Wehrmedizinische Monatsschrift

Sitzung des Arbeitskreises „Geschichte und Ethik
der Wehrmedizin“ am 11.Oktober 2019 in Leipzig

Volker Hartmanna

a Sanitätsakademie der Bundeswehr, München

 

Der Arbeitskreis (AK) „Geschichte und Ethik der Wehrmedizin“ thematisierte auf dem Jubiläumskongress der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie e. V. am 11. Oktober 2019 in Leipzig medizingeschichtliche Ereignisse aus verschiedenen Epochen. Er spannte dabei einen Bogen von der Beschreibung des lokalhistorisch bedeutenden sächsischen Schlosses und Krankenhauses Hubertusburg, über Leben und Œuvre des preußischen Sanitätsoffiziers und Röntgenologen Walther Stechow, hin zur Wirkungsgeschichte des berühmten Erlebnisberichtes „Die unsichtbare Flagge“ des Chirurgen und Feuilletonisten Peter Bamm. Zum Abschluss folgte eine Betrachtung des ersten JOINT-Einsatzes von Marine und Sanitätsdienst in Indonesien nach dem Tsunami von Weihnachten 2004.

Eröffnung und Rechenschaftsbericht

Zunächst gab der Vorsitzende des AK, Oberstarzt Prof . Dr. Ralf Vollmuth (Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw), Potsdam), einen Rechenschaftsbericht über die Aktivitäten des AK im vergangenen Jahr. Er erinnerte dabei an die erfolgreiche AK-Sitzung 2018 auf dem Würzburger Kongress, stellte noch einmal kurz die damaligen Vorträge vor und wies auf die erneut zahlreichen und wissenschaftlich ausgewiesenen Veröffentlichungen der AK-Mitglieder hin, die alle dazu beitrugen, das hohe Forschungsniveau auf dem Gebiet der Geschichte und Ethik der Wehrmedizin zu unterstreichen. Ferner erläuterte Prof. Vollmuth die Arbeit der durch den Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr eingerichteten Arbeitsgruppe zur Entwicklung eines Leitfadens Tradition und ging auf Zusammensetzung, Aufgaben und Ergebnisse des ebenfalls durch den Inspekteur neu implementierten Beratungsgremiums Wehrmedizinische Ethik ein. In beiden Gremien sind Mitglieder des AK an führender Stelle involviert.

Turnusgemäß fand auch die Wahl des AK-Vorsitzes statt; in ihren Ämtern als Vorsitzender und stellvertretender Vorsitzender wurden Oberstarzt Prof. Dr. Vollmuth und Flottenarzt Dr . Volker Hartmann (Sanitätsakademie der Bundeswehr, München) bestätigt.

Noch vor dem Vortragsblock berichtete Oberfeldarzt Dr. André Müllerschön (Sanitätsversorgungszentrum Neubiberg) über die Aktivitäten der Gesellschaft für Geschichte der Wehrmedizin e. V. (GGWM), thematisierte die Vorträge des letztjährigen, von der GGWM gemeinsam mit der Sanitätsakademie der Bundeswehr und dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv ausgerichteten Wehrmedizinhistorischen Symposiums und zeigte den Stand der Veröffentlichungen in der Referatebandreihe des Vereins auf. Abschließend ging Dr. Müllerschön auf die „Klinisch-­ethischen Falldiskussionen“ in den „Zahnärztlichen Mitteilungen“ ein, die ebenfalls durch Mitglieder des AK maßgeblich gestaltet werden.

Im Anschluss skizzierte Dr. Hartmann in seinem Bericht medizinhistorische Aktivitäten an der Sanitätsakademie der Bundeswehr, respektive der Militärhistorischen Lehrsammlung und gab einen Sachstand über die Arbeit am Leitfaden Tradition im Sanitätsdienst der Bundeswehr. Zur Sprache kam auch ein neuer Prüfauftrag an die Arbeitsgruppe Tradition zur möglichen Einführung eines „Ehrenmals des Sanitätsdienstes der Bundeswehr“.

Curt Emmrich/Peter Bamm (1897-1975)

Im ersten Vortrag stellte Flottenarzt Dr. Hartmann den Arzt und Schriftsteller Dr. Curt Emmrich/Peter Bamm (1897-1975) vor und widmete sich der Wirkungsgeschichte seines Hauptwerkes „Die unsichtbare Flagge“. Hintergrund der Betrachtung war ein Prüfauftrag des Inspekteurs des Sanitätsdienstes der Bundeswehr aus dem Frühjahr 2019 zur Traditionswürdigkeit von Peter Bamm, Namensgeber einer Kaserne in Munster, in der das Sanitätsunterstützungszentrum Munster stationiert ist. Der Prüfauftrag wurde im Rahmen eines Kolloquiums im Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr behandelt, an dem Prof. Dr. Vollmuth und Dr. Hartmann teilgenommen und vorgetragen hatten.

In seiner Präsentation ging Dr. Hartmann anhand von Zitaten und zeitgenössischen Fotografien den in der „Unsichtbaren Flagge“ geschilderten Kriegserlebnissen Bamms als Chirurg einer Sanitätskompanie in Russland der Jahre 1941-44 nach. Er zeigte dabei verschiedene Blickwinkel des Autors auf, erläuterte dessen Verhältnis zur örtlichen Bevölkerung, zu russischen Soldaten und Kriegsgefangenen, aber auch zu im Geiste verbundenen Kameraden, zu zweifelhaften Vorgesetzten und der im Laufe des Krieges immer stärker ideologisch agierenden Truppe. Zusätzlich wurden typische Dilemma-Situationen, wie das Vorgehen bei Selbstverstümmelung von Patienten oder Fahnenflüchtigen aufgeführt. Dazu gehörten ebenso die Herausforderungen der Kriegschirurgie im Vormarsch, im Rückzug, im Sommer wie im Winter und die Strapazen, die das Sanitätspersonal dabei zu durchstehen hatte.

Im Mittelpunkt der Ausführungen stand jedoch Bamms Einstellung zum verbrecherischen NS-System und dessen Protagonisten, zum Mord an den Juden, den er an der Front selbst erlebte, und die Folgerungen, die er daraus zog. Als Fazit zitierte Dr. Hartmann die Ergebnisse des o.a. Kolloquiums:

„Es gibt keinen Hinweis auf eine persönliche Schuld oder Verstrickung Peter Bamms in die Verbrechen des NS-Regimes im Osten. Vielmehr wahrt der Autor des bereits 1952 erschienenen Buches stets eine kritische Distanz zum Regime und zum Krieg. Das Werk zeigt auf, dass es auch in totalitären Systemen möglich ist, die Werte der Humanitas in schwierigsten inneren und äußeren Situationen zu leben und sich seine Aufrichtigkeit zu bewahren. Es ist daher auch heute noch eine gute Grundlage für das Selbstverständnis des Sanitätsdienstes der Bundeswehr („Der Menschlichkeit verpflichtet“). Somit erfüllt Peter Bamm/Curt Emmrich neben der Grundvoraussetzung, keine persönliche Schuld auf sich geladen zu haben, die im Traditionserlass formulierten Anforderungen, durch sein Werk und seine Gesamtpersönlichkeit sinnstiftend in die Gegenwart zu wirken.“

Die Hubertusburg bei Wermsdorf

In seinem Vortrag mit dem Titel „Die Hubertusburg bei Wermsdorf – das Jagdschloss, die Lazarette, die Krankenanstalten“ führte Oberstleutnant a. D. Dr. Franz Lemmens (Leipzig) die Zuhörer durch 300 Jahre Geschichte eines der bedeutendsten Schlösser Sachsens. Die 1752 ursprünglich als Jagdschloss des sächsischen Kurfürsten und polnischen Königs August III. fertiggestellte Residenz war Ort rauschender Feste wie der berühmten Jahrhunderthochzeit des Kurprinzen, wurde aber schon Ende des Siebenjährigen Krieges durch preußische Truppen geplündert und kurze Zeit später Ort der Friedensverhandlungen zwischen Sachsen und Preußen, die mit dem gleichnamigen „Hubertusburger Frieden“ 1763 endeten.

In der Zeit der Befreiungskriege gegen Napoleon fungierten Teile des Schlosses als sächsisches Lazarett; der Strom der Verwundeten und infektiös Kranken erhöhte sich noch einmal nach der Völkerschlacht bei Leipzig. Tausende Verstorbene wurden in Massengräbern in dem umliegenden Wermsdorfer Forst „verscharrt“. Mitte des 19. Jahrhunderts etablierte sich in den Krankenanlagen ein „Versorgungshaus für Geisteskranke“, das sich später zu entsprechenden Heil- und Pflegeanstalten weiterentwickelte und im Rahmen der verbrecherischen sogenannten T4-Aktionen in der Zeit des „Dritten Reiches“ traurige Berühmtheit erlangte. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges als Militärlazarett genutzt, besetzte später die Rote Armee das Gelände. Heute befindet sich dort ein modernes Fachkrankenhaus für Psychiatrie. Das Kern-Schlossgebäude wird – hervorragend restauriert – museal genutzt.

Walther Stechow (1852-1927)

Abb. 1: Porträt von Dr. Walther Stechow aus der Sammlung des Deutschen Museums, München (Heliogravüre nach fotografischer Vorlage)

Oberfeldarzt Dr. Müllerschön, zeichnete in seiner Präsentation „Walther Stechow (1852-1927) und die Einführung des Röntgens in die deutsche Militärmedizin“ Leben und Wirken eines bedeutenden, aber heute doch recht unbekannten Sanitätsoffiziers aus der ­Kaiserzeit auf. Große Teile seines Nachlasses befinden sich in der Militärgeschichtlichen Lehrsammlung der Sanitätsakademie und sind bislang noch nicht erschlossen.

Als Zögling des medizinisch-chirurgischen Friedrich-­Wilhelms-Instituts, der alten Berliner Pépinière, identifizierte sich Stechow schon früh mit der künftigen Tätigkeit als Militärarzt und wurde während des Studiums kurzfristig als Infanterist im Deutsch-Französischen Krieg bei Metz verwendet. Nach Approbation und Promotion folgten Verwendungen als Truppenarzt bei verschiedenen Einheiten der preußischen Armee, unter anderem fungierte er auch als Arzt bei dem berühmten Kavallerie-­Regiment „Garde du Corps“ in Potsdam. In diesem Zeitraum begann auch seine wissenschaftliche Tätigkeit.

Ab 1890 diente er in der Medizinalabteilung des Königlich-Preußischen Kriegsministeriums und beschäftigte sich hier bereits Anfang 1896 mit den wenigen Wochen vorher von Wilhelm Conrad Röntgen (1842-1923) entdeckten und später nach ihm benannten X-Strahlen. Die militärmedizinische Bedeutung der neuen Entdeckung war sofort erkannt worden, so dass die Medizinalabteilung unter maßgeblicher Beteiligung Stechows rasch entsprechende Durchleuchtungsversuche durchführte und in der Folge mit die ersten sogenannten Röntgenkabinette in Deutschland, nämlich im Berliner Garnisonlazarett Nr. 1 und in der Pépinière, einrichtete.

Auch in den Folgejahren widmete sich Stechow der systematischen Erprobung, der wissenschaftlichen Weiterentwicklung und Praktikabilität von Röntgen-Untersuchungen und verfasste 1903 sein Hauptwerk „Das Röntgen-Verfahren mit besonderer Berücksichtigung der militärischen Verhältnisse“. Zahlreiche wissenschaftliche Reisen, Auszeichnungen und auch Beförderungen bis hin zum Obergeneralarzt als Divisionsarzt der 2. Gardedivision in Berlin, einer Spitzen-Verwendung im Ersten Weltkrieg und abschließend als Kommandeur der Pépinière krönten seine Laufbahn.

Abb. 2: Rettungszentrum in Banda Aceh Anfang 2005 – landgestützter Anteil des gemeinsamen Einsatzes von Sanitätsdienst und Marine im Katastrophengebiet in Indonesien

Banda Aceh und die Bundeswehr

„Banda Aceh und die Bundeswehr! Erfahrungen hinsichtlich Koordination und Kooperation im humanitären Hilfseinsatz“ lautete das abschließende Vortragsthema von Oberstabsapotheker Dr. Frederik Vongehr (Sanitätsakademie der Bundeswehr, München). Der bereits bei der Historisch-Taktischen Tagung der Flotte (HiTaTa) 2018 gehaltene Vortrag beschäftigte sich mit den Ereignissen und Hintergründen des ersten JOINT-Einsatzes von Zentralem Sanitätsdienst der Bundeswehr und Marine anlässlich der Humanitären Hilfe nach dem Tsunami im Frühjahr 2005.

Dr. Vongehr verdeutlichte dabei, dass die damaligen Protagonisten von Sanitätsdienst und Marine in einem Einsatz ohne Blaupause unter den Augen einer interessierten Öffentlichkeit und mit einem hohen Erwartungsdruck ein komplexes Szenario zu bewältigen hatten. Es galt nicht nur eine Vielzahl von äußeren Herausforderungen, wie logistische oder fernmeldetechnische Probleme zu lösen, sondern auch eine Basis im stringenten und synergistischen Miteinander in einem inhomogenen Kontingent zu schaffen, was nach einigen Anlaufschwierigkeiten auch leidlich gelungen ist. Zur Sprache kamen zum einen die schwierigen äußeren Umstände für das Sanitätspersonal des Landkontingentes in Banda Aceh und der herausfordernde Auftrag, das großteils verwüstete General Hospital aufzubauen und wieder in Betrieb zu nehmen. Der Schwerpunkt des Vortrags lag jedoch auf der Diskussion der Polarisierungen, die zwischen den beiden Kontingentanteilen herrschten– dem Rettungszentrum an Land und dem Einsatzgruppenversorger „Berlin“ – und die lange Zeit eine synergistische Zusammenarbeit behinderte. Als Ursachen hierfür arbeitete Dr. Vongehr die nicht stringente und komplexe Führungsstruktur des Kontingentes, die eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten, unterschiedliche Erwartungshaltungen, Stressfaktoren und letztlich auch gewisse persönliche Animositäten heraus. In diesem Zusammenhang ist auch eine leider nicht vorgenommene gemeinsame Einsatzauswertung (Hot wash up) nach Rückkehr zu sehen. Trotz allem gelang es dem deutschen Kontingent, nach außen einen wirksamen sichtbaren und nachhaltigen Beitrag im Rahmen der humanitären Hilfe für Indonesien zu schaffen.

Fazit

Einsätze des Sanitätsdienstes der Bundeswehr, wie die Katstrophenhilfe in Banda Aceh, gehören mittlerweile schon zur Geschichte der Wehrmedizin. Sie in zeitlichem Abstand mit Methoden der Geschichtsforschung zu untersuchen, liefert wertvolle Hinweise für die Führung zukünftiger Einsätze. Der letzte Beitrag der Sitzung der AK „Geschichte und Ethik der Wehrmedizin“ auf dem Jahreskongress 2019 der DGWMP e. V. zum Einsatz in Banda Aceh 2005 zeigt dieses deutlich und unterstreicht den Wert wehrmedizinischer Geschichtsforschung.

Flottenarzt Dr. Volker Hartmann
Sanitätsakademie der Bundeswehr
Stellvertretender Vorsitzender des Arbeitskreises
„Geschichte und Ethik der Wehrmedizin“ in der DGWMP e. V.
E-Mail: volkerhartmann@bundeswehr.org