Wehrmedizinische Monatsschrift

AUS DEM FORSCHUNGSVERBUND SÜD

TDSC® goes digital – Digitalisierung der Table-Top-Exercise des TDSC®-Kurses

Ein Gemeinschaftsprojekt des Bundeswehrkrankenhauses Ulm, der Universität der Bundeswehr München, des Bundeswehrzentralkrankenhauses Koblenz und der Akademie für Unfallchirurgie GmbH, München

Patrick Hotha, Marko Hofmannc, Dan Bielerb, Benedikt Friemerta, Axel Frankeb, Stephan Leitnerc, Martin Zedlerc, Mark Melnykd, Markus Blätzingere, Gerhard Achatza, AG EKTC der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie

aBundeswehrkrankenhaus Ulm, Klinik XIV – Unfallchirurgie und Orthopädie, Rekonstruktive und Septische Chirurgie, Sporttraumatologie
bBundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, Klinik XIV – Unfallchirurgie und Orthopädie, Wiederherstellungs- und Handchirurgie, Verbrennungsmedizin
cUniversität der Bundeswehr München, Institut für Technische Informatik
dBundeswehrkrankenhaus Ulm, Zentrales Klinisches Management
eAUC – Akademie der Unfallchirurgie GmbH, München

 

 

Zusammenfassung

Die jüngste Entwicklung in Europa mit den bekannten Terroranschlägen, u. a. in Paris 2016, aber auch in Deutschland, mit den Anschlägen von Berlin 2016 oder Halle 2019, hat zu einer Kooperation der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) und des Sanitätsdienstes der Bundeswehr geführt. Parallel dazu entstand unter Federführung der AG EKTC der DGU das Konzept des TDSC®-Kurses mit einem simulationsbasierten Entscheidungstraining bei TerrorMANV-Lagen.

Eine weiterführende Kooperation unter dem Dach des „Forschungsverbundes Süd“ zwischen dem Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, dem Bundeswehrkrankenhaus Ulm und der Universität der Bundeswehr München bietet nun unter fachlicher Beteiligung der AG EKTC der DGU die Möglichkeit einer schrittweisen Digitalisierung des Kurskonzeptes, um dieses sowohl methodisch-didaktisch als auch wissenschaftlich gemeinsam mit allen initial Beteiligten weiterentwickeln zu können.

Zukünftige Projekte sollen die Vernetzung von Kliniken in der Bewältigung von TerrorMANV-Lagen als auch das Personal- und Ressourcenmanagement von sanitätsdienstlichen sowie zivilen medizinischen Behandlungseinrichtungen adressieren und verbessern.

Der vorliegende Beitrag stellt die bisherige Entwicklung vor und gibt einen Ausblick auf die geplanten nächsten Entwicklungsschritte.

Schlüsselwörter: Serious Games, TerrorMANV, Digitalisierung, Simulation, Ressourcenmanagement

Keywords: serious games, terror-related mass casualty injuries, digitalization, simulation, resource management

Hintergrund

Terroranschläge in Europa haben sich seit Vorfällen wie in Madrid 2004, Paris 2015 oder Nizza 2016 zu einem relevanten Bedrohungsszenario des alltäglichen Lebens entwickelt [12].

Für Deutschland haben ähnliche Ereignisse mit dem Anschlag am Breitscheidplatz 2016 in Berlin, aber auch dem Anschlag in Halle 2019 mit dem beabsichtigten bewaffneten Eindringen in die dortige Synagoge sowie der Anschlagsserie auf türkische Einrichtungen in Waldkraiburg im April/Mai 2020 zu einer öffentlichen Auseinandersetzung mit der Thematik geführt.

Die Ereignisse führten 2016 nach eingehender Bewertung der Bedrohungslage durch die 2013 gegründete AG EKTC (Arbeitsgruppe Einsatz-, Katastrophen- und Taktische Chirurgie) der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) in Zusammenarbeit mit dem Sanitätsdienst der Bundeswehr zur Entwicklung eines ersten „5-Punkte-Plans“. Ziel dieses Plans war es, die deutsche Kliniklandschaft fachlich und organisatorisch möglichst umfassend auf Terroranschläge und daraus resultierende typische Verletzungsmuster der meist schwerverletzten Opfer vorzubereiten [2]. Diese Vorbereitung erfolgte auf der einen Seite anhand von informellen Notfallkonferenzen in Kooperation von DGU und Sanitätsdienst der Bundeswehr (erstmals 2016 durchgeführt), auf der anderen Seite durch Fort- und Weiterbildungen wie dem Kurs „Definitive Surgical Trauma Care“ (DSTC®) oder dem aus diesem Anlass durch die AG EKTC der DGU federführend konzipierten Kurs „Terror and Disaster Surgical Care® (TDSC®).

Der TDSC®-Kurs startete 2017 und entwickelte sich in den darauffolgenden Jahren zu einer Erfolgsgeschichte. Bis Ende 2021 konnten 30 Kurse mit mehr als 500 Teilnehmenden durchgeführt werden.

Der zukünftige Ausbildungsbedarf begründet sich u. a. durch die Aufnahme der Thematik Massenanfall von Verletzten (MANV)/TerrorMANV in die 2020 veröffentlichte 3. Auflage des Weißbuches zur Schwerstverletztenversorgung der DGU 1 .

Kern des TDSC®-Kurses ist, neben der Vermittlung von medizinischem Fachwissen, die Schulung von innerklinischen Entscheidungsträgern für solche Ausnahmesituationen zur Steigerung der persönlichen Resilienz und Etablierung des erforderlichen Mindsets.

Als eine potenzielle Möglichkeit zur Weiterentwicklung des Kursformates konnte das Thema „Digitalisierung“ identifiziert werden. Hierfür wurde im Rahmen des neu geschaffenen „Forschungsverbunds Süd“ die Zusammenarbeit zwischen dem Bundeswehrkrankenhaus (BwKrhs) Ulm und der Universität der Bundeswehr in München forciert. Die Entwicklung der Table-Top-Exercise aus dem Kurs wird im Folgenden vorgestellt.

TDSC®-Kurs

Besonderheit von Terrorlagen

Terrorlagen sind durch besondere Merkmale charakterisiert und weisen wesentliche Unterschiede zum MANV und zu den im Alltag häufigen und bekannten schweren Verletzungen (z. B. Polytrauma nach Verkehrsunfall) auf.

Diese Merkmale sind:

  1. Komplexe und dynamische Lagen, z. B. durch Second-Hit-Ereignisse und unkontrollierte Zuströme von Verwundeten und Betroffenen [1][8],
  2. grundlegende Bedeutung der Kooperation und Kommunikation zwischen Krankenhäusern und Sicherheitsbehörden in Krisenstäben und am Einsatzort [14][18],
  3. potenzielle Bedrohung durch chemische, biologische, radioaktive und nukleare Kampfstoffe (CBRN-Lagen) [15],
  4. essenzielle Bedeutung des Schutzes des eigenen Krankenhauses, der kritischen Infrastruktur und eines belastbar etablierten Krankenhausalarm- und Einsatzplanes [17][19],
  5. gehäuftes Vorkommen von penetrierenden Verletzungen, insbesondere durch Schuss- und Explosionsverletzungen [5][6] sowie
  6. hohe Inzidenz kritischer lebensbedrohlicher Hämorrhagien durch Extremitäten- und Körperhöhlenverletzungen [11].

Die Besonderheiten des TerrorMANV machen oftmals eine Modifikation der bekannten und geübten Prozesse aufgrund eines Ressourcenmangels erforderlich. Während bei der individualmedizinischen Perspektive („Der Zustand des Patienten bestimmt den initialen Versorgungsumfang“) als Grundsatz das „Damage control“ angeführt wird, gilt beim TerrorMANV: „Die Lage bestimmt das Vorgehen und Art und Umfang der Versorgung“ [9].

TerrorMANV – Abbildung im TDSC®-Kurs

Der TDSC®-Kurs thematisiert die genannten Merkmale und Besonderheiten von Terrorlagen (TerrorMANV), insbesondere die innerklinische Sichtung in Lagen mit eskalierender Dynamik sowie die chirurgischen Behandlungsprinzipien der Damage Control Surgery (DCS) bzw. weiterführend des Tactical Abbreviated Surgical Care (TASC) [10].

Aus der Einsatzchirurgie sind vergleichbare Versorgungsprinzipien bekannt und erprobt. Diese Erfahrungen und die Expertise werden inhaltlich durch Sanitätsstabsoffiziere des Sanitätsdienstes der Bundeswehr regelmäßig im Rahmen ihres Einsatzes als Instruktoren in das Kursformat eingebracht.

Der Kurs erstreckt sich über zweieinhalb Tage und ­umfasst Präsentationen, interaktive fallbasierte Diskussionen, die strukturierte Bearbeitung verschiedener Szenarien und Bedingungen, sowie ein brettgestütztes ­Simulationsspiel zum Training der Entscheidungsfindung.

Grundlage für die strukturierte Bearbeitung der Trainingsszenarien ist der für den TDSC®-Kurs etablierte Algorithmus aus

Dies bedeutet, dass initial jeder Patient ressourcenunabhängig gesichtet und einer Sichtungskategorie zugeordnet wird. Danach werden die weiteren operativen Maßnahmen und die Reihung priorisiert. Für die Therapie werden die für den Behandlungserfolg essenziellen Schritte disponiert und abschließend das geplante Vorgehen realisiert.

Zielgruppe des Kurses sind im Schwerpunkt Fachärztinnen und -ärzte. Diese werden dahingehend trainiert, die Führungsaufgabe als zentraler operativer Notfallkoordinator (ZONK) in einem TerrorMANV zu übernehmen. Der Kurs soll ein entsprechendes Mindset etablieren und die Resilienz der Teilnehmenden durch Mentalisierung der Prozesse für diese Ausnahmesituation steigern.

Entscheidungstraining

Zur Verdeutlichung, Festigung und Einübung der oben genannten theoretischen und didaktischen Konzepte wurde für den TDSC®-Kurs das von allen als Spiel wahrgenommene „Entscheidungstraining“ entwickelt und in die Ausbildung implementiert. Das Spiel beinhaltet initial eine Sichtungsübung, geht aber mit seiner Komplexität und Zielsetzung über herkömmliche Triage-Übungen oder andere etablierte Kursformate deutlich hinaus.

Abb. 1: Darstellung der Table-Top-Exercise als „haptisches Spielbrett“ zum innerklinischen Simulationstraining des TDSC®-Kurses: Das Spielbrett gliedert sich in verschiedenfarbig dargestellte Behandlungsbereiche (rot/gelb/grün), auf die die im Spielablauf eintreffenden Patienten je nach Sichtungskategorie und Behandlungsdringlichkeit disponiert werden.

Die Spieler sind in der Spielsituation und den Szenarien gezwungen, Entscheidungen auf der Grundlage unterschiedlicher personeller Ressourcen und unterschiedlicher Verfügbarkeiten (Behandlungsräume, Bettenkapazitäten) auf einem Spielbrett zu treffen (Abbildung 1) [3]. Die eintreffenden Patienten werden im Spiel mit ihrem individuellen Verletzungsmuster und weiterer verschiedener Attribute auf einer „Patientenkarte“ dargestellt (Abbildung 2). Unterschiedliche Spielsituationen ergeben sich durch die Ausgangs- und Rahmenbedingungen, sowie durch die unterschiedlichen Patientengruppen und den zeitlich gestaffelten Verlauf des Patientenaufkommens.

Abb. 2: Gegenüberstellung einer Patientenkarte des TDSC®-Spiels (links) zu einer „virtuellen“ Patientenkarte im elektronischen Codebook (rechts): Angezeigt wird das Verletzungsmuster des Patienten (zentrale Figur), die verfügbaren Lebenspunkte (beige Leiste oben), die Disposition innerhalb der Klinik (Leiste blau/gelb links), die beabsichtige therapeutische Maßnahme (blaue Leiste rechts) sowie der Rundenzähler (Leiste unten, grüner Pfeil).

Ein zentrales Element des Spieles ist das „Codebook“ (Abbildung 3). Dieses führt die Teilnehmenden durch die Angaben zu Patienten und individuellen klinischen Verläufen in Abhängigkeit von der gewählten medizinischen Versorgung (PRIORISIERUNG und DISPOSITION) in der gegebenen und sich entwickelnden Klinikstruktur.

Abb. 3: Gegenüberstellung eines Auszuges aus dem Codebook des TDSC®-Kurses (linkes Bild) zur vergleichenden Darstellung aus dem elektronischen Codebook (rechtes Bild): Dargestellt sind die im Rahmen der Sichtung des „Patienten 001“ erhobenen Verletzungen sowie die Vitalparameter. Aufgrund dieser Parameter kann der Spieler ggf. eine sofortige zusätzliche Diagnostik (hier: eFAST, Enhanced Focussed Assessment with Sonography for Trauma) auswählen. Außerdem muss eine Sichtungskategorie und eine Disposition des Patienten bestimmt werden.

Das Spiel ist in Runden organisiert und jede Runde hat einen eigenen Spielablauf, der wie folgt im Detail gegliedert ist:

  1. Eintreffen einer unterschiedlichen Anzahl an Patienten aufgrund eines TerrorMANV vor der „Klinik“ mit einer Sichtung durch den LArS (Leitender Arzt der Sichtung) unter Verwendung eines vorgegebenen Sichtungsalgorithmus (KATEGORISIERUNG),
  2. PRIORISIERUNG der erforderlichen Versorgung und Patientenreihung aufgrund der Verletzungsmuster und DISPOSITION ergänzender Maßnahmen innerhalb der Klinikstruktur, z. B. bezüglich des Ortes, der Zeit und der Dringlichkeit (beispielsweise Schockraum, Notaufnahme) durch den ZONK (Zentraler operativer Notfallkoordinator),
  3. Behandlung der Patienten innerhalb der Klinikstruktur im Rahmen verschiedener Behandlungskonzepte (ETC = early total care, DCS = damage control surgery, TASC = tactical abbreviated surgical care), je nach Lage und Ressourcenverfügbarkeit,
  4. Bewältigung von eingespielten Zufallsereignissen (z. B. Ausfall von bildgebenden Verfahren, Anfall von Notfallpatienten aus dem klinikeigenen Patientenklientel) sowie
  5. REALISIERUNG der geplanten Maßnahmen anhand vorhandener Personal- und Behandlungsressourcen.

Digitalisierung des TDSC®-Kursformates

Bezüglich der Weiterentwicklung des TDSC®-Kursformats arbeiten in einer seit 2020 etablierten Kooperation unter dem Dach des neu implementierten sogenannten „Forschungsverbundes Süd“ mehrere Institutionen zusammen:

Ziel ist es, das vorgestellte Konzept bzw. „das Spiel“ in seiner derzeitigen Form schrittweise zu digitalisieren.

Erste Schritte zur Digitalisierung des TDSC®-Kursformates wurden unternommen und werden im Folgenden kurz vorgestellt.

Elektronisches Codebook

In einem ersten Schritt zur Digitalisierung wurde eine elektronische Version des Codebook erstellt, um die Handhabung des Spiels sowie die Implementierung des komplexen Regelwerkes für die Teilnehmenden und Instruktoren während der Kurse zu erleichtern und gleichzeitig eine Möglichkeit zur statistischen Auswertung der getroffenen Entscheidungen für wissenschaftliche Fragestellungen zu etablieren.

Hybrides Spielerlebnis

Ein weiteres Ziel ist, ein „hybrides Spielerlebnis“ zu generieren, bei dem das „Table-Top-Exercise“ (das Entscheidungstraining) als Brettspiel haptisch sowie das elektronische Codebook kursbegleitend auf Tablets zusammengeführt werden.

An der Grundphilosophie des TDSC®-Kurses, dass jeder Kursteilnehmende nach dem Kurs in der Lage ist, sowohl eine terror-assoziierte Lebensbedrohliche Einsatzlage (LebEL) als auch einen konventionellen MANV mit einem Flow-Chart und Karteikarten zu organisieren und zu managen, wird hier festgehalten.

Vitalparameter und Verletzungsmuster

In einem weiteren Entwicklungsschritt sollen im elektronischen Codebook Vitalparameter und Verletzungsmuster der im Spiel zu versorgenden Patienten mit Schuss- und Explosionsverletzungen eingespielt werden.

Überlegungen zur weiteren Digitalisierung

Weitere Überlegungen zur Digitalisierung beschäftigen sich mit der Darstellung des gesamten Spiels. Hierbei wäre z. B. die Abbildung des individuell auf die lokale Situation einer Klinik adaptierten Spielbrettes auf einer interaktiven Oberfläche (z. B. SMART-Board) eine Möglichkeit, um Digitalisierung und interaktives haptisches Spielerlebnis (händisches Verschieben der Patienten auf dem Spielbrett) zu kombinieren.

Die Abbildung des Spielverlaufs in den einzelnen Teams auf einem gemeinsamen Leitstand bzw. Leitrechner und das Verteilen der Patienten von zentral in die einzelnen Gruppen wäre dann ein nächster Schritt. Diese Weiterentwicklung würde ein vernetztes Beüben in unterschiedlichen Räumen oder aber auch z. B. in einem digitalen Netzwerk von Kliniken (z. B. in einem Traumanetzwerk) ermöglichen.

In einer Endversion soll dann die gesamte Table-Top-Exercise digital umgesetzt werden, um das vorliegende Kursangebot ortsunabhängig und auch eigenständig als Stand-alone-Version im Sinne eines Refresher-Formats anbieten zu können.

Gleichzeitig wäre es denkbar und zu diskutieren, ob den geschulten Kursteilnehmenden eine digitale Oberfläche angeboten werden kann, die es bei einem Schadensereignis erlaubt, eine digitale standardisierte Dokumentation der im Entscheidungstraining als relevant erarbeiteten Informationen auf der aus dem Training gewohnten Oberfläche zu erfassen und später auszuwerten.

Evolution eines „Serious Games“

Für Lernspiele hat sich seit etwa 15 Jahren international der Begriff „Serious Games“ etabliert. Oft wird er zu Unrecht auf Computerspiele begrenzt. Grundsätzlich können aber klassische Brettspiele (und andere analoge Spielmedien wie Karten, Spielzeug etc.) selbstverständlich ebenso „ernsthaft“ zur Ausbildung unterschiedlichster Lerninhalte verwendet werden wie auch neuere digitale Medien (PC, Smartphone, VR-Brille usw.).

In der Regel geht es beim Medienwechsel im Serious Gaming um das Erreichen spezifischer Ziele und Vorteile unter Hinnahme bekannter Nachteile [4]. Im folgenden Abschnitt wird versucht, diesen Medienwechsel für das TDSC®-Spiel zu erläutern.

Digitale Serious Games sind im Gesundheitswesen mittlerweile weit verbreitet [7][13][16]. Anschauungsmaterial mit Bezug zum militärischen Kontext (taktische Verwundetenversorgung) findet man hierzu beispielsweise unter SanTrain auf der Internetseite der Universität der Bundeswehr München (Abbildung 4).

Abb. 4: Ausschnitt aus dem Einstiegsbildschirm des „Serious Games“ SanTrain der UniBw München (Aufruf unter https://www.unibw.de/santrain bzw. über den QR-Code in der Abbildung)

Prozess der Digitalisierung

Im konkreten Fall des TDSC®-Kurses besteht eine der Herausforderungen darin, ein bereits vorhandenes Brettspiel zu digitalisieren. Ein Brettspiel ist – verglichen mit einem Computerspiel – in vielen Bereichen erheblich limitierter. Es muss mit einer begrenzten Anzahl Spielfiguren auf einem Spielfeld, ein paar Würfeln und Spielregeln auskommen, die einfach genug sein müssen, um auch den Erstspieler nicht vom eigentlichen Lern- und Übungsziel abzulenken.

Der daraus resultierende Abstraktionsgrad, der sich zum Beispiel in Patienten mit 1 bis 6 Lebenspunkten und einem abstrakten Zeitbegriff manifestiert, läuft dabei eigentlich dem simulativen Charakter des Spiels zuwider. Durch die Anforderung, auch ein hybrides Spielerlebnis mit dem existierenden Spielbrett zu ermöglichen, ist das Potenzial, dem Serious Game durch die Digitalisierung mehr Detailtiefe, Realismus oder Immersion zu geben, beim derzeitigen Stand der Entwicklung noch nicht ausgeschöpft.

Vorteile der Digitalisierung

Dennoch gibt es eine Reihe von Vorteilen durch die Digitalisierung:

Über die 1:1 Umsetzung hinweg bietet die Digitalisierung das Potenzial, Mehrwert zu generieren. Die Formalisierung zwingt dazu, unklare Regeln zu präzisieren oder zu erweitern und deckt Schlupflöcher auf, die beseitigt werden können. Die im Spiel erzeugten Daten können zu wissenschaftlichen Analysezwecken ad-hoc oder im Nachgang aufbereitet werden.

Abb. 5: Verschiedene Darstellungen zur statistischen Auswertung einer Spielrunde im TDSC®-Kurs: Die obere Abbildung zeigt die manuell angefertigte Auswertung einer Spielrunde auf einem Whiteboard, die untere eine Auswertung direkt aus dem Datensatz des elektronischen Codebooks.

Herausforderungen

Trotz eines durchaus ausgefeilten und bereits erprobten Spielkonzepts wären bei einer Digitalisierung des gesamten Spiels eine Anzahl von komplexen Herausforderungen zu meistern:

Aktueller Stand und weitere Schritte

Im aktuellen Entwicklungsstand ist das Resultat eine Software, die auf dem Windows-PC, einem MacOS-Rechner, aber auch auf Smartphones und Tablets mit Android oder iOS läuft.

Weitere Szenarien

Dem Spieler als Trainee und dem Instruktor werden unterschiedliche Rollen mit speziellen Funktionalitäten und Zugriffsrechten zur Verfügung gestellt. Besteht zusätzlich eine Netzwerkverbindung, können optional Szenarien vom Server genutzt werden oder Spielabläufe zu Analysezwecken kommuniziert werden.

Management-Unterstützung

Ein weiterer Entwicklungsmeilenstein könnte auch die Übertragung der Benutzeroberfläche des Spiels mit Personal- und Ressourcenmanagement auf Behandlungseinrichtungen des Sanitätsdienstes der Bundeswehr zur Vorbereitung oder das fortlaufende Training in Einsatzgebieten der Bundeswehr sein. Hierbei könnten Entscheidungsträger im Einsatz trainiert werden, aber auch z. B. unterschiedliche Organisationsformen im Einsatz bezüglich der Effektivität – bezogen auf den Patientendurchsatz – evaluiert werden. Denkbar ist auch eine software-basierte Entscheidungshilfe für das Management.

Stressbelastung der „Spieler“

Die während des Spiels beim Training oder im Einsatz generierten emotionalen Reaktionen (Stress) könnten dann mittels integrierter Sensoren abgeleitet und wissenschaftlich aufgearbeitet werden mit der Frage, ob das Spiel überhaupt die (Stress-)Situationen in den Teilnehmern/Spielern abruft, die es adressieren soll. Hypothetisch denkbar wäre auch den Trainingserfolg, letztlich Handlungssicherheit und damit Resilienz für unterschiedliche Ausnahmesituationen, wissenschaftlich belastbar zu erfassen.

Fazit

Die vorliegende Arbeit soll ein ambitioniertes Projekt innerhalb des „Forschungsverbundes Süd“ zur Digitalisierung eines simulationsbasierten Entscheidungstrainings im Rahmen von TerrorMANV-Lagen mit den anstehenden Meilensteinen skizzieren.

Digitale Serious Games sind im Gesundheitswesen (auch im militärischen Kontext) mittlerweile weit verbreitet und stellen ein geeignetes Medium dar, um nicht nur Erwachsene, sondern auch Heranwachsende „spielend“ zum Lernen zu motivieren.

Das hier skizzierte Vorhaben als ein langfristig angelegtes sowie aus unserer Sicht erstrebenswertes Projekt innerhalb des Forschungsverbundes Süd mit

a) der Möglichkeit zur Erörterung von wissenschaftlichen Fragestellungen zur Stress- und Resilienzforschung sowie zur

b) Generierung von Benutzeroberflächen, die das Personal- und Ressourcenmanagement von zivilen medizinischen wie sanitätsdienstlichen Einrichtungen – auch im Einsatz – erfassen und optimieren können,

würde jedoch neben der nötigen personellen Unterstützung zur technischen Umsetzung auch eine stabile Finanzierung benötigen.

Literatur

  1. Achatz G, Bieler D, Franke A, Friemert B.: Terrorassoziierter Massenanfall von Verletzten (TerrorMANV). Trauma und Berufskrankheit 2018; 20: 188-195. mehr lesen
  2. Achatz G, Friemert B: Sind wir auf einen Terroranschlag vorbereitet? Orthopädie und Unfallchirurgie 2017; 7: 10-12. mehr lesen
  3. Achatz G, Friemert B, Trentzsch H et al.: Terror and disaster surgical care: training experienced trauma surgeons in decision making for a MASCAL situation with a tabletop simulation game. European Journal of Trauma and Emergency Surgery 2020; 46: 717-724. mehr lesen
  4. Baptista G, Oliveira T: Gamification and serious games: A literature meta-analysis and integrative model. Computers in Human Behavior 2019; 92:306-315. mehr lesen
  5. Bieler D, Franke A, Kollig E et al.: Terrorist attacks: common injuries and initial surgical management. Eur J Trauma Emerg Surg 2020; 46: 683-694. mehr lesen
  6. Bieler D, Kollig E, Achatz G et al.: Typische Verletzungen durch terrorassoziierte Ereignisse und ihre Implikationen für die Erstversorgung. Trauma und Berufskrankheit 2018; 20: 177-187. mehr lesen
  7. Breuer J, Tolks D: Grenzen von „Serious Games for Health “. Prävention und Gesundheitsförderung 2018; 13(4): 327-332. mehr lesen
  8. Franke A, Bieler D, Friemert B et al.: Prä-und innerklinisches Management bei MANV und Terroranschlag. Der Chirurg 2017; 88: 830-840. mehr lesen
  9. Franke A, Bieler D, Paffrath T et al.: ATLS® and TDSC®: how it fits together : A treatment concept for mass casualty and terrorist-related mass casualty situations, life-threatening and special scenarios. Unfallchirurg 2020; 123: 453-463. mehr lesen
  10. Friemert B, Achatz G, Hoth P et al.: Specificities of terrorist attacks: organisation of the in-hospital patient-flow and treatment strategies. Eur J Trauma Emerg Surg 2020; 46(4): 673-682. mehr lesen
  11. Friemert B, Franke A, Bieler D et al.: Versorgungsstrategien beim MANV/TerrorMANV in der Unfall-und Gefäßchirurgie. Der Chirurg 2017; 88: 856-862. mehr lesen
  12. Hirsch M, Carli P, Nizard R et al.: The medical response to multisite terrorist attacks in Paris. Lancet 2015; 386: 2535-2538. mehr lesen
  13. Hofmann M, Pietraß M, Eichenberg C et al.: Games for Health. In: Krankheit in Digitalen Spielen. Bielefeld: transcript-Verlag 2020: 387-416. , letzter Aufruf 14. Dezember 2021. mehr lesen
  14. Hossfeld B, Wurmb T, Josse F et al.: Mass casualty incident - special features of "threatening situations". Anasthesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2017; 52: 618-629. mehr lesen
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  16. Tolks D, Lampert C, Dadaczynski K et al.: Game-based approaches to prevention and health promotion: serious games and gamification. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz 2020; 63: 698-707. mehr lesen
  17. Wurmb T, Friemert B: Die Rolle des Krankenhauses bei Bedrohungslagen. Notfall+ Rettungsmedizin 2018; 21(7): 585-589.
  18. Wurmb T, Kowalzik B, Rebuck J et al.: Bewältigung von besonderen Bedrohungslagen. Notfall+ Rettungsmedizin 2018; 21(8): 664-672. mehr lesen
  19. Wurmb T, Scholtes K, Kolibay F et al.: The Hospital Emergency Plan: Important Tool for Disaster Preparedness. Anasthesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2017; 52: 594-605. mehr lesen

 

Manuskriptdaten

Zitierweise

Hoth P, Hofmann M, Bieler D, Friemert B, Franke A, Leitner S, Zedler M, Melnyk M, Blätzinger M, Achatz G, AG EKTC der DGU: TDSC® goes digital – Digitalisierung der Table-Top-Exercise des TDSC®-Kurses. WMM 2022; 66(2-3): 75-81.

Für die Verfasser

Oberstabsarzt Dr. Patrick Hoth

Bundeswehrkrankenhaus Ulm

Klinik XV – Unfallchirurgie und Orthopädie, Rekonstruktive und Septische Chirurgie, Sporttraumatologie

Bundeswehrkrankenhaus Ulm

Oberer Eselsberg 40, 89081 Ulm

E-Mail: patrickhoth@bundeswehr.org


1 Das Weißbuch der DGU zur Schwerstverletztenversorgung steht hier zum Download zur Verfügung.