Wehrmedizinische Monatsschrift

MEDIZINISCHE DOKUMENTATION

Prozessanalyse der zentralen Akten-
und Befundorganisation im Bundeswehrkrankenhaus Ulm

Lydia Günther a, Horst-Peter Becker c, Klaus Hartmann b, Jörg Klewer a

a Fakultät Gesundheits- und Pflegewissenschaften, Westsächsische Hochschule Zwickau

b Bundeswehrkrankenhaus Ulm

c Bundeswehrkrankenhaus Berlin

 

Zusammenfassung

Einleitung/Zielstellung: Die SOLL-Organisation aus dem Jahr 2017 sieht in der Personalstruktur des Bundeswehrkrankenhauses Ulm keinen Geschäftszimmerbetrieb zum Patientenaktenmanagement vor. Um diese Anforderungen umzusetzen, wurden die Prozesse des Patientenaktenmanagements und der entsprechende Personalbedarf analysiert.

Methodik: Die Datenerhebung erfolgte als Triangulation von Dokumentenanalyse, leitfadengestützten Interviews und teilnehmender Beobachtung der bisherigen Abläufe in der Patientenaktenverwaltung. Die Stichprobe umfasste neun Soldatinnen und Soldaten der Aktenbearbeitung, wovon acht in die Auswertung einflossen. Die Auswertung erfolgte deskriptiv.

Ergebnisse: Schwerpunkt der derzeitigen täglichen Tätigkeiten waren Verwaltung und Bearbeitung der Patientenakten (im Mittel 143 min), Vervielfältigung, Scannen, Faxen, Versand ärztlicher Unterlagen (im Mittel 35 min) sowie für Hol- und Bringedienste (im Mittel 26 min). Als häufigste Tätigkeiten wurden in den Interviews das Einsortieren der Befunde sowie das Abheften der Akten genannt, als zeitintensivste Tätigkeiten Kontrollieren und Abheften der Befunde, Verschicken von Entlassbriefen, Suchen von Akten sowie Abheften der Patientenakten. Hochgerechnet auf die ermittelten Tätigkeiten ergibt sich ein zukünftiger Personalbedarf zwischen 6,2 und 8,3 Vollzeitkräften.

Diskussion/Ausblick/Fazit: Perspektivisch sollten die Patientenakten bis zur Entlassung in den Pflegebereichen verbleiben. Ferner sollten Befunde, OP-Berichte und weitere Dokumente digitalisiert werden, so dass diese ohne weitere Suche bzw. manuelle Bearbeitung zur Patientenakte zusammengefasst werden können. Entsprechende Umstrukturierungen müssten dann nach der Einführung evaluiert werden.

Langfristig sollte eine vollständige digitale Führung der Patientenakte angestrebt werden.

Schlüsselworte: Patientenakten, Patientenaktenmanagement, Umstrukturierung, Bundeswehrkrankenhaus

Keywords: medical records, management of medical records, restructuring, military hospital

Theoretischer Hintergrund

Die rechtlichen Grundlagen der analogen Patientenakte finden sich im § 630f Abs. 1 S. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) [2] und im § 10 der Musterberufsordnung für Ärzte (MBO-Ä) [7]. Beide Rechtsvorschriften verankern die Dokumentationspflicht für medizinische Behandlungen. Dies dient nicht nur dem behandelnden Arzt als Gedächtnisstütze, sondern gewährt dem Patienten auch seine ihm zustehenden Rechte, wie das Recht auf Einsichtnahme in die Patientenakte und die Dokumentation der Behandlung.

Der Begriff „zentrale Akten- und Befundorganisation“ ist kein klar definierbarer Begriff. Vielmehr wurde dieser erstmals durch das Bundeswehrkrankenhaus (BwKrhs) Hamburg geprägt, welches eine diesbezügliche Umstrukturierung bereits 2018 durchführte. Auf Grund der Neuheit und Einmaligkeit der Thematik fanden sich keine Quellen respektive Studien zur Begriffsdefinition. Von der Einrichtung wurde die zentrale Akten- und Befundorganisation (ZABO) jedoch als ein dem Controlling angegliedertes Element verstanden, welches sich, mit nicht-wechselndem Personal, permanent allen Tätigkeiten der Patientenaktenverwaltung hingibt. Dies beinhaltet unter anderem das Abheften, Archivieren, Verschicken, Vervielfältigen und Digitalisieren von Patientenakten, Befunden und Arztbriefen.

Der Umfang dieser Tätigkeiten ist erheblich. Eine Studie der Hochschule Mannheim zeigt, in welchem Umfang analoge Dokumentation in Krankenhäusern bewältigt werden muss. So wurde die Zahl der Einzelbelege auf 50 Stück/Behandlungsfall beziffert. Je Bett ergäben sich somit 1 m laufende Dokumentation im Jahr und damit verbundene erhebliche Archivierungskosten [8].

Zielstellung

Im BwKrhs Ulm werden jährlich ca. 112 000 Behandlungen durchgeführt [1], 20 000 Fälle davon werden stationär behandelt. Die Dokumentation der Behandlung erfolgt sowohl digital im Krankenhausinformationssystem (KIS) als auch in Form einer analogen Patientenakte. Die SOLL-Organisation des BwKrhs Ulm aus dem Jahre 2017 sieht bei der Personalausstattung keinen Geschäftszimmerbetrieb zum Aktenmanagement vor [5].

Um der personellen Neuausrichtung gerecht zu werden und weil eine komplette Digitalisierung der Aktenverwaltung derzeit nicht möglich ist, wurde die Verwaltung der Patientenakten im BwKrhs Ulm von der Einrichtung selbst überdacht und die Einführung einer zentralen ­Akten- und Befundorganisation (ZABO) angestrebt. Das derzeitige Aktenmanagement sollte analysiert werden, um daraus resultierend dessen zukünftige Gestaltung abzuleiten, insbesondere hinsichtlich der erforderlichen Personal­stärke.

Methodik

Im Erhebungszeitraum verfügte das BwKrhs Ulm über 496 Betten für militärische und zivile Patienten [1]. Auf insgesamt sechs Ebenen gab es jeweils ein Abteilungsgeschäftszimmer, welches unter anderem für die Aktenorganisation zuständig war. Jede Ebene umfasste zum Teil mehr als eine Krankenhausstation. Die Abteilungsgeschäftszimmer wurden von jeweils zwei bis vier Soldaten besetzt, die Gesamtzahl auf allen Ebenen betrug 20 Soldaten. In der zukünftigen Struktur sollte die strikte Trennung nach Ebenen und somit Fachbereichen entfallen. Es sollte eine Trennung in die Aufgaben der Zentrumsfeldwebel („grüne“ Ebene) und die Aufgaben der ZABO („weiße“ Ebene) erfolgen.

Die Datenerhebung wurde im Quartal I/2019 durchgeführt. Dazu wurden qualitative Erhebungsmethoden angewandt. Zur Erfassung des Sachverhaltes wurden die Daten in Form einer Triangulation [6] gewonnen:

Die Dokumentenanalyse wurde als empirische Inhaltsanalyse durchgeführt. Im Vorfeld der Datenerhebung hatte die Einrichtung Dokumente bezüglich der zukünftigen Aufgaben der Zentrumsfeldwebel und der ZABO erarbeitet. Diese wurden in Form einer empirischen Inhaltsanalyse untersucht. Die Ergebnisse der Analyse gingen in die Erstellung des Erhebungsinstrumentes für die teilnehmende Beobachtung ein.

Die teilnehmende Beobachtung erfolgte an jeweils drei Tagen auf drei von der Einrichtung vorgegebenen Ebenen (Tabelle 1). Das Einschlusskriterium zur Untersuchung war der Grad der Komplexität der Aktenverwaltung. Ebene 6 mit der Inneren Station bildete den höchsten Grad an Komplexität ab. Ebene 4 war bezüglich der Komplexität der Akten weniger anspruchsvoll als Ebene 6, jedoch mit vier unterschiedlichen Stationen besetzt. Ebene 7 sollte stellvertretend für ein gewöhnliches Maß an Komplexität betrachtet werden. Bei einer Gesamtzahl von 20 Soldatinnen und Soldaten, welche im Beobachtungszeitraum über allen Ebenen verteilt mit der Aktenbearbeitung betraut waren, bildeten die analysierten Tätigkeiten von acht Soldatinnen und Soldaten eine relative Häufigkeit von 40 %.

Tab. 1: Beobachtungseinteilung

Die Datenauswertung erfolgte in drei voneinander unabhängigen Verfahren [3]:

  1. rein statistische, deskriptive Auswertung der Daten,
  2. Berechnung der Erwartungswerte (bei dieser wurde eine Irrtumswahrscheinlichkeit von α = 0,05 angenommen) und
  3. Hochrechnung der Arbeitsleistung auf das komplette Krankenhaus.

Das Kernstück der Auswertung bildete die Hochrechnung der Arbeitsleistung auf das komplette Krankenhaus und daraus resultierend die Ableitung der zukünftig erforderlichen Personalstärke im ZABO (Tabelle 2). Dabei bildete die Datenerhebung die Grundlage der Berechnung. Nach dieser wurde die Arbeitsleistung der einzelnen Soldatinnen und Soldaten auf die Anzahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (MA), welche am Erhebungstag real in dem gleichen Aufgabenbereich wie die beobachtete Person tätig waren, verrechnet. Diesem Schritt lag die Annahme zugrunde, dass beim selben Arbeitsaufwand eine Arbeitskraft x Stunden benötigt, sich die Stundenanzahl bei der doppelten Mitarbeiteranzahl jedoch halbiert. Im dritten Schritt wurde das Arithmetische Mittel der Ebene berechnet. Daraus resultierend ließ sich das Arithmetische Mittel aller betrachteten Ebenen bilden und folgend auf alle anderen hochrechnen. Im sechsten Schritt wurden zukünftig irrelevante Tätigkeiten gestrichen. Die Schritte fünf und sechs wurden zunächst tage- und durch Multiplikation mit dem Faktor 5 auch wochenweise dargestellt. Im siebten Schritt wurde die vorher erhaltene Minutenanzahl je Woche durch 2 460 Minuten geteilt. Die 2 460 Minuten ergeben sich aus einer 41 h-Dienstwoche. Da Soldaten neben dem täglichen Dienstgeschäft auch militärische Aufträge, wie Sport, Erhalt der individuellen Grundfertigkeiten, Sonderdienste, Lehrgänge, Einsatzgestellungen und ähnliches zu leisten haben, können sie sich im Mittel nur zu 75 % mit ihren Tätigkeiten dem Tagesdienstgeschäft widmen.

Tab. 2: Berechnung der notwendigen Personalstärke

Da von der Einrichtung bereits das zentrale Problem der personellen Neuausrichtung und der damit einhergehenden notwendigen Umstrukturierung des Aktenmanagementes geschildert wurde, wurden die Interviews problem­zentriert gestaltet. Das Sampling war ähnlich dem der teilnehmenden Beobachtung. Sechs der neun Beobachteten, welche begleitet wurden, wurden in einer Beobachtungspause interviewt. Dabei war die Stichprobe zwischen Mannschaftssoldaten und Unteroffizieren ohne/mit Portepee ausgeglichen. Ziel der Interviews war es, nochmals zeitintensive und häufige Tätigkeiten aus Sicht der Beobachteten zu identifizieren. Die Stichprobe ergab sich aus den an den Beobachtungstagen anwesenden Soldatinnen und Soldaten und der Bereitschaft der Teilnahme an einem Interview.

Ergebnisse

Bisherige Abläufe der Patientenaktenverwaltung

Nach der stationären Aufnahme des Patienten begann der organisatorische Ablauf in den Pflegestützpunkten der einzelnen Stationen mit dem KARDEX (ungeheftete Patientenmappe oder auch Befundtasche) (Abbildung 1). Nach Entlassung (oder Ableben) des Patienten wurde das KARDEX an die Abteilungsgeschäftszimmer weitergeleitet, welche es mit dem Aktendeckel zur Patientenakte zusammenfügten. Der Aktendeckel wurde vorher von der stationären Patientenaufnahme erstellt und an das Abteilungsgeschäftszimmer geleitet. Die Patientenakte wurde nun zur Kodierung an das Zentrale Kodierelement weitergereicht. Von da aus wurde sie wieder zurück an die Abteilungsgeschäftszimmer übergeben, um anschließend im Arztzimmer den endgültigen Arztbrief zu erhalten. Über das Abteilungsgeschäftszimmer wurden die Patientenakten in das Ebenenarchiv verbracht. Dort verblieben sie maximal zwei Jahre bis zur endgültigen Absteuerung in das Zentralarchiv.

Abb. 1: Bei der Erhebung registrierter Weg der Patientenakte bei Entlassung oder Tod eines Patienten

Teilnehmende Beobachtung

Es zeigte sich, dass Soldatinnen und Soldaten der Aktenbearbeitung an einem Tag die meiste Arbeitszeit in

  1. Bundeswehrkrankenhaus Ulm (o.J.): Bundeswehrkrankenhaus Ulm- Akademisches Krankenhaus der Universität Ulm, Kommando Strategische Aufklärung – Dezernat Medienproduktion MilNw, Gelsdorf (ohne Jahrgang).
  2. Bürgerliches Gesetzbuch – Dienstvertrag und ähnliche Verträge – Behandlungsvertrag – (eingefügt durch das Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten vom 20.02.2013, in Kraft getreten am 26.02.2013).
  3. Döring, Nicola/ Bortz, Jürgen: Forschungsmethoden und Evaluation, 5. Auflage. Berlin und Heidelberg: Springer 2016.
  4. Forschung und Wissen: Der Barcode erobert die Welt der Produkte. ; letzter Aufruf: 8. Oktober 2019. mehr lesen
  5. Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr UA VIII: Organisationsanweisung (Fall- ID: 215319) 00000013/2017 (ZSanDBw) für die Aufstellung Bundeswehrkrankenhaus Ulm vom 3.April 2017.
  6. Kromrey H, Roose J, Strübing J: Empirische Sozialforschung, 13. Auflage, Konstanz und München: UTB 2016.
  7. Muster-Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte – MBO-Ä 1997 in der Fassung vom 14.12.2018. mehr lesen
  8. Schmücker, Paul (2012): Dokumentenaufkommen und eArchivierung in Krankenhäusern- Entwicklung und Stand heute. Hochschule Mannheim 2012; ; aufgerufen am 8.Oktober 2019. mehr lesen
  9. Stockmann, Reinhard/Meyer, Wolfgang (2014): Evaluation – Eine Einführung, 2. Auflage. Opladen/Toronto: Verlag Barbara Budrich 2014.
 

Manuskriptdaten

Zitierweise

Günther L, Becker HP, Hartmann K, Klewer J: Prozessanalyse der zentralen Akten- und Befundorganisation im Bundeswehrkrankenhaus Ulm. WMM 2020; 64(2): 80-84.

Für die Verfasser

Hauptfeldwebel d. R. Lydia Günther

Westsächsische Hochschule –

Fakultät Gesundheits- und Pflegewissenschaften

Scheffelstraße 39, 08068 Zwickau

E-Mail: lydia.guenther.hnd@fh-zwickau.de


1 Fallklassifikation „Akte?“: Digitaler Fußabdruck der Akte im Krankenhausinformationssystem (KIS), wodurch zu jeder Zeit der aktuelle analoge Standort der Akte durch das KIS nachvollzogen werden kann.