Wehrmedizinische Monatsschrift

Reinhold Busch

STALINGRAD – DIE STILLEN HELDEN

Das Schicksal der Sanitätseinheiten

im Kessel

ARES-Verlag Graz

432 Seiten, 15 x 23 cm, Hardcover,

über 250 S/W-Abbildungen

ISBN 978-3-99081-013-2, 29,90 €

Auch mehr als 75 Jahre nach dem Gang der Ereignisse lässt der bloße Name der Stadt erschauern. Jedenfalls in Deutschland. Er steht bei uns für die größte Katastrophe der deutschen Militärgeschichte, für hunderttausendfaches Elend, für unbeschreibliches Leid des einzelnen Soldaten und letztlich auch für eine verbrecherische Führung: Stalingrad – das Grab der 6. Armee in den Eiswüsten der östlichen Steppe.

Wie stand es um die medizinische Versorgung, wie war der Sanitätsdienst vor Ort organisiert, welche Sanitätseinheiten agierten an der Front und vor allem: Wie erlebten die Ärzte die sich ständig verschlechternde Lage bis hin zum Untergang? Um diese Fragen geht es in dem neuen Buch von Dr. Reinhold Busch. Der Autor gilt als der beste Kenner des Sanitätsdienstes in Stalingrad und hat in jahrzehntelanger mühevoller Quellenarbeit bereits zahlreiche Veröffentlichungen zum Thema getätigt. Er zeigt uns, dass es auch im Inferno eine medizinische Versorgung gegeben hat, dass Ärzte und Sanitäter auch in aussichtsloser Lage versucht haben Verwundete und Kranke zu behandeln. Er lässt Helfer und Zeitzeugen sprechen durch offizielle und private Tagebucheintragungen. Er gibt Auszüge aus ihren Briefen sowie aus nach dem Krieg gemachte Aufzeichnungen wieder und setzt diese Oral History, ergänzt durch zahlreiche Fotografien, in einen zeitlichen und inhaltlichen Zusammenhang. Das Leid einer ganzen Armee bekommt somit ein individuelles Gesicht.

Chronolgisch wiedergegeben wird der Sanitätsdienst beim Angriff und Vormarsch auf die Stadt, die medizinische Situation im Moment der Einkesselung, der Versuch im Kessel die Verwundetenversorgung und die Rettungskette zu organisieren, und schließlich der Zusammenbruch jeder geregelten Behandlung nach dem Großangriff der sowjetischen Truppen und der Zerschlagung des letzten Widerstands in den Trümmern Stalingrads – immer dargestellt aus den durchaus unterschiedlichen Blickwinkeln der ärztlichen Zeitzeugen. Man steht als Sanitätsoffizier der Bundeswehr erschüttert vor diesen Berichten, die überhaupt nur denkbaren Szenarien des Albtraums – fachlich würde man heute „militärmedizinethische Dilemmata“ sagen – schildern: Insuffiziente Behandlung Tausender, Operieren ohne Sterilität, Hoffnungslosigkeit, Sterbehilfe, Angst, Feigheit, Kannibalismus, Hungertod, Ermordungen von Verwundeten und Sanitätspersonal und schließlich das Dahinvegetieren einer Vielzahl von Verwundeten in den Kellern ohne Wärme, Licht und Trost – aber genauso: Altruismus, höchste Tapferkeit bis zur Aufopferung für die Verwundeten.

Am Ende lässt mich die Frage nicht los nach der Schuld, nach den Verbrechen und nach der Verantwortung für diesen Untergang. Davon ist in dem Buch nicht explizit die Rede. Trotzdem schweben aber diese Begriffe ungesagt über allem. Hitlers Vernichtungskrieg im Osten hat auch die eigenen Soldaten verschlungen und mit ihnen die Ärzte und ihr Assistenzpersonal.

Gelesen werden sollte dieses Buch von allen, die Krieg für führbar halten und die ihn vorbereiten und die unfassbares menschliches Leid hinter Begriffen wie Casualty Rates oder Kollateralschäden verschleiern. Gelesen werden sollte es aber auch von einer jungen Generation, für die der Name dieser Stadt so weit entfernt ist wie der Dreißigjährige Krieg. Denn das geschilderte Elend und die Not kommen auch heute noch tausendfach vor, nur wenige Hundert Kilometer von hier entfernt – und es interessiert viele nicht.

Flottenarzt Dr. Volker Hartmann

Sanitätsakademie der Bundeswehr, München

E-Mail: volkerhartmann@bundeswehr.org