasser

Oberfeldarzt Dr. André Müllerschön

Sanitätsversorgungszentrum Neubiberg

Werner-Heisenberg-Weg 39, 85579 Neubiberg

E-Mail: andremuellerschoen@bundeswehr.org

 

Vortrag beim Workshop „Geschichte und Ethik der ­Wehrmedizin“ im Rahmen des 51. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und ­Wehrpharmazie e. V. in Rostock-Warnemünde
(23. Oktober 2020)