Wehrmedizinische Monatsschrift

KASUISTIK

Medikamentenverwechslung unter Zeitdruck –
ein kritischer Moment in der Notfallmedizin1

Medication mix-up under time pressure – a critical moment in emergency medicine

Stephan Knöchner a, Sven Osthövener b

a Bundeswehrkrankenhaus Westerstede, Klinik I – Innere Medizin

a Bundeswehrapotheke Quakenbrück, Außenstelle Westerstede

 

Zusammenfassung

Medikamentenverwechslungen und Medikationsfehler treten im klinischen Alltag mit gar nicht so kleiner Wahrscheinlichkeit auf. Unser Beispiel bezieht sich auf die Notaufnahme eines Krankenhauses der Schwerpunktversorgung, ähnliches kann aber in jedem medizinischen Bereich vorkommen. Hohes Patientenaufkommen, wechselnde Teamzusammensetzung (Schichtarbeit) und Zeitdruck, aber auch Polypharmakotherapie zunehmend älterer Patientenkollektive, sind Prädiktoren. Eine eingeschränkte Kommunikationsmöglichkeit mit vor ­allem älteren Patienten tritt oft erschwerend hinzu.

Im Rahmen einer modernen Fehlerkultur und eines Fehlermanagementsystems muss offen damit umgegangen werden, im Falle eines Falles die konkrete Situation unter Ausschöpfung aller Hilfsmittel (Krankenhausapotheker, Hotline des Herstellers, Giftnotruf, Monitor-/ Intensivüberwachung, ggf. Antidote, Dialysetherapie) zum Schutz der Patienten zu beherrschen.

Schlüsselwörter: Medikamentenverwechslung, Medikationsfehler, Ernährungssonde, Levetiracetam, Notaufnahme, Notfallmedizin

Summary

Medication mix-ups and medication errors are quite likely to occur in everyday life. Our example refers to an emergency department of a hospital providing standard care, but those errors can occur in all medical fields. High patient volume, changing team composition (shift work) and time pressure, but also polypharmacotherapy in patients of increasingly higher age are predictors. A limited ability of communication with the patient is an additional aggravating factor. Within the framework of modern error culture and sufficient error management systems, in case of an error the specific situation must be handled transparently; all resources (hospital pharmacist, manufacturer’s hotline, poison control, monitor/intensive care monitoring, antidotes if necessary, dialysis therapy) must be utilized to protect the patient.

Keywords: medication mix-up, medication errors, feeding tube, levetiracetam, emergency department, emergency medicine

Einleitung

Medikamentenverwechslungen gehören im klinischen Alltag zu den häufigen unerwünschten Ereignissen in Bezug auf Dauer- und Bedarfsmedikation. In den USA geht eine Schätzung von jährlich 7 000 Todesfällen durch Medikationsfehler aus [9]. Insbesondere in Bereichen mit hohem Patientenaufkommen und kurzen Verweildauern (Funktionsabteilungen, Notaufnahmen) ist, trotz aller Vorsicht und etablierter Managementsysteme, eine Verwechslung nicht mit letzter Sicherheit auszuschließen. Dabei entstehen oftmals kritische bis vital-bedrohliche Situationen. Häufig werden Fehler im klinischen Alltag allerdings gar nicht erst bemerkt [5] und bemerkte Fehler werden teilweise bewusst verschwiegen [6]. Sie treten genauso im ambulanten Sektor, etwa in stationären Pflegeeinrichtungen oder zu Hause bei der Selbstzusammenstellung der Dauermedikamente auf. Neben Verwechslungen des Wirkstoffes selbst kommt es zu Fehlern bei der korrekten Dosierung und auch bei der Applikationsform.

Im Rahmen einer modernen Fehlerkultur gilt es, diese Situationen aufzuarbeiten und die richtigen Schlüsse zu ziehen, ohne überstürzt sicher scheinende, aber unpraktikable Handlungsanweisungen beim Personal durchzusetzen.

Entsprechende Konzepte wurden beispielsweise durch das „Ärztliche Zentrum für Qualität in der Medizin“ (ÄZQ) etabliert (sogenannte Toolbox „Sicherstellung der richtigen Medikation bei Übergängen im Behandlungsprozess“ - Medication Reconciliation 2 ). Ziel von Medication Reconciliation ist die Vermeidung von Medikationsdiskrepanzen und potenziellen unerwünschten Arzneimittelereignissen aufgrund von unvollständiger oder fehlgeschlagener Informationsweitergabe an Schnittstellen im Versorgungsprozess. Die High 5s-SOP fokussierte auf die Krankenhausaufnahme der vulnerablen Gruppe von Patienten über 65 Jahre, die über die Notaufnahme aufgenommen werden. Der formale Prozess beinhaltet die Schritte Erstellung einer „Bestmöglichen Medikationsanamnese“, Erstellung der Verordnung basierend auf  der Medikationsanamnese und Abgleich der Anamnese mit der Verordnung und Klärung von Diskrepanzen [1].

Im Klinikzentrum Westerstede kooperieren seit 2008 die beiden selbstständigen Krankenhäuser (Bundeswehrkrankenhaus Westerstede, Ammerland-Klinik Westerstede) umfassend und betreiben viele Bereiche gemeinsam (etwa Notaufnahme, OP-Bereich, Intensivmedizin); die beiden Kliniken werden mittlerweile bei der Bevölkerung als ein Krankenhaus wahrgenommen. In der Notaufnahme des Klinikzentrums ereignete sich die hier vorgestellte Arzneimittelverwechslung.

Fallbericht1

Anamnese

Im Jahr 2019 wurde ein umfangreich vorerkrankter Patient im siebenten Lebensjahrzehnt aus dem Pflegeheim durch den Rettungsdienst in die Notaufnahme des Klinikzentrums Westerstede verbracht, nachdem es im Heim zu Problemen (fragliche Verstopfung) mit der liegenden perkutanen Ernährungssonde (PEG/PEJ 3 ) gekommen war. Das Pflegepersonal im Heim unternahm eigenständige „Reparaturversuche“ (die Anschlüsse wurden auseinander gebaut und gereinigt), dabei dislozierte der jejunale Schenkel der Sonde in den Magen.

Mit dem Patienten selbst gelang erkrankungsbedingt (s.u.) keine sinnvolle Kommunikation, alle Angaben waren ausschließlich aus den vom Pflegeheim mitgegebenen Dokumenten und Arztbriefen sowie aus den Angaben der Rettungsdienstmitarbeiter zu entnehmen; ergänzend erfolgten Telefonate mit dem Heim.

Führend bestand bei dem Patienten ein in den 2010er Jahren erlittener Territorialteilinfarkt im Versorgungsgebiet der A. cerebri media links und A. cerebri posterior beidseits mit konsekutiver Epilepsie, Aphasie und neurogener Schluckstörung. Bei Regurgitation von Speisebrei war ein Jahr später eine Aspirationspneumonie aufgetreten, was zum Beginn einer Sondenernährung führte. Die Ernährungssonde war in einem auswärtigen Krankenhaus eingebracht worden. Ferner bestanden eine substituierte Hypothyreose und ein vormaliger Alkoholabusus; eine Hüft-TEP links war etwa ein Jahr vor Aufnahme durchgeführt worden.

Der Patient wurde in jeder Hinsicht umfassend durch einen Berufsbetreuer betreut, der aber kurzfristig nicht telefonisch erreichbar war.

Aufnahmesituation

In der Notaufnahme mussten wegen erforderlicher Angaben zum verwendeten Ernährungssystem der Arztbrief aus dem die Ernährungssonde implantierenden Krankenhaus beschafft und zwecks Aufklärung über den notwendigen Systemwechsel der gesetzliche Betreuer erreicht werden. Die Ernährungssonde war über den gastralen Schenkel noch nutzbar. Bei aus dem Pflegeheim berichteter brodelnder Atmung erfolgte neben einer Röntgenuntersuchung des Abdomens zur Lagekontrolle der Sonde auch eine Röntgenaufnahme des Thorax; weder dabei noch klinisch konnte ein Hinweis auf eine Aspiration gefunden werden.

Der Patient wurde für die weitere Behandlung (Revision der Ernährungssonde) vorbereitet; dazu wurde u. a. ein i.v. Zugang angelegt.

Medikationsverwechslung

Als antikonvulsive Medikation erhielt der Patient täglich 7,5 ml Levetiracetam-Lösung (100 mg/ml) über die Ernährungssonde. Durch das Pflegepersonal kam es im Krankenhaus leider zu einer Verwechslung der Applikationsart; die bereits vorbereitete Lösung zur Gabe via Ernährungssonde wurde versehentlich über den liegenden i.v. Zugang verabreicht.

Im weiteren stationären Verlauf kam es bei dem Patienten zu keinen Beeinträchtigungen oder Auffälligkeiten. Er konnte nach Sondenrevision in unverändertem Gesamtzustand zurück in seine vertraute Pflegeeinrichtung gebracht werden.

Levetiracetam in unterschiedlichen Zubereitungen

Das Antikonvulsivum Levetiracetam (Strukturformel siehe Abbildung 1) ist, z. B. als Keppra®, in verschiedenen Dosierungen handelsüblich:

Zwischen den Zubereitungen zur intravenösen und oralen Applikation, die in Westerstede vorrätig sind, bestehen viele Gemeinsamkeiten, aber auch relevante Unterschiede (Tabelle 1).

Abb. 1: Strukturformel von Levetiracetam

Tab. 1: Unterschiede der Zubereitungsformen von Levetiracetam

Der Eliminationsweg des Wirkstoffs Levetiracetam ist in der Fachinformation des Herstellers unter Abschnitt 5.2 erläutert [11]. Die Plasmahalbwertszeit bei Erwachsenen beträgt 7±1 h und wird weder durch die Dosis noch durch die Applikationsart oder eine wiederholte Verabreichung beeinflusst. Die mittlere Gesamtkörperclearance beträgt 0,96 ml/min/kg KG. Die Ausscheidung erfolgt mit ca. 95 % der verabreichten Dosis hauptsächlich über den Urin (annähernd 93 % werden innerhalb von 48 h ausgeschieden). Lediglich 0,3 % der Substanz werden mit den Faeces ausgeschieden. Die kumulierte renale Ausscheidung von Levetiracetam und seines primären Metaboliten innerhalb der ersten 48 h liegt bei 66 % bzw. 24 % der verabreichten Dosis. Die renale Clearance von Levetiracetam und seines Hauptmetaboliten ucb L057 beträgt 0,6 bzw. 4,2 ml/min/kg KG.

Diese Werte deuten darauf hin, dass Levetiracetam über glomeruläre Filtration mit anschließender tubulärer Rückresorption ausgeschieden wird, während der primäre Metabolit ucb L057 glomerulär filtriert und zusätzlich noch aktiv tubulär sezerniert wird. Die Elimination von Levetiracetam korreliert mit der Kreatinin-Clearance [10].

Der wesentlichste Unterschied zwischen den gelösten Zubereitungen ist der vergleichsweise hohe Kaliumgehalt in der Keppra®-Lösung zum Einnehmen, die bei intravenöser statt vorgesehen oraler Gabe zu einer Hyperkaliämie führen kann.

Symptome einer Überdosierung

Bei Überdosierung von Levetiracetam wurden Somnolenz, Agitiertheit, Aggression, herabgesetztes Bewusstsein, Atemdepression und Koma beobachtet.

Behandlung einer Überdosierung

Nach einer akuten Überdosierung kann der Magen durch Magenspülung oder durch Auslösen von Erbrechen entleert werden. Ein spezifisches Antidot für Levetiracetam ist nicht bekannt. Die Behandlung einer Überdosierung erfolgt symptomatisch und kann eine Hämodialyse einschließen. Die Extraktionsrate bei Dialyse beträgt für Levetiracetam 60 % und für den primären Metaboliten 74 %.

Betrachtungen der einzelnen kritischen Situationen

Die akut stationäre Aufnahme erfolgte wahrscheinlich bereits nach dem ersten – pflegerischen – Fehler im Heim, nämlich dem untauglichen „Reparaturversuch“ bei vermuteter Verstopfung eines Schenkels der Ernährungssonde. Dabei kam es zu einer vermeidbaren Dislokation des jejunalen Schenkels mit nachfolgend notwendig werdendem Tausch des Gesamtsystems. Es ist allerdings nicht sicher, ob dieses bei korrekter Handhabung durch geeignete Personen hätte unterbleiben können; wahrscheinlich hätte im Pflegeheim niemand auf den Besuch des Hausarztes gewartet. Auch die Inanspruchnahme des Kassenärztlichen Bereitschaftsdienstes hätte mit größter Wahrscheinlichkeit nur zu einer – zumindest ambulanten – Vorstellung im Krankenhaus geführt.

Mit dem schwer vorerkrankten Patienten gelang keine sinnvolle Kommunikation, so dass – anders als bei orientierten, wachen, sprechfähigen Patienten – das eingeteilte Pflegepersonal ihm vorab die Maßnahmen hätte ankündigen und dieser selbst im Moment vor der Fehlapplikation hätte kritisch nachfragen können. Dies ist eindeutig nicht dem Patienten zuzurechnen, aber erklärt die hier gezeigten Umstände besser.

Hochrisikobereiche im Krankenhaus

Auf Grund des hohen Patientendurchlaufs, der interdisziplinären Arbeitsteilung mit vielen beteiligten Personen und dem hohen Technisierungsgrad zählt die Arbeit in OP und Notaufnahme zu den Hochrisikobereichen eines Krankenhauses [3]. Bei kurzen Liegezeiten hat das Pflegepersonal weniger Zeit, sich intensiv mit dem Einzelfall zu beschäftigen. So ist zu erklären, dass ungünstige Konstellationen/Situationen entstehen können, in denen die etablierten Sicherheitsbarrieren nicht wirken [1][4]. In unserem Fall hat die Pflegeperson A die Gabe über die Ernährungssonde korrekt vorbereitet, dann aber – aus nicht mehr nachzuvollziehenden Gründen – die mit ihr im gleichen Patientenzimmer tätige Pflegeperson B angewiesen, das Medikament dem Patienten zu verabreichen. Eine sichere Absprache („Via gastraler Schenkel der PEG/PEJ!“) erfolgte nicht. Die die Tätigkeit ausführende Pflegeperson B unterließ die Rückfrage (etwa „intravenös?“), da die meisten in Standardspritzen aufgezogenen Präparate intravenös gegeben werden. Auch fehlte ein entsprechender Vermerk auf der ansonsten korrekt beschrifteten Spritze.

Hierzu ist anzumerken, dass sich in Europa eine einheitliche Beschriftung von Spritzen im Bereich der Anästhesie und Intensivmedizin noch nicht flächendeckend durchsetzen konnte [5]. Diesbezüglich hat die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) seit 2009 die ISO 26825 zur farbcodierten Kennzeichnung von Spritzen – geordnet nach Medikamentengruppen – erweitert, überarbeitet und 2012 veröffentlicht.

Die verpflichtende Einführung des „Vier-Augen-Prinzips“ ist in einer großen Notaufnahme wie im Klinikzentrum Westerstede wünschenswert, mit der vorhandenen Personalausstattung und dem enormen Patientenaufkommen gerade zu Stoßzeiten aber oftmals schlichtweg nicht durchführbar.

Natürlich trägt auch die umfassende Kompatibilität der in der deutschen Versorgungslandschaft etablierten Standardanschlüsse (u.a. System „Luer-Lock“) zu solchen Verwechslungen bei. Forderungen, dies zu ändern, bestehen bereits seit längerer Zeit [3][8], scheinen aber nicht allzu sehr praktikabel. Seltene Anschlusssysteme werden oft nicht oder nicht in ausreichendem Maße, gerade in der Fläche der Versorgungslandschaft, vorgehalten.

Ebenso kritisch muss aber auch die fehlende Erreichbarkeit des gesetzlichen Berufsbetreuers hinterfragt werden. Im Pflegeheim lag nur die Büro-Festnetzrufnummer vor, eine kurzfristige Erreichbarkeit via Mobilfunk – gerade in kritischen Situationen oder vor schwerwiegenden Entscheidungen – müsste in solchen Fällen sichergestellt sein. In unserem Fall wurde der Betreuer erst nach mehreren Tagen zwecks Aufklärung erreicht, was den vollstationären Aufenthalt des Patienten unnötig auf insgesamt 7 Tage verlängerte, da eine Notfallindikation zur endoskopischen Systemrevision auch ohne Einwilligung bei noch gut benutzbarem gastralen Schenkel der Ernährungssonde nicht gegeben war.

Management der konkreten Situation

Innerhalb des Teams der Notaufnahme herrscht ein offenes, vertrauens- und respektvolles Arbeitsklima. Dies erleichterte es der betroffenen Pflegeperson, den umgehend nach Applikation bemerkten Fehler unverzüglich dem zuständigen Oberarzt zu melden, welcher umgehend die weiteren Schritte einleitete.

Es erfolgte in der Notaufnahme sowohl die Rücksprache mit dem Giftnotruf (hier Universitätsklinik Göttingen) als auch die Hinzuziehung des Krankenhausapothekers. Dieser hielt sofort Rücksprache mit der Herstellerfirma.

Ärztlicherseits wurde vor allem ein Embolierisiko durch die spezielle Zubereitung der fälschlicherweise i. v. eingebrachten Levetiracetam-Lösung befürchtet; hierfür gab es aus pharmazeutischer Sicht keine Begründung. Allerdings wurde durch die Experten das bakterielle Kontaminationsrisiko betrachtet (Entnahme der benötigten Levetiracetam-Menge aus einer bereits geöffneten Anstaltspackung, keine sterilen Fertigdosierungen), ferner eine mögliche Elektrolytentgleisung durch hohe Kalium-Anteile in der Lösung. Daher erfolgte die engmaschige Überwachung für eine Nacht auf der Notaufnahmestation, bevor die weitere Behandlung auf einer Normalstation fortgesetzt werden konnte.

Die übrige Dauermedikation (ASS, Levothyroxin, Omeprazol, Eisen-II-Ion und Quetiapin sowie die Bakterienmischung Kijimea synpro) erforderte keinen besonderen Überwachungsbedarf.

Die Situation wurde auch im Fehlermanagementsystem des Klinikzentrums elektronisch dokumentiert; eine Auswertung und Rückmeldung gegenüber dem Meldenden erfolgten aber innerhalb von 12 Monaten nicht, was dem Grundgedanken des Systems widerspricht.

Nachfragen ergaben, dass innerhalb der Klinikkooperation zwei getrennte CIRS-Systeme existieren (Bundeswehrkrankenhaus, Ammerland-Klinik), die eine getrennte Auswertung erfahren. Seitens des Kooperationspartners wurde die Softwarelösung innerhalb dieses betrachteten Zeitraums gewechselt, sodass mutmaßlich die Meldung verloren ging. Dies stellt ein eigenständiges Fehlerereignis dar und muss aufgearbeitet werden.

Der Fehler wurde im hausinternen Verlegungsbrief zur Normalstation gegenüber den weiterbehandelnden Ärztinnen/Ärzten dokumentiert. Aus Sicht der Autoren sollte ein solches Ereignis grundsätzlich allen Weiterbehandelnden, aber auch dem Patienten bzw. seinen Angehörigen gegenüber, offen kommuniziert werden.

Abteilungsintern erfolgte im Nachgang eine Diskussion des Falles im Rahmen einer Morbiditäts- und Mortalitätskonferenz [2].

Diskussion und Fazit

Medikamentenverwechslungen sind ein im Alltag nicht wegzudenkendes Problem. Gleichsam betroffen sind der häusliche Bereich, Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser – und es muss ein erheblicher Graubereich postuliert werden. Viele Verwechslungen haben keine oder nur geringe Konsequenzen für den betroffenen Patienten, es können aber auch schwerwiegende Folgen bis hin zu Todesfällen eintreten [5].

Moderne Fehlermanagementsysteme sind ein Werkzeug zur systematischen Erfassung und Auswertung von Fehlern [5]. Im Rahmen einer modernen und lernenden Fehlerkultur sollte jeder Fehler systematisch analysiert und als Chance zu einer Verbesserung gesehen werden [5]. Dem voran stehen Konzepte wie „Medication Reconciliation“ [1].

Ebenso wichtig ist ein offenes wertschätzendes Arbeitsklima, um angstfrei eine Kommunikation über Fehler zu ermöglichen und damit unverzüglich die richtigen Schritte bahnen zu können. Jede behandlungsbezogene Kommunikation muss bidirektional, deutlich, eindeutig und vollständig sein [6]. Unabhängig davon gilt, dass Medikamente grundsätzlich von der gleichen Person aufgezogen, beschriftet und appliziert werden sollten [5].

Dem steht auch heutzutage immer noch ein tradiertes Verständnis von „Schuld und Sühne“ auf der Führungsebene gegenüber; besonders für Ärzte im öffentlichen Dienst kommt bei tatsächlichem und abstrakten Fehlverhalten neben strafrechtlicher, privatrechtlicher und berufsständischer die disziplinare Verantwortlichkeit hinzu. Hieraus erwachsende Haftungs- und berufsrechtliche Konsequenzen stehen nicht selten einer Meldung von Fehlern und Beinahe-Fehlern und damit dem Grundgedanken eines Fehlermanagementsystems diametral entgegen.

Die Giftnotrufzentren haben zur pharmakologischen Einschätzung von Medikationsfehlern einen etablierten Platz. Das in unserem Fall aufgezeigte Problem ist bereits länger bekannt [3][8]. Die Verwechslung von gastral und intravenös zu applizierenden Medikamenten muss unbedingt ausgeschlossen werden [6]. Daher sollten ausschließlich Magensonden und deren zugehörige Spritzen verwendet werden, die nicht kompatibel mit der Luer-Lock-Norm sind [4]. Dazu muss die Industrie alsbald Systeme liefern, welche dann auch breit Anwendung finden müssen; nur so kann technisch die fehlerhafte Konnektion verhindert werden. Vor jedem Anschluss eines Medikaments oder von Sondennahrung an einen Katheter/eine Sonde wird dieser bis zum Patienten zurückverfolgt [10].

Letztlich muss es unser aller Anspruch sein, in Bezug auf unser Handeln Fehlermöglichkeiten bereits frühzeitig zu antizipieren und Fehler so zu vermeiden.

Kernaussagen

Literatur

  1. Ärztliches Zentrum für Qualität in der Medizin: Toolbox Sicherstellung der richtigen Medikation bei Übergängen im Behandlungsprozess (Medication Reconciliation). , letzter Aufruf 3. März 2021. mehr lesen
  2. Bundesärztekammer: Methodischer Leitfaden Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen (M&MK), Band 32, 1. Auflage 2016; , letzter Aufruf 29. April 2021. mehr lesen
  3. Eakle M: Luer-lock misconnects can be deadly. Nursing 2005; 35(9): 73.
  4. Fritzsche M, Schramm C: Aus Fehlern lernen. Im OP 2019; 9: 17-27. mehr lesen
  5. Kastrup M, Balzer F, Semmler S, Steinberg C: Medikamentenverwechslung ausgeschlossen? Intensiv 2013; 21(4): 186-191. mehr lesen
  6. Kaufmann J, Laschat M, Wappler F: Kinderanästhesie mit Sicherheit: Update Medikamentensicherheit. Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2018; 53: 741-752. mehr lesen
  7. Landesamt für Statistik Niedersachsen: Bevölkerung und Katasterfläche in niedersächsischen Landkreisen und Gemeinden mit 10.000 und mehr Einwohnern am 31.12.2019. https://www.statistik.niedersachsen.de/startseite/themen/bevolkerung/themenbereich-bevoelkerung-tabellen-87673.html>, letzter Aufruf 29. April 2021. mehr lesen
  8. Lanigan CJ: Safer epidural and spinal connectors. Anaesthesia 2002; 57: 567-571. mehr lesen
  9. Merry AF, Anderson BJ: Medication error – new approaches to prevention. Paediatric anaesthesia 2011; 21(7): 743. mehr lesen
  10. Rohe J, Schleppers A, Sanguino A et al.: CIRS-AINS Spezial: Achtung LUER-Anschluss! Das Problem der Luer-Anschluss-Verwechslungen im Spiegel des CIRSmedical Anästhesiologie. ZEFQ 2011; 105(1): 67-69. mehr lesen
  11. UCB Pharma GmbH: Medizinisch-wissenschaftliche Information 2021. , letzter Aufruf 31. Januar 2021. mehr lesen

Manuskriptdaten

Eingereicht: 26. Januar 2021

Nach Revision angenommen: 28. Mai 2021

Zitierweise

Knöchner S, Osthövener S: Medikamentenverwechslung unter Zeitdruck – ein kritischer Moment in der Notfallmedizin. WMM 2021; 65(8): 320-324.

Für die Verfasser

Oberfeldarzt Dr. Stephan Knöchner

Bundeswehrkrankenhaus Westerstede

Klinik I – Innere Medizin

Lange Straße 38, 26655 Westerstede

E-Mail: stephanknoechner@bundeswehr.org

Manuscript data

Submitted: 26 January 2021

After revision accepted: May 28, 2021

Citation

Knoechner S, Osthoevener S: Medication mix-up under time pressure – a critical moment in emergency medicine. WMM 2021; 65(8): 320-324.

For the authors

Lieutenant Colonel (MC) Dr. Stephan Knoechner

Bundeswehr Hospital Westerstede

Department I – Internal Medicine

Lange Strasse 38, D-26655 Westerstede

E-Mail: stephanknoechner@bundeswehr.org


1 Der hier vorgestellte Fallbericht wurde von den beiden Datenschutzbeauftragten des Klinikzentrums Westerstede geprüft und freigegeben. Die Datenschutzgrundverordnung legt einen strengen Maßstab an, damit einer abstrakten bzw. konkreten Gefahr einer Identifizierung eines Betroffenen vorgebeugt wird. Die Notaufnahme am Klinikzentrum behandelt jährlich ca. 38 000 Notfallpatienten, der Einzugsbereich umfasst den eigenen Kreis (ca. 125 000 Einwohner) und die angrenzenden Landkreise mit weiteren ca. 956 000 Einwohnern [7].

Der in dem Beitrag benutzte Begriff „Patient“ soll keine direkte Zuordnung auf das tatsächliche Geschlecht vornehmen, er dient lediglich einer flüssigen Lesbarkeit.

2 Die Kurzfassung der Toolbox (Stand 26. August 2011) steht im E-Paper dieses Beitrags zum Download zur Verfügung.

3 Kombinierte Sonde mit einem gastralen und einem dünneren jejunalen Schenkel