Wehrmedizinische Monatsschrift

MEHR ALS NUR ORTHOPÄDIE!

Medizinisch-dienstlich orientierte Rehabilitation (MDORBw) am Zentrum für Sportmedizin der Bundeswehr (Vortrags-Abstract)

Andreas Lisona

a Zentrum für Sportmedizin der Bundeswehr, Warendorf

 

Hintergrund

Das Zentrum für Sportmedizin der Bundeswehr „ZSportMedBw“ ist als Kompetenzzentrum für die somatische Rehabilitation im Sanitätsdienst verantwortlich für die Durchführung interdisziplinärer Rehabilitationsmaßnahmen für Patienten mit definierten Beeinträchtigungen. Dabei werden die Durchführung und patientenbezogenen Outcome-Parameter in einem retrospektiven und prospektiven Ansatz wissenschaftlich ausgewertet. Sowohl die rehabilitative Interventionen mit ihren Anteilen

wie auch deren wissenschaftliche Auswertung bilden darüber hinaus die Grundlage für die Ausbildung von Sanitätsoffizieren in den Reha-Schwerpunkten sowie künftig auch von Truppenärztinnen und Truppenärzten der Regionalen Sanitätseinrichtungen durch das ZSportMedBw.

Die im Zuge der Weiterentwicklung der Rehabilitationsmaßnahmen am Standort Warendorf gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen können Hinweise für die Weiterentwicklung einer rehabilitativen Eigenkompetenz im Sanitätsdienst geben. Dieser Beitrag befasst sich mit der Operationalisierung der interdisziplinären Einzelmaßnahmen und deren rehabilitationsspezifischen Ableitung. Er dient der truppenärztlichen Information für eine zielgerichtete Überweisung von Patienten an das ZSportMedBw.

Von der Erkennung zur Intervention

Das ZSportMedBw verfügt für seine Rolle als Kompetenzzentrum personell, infrastrukturell und materiell über begrenzte Kapazitäten. Im Zuge der Weiterentwicklung und Operationalisierung interdisziplinärer Rehabilitationsmaßnahmen, die neben einem rehabilitationsspezifischen Assessment eine multiprofessionelle Intervention abbilden, wurden in enger Abstimmung mit den vorgesetzten Kommandobehörden fähigkeitsbezogen klar definierte Patientengruppen festgelegt. In komplexen Fällen – bei Gefährdung der Dienst- und Verwendungsfähigkeit – ist dabei das ZSportMedBw für die medizinisch-dienstlich orientierte Rehabilitation verantwortlich. Dieses gilt bei Patienten mit

Dabei entspricht die Reha-Phase E der medizinisch-beruflich orientierten Rehabilitation von Patientinnen und Patienten, die nach Absolvierung der Reha-Phasen A bis C (Akutbehandlung (A), Frührehabilitation (B), postprimäre Rehabilitation (C)) keinen pflegerischen Betreuungsbedarf mehr aufweisen. Die Reha-Phase F (aktivierende Rehabilitation) dient neben der Festigung des erzielten Reha-Ergebnisses der Verbesserung noch eingeschränkter Fähigkeiten, der Verstetigung von Lebensstiländerungen, der Verstärkung der Selbstwirksamkeit/Eigenkompetenz sowie der Minderung von Schnittstellenproblematiken in der Gesundheitsversorgung. Sowohl die Reha-Phase E als auch F bedürfen somit eines zielgerichteten Casemanagements.

Abb. 1: Auftrag des ZSportMedBw als Kompetenzzentrum somatische Rehabilitation:
Als weiterer Bestandteil des Rehabilitationsprozesses werden sporttherapeutische Interventionen durch das ZSportMedBw indiziert, durch die Sportschule der Bundeswehr durchgeführt (nicht medizinische Rehabilitation) und in einem interdisziplinären Prozess in ihrer Wirkung bewertet.

Abbildung 1 zeigt das Grundprinzip aller rehabilitativen Betreuungsmaßnahmen am ZSportMedBw. Basis ist in jedem Einzelfall ein ambulanter, in der Regel alle 3 Monate stattfindender Betreuungstermin. Die Überprüfung des Rehabilitationsbedarfs, der jeweiligen Reha-Fähigkeit und -Prognose erfolgt zunächst mittels eines Erstkontaktes und eines 2-tägigen Pre-Assessments. Im multiprofessionellen Team (Orthopädie, Allgemeinmedizin, Sozialdienst, Physiotherapie) werden die Indikation und die für die Reha-Phasen spezifischen Voraussetzungen interdisziplinär überprüft.

Im Falle einer vorliegenden Reha-Fähigkeit und voraussichtlich positiven Prognose für die Maßnahmen am ZSportMedBw können zusätzlich zur ambulanten Betreuung teilstationäre interdisziplinäre Interventionen oder nichtmedizinische Rehabilitationsmaßnahmen in Form sporttherapeutischer Trainings (SportSBw) indiziert sein. Durch die wiederholte Überprüfung von Reha-Bedarf, -Fähigkeit und -Prognose kann eine individualisierte, bruchfreie Rehabilitation sichergestellt werden. Ziel ist dabei primär die bestmögliche Wiederherstellung der Dienst- und Verwendungsfähigkeit. Kann dies nicht erreicht werden, geht es um die bestmögliche Vorbereitung auf den Übergang in das Zivilleben.

Medizinische Rehabilitation: Interprofessionelle Kommunikation und strukturiertes Handeln

Therapiegrundsätze und -möglichkeiten

Die Ausrichtung der medizinischen Rehabilitation am ZSportMedBw auf die berufliche Wiedereingliederung von Soldatinnen und Soldaten beruht sowohl konzeptionell als auch inhaltlich auf der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, den empfohlenen Standards der Fachgesellschaften, den Vorgaben des Sozialgesetzbuchs IX (SGB IX) und reha-wissenschaftlichen Erkenntnissen. Sie sind die Basis aller Einzelmaßnahmen, die in einem strukturierten QM-Prozess operationalisiert wurden. Ergebnis ist die Entwicklung einer bruchfreien ambulanten Betreuung und einer jeweils teilstationären sportmedizinischen Intensiv-Reha (SMIR) über einen Zeitraum von 3 Wochen bzw. einer 1-wöchigen erweiterten Physiotherapie (EP). Für die teilstationären Maßnahmen stehen dem ZSportMedBw drei barrierefreie, rollstuhlgerechte Unterkünfte zur Verfügung.

Assessment

Unser reha-spezifisches Assessment ist, dem somatischen Auftrag des Zentrums entsprechend, funktions- und leistungsbezogen. Hierzu gehören eine reha-­spezifische Anamnese, diagnostische Maßnahmen (u. a. Spiroergometrie, Isokinetik, Labor, VNS-Messung) wie auch validierte Questionnaires, sowie eine Medikations- und Ernährungsanalyse.

Reha-Planung und -Durchführung

Die eigentliche Reha-Planung erfolgt in einem heuristischen Ansatz aus Diagnostik, validierten Tests (Messen) und einem multiprofessionellem ICF-Interview. Die ICF (International Classification of Functioning, Disability and Health, WHO, 2001) mit ihren Unterkapiteln Körperstrukturen und -funktionen, Aktivitäten, Partizipation und Umweltfaktoren ermöglicht unter Verwendung sogenannter Core-Sets, insbesondere durch das direkte Gespräch mit dem Patienten, die Erstellung eines Funktions-Fähigkeitsprofils als Basis für die Formulierung individueller ­Rehabilitationsziele. Diese werden in Haupt- und Zwischenziele unterteilt, vom Patienten aktiv freigegeben und in einer multiprofessionellen Teamkonferenz in professionsbezogene Maßnahmen übersetzt. Nach Abschluss der Maßnahmen erfolgt die Überprüfung des Rehabilitationserfolges durch die oben beschriebenen Assessmentverfahren.

Voraussetzung für die strikt im QM-Handbuch der Dienststelle beschriebene Vorgehensweise war die Etablierung kommunikativer multiprofessioneller Formate, die einen tagesbezogenen Informationsaustausch ermöglichen. Von besonderer Bedeutung ist, dass die Entwicklung aller Reha-Maßnahmen am ZSportMedBw auf die Durchführung reha-spezifischer Interventionen ausgerichtet wurde, die über das Assessment hinausgehen.

Fazit

Es steht für uns außer Frage, dass der direkte Kontakt mit den zu Rehabilitierenden in Form von Interventionen (medizinische und sozialdienstliche Beratung, Therapie und kameradschaftlichen Begegnung) nicht nur die wesentliche Begründung für den Aufbau einer rehabilitativen Eigenkompetenz im Sanitätsdienst ist. Vielmehr ist dieser direkte Kontakt die stetige Quelle einer hohen extrinsischen und intrinsischen Motivation für alle am Rehabilitationsprozess Beteiligten: den zu Rehabilitierenden, den Familienangehörigen und dem Reha-Team selbst.

Die aktive Beteiligung aller Professionen hat nach unserer Erfahrung ganz erheblich dazu beigetragen, neben einer state-of-the-art Reha das für eine erfolgreiche Rehabilitation unverzichtbare soziale Kapital des Reha-Teams zu stärken. Neben der Vermeidung von Reha-Brüchen kann hierdurch ein Höchstmaß an Flexibilität und Individualisierung sichergestellt werden. Einrichtungen wie das ZSportMedBw oder die im Rahmen des Pilotprojekts etablierten Reha-Schwerpunkte mit ihrer ­wohnortnahen Rehabilitationskompetenz können im Gegensatz zu zivilen Einrichtungen den Krankheitsbewältigungsprozess der Betroffenen durch gezielte Betonung der Zugehörigkeit zur Peergroup „Soldat/Soldatin“ und den damit verbundenen Werten, Ritualen und Symbolen entscheidend fördern (Abbildung 2).

Abb. 2: Der Krankheitsbewältigungsprozess als wesentliche Voraussetzung für das Erreichen der persönlichen Reha-Ziele: Neben einer hohen Struktur- und Prozessqualität wird der Rehabilitationserfolg zu wesentlichen Teilen durch Faktoren auf der sozialen Bindungsebene gefördert.

Die direkte Zusammenarbeit mit ausgewählten zivilen Reha-Einrichtungen, aber auch dem militärischen Reha-Zentrum der niederländischen Streitkräfte in Doorn, sind und bleiben für die Umsetzung der MBORBw unverzichtbar.

Verfasser

Oberstarzt Dr. Andreas Lison

Zentrum für Sportmedizin der Bundeswehr, Warendorf

E-Mail: andreaslison@bundeswehr.org