Wehrmedizinische Monatsschrift

KASUISTIK

Darf man nach einem Herzinfarkt und einer Bypass-Operation noch fliegen?

Case Report: Back to flying duties after cardiac infarction and operative revascularization?

Norbert Güttler a

a Zentrum für Luft- und Raumfahrmedizin der Luftwaffe – Fachabteilung II, Fürstenfeldburck


 

Zusammenfassung

Einleitung: Die koronare Herzerkrankung ist eine der häufigsten Ursachen für eine “Sudden Incapacitation” beim fliegenden Personal. Sie ist die häufigste Todesursache in Deutschland mit einer Lebenszeitprävalenz von fast 10 % bei den 40- bis 79-jährigen. Die Diagnostik einer asymptomatischen koronaren Herzerkrankung ist eine der wesentlichen Herausforderungen für den Fliegerarzt. Falls es zu einem akuten Koronarsyndrom mit der Notwendigkeit einer interventionellen oder operativen Revaskularisation kommt, stellt sich anschließend die Frage der Wehrfliegerverwendungsfähigkeit.

Fallbericht: Bei einem 40-jährigen Bordtechniker (Hubschrauber) kam es zu einem Nicht-ST-Hebungsinfarkt der Vorderwand bei koronarer Zweigefäßerkrankung. Da eine interventionelle Rekanalisation des Infarktgefäßes nicht möglich war, erfolgte eine notfallmäßige aortokoronare Bypass-Operation. Postoperativ wurde die Leistungsfähigkeit des Soldaten weitgehend wiederhergestellt, eine effektive Sekundärprävention wurde etabliert. Nach kardiologischer Untersuchung am Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe konnte dem Soldaten eine flugmedizinische Sondergenehmigung erteilt werden, so dass er jetzt wieder in seiner Funktion als Bordtechniker tätig ist.

Diskussion: In dem Beitrag werden Maßnahmen des Screenings auf eine koronare Herzerkrankung bei asymptomatischen Piloten und Luftfahrzeugbesatzungsangehörigen sowie Möglichkeiten der Primärprävention dargestellt. Die Vorteile der totalen arteriellen Revaskularisation bei der Bypass-Operation werden aufgezeigt und On-Pump- versus Off-Pump-Techniken werden verglichen. Schließlich werden die Nachbehandlung sowie die Sekundärprävention nach Myokardinfarkt und Bypass-Operation aus flugmedizinischer Sicht geschildert. Kriterien der Flugtauglichkeit und Voraussetzungen für die Erteilung einer flugmedizinischen Sondergenehmigung werden diskutiert.

Schlüsselworte: Koronare Herzkrankheit, Myokardinfarkt, aortokoronare Bypass-Operation, Wehrfliegerverwendungsfähigkeitsuntersuchung, flugmedizinische Sondergenehmigung

Summary

Introduction: Coronary artery disease is one of the most frequent causes for sudden incapacitation in aircrew. In Germany, it is the most frequent cause of death with a life-time prevalence of almost 10 % in adults aged 40-79 years. The diagnosis of asymptomatic coronary artery disease in aircrew is one of the major challenges for the flight surgeon. In case of an acute coronary syndrome with the need of interventional or operative revascularization thorough aeromedical assessment is necessary to decide if a return to restricted or unrestricted flying is possible.

Case Report: A 40 year old flight helicopter engineer experienced a non ST segment elevation myocardial infarction of the anterior wall. A two-vessel coronary artery disease was diagnosed. As an interventional revascularization was not possible, he underwent an emergency coronary artery bypass grafting. After the operation, his physical fitness improved quickly, and an effective secondary prevention was established. After a thorough cardiological evaluation at the German Air Force Centre of Aerospace Medicine he was granted a waiver and has returned to flying duties.

Discussion: In this article screening of asymptomatic aircrew for coronary artery disease and primary prevention are explained. The advantages of an arterial revascularization are described, on-pump versus off-pump procedures are compared. Aeromedical aspects of postoperative treatment and secondary prevention are discussed. Finally, aeromedical assessment and eligibility criteria for aeromedical waivers are described.

Keywords: coronary artery disease, myocardial infarction, aortocoronary bypass surgery, aeromedical assessment, aeromedical waiver

Einleitung

Die koronare Herzkrankheit (KHK) ist die Manifestation der Atherosklerose an den Herzkranzgefäßen. In Deutschland ist sie die häufigste Todesursache, etwa 20 % der Todesfälle sind durch eine KHK verursacht. Die Lebenszeitprävalenz für die 40- bis 79-jährigen beträgt für die KHK 9,3 % (Männer 12,3 %, Frauen 6,4 %), für den Herzinfarkt beträgt sie 4,7 % (Männer 7,0 %, Frauen 2,5 %) [9]. Bei etwa 50 % der KHK-Patienten ist ein akutes Koronarsyndrom die Erstmanifestation der Erkrankung, in rund 10 % der Fälle der plötzliche Herztod.

Beim Fliegen ist die KHK eine der häufigsten Ursachen für eine “Sudden Incapacitation”, also eine plötzliche Handlungsunfähigkeit, die bei Luftfahrzeugführern1 ­direkte Auswirkungen auf die Flugsicherheit hat. Bei Luftfahrzeugbesatzungsangehörigen kann sie die Durch­führung des Flugauftrags beeinträchtigen oder infrage­stellen [16].

Die häufigste Ursache für ein akutes Koronarsyndrom ist die Ruptur einer atherosklerotischen Plaque, die plötzlich und ohne vorherige Symptome auftreten kann. Eine große Herausforderung für den Flugmediziner ist es deshalb, Piloten oder Besatzungsangehörige mit hohem KHK-Risiko zu identifizieren und durch geeignete präventive Maßnahmen das Auftreten akuter Koronarsyndrome zu verhindern. Parallel sind häufig fliegerische Einschränkungen erforderlich, um die Flugsicherheit nicht zu gefährden. Bei einer Doppelsteuerauflage zum Beispiel darf ein Pilot nur mit einem zweiten lizenzierten Luftfahrzeugführer fliegen, der über die Musterberechtigung für das jeweilige Flugzeug verfügt.

Sollte es dennoch zu einem akuten Koronarsyndrom mit der Notwendigkeit einer perkutanen koronaren Intervention (PCI = percutaneous coronary intervention) oder einer aortokoronaren Bypass-Operation gekommen sein, so muss durch den flugmedizinischen Sachverständigen in Zusammenarbeit mit dem behandelnden Kardiologen die Entscheidung getroffen werden, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Rückkehr in den fliegerischen Dienst möglich ist. Für Soldaten der Bundeswehr werden solche Entscheidungen durch das Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe (ZentrLuRMedLw) getroffen. Auf Wehrfliegerverwendungsfähigkeit I (WFV I) werden dabei Bewerber für den Dienst als ­Piloten oder Waffensystemoffizier untersucht, auf WFV II Piloten oder Waffensystemoffiziere nach Beginn der fliegerischen Ausbildung und auf WFV III sonstige Luftfahrzeugbesatzungsangehörige.

Fallbericht

Anamnese, Diagnostik und klinische Versorgung

Ein 40-jähriger Bordtechniker (Hubschrauber) verspürte thorakales Brennen und Rückenschmerzen. Er stellte sich bei einem Arzt vor. Dort wurde ein EKG abgeleitet, das jedoch unauffällig war. Bei progredienter Symptomatik und Beschwerden bereits bei geringster körper­licher Belastung konsultierte er dann den Fliegerarzt, der ihn sofort in die Notaufnahme eines Bundeswehrkrankenhauses (BwKrhs‘es) überwies. Im EKG zeigten sich dort Repolarisationsstörungen in V1 bis V3 in Form von ST-Senkungen und T- Negativierungen. Das Labor ergab eine Erhöhung des Troponin und der Creatinkinase (CK) mit signifikant erhöhtem CK-MB-Anteil.

Als kardiovaskuläre Risikofaktoren waren eine ausgeprägte Hypercholesterinämie und eine familiäre Belastung bekannt. Außerdem war der Soldat bis zum Infarktereignis Raucher. Vor dem Myokardinfarkt war der Patient bereits vom Fliegerarzt, dem die Nachuntersuchungen von Luftfahrzeugbesatzungsangehörigen (WFV III) obliegen, primärprophylaktisch mit Atorvastatin therapiert worden. Vor Einleitung dieser Therapie lag das Gesamtcholesterin bei 303 mg/dl, das LDL-Cholesterin bei 232 mg/dl. Außerdem wurden Stress-Echokardiographien alle 3 bis 5 Jahre empfohlen. Der Vater des Patienten hatte einen Myokardinfarkt erlitten.

Die Symptomatik im Zusammenhang mit der Befundkonstellation veranlasste die Kardiologen am BwKrhs zu einer sofortigen invasiven Koronarangiographie. Dabei zeigte sich (Abbildung 1) eine schwere koronare Zweigefäßerkrankung mit einem funktionellen Verschluss des Ramus interventricularis anterior (RIVA oder LAD (left anterior descending artery)) im mittleren Drittel sowie einer filiformen Stenose im mittleren Anteil der RCA (right coronary artery). Die Gefäße waren insgesamt deutlich sklerosiert. Es stellten sich Kollateralen von der RCA zum distalen Anteil des RIVA dar. Damit handelte es sich also um einen Nicht ST-Hebungsinfarkt (NSTEMI) der Vorderwand.

Abb.1: Koronarangiographie bei Diagnosestellung:
(A) Funktioneller Verschluss des RIVA im mittleren Anteil (weißer Pfeil): Das Gefäß ist in einer kranial angulierten Right Anterior Oblique (RAO)-Projektion dargestellt. Die linke Koronararterie ist insgesamt diffus sklerosiert.
(B) Filiforme Stenose der RCA im mittleren Anteil (weißer Pfeil); das Gefäß ist in einer RAO-Projektion dargestellt.
(C) Bei Darstellung der RCA (unterbrochener weißer Pfeil) wird über kontralaterale Kollateralen der distale Anteil des RIVA retrograd mit dargestellt (durchgezogener weißer Pfeil). Das Gefäß ist in einer Left Anterior Oblique (LAO)-Projektion dargestellt. Hier ist nur der distale Anteil der RCA zu sehen.
(Bilder: BwKrhs Ulm, Herzkatheterlabor)

Die untersuchenden Kardiologen versuchten sofort, den RIVA-Verschluss, der hier als Culprit Lesion anzusehen war, zu rekanalisieren. Der Beginn der Symptomatik lag aber bereits fünf Tage zurück, und das Gefäß war bereits so fest verschlossen, dass dies nicht mehr gelang. Deshalb wurde der Patient notfallmäßig in ein kardiochirurgisches Zentrum zu einer aortokoronaren Bypass-Operation verlegt.

Es wurde eine zweifache, totalarterielle Myokardrevaskularisation als Notfalleingriff in OPCAB-Technik (off pump coronary artery bypass) durchgeführt. Die Operation erfolgte also am schlagenden Herzen ohne Herz-Lungen-Maschine. Ein in-situ Bypass der linken Arteria thoracica interna (LIMA = left internal mammary artery) wurde auf den RIVA anastomosiert, während ein Bypass der rechten A. thoracica int. (RIMA = right internal mammary artery) als T-Graft auf den Ramus interventricularis posterior (RIVP) der RCA führte (Abbildung 2).

Abb. 2: Schematische Darstellung eines LIMA-RIMA-T-Grafts: Die Left internal mammary artery (LIMA) wird präpariert, der distale Anteil wird mit dem RIVA anastomosiert. Die Right internal mammary artery (RIMA) wird nach Präparation als freies Transplantat entnommen. Sie wird proximal T-förmig mit der LIMA, distal mit dem Ramus interventricularis posterior (RIVP) der RCA anastomosiert. Dadurch ist keine Anastomose mit der Aorta erforderlich. Die Technik des Einrgiffs (mit Video) ist im Internet unter <www.albertinen-herzzentrum.de/arterielle_bypassversorgung.php > dargestellt. (Bildquelle: Albertinen Herz- und Gefäßzentrum Hamburg, Grafik: Andreas Rieß)

Anschlussheilbehandlung und Sekundärprophylaxe

Etwa drei Wochen nach der Bypass-Operation begann eine 21-tägige Anschlussheilbehandlung mit kombinierter Bewegungstherapie, EKG-kontrolliertem Ergometertraining und psychologischer Einzelberatung zur Bewältigung der Krankheitssituation. Daneben erfolgten ausführliche Informationen über das Krankheitsbild, kardiovaskuläre Risikofaktoren und Möglichkeiten einer effektiven kardiovaskulären Sekundärprävention. Es wurden ein regelmäßiges körperliches Ausdauertraining für 30 bis 45 Minuten an mindestens 4 Tagen pro Woche, eine fettmodifizierte, an tierischen Fetten reduzierte und kalorienkontrollierte Mischkost sowie eine Kontrolle der Lipide mit einem LDL-Cholesterin dauerhaft unter 70 mg/dl empfohlen. Der Patient zeigte eine gute Compliance, eine gute psychophysische Regeneration und eine stetige Verbesserung der körperlichen Belastbarkeit. Es wurde eine medikamentöse Therapie mit 100 mg Acetylsalicylsäure täglich sowie Metoprolol und Valsartan in niedriger Dosierung eingeleitet. Die Lipidsenkung wurde mit 40 mg Atorvastatin in Kombination mit 10 mg Ezetimib täglich erreicht.

Flugmedizinische Beurteilung

Nach Bekanntwerden der Diagnose wurde der Soldat sofort als „nicht wehrfliegerverwendungsfähig III“ beurteilt. Sieben Monate nach der aortokoronaren Bypass-Operation wurde durch den Fliegerarzt eine „Teiluntersuchung Innere Medizin“ am ZentrLuRMedLw zur Prüfung der Möglichkeit zur Erteilung einer flugmedizinischen Sondergenehmigung beantragt. Dabei zeigte sich der Patient beschwerdefrei und gut belastbar. Die transthorakale Echokardiographie ergab eine unauffälligige linksventrikuläre Ejektionsfraktion von 64 % ohne regionale Wandbewegungsstörungen. Dass es in diesem Fall nicht zu einer relevanten Vorderwandnarbe gekommen war, ist sicherlich der kontralateralen Kollateralisierung des RIVA durch die RCA zu verdanken. Die maximale PWC (Physical Working Capacity) in der Ergometrie lag bei 2,1 W/kgKG, relevante Repolarisationsstörungen oder Arrhythmien waren nicht nachweisbar. Auch im Langzeit-EKG konnten relevante Arrhythmien ausgeschlossen werden.

Der Blutdruck war mit einem Mittelwert von 118/77 mmHg tagsüber und 101/67 mmHg eher niedrig, so dass ein Absetzen des Valsartan diskutiert wurde. Das LDL-Cholesterin lag im Zielbereich <70 mg/dl, der Glukosestoffwechsel war normal. Aufgrund der günstigen Untersuchungsergebnisse wurde die Sondergenehmigung schließlich durch den Fachabteilungsleiter II (Auswahl und Begutachtung) des ZentrLuRMedLw erteilt. Als Einschränkung für die ersten 12 Monate wurden Flughöhen über 10 000 ft und Gebirgsflug vorsichtshalber untersagt, um in der ersten Phase nach dem Myokardinfarkt und der Bypass-OP eine (milde) Hypoxie während des Fluges zu vermeiden. Die geflogenen Hubschraubertypen verfügen nicht über Druckkabinen.

Regelmäßige kardiologische Verlaufskontrollen mit Labor, Ergometrie, Echokardiographie, Langzeit-Blutzdruck und Langzeit-EKG, zunächst im Abstand von 6 Monaten, nach einem Jahr im Abstand von 12 Monaten, wurden zur Auflage gemacht. Die Tropendienstverwendungs­fähigkeit wurde zunächst nicht zuerkannt.

Inzwischen geht der Soldat seiner fliegerischen Tätigkeit als Bordtechniker wieder ohne Probleme nach.

Diskussion

Screening auf koronare Herzerkrankung und Primärprophylaxe in der Flugmedizin

Hinweise zum Screening von Piloten und Luftfahrzeugbesatzungsangehörigen auf KHK wurden in einer aktuellen Veröffentlich der NATO Aviation Cardiology Working Group (HFM RTG-251) gegeben [8]. Von dieser wird empfohlen, fliegendes Personal im Alter ab 40 Jahren regelmäßig mit Hilfe von Risiko-Scores zu screenen, von denen beispielsweise der Framingham Risk Score sowie Scores wie PROCAM (PROspective CArdiovascular Münster study), AGLA (ArbeitsGruppe Lipide und Atherosklerose), QRISK, RRS (Reynolds Risk Score) und SCORE (Systematic Coronary Risk Estimation) zur Verfügung stehen [8, 13]. Außerdem soll zumindest ein Ruhe-EKG durchgeführt werden.

Probanden mit vergleichsweise hohem Risiko sollen ­einem erweiterten Screening mittels Ergometrie, kardialer Computertomographie (Kalziumscoring, meistens in Kombination mit CT-Koronarangiographie) und vaskulärer Ultraschalldiagnostik zugeführt werden. Die Schwelle, ab der ein erweitertes Screening durchgeführt werden sollte, kann von der Genehmigungsbehörde festgelegt werden, ein Zehnjahresrisiko für ein kardiales Ereignis von etwa 10 % erscheint jedoch adäquat [8]. Empfehlungen zur lipidsenken Therapie in Abhängigkeit vom LDL-Cholesterin und dem kardiovaskulären Gesamt­risikoprofil können den aktuellen Leitlinien der European Society of Cardiology (ESC) und der European Atherosclerosis Society (EAS) entnommen werden [2]. Ab einem LDL-Cholesterin ≥190 mg/dl wird hier selbst ohne weitere kardiovaskuläre Risikofaktoren eine Lebensstilmodifikation und bei Unwirksamkeit eine medikamentöse lipidsenkende Therapie empfohlen.

Aortokoronare Bypass-Operation

Die aortokoronare Bypass-Operation wurde in Übereinstimmung mit den aktuellen Leitlinien zur Myokardrevaskularisation durchgeführt [15]. Es wurde eine komplette Revaskularisation beider betroffener Gefäße erreicht. Die totale arterielle Revaskularisation mit Verwendung beider Arteriae thoracicae internae (BIMA = bilateral internal mammary artery) verspricht nach bisherigen Studienergebnissen langfristig eine höhere Offenheitsrate im Vergleich zur Verwendung von Venen als Graft-Material [1, 17, 18]. Die ART (Arterial Revascularization Trial) Studie, die die einseitige mit der beidseitigen Verwendung der A. thoracica int. vergleichen soll, ist noch nicht abgeschlossen. Nach 5 Jahren gab es keinen signifikanten Unterschied zwischen beiden Verfahren im kombinierten Endpunkt aus Tod, Myokardinfarkt und Schlaganfall. Entscheidend werden jedoch die 10-Jahres-Daten sein, die noch nicht vorliegen.

Bis zum Vorliegen dieser Daten soll die beidseitige Verwendung der A. thoracica int. vor allem dann angestrebt werden, wenn es sich um jüngere Patienten handelt und das Risiko sternaler Wundinfektionen gering ist. Günstig auf die Haltbarkeit der Bypasses düfte sich auch in unserem Fall die Tatsache auswirken, dass der RIVA funktionell verschlossen und die RCA filiform stenosiert war. Eine Gefährdung der Bypasses durch einen Konkurrenzfluss durch die nativen Koronararterien kann also weitgehend ausgeschlossen werden [21].

Ein Vergleich der On-Pump- mit der Off-Pump-Technik (ohne Herz-Lungen-Maschine und ohne Abklemmen der Aorta) verlief in einer großen, internationalen randomisierten Studie indifferent [11, 12]. Die Ergebnisse anderer neuerer Studien waren widersprüchlich [7, 19, 20]. ­Sicherlich sind hier auch die Übung und Erfahrung des jeweiligen Chirurgen mit den unterschiedlichen Verfahren entscheidend.

Sekundärprophylaxe

Für die Sekundärprophylaxe nach akutem Koronarsyndrom oder Revaskularisation gelten die Vorgaben der aktuellen Leitlinien, die in der Flugmedizin streng umgesetzt werden sollten. Die Empfehlungen sind in einer aktuellen Publikation der NATO Aviation Cardiology Working Group HFM RTG-251 zusammengefasst [3]. Tabelle 1 zeigt eine Zusammenfassung aktueller Leitlinienempfehlungen mit dem anzunehmenden Ausmaß der Risikoreduktion.

Flugmedizinische Beurteilung und Sondergenehmigungsverfahren

Sowohl Luftfahrzeugführer als auch Luftfahrzeugbesatzungsangehörige werden bei Diagnosestellung jeder Form der KHK nach der Zentralvorschrift A1-831/0-4008 als „nicht wehrfliegerverwendungsfähig“ beurteilt [10]. Selbst für Luftfahrzeugführer ist aber unter bestimmten Voraussetzungen die Rückkehr in den fliegerischen Dienst möglich. Dies gilt auch nach Myokardinfarkten, perkutanen Koronarinterventionen oder aortokoronaren Bypass-Operationen. Voraussetzung ist die Erteilung einer flugmedizinischen Sondergenehmigung, die meistens mit Einschränkungen und Auflagen verbunden ist. Bei Luftfahrzeugführern wird in solchen Fällen als Einschränkung grundsätzlich eine Doppelsteuerauflage erteilt. Ein Fliegen von High Performance Aircraft, also Hochleistungs-Kampfjets, ist in der Regel nicht mehr möglich. Auflagen beinhalten zum Beispiel kardiologische Kontrolluntersuchungen in vorgegebenen Abständen, mindestens jährlich.

Die Anforderungen für zivile Piloten, die nach akutem Koronarsyndrom und / oder koronarer Revaskularisation für eine Rückkehr ins Cockpit erfüllt werden müssen, sind in der kürzlich erlassenen „Durchführungsverordnung (EU) 2019/27 der Kommission vom 19. Dezember 2018 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1178/2011 zur Festlegung technischer Vorschriften und von Verwaltungsverfahren in Bezug auf das fliegende Personal in der Zivilluftfahrt gemäß der Verordnung (EU) 2018/1139 des Europäischen Parlaments und des Rates“ festgelegt, die im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht ist [5]. Dazu wurden von der European Union Aviation Safety Agency (EASA) “Acceptable Means of Compliance” und “Guidance Material” publiziert [4]. Die hier niedergelegten Voraussetzungen sollen im militärischen Bereich nicht unterschritten werden.

Voraussetzungen für die Rückkehr in eine fliegerische Tätigkeit sind sowohl für zivile als auch für militärische Piloten:

Bei jedem Verdacht auf eine klinisch relevante Progredienz der KHK muss sofort eine eingehende Abklärung erfolgen. Für Luftfahrzeugbesatzungsangehörige kann je nach Funktion ein geringfügig geringerer Maßstab angelegt werden.

Flugmedizinische Aspekte für die Tätigkeit als Pilot nach kardiochirurgischen Eingriffen sind auch in einer Publikation von SYBURRA et al. aus dem Jahr 2017 zusammengefasst [21]. In dieser Publikation wird die Bedeutung einer Kooperation und eines Informationsaustausches zwischen den behandelnden Kardiologen und Kardiochirurgen und dem flugmedizinischen Sachverständigen (AME = Aeromedical Examiner) herausgestellt.

Schlussfolgerung

Die KHK ist eine der häufigsten Ursachen für eine Sudden Incapacitation bei fliegendem Personal und deshalb flugmedizinisch von hoher Relevanz. Die Diagnostik einer KHK bei asymptomatischen Probanden ist eine der großen Herausforderungen für jeden flugmedizinischen Sachverständigen. Bei bekannter KHK wird angestrebt, dem Betroffenen eine weitere Teilnahme am Flugdienst zumindest mit Einschränkungen zu ermöglichen, soweit dies nach sorgfältiger flugmedizinischer Risikostratifizierung vertretbar ist. Die dauerhafte Ablösung aus dem fliegerischen Dienst würde für den betroffenen Soldaten einen erheblichen Einschnitt in sein Berufsleben mit Auswirkungen auf sein soziales Umfeld bedeuten. Sie wäre aber auch mit einem in der jeweiligen Altersgruppe oft nicht regenerierbaren Verlust an fliegerischer Erfahrung für die Bundeswehr verbunden.

Der Fall zeigt, dass selbst nach einem Myokardinfarkt und einer aortokoronaren Bypass-OP eine zumindest eingeschränkte Rückkehr in den fliegerischen Dienst möglich ist. Dies setzt aber eine sorgfältige kardiologische Diagnostik, eine profunde Risikoabwägung im ­Rahmen des Sondergenehmigungsverfahrens und anschließend eine konsequente flugmedizinische und kardiologische Überwachung und Betreuung voraus, wie sie durch den fliegerärztlichen Dienst in der Bundeswehr gewährleistet wird.

Kernaussagen

Literatur

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  2. Catapano AL, Graham I, De Backer G, et al.: 2016 ESC/EAS Guidelines for the management of dyslipidaemias. Eur Heart J 2016; 37: 2999-3058. mehr lesen
  3. Davenport ED, Syburra T, Gray G, et al.: Management of established coronary artery disease in aircrew with previous myocardial infarction or revascularisation. Heart 2019; 105: s31-s37. mehr lesen
  4. European Union Aviation Safety Agency. Acceptable Means of Compliance and Guidance Material to Part-MED. Medical requirements for air crew. Issue 2. Cologne, Germany: EASA Headquarters, 2019. mehr lesen
  5. European Union: Commission Implementing Regulation (EU) 2019/27 of 19 December 2018 amending Regulation (EU) No 1178/2011 laying down technical requirements and administrative procedures related to civil aviation aircrew pursuant to Regulation (EU) 2018/1139 of the European Parliament and of the Council. Official Journal oft he European Union 10.01.2019. mehr lesen
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  10. Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr. Zentralvorschrift A1-831/0-4008. Wehrfliegerverwendungsfähigkeit und weitere Tauglichkeitsbegutachtungen von Luftfahrtpersonal. Gültig ab 29.06.2018.
  11. Lamy A, Devereaux PJ, Prabhakaran D, et al.; CORONARY Investigators: Off-pump or on-pump coronary-artery bypass grafting at 30 days. N Engl J Med 2012; 366: 1489–1497. mehr lesen
  12. Lamy A, Devereaux PJ, Prabhakaran D, et al., CORONARY Investigators: Effects of off-pump and on-pump coronary-artery bypass grafting at 1 year. N Engl J Med 2013; 368: 1179–1188. mehr lesen
  13. Lloyd-Jones D: Risk prediction in cardiovascular medicine. Circulation 2010; 121: 1768–1777. mehr lesen
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  20. Smart NA, Dieberg G, King N. Long-term outcomes of on- versus off-pump coronary artery bypass grafting. J Am Coll Cardiol 2018; 71: 983-991. mehr lesen
  21. Syburra T, Nicol E, Mitchell S, et al.: To fly as a pilot after cardiac surgery. Eur J Cardiothorac Surg 2017; 53(3): 505-511. mehr lesen

Manuskriptdaten

Eingereicht: 3.Juni 2019

Angenommen: 11. Juli 2019

 

Zitierweise

Güttler N: Kasuistik: Darf man nach einem Herzinfarkt und einer Bypass-Operation noch fliegen? WMM 2019; 63(12): 415-420.

 

Verfasser

Oberstarzt Dr. Norbert Güttler

Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe

Fachgruppe II 3 – Flugmedizinisches Begutachtungszentrum

Straße der Luftwaffe 322, 82256 Fürstenfeldbruck

E-Mail: norbertguettler@bundeswehr.org

 

Manuscript data

Submitted: 3 June 2019

Accepted: 11 July 2019

 

Citation

Güttler N: Case Report: Back to flying duties after cardiac infarction and operative revascularization? WMM 2019; 63(12): 415-420.

 

Authors

Colonel (MC) Dr. Norbert Güttler

Air Force Centre of Aerospace Medicine

Department II 3 – Aeromedical Assessment Centre

Strasse der Luftwaffe 322, 82256 Fürstenfeldbruck

E-Mail: norbertguettler@bundeswehr.org


1 In diesem Beitrag wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit z. T. auf eine geschlechtsbezogene Formulierung verzichtet. Gemeint sind je­doch stets beide Geschlechter.