Wehrmedizinische Monatsschrift

Maritime Sportmedizin in der Bundeswehr: Von der Seekrankheit bis zu Tauchunfällen

Maritime Sports Medicine in the Bundeswehr: From Seasickness to Diving Accidents

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Andreas Kocha,b

a Schifffahrtmedizinisches Institut der Marine, Kronshagen

b Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Institut für Experimentelle Medizin – Sektion Maritime Medizin

 

Einleitung

Sportmedizinische Aspekte des maritimen Umfeldes betreffen primär Besonderheiten körperlicher Aktivität auf Booten und Schiffen, sowie im und unter Wasser. Hierbei spielen die Schifffahrt und das Tauchen eine besondere Rolle, was anhand von zwei Beispielen, der Seekrankheit und dem Immersions-Lungenödem beim Tauchen, verdeutlicht werden soll.

Seekrankheit

Die Seekrankheit als uraltes Problem der Schifffahrt steht zunehmend im Fokus, weil heutige Schiffe der Marine mit kleineren Besatzungen hochkomplexe Aufgaben zu erfüllen haben, die zu jeder Zeit von jedem Besatzungsangehörigen möglichst volle Leistungsfähigkeit verlangen. Ausfälle durch Seekrankheit sind schwer zu kompensieren, medikationsbedingte Minderungen der Vigilanz und der allgemeinen Leistung, z. B. durch Antihistaminika gegen Kinetose, sind im Präsenzdienst praktisch nicht hinnehmbar. Deshalb wird aktuell in Studien untersucht, welche Beeinträchtigungen, physisch wie psychisch, unter Seekrankheit auftreten und ab wann diese von den Betroffenen überhaupt selbst wahrgenommen werden, ihnen also durch eine Kinetose bedingte relevante Einschränkungen der eigenen Fähigkeiten im Dienst unmittelbar bewusst werden.

Bereits abgeschlossene Untersuchungen am Schifffahrtmedizinischen Institut der Marine (SchiffMedInstM) deuten darauf hin, dass Seekrankheit eine Stressreaktion auslöst und zahlreiche Qualitäten der Leistung, wie Kraft und Koordination, negativ beeinflusst, aber auch die Wachheit beeinträchtigt [3].

Vitamin C im Fokus

Auf der anderen Seite steht die Suche nach therapeutischen Optionen zur Linderung der Symptomatik der Seekrankheit im Fokus, die möglichst wenige oder keine Nebenwirkungen aufweisen und somit die Dienstfähigkeit des Bordpersonals nicht negativ beeinflussen. Hier liegt ein Augenmerk auf der Gabe von hochdosiertem Vitamin C, das im höheren Dosisbereich eine gewisse antihistamine Wirkung aufweist. Die Wirksamkeit der Gabe von 2 g Vitamin C konnte in einer doppelblinden, randomisierten Studie an 70 Personen bei der Wellenbadexposition einer Rettungsinsel nachgewiesen werden [1][2]. Aktuell laufen zwei Studien zur Wirksamkeit eines Vitamin C-haltigen Kaugummis zum einen auf Schiffen der Marine, zum anderen bei hochambitionierten Regattaseglern. In letzterer Studie wird parallel untersucht, ob Personen mit langjähriger Neigung zu Seekrankheit ohne ausreichende Habituation auch besonders sensibel im Hinblick auf eine Simulatorsickness sind, also die Kinetoseneigung auch ohne Beteiligung des Bewegungssinnes gegenüber Kontrollprobanden erhöht ist.

Immersions-Lungenödem beim Tauchen

Das akute Immersions-Lungenödem beim Tauchen spiegelt vielleicht noch deutlicher als die Seekrankheit die engen Verbindungen der Maritimen Medizin zur Sportmedizin wider und ist auch für das dienstliche Tauchen in der Bundeswehr von zunehmender Relevanz.

Pathophysiologie

Schwimmen

Das akute Immersions-Lungenödem als spezielle Form eines akuten Lungenödems im oder unter Wasser wurde zunächst als „swimming induced pulmonary edema“ (SIPE) bei Leistungsschwimmern beobachtet. Die mutmaßliche Pathophysiologie dieses Krankheitsbildes fußt auf mehreren Mechanismen, allen voran der Immersion mit Verschiebung einer relevanten Blutmenge aus der Peripherie in den Körperkern und damit auch in den Lungenkreislauf. Zusätzlich steigen bei körperlicher Belastung, insbesondere im Kaltwasser, zusätzlich die Druckverhältnisse im Pulmonalkreislauf an, so dass ein erhöhter kapillarer Druck im Alveolarbereich herrscht [4]. Kraftvolle und schnelle Inspirationen mit dem Ziel einer guten Schwimmlage führen zu einem negative-pressure breathing, was per se bereits ausreichen mag, in Einzelfällen ein SIPE auszulösen. Hinzu kommt besonders in Kaltwasser ein stark erhöhter peripherer Widerstand, der den Blutauswurf aus dem linken Ventrikel erschwert und damit zu einem Rückstau von Blut im Lungenvenenbereich beitragen kann. Ob auch eine tatsächliche akute kardiale Überlastung im Sinne eines sogenannten „Takotsubo-Syndroms“ („Broken Heart“) mitursächlich sein mag, ist Gegenstand der Diskussion.

Tauchen

Das Lungenödem beim Tauchen ist pathophysiologisch ähnlich dem SIPE zu betrachten, nur dass hier häufig eher unerfahrene, wenig trainierte und lebensältere Taucher betroffen sind. Die immersions-bedingten Volumen- und Druckänderungen im Körperkern und besonders dem Lungenkreislauf treten selbstverständlich auch bei Tauchern auf, ein negative-pressure breathing kann hier durch erschwerte Atmung durch den Atemregler auftreten, wobei Untersuchungen in der Unterwasser-Ergospirometrie im Nasstauchtank des SchiffMedInstM zeigen konnten, dass unerfahrene Taucher einen signifikant höheren Luftverbrauch aufweisen. Auch die kaltwasser-induzierte periphere Vasokonstriktion trifft den Taucher wie den Schwimmer.

Abb. 1: Faktoren, die bei Schwimmern bzw. Tauchern zur Entwicklung eines akuten Immersions-Lungenödems beitragen können

Es gibt aber einen wesentlichen Unterschied zwischen beiden Gruppen von Betroffenen: Die Leistungsschwimmer sind sehr stark körperlich belastet, die Taucher in der Regel deutlich weniger. Bei diesen konnte aber ein weiterer unabhängiger Risikofaktor identifiziert werden, der ein akutes Lungenödem auslösen kann, nämlich eine verminderte Compliance besonders des linken Ventrikels, wie sie besonders häufig bei Patienten mit Hypertonie auftritt [5]. Dieser Zusammenhang konnte inzwischen in Studien bewiesen werden, so dass heute bei Tauchern mit Hypertonus auch bei guter medikamentöser Blutdruckeinstellung ein besonderes Augenmerk auf die linksventrikuläre Compliance gerichtet werden muss, um das Immersions-Lungenödem möglichst verhindern zu können.

SARS-CoV-2-Infektion und Tauchen

Zum Schluss soll noch ein kurzer Blick auf ein aktuelles Problem geworfen werden; es geht um die Frage des „Return to Activity“ nach SARS-CoV-2-Infektion, was für Taucher der Marine die Wiederaufnahme der regulären Tauchaktivität nach überstandener Erkrankung bedeutet. Zur Klärung dieser Frage werden derzeit alle Taucher vor Wiederbeginn des Tauchens im Rahmen einer Zwischenuntersuchung auf TUKV (Tauch- und Kampfschwimmer-Verwendungsfähigkeit) am SchiffMedInstM mit erweitertem Untersuchungsspektrum untersucht, das in Ergänzung zur TUKV eine Echokardiographie sowie die Bestimmung des kardialen Troponin I und von NT-pro-BNP beinhaltet.

Ein Vorteil besteht bei Tauchern der Marine im Vergleich zu Sportlern darin, dass bei den Tauchern sämtliche Untersuchungsergebnisse der TUKV-Untersuchungen vor Infektion vorliegen, somit also ein sehr guter Vergleich der aktuellen Leistungsdaten mit Vorergebnissen vor Erkrankung möglich ist.

Diese aktuell laufende Studie kann somit Aufschluss darüber geben, ob es nach Genesung von der Corona-Infektion im gegebenen Zeitraum relevante Leistungsdefizite gibt, die für die gefahrlose Wiederaufnahme des Tauchdienstes von Bedeutung sein könnten, oder ob die Genehmigung zum erneuten Tauchen mit gutem Gewissen gegeben werden kann.

Literatur

  1. Jarisch R, Weyer D, Ehlert E et al.: Impact of oral vitamin C on histamine levels and seasickness. J Vestib Res Equilib Orientat 2014; 24: 281–288 . mehr lesen
  2. Koch A, Cascorbi I, Westhofen M, Dafotakis M, Klapa S, Kuhtz-Buschbeck JP: (2018) The Neurophysiology and Treatment of Motion Sickness. Dtsch Arzteblatt Int 2018; 115: 687–696 . mehr lesen
  3. Sartisohn S, Kähler W, Klapa S, Grams B, Weisser B, Koch A: Seekrankheit und Leistungsfähigkeit – Ergebnisse einer Untersuchung an 102 Probanden mit Wellenexposition in einer Rettungsinsel. Ext Abstr Kongr DHWMP 2018.
  4. Wester TE, Cherry AD, Pollock NW et al.: : (2009) Effects of head and body cooling on hemodynamics during immersed prone exercise at 1 ATA. J Appl Physiol 2009; 106(2): 691–700 . mehr lesen
  5. Wunderlich T, Frey N, Kähler W et al.: Influence of hyperoxia on diastolic myocardial and arterial endothelial function. Undersea Hyperb Med J Undersea Hyperb Med Soc Inc 2017; 44:521–533 . mehr lesen

 

Verfasser

Flottenarzt Prof. Dr. Andreas Koch

Schifffahrtmedizinisches Institut der Marine

Kopperpahler Allee 120, 24119 Kronshagen

E-Mail: a.koch@iem.uni-kiel.de