Wehrmedizinische Monatsschrift

 

Barbara Zachraj,
Georg Wolfgang Schramm (Hg.)

Die vergangene Nacht hatte
ich vier Tote und soeben drückte ich einem die Augen zu.

Verlag J. H. Röll GmbH,
Dettelbach 2021

Hardcover, 284 Seiten,
189 Abbildungen

ISBN: 978-3-89754-596-0 (34,90 €)

Hinter diesem Buch steht eine typische und traurige Kriegsgeschichte, die ein Schlaglicht auf die verblendete wie verratene Generation unser Großmütter und Großväter wirft. Man fragt sich: Warum muss eine 23 Jahre alte DRK-Krankenschwester, die lange Zeit in Lazaretten an der Ostfront diente und seit wenigen Monaten liebevolle Mutter ist, am letzten Tag des Krieges und auch noch als einziges Opfer in dem fränkischen Städtchen Hilpoltstein durch eine verirrte amerikanische Granate sterben?

Das Buch beinhaltet 45 erhaltene Feldpostbriefe der Schwabacher DRK-Schwester Johanna Löhr (1921-1945), die sie in den Kriegsjahren 1943 bis 1944 schrieb und die von ihrem Einsatz als Schwester des Deutschen Roten Kreuzes in Südrussland, Rumänien und Ungarn berichten. Die Briefe wurden von ihrer Tochter Barbara Zachraj und dem Lokalhistoriker Georg Wolfgang Schramm durch zahlreiche weitere Dokumente und Fotos in den historischen Zusammenhang gesetzt.

Somit sind es sehr persönliche Zeugnisse einer jungen Frau, die kriegsbedingt erstmals die Heimat verlässt und in einer für sie neuen Welt vornehmlich in rückwärtigen Lazaretten im Südabschnitt der Ostfront zum Einsatz kommt. Sie schreibt nichts Spektakuläres, die Briefe sind die entscheidenden Medien für den wechselseitigen Kontakt zur Familie. Thematisiert werden die Höhepunkte des Alltags, Treffen mit Bekannten aus der Heimat, die Freude auf den Urlaub oder das häufige Versenden von Päckchen mit raren Lebensmitteln nach Hause. Wer mag ihr verdenken, dass sie sich über die Schönheit der Landschaft am Schwarzen Meer oder in den Karpaten freut und ihre Besuche in der Oper in Odessa erwähnt? Ihre sicherlich anstrengende und belastende Hilfe für die oft Schwerverwundeten notiert sie eher am Rande – ohne auf ihr Mitgefühl zu verzichten. Diese gewisse Distanz zum blutigen Geschehen, in das sie über Jahre jeden Tag eingebunden ist, ist sicherlich auch eine Art Selbstschutz. Ebenso äußerst sie sich kaum über die ständigen Rückzüge oder über die politischen Verhältnisse, man will die Angehörigen nicht in Sorge versetzen. Im Herbst 1944 kehrt sie wegen ihrer Schwangerschaft nach Hause zurück.

Das gut gemachte Buch geht weit über die individuellen Briefe hinaus, erläutert in vielen Anmerkungen sanitätsdienstliche und medizinische Zusammenhänge der Zeit und beschreibt – ohne zu ausführlich zu werden – allgemein den Einsatz von Rot-Kreuz-Schwestern an der Front. Auch das Kriegsgeschehen wird kritisch kommentiert; ein fotografischer Nachlass vermittelt dem Leser einen Eindruck dieses furchtbaren Geschehens in der Sowjetunion. Wer sich gern mit „Geschichte von unten“, mit dem ganz individuellen Kriegserleben von ganz normalen Angehörigen des Sanitätsdienstes oder des Roten Kreuzes befasst und dabei auf voluminöse Fachbücher mit ausufernden Anmerkungsapparaten verzichtet, für den ist das Buch gut geeignet.

Flottenarzt Dr. Volker Hartmann

Sanitätsakademie der Bundeswehr, München