MBOR im zivilen Bereich – ein richtungsweisendes Konzept
Thomas Drükea
a Dr. Becker Klinik Norddeich
Einleitung
In der Medizinisch-Beruflich Orientierten Rehabilitation im zivilen Bereich steht die besondere berufliche Problemlage des Patienten im Vordergrund des Rehabilitationsauftrags. Ausschlaggebend für die Einleitung einer derartigen Maßnahme sind z. B. Arbeitsunfähigkeitstage über 3 Monate, die Ansage des Patienten, dass er sich die zuletzt ausgeübte Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr vorstellen kann oder ärztlicherseits festgestellte dauerhafte gesundheitsbezogene Überforderungen. Belegt werden diese Schlussfolgerungen durch Screening-Fragebögen. Als Standards haben sich hier der Würzburger Fragebogen, bestehend aus der subjektiven Erwerbsprognose und einer beruflichen Belastungsabfrage, sowie der Fragebogen SIMBO-C 1 als Testinstrument der Deutschen Rentenversicherung etabliert. Bei entsprechender Indikation erfolgt die Einschleusung des Patienten in die MBOR.
Elemente der MBOR
Evaluation der körperlichen Leistungsfähigkeit
Im Rahmen der Rehabilitationsmaßnahme erfolgt dann zum Zeitpunkt des Aufnahmeprozesses eine Evaluation der körperlichen Leistungsfähigkeit (EFL nach S. Isernhagen), um körperliche Über- oder Unterforderungen zu objektivieren.
Abb.1: Beispiele für die Evaluation der körperlichen Leistungsfähigkeit nach Isernhagen
Das Testverfahren prüft die allgemeine Leistungsfähigkeit im Kraftbereich, z. B. des Hebens und Tragens, des Gehens, Sitzens und Stehens, die Werte von Handkraft und -koordination sowie koordinative Fähigkeiten. Das üblicherweise über 2 Tage konzipierte Testinventar wird dabei reduziert auf die berufsrelevanten Tätigkeiten und an einem Tag durchgeführt.
Arbeitsplatzanalyse und -training
Im Idealfall erhalten die Klinikmitarbeiter vorab vom medizinischen Dienst der Rehabilitanden eine möglichst objektive Arbeitsplatzbeschreibung. Exemplarisch übersendet der Betriebsarzt der Deutschen Post AG vorab Piktogramme des Arbeitsfelds, z. B. in welcher Art des Zustelldienstes (Fahrrad, Caddy oder VW-T5) der Versicherte arbeitet. Ein analoges Verfahren wäre auch in Kooperationsmodellen der zivil-militärischen Zusammenarbeit denkbar.
Abbildung 2 zeigt hier eine etwas plakative Darstellung einer Alltagsbelastung im Soldatenleben und die daraus abzuleitende Trainingssituation im TRX-Gerät. Aus den Testergebnissen werden die speziellen Trainingsinterventionen abgeleitet, d. h. der Rehabilitand erhält zusätzlich zu seinem „normalen“ Reha-Programm wie Einzelkrankengymnastik, Gruppenkrankengymnastik und Schulungsmaßnahmen im Schnitt zweimal wöchentlich eine arbeitsplatzbezogene Trainingseinheit der erforderlichen Bewegungsabläufe bei speziell geschulten Mitarbeitern mit den Elementen Krafttraining, Beweglichkeitsverbesserung und – insbesondere – Ergonomietraining. Im Bedarfsfall erfolgt eine Abschlusstestung am Ende der Reha-Maßnahme.
Abb. 2: Vereinfachte Darstellung einer militärischen Tätigkeit und eines korrespondierenden Trainings am TRX-Gerät
Individuelle Betreuung durch Sozialdienst
Flankierend, aber genauso wichtig, ist eine individuelle Betreuung der MBOR-Fälle durch den psychologischen Dienst und den Sozialdienst der Klinik. Durch die Psychologen erfolgt die Erhebung des AVEM (Arbeitsplatzbezogenes Verhaltens- und Erlebensmuster) mit daraus abzuleitender Einzelberatung und Therapieintervention im Bedarfsfall. Der Sozialdienst berät in Einzelgesprächen über die individuellen Konsequenzen, z. B. des Schwerbehinderten- und Rentenrechts, und leitet maßgeblich die nächsten Schritte der weiteren Fallbetreuung nach Ende der Reha ein, z. B. bei erforderlicher beruflicher Neuorientierung. Dem Reha-Team der Klinik ist es sehr wichtig, dass nach Ende der Klinik-Phase der Rehabilitand zügig eine ambulante Weiterbetreuung erhält bzw. die berufliche Reintegration durchgeführt wird.
Abb. 3: Arbeitsplatztraining Pflege
Fazit
Nach mehrjähriger Erfahrung mit z. Zt. ca. 500 MBOR-Verfahren pro Jahr ziehen wir folgendes Fazit:
- MBOR ist überaus erfolgreich in der Reintegration bei beruflichen Problemlagen, wenn man es konsequent beim richtigen Patienten anwendet: Bei passgenauer Patientensteuerung und guter Therapieumsetzung gelingt die stabile Rückführung in das Berufsleben in 77,4 % der Fälle vs. 56,5 % bei Standard-Reha-Verfahren 2 .
- Wünschenswert sind objektive Vorabinformationen, z. B. von den zuweisenden Ärzten (z. B. Piktogramme, wie bei der Deutschen Post AG).
- Unbedingt erforderlich sind spezielle Screeningverfahren und – in der Orthopädie/Somatik – eine berufsbildbezogene Testung der individuellen Leistungsfähigkeit.
- Die Empfehlungen nach einer MBOR-Maßnahme müssen zeitnah zur Umsetzung kommen, da sonst die Patientenmotivation wieder nachlässt.
Jahrelange Erfahrungen mit MBOR, wie sie z. B. in der Dr. Becker Klinik Norddeich bestehen, könnten und sollten nach Auffassung des Autors im Rahmen einer zivil-militärischen Kooperation auch für Verfahren der Medizinisch-Dienstlich orientierten Rehabilitation (MDOR) genutzt werden.
Verfasser
Oberstabsarzt a. D. Dr. Thomas Drüke
Chefarzt der Dr. Becker Klinik, Norddeich
E-Mail: tdrueke@dbkg.de
Vortrag beim 52. Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie e. V. am 14. Oktober 2021 in Koblenz