Wehrmedizinische Monatsschrift

TOXISCHE ALTLASTEN

Rüstungsaltlasten im Dethlinger Teich – Ausbildungsunterstützung durch das Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Bundeswehr

Niko Amend a, Franz Worek a, Horst Thiermann a, Dirk Steinritz a, Stefan Sterr a, Timo Wille a

a Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Bundeswehr, München

 

Zusammenfassung

Eine geplante Sanierung von Rüstungsaltlasten in der Nähe des niedersächsischen Munster, am sogenannten Dethlinger Teich, stellt zivile Rettungskräfte vor große Herausforderungen im medizinischen C-Schutz. Als Kompetenzzentrum der Bundeswehr für den medizinischen C-Schutz leistete das Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Bundeswehr im Rahmen der zivil-militärischen Zusammenarbeit umfangreiche Ausbildungsunterstützung.

Konzeption, Planung, theoretische Schulungen und praktische Ausbildungen an diagnostischen Geräten konnten Handlungssicherheit bei den Teilnehmenden aus verschiedensten zivilen Bereichen gewährleisten. Neben den Vertretern des für die Sanierung zuständigen Landkreises Heidekreis wurden vor allem Rettungsdienstpersonal, Notärzte, aber auch Ober- und Chefärzte im medizinischen C-Schutz aus- und weitergebildet.

Der Beitrag soll die getroffenen Maßnahmen und dabei gemachten Erfahrungen vorstellen.

Schlüsselwörter: Dethlinger Teich, Rüstungsaltlasten, Ausbildungsunterstützung, zivil-militärische Zusammenarbeit, Autoinjektor

Keywords: Dethlinger Teich, armament contaminated sites, training support, civil-military cooperation, autoinjector

Hintergrund

Der Dethlinger Teich (Abbildungen 1 und 2) liegt in der Nähe der niedersächsischen Stadt Munster und wurde ab dem Jahre 1923 zum Abbau von Kieselgur genutzt. Ab Mitte der 1920er Jahre wurde diese Nutzung eingestellt und die Grube füllte sich mit Regen- und Grundwasser.

Abb. 1: Historisches Foto des ehemaligen Kieselgurabbaus aus dem Jahr 1926

Abb. 2: Ein aktuelles Foto des Dethlinger Teichs zeigt in der Bildmitte die Industriehalle, in der die Teichöffnung durchgeführt wird.

Während des Zweiten Weltkrieges wurde die sogenannte Luftwaffenhauptmunitionsanstalt 4/XI Oerrel (umgangssprachlich „Muna“) in unmittelbarer Nähe errichtet. Hier wurden chemische Kampfstoffe hergestellt, gelagert und in Munition abgefüllt. Abwässer der „Muna“ wurden im Dethlinger Teich verklappt. Nach dem Krieg wurden zusätzlich Kampfstoffbestände und mit chemischen Kampfstoffen befüllte Munition ebenfalls an diesem Ort entsorgt.

Erst in den 1950er Jahren erfolgte die Verfüllung des Geländes mit Bauschutt zum Schutze der Anwohner [3][4]. Dokumentierte Informationen zu Art und Umfang der deponierten Munitionsbestände sind allenfalls lückenhaft vorhanden. Nach Angaben einiger Zeitzeugen muss davon ausgegangen werden, dass der Lungenkampfstoff Phosgen und der Hautkampfstoff Schwefellost in einer Größenordnung von mehreren 100 l (Fässern/Bomben) entsorgt worden sind. Außerdem sollen Kampfstoffgranaten mit unbekanntem Inhalt versenkt worden sein. Hier könnte es sich um hochtoxische Nervenkampfstoffe gehandelt haben [1].

Gegenwärtige Herausforderungen

Bereits ab dem Jahr 1957 gingen die Behörden vor Ort von einer potenziellen Gefahr für die Anwohner durch die entsorgten Kampfstoffe aus und es wurden erste Grundwassermessungen begonnen. Ein systematisches Grundwasser-Monitoring erfolgte erst ab dem Jahr 1972. Hierbei zeigten sich hohe Arsenbelastungen des Grundwassers und es wurden Abbauprodukte des Hautkampfstoffes Schwefellost festgestellt (gemessen seit 1998). Die Rückstände des toxischen Schwermetalls Arsen stammen aus der Herstellung von sogenanntem Winterlost. Dazu wurde Schwefellost mit Arsinöl (50 % Phenylarsindichlorid, 35 % Diphenylarsinchlorid, 5 % Arsen(III)-chlorid und 5 % Triphenylarsin) versetzt, um den Gefrierpunkt zu senken und einen Einsatz im Winter zu ermöglichen.

Aufgrund der gegenwärtigen potenziellen Gefährdung der Anwohner und der Kontamination des Grundwassers wurde eine Sanierung des Teiches angestrebt. Hierzu war eine erste Beprobung und Eröffnung des Teiches notwendig [4], die ab Ende Oktober 2019 erfolgte. Bis Anfang Dezember 2019 waren mehr als 1 000 Granaten geborgen worden; Schätzungen gehen nunmehr von mehr als 10 000 vergrabenen Granaten aus [6]. Der Heidekreis informiert auf seiner Homepage (www.heidekreis.de) regelmäßig über den Verlauf der Sanierung. Bis zum 19. Dezmeber 2019 waren 1 401 Kampfstoffgranaten geborgen [2].

Für die Einsatzkräfte vor Ort stellen v. a. die lückenhafte Aufzeichnung der entsorgten Kampfstoffe und deren unbekannter Zustand ein nicht zu unterschätzendes Risiko dar. Der zweifelsfrei vorhandene Hautkampfstoff Schwefellost kann bei ungünstiger Lagerung auch noch nach Jahrzehnten unvermindert toxisch sein. Die ebenfalls vermuteten Nervenkampfstoffe unterliegen zwar einem wesentlich stärkeren Abbauprozess, trotzdem wäre eine Exposition innerhalb von wenigen Minuten unbehandelt tödlich. Eine erste Beprobung von zwei gefundenen Granaten hat bislang Schwefellost und Phosgen in selbigen nachgewiesen.

Ausbildungsunterstützung

Um das Risiko abzumildern bzw. um bei möglichen Expositionen die bestmögliche medizinische Versorgung sicherzustellen, kontaktierte der Landkreis Heidekreis das Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Bundeswehr (InstPharmToxBw). Das InstPharmToxBw ist das wissenschaftliche Kompetenzzentrum der Bundeswehr in allen Fragen des medizinischen Schutzes vor chemischen Kampfstoffen. Im konkreten Fall war über das Landeskommando Niedersachsen kurzfristig und umfänglich die beantragte Amtshilfe bewilligt worden.

Tab. 1: Darstellung des theoretischen Ausbildungsinhaltes, der Schwerpunktsetzung und der Zeiteinheiten (Stunden) des Workshops zum ­Dethlinger Teich

Der Heidekreis hatte vor allem um Unterstützung bei der Ausbildung des zivilen Rettungsdienstes hinsichtlich bestehender Gefahren bei Eröffnung des Teiches gebeten. In drei Ausbildungsblöcken bildeten Experten des InstPharmToxBw Notfallsanitäter, Notärzte, Oberärzte und Chefärzte des Heidekreis-Klinikums und des BG Klinikums Hamburg im medizinischen C-Schutz theoretisch (Tabellen 1 und 2) und praktisch (Abbildung 3) aus. Hierbei profitierten die Teilnehmenden von den umfangreichen Ausbildungsmaßnahmen, die alle Sanitätsoffiziere der Bundeswehr im Rahmen der postuniversitären modularen Ausbildung erhalten. So wurden die theoretischen Grundlagen zu den verschiedenen Kampfstoffvergiftungen vermittelt, klinische Krankheitsbilder erläutert und der diagnostische Blick der Ärzte im Hinblick auf mögliche Patienten geschärft.

Tab. 2: Am Dethlinger Teich zu erwartende Kampfstoffgruppen und deren Vertreter, typische klinische Bilder und mögliche therapeutische Optionen

 

Abb. 3: Praktische Ausbildung im Heidekreis-Klinikum Walsrode: Oberstabsarzt Dr. Niko Amend vom InstPharmToxBw im Gespräch mit dem Chefarzt der Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin, Dr. Ulrich Blumenthal

 

Praktische Schulungen erfolgten zur Diagnostik einer möglichen Nervenkampfstoffvergiftung (Abbildung 4). Dazu wurden die Teilnehmenden am „ChE check mobile“ ausgebildet – einer patientennahen, photometrischen Point-of-Care-Diagnostik, die am InstPharmToxBw mitentwickelt wurde [6][7]. Die Teilnehmenden erkannten, dass dieses diagnostische Tool für fragliche Nervenkampfstoffvergiftungen absolut unerlässlich ist und begrüßten die bereits erfolgte Beschaffung dieser Geräte durch den Heidekreis.

Abb. 4: Praktische Schulung der Teilnehmenden am „ChE check mobile“, einer patientennahen, photometrischen Point-of-Care-Diagnostik, die am Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Bundeswehr mitentwickelt wurde

Für die notfallmedizinischen Experten wurde Notwendigkeit einer schnellen und so mitunter lebensrettenden Antidotapplikation in Hinblick auf mögliche Nervenkampfstoffexpositionen herausgestellt. Es wurde deutlich, dass eine Versorgung mit Antidoten bereits vor der Dekontamination erforderlich sein kann, da Zeitverzögerungen bei der Therapie der Nervenkampfstoffvergiftung zum Nachteil für die Betroffenen führen können.

Da das medizinische Personal im zivilen Bereich nur in der weißen (sauberen) Zone tätig wird, ergeben sich konzeptionelle Herausforderungen zur Schaffung der Möglichkeit einer frühzeitigen Antidotapplikation. Im zivilen Bereich sind zugelassene Obidoxim-/Atropinautoinjektoren derzeit nicht verfügbar. Aufgrund der langjährigen Erfahrung im medizinischen C-Schutz konnte das InstPharmToxBw praxisnahe Alternativen (z. B. intramuskuläre Obidoximinjektionen aus Ampullen) aufzeigen, die bei der Art des Einsatzes (keine militärische Bedrohung) den gleichen Effekt wie Autoinjektoren haben. Weiterhin wurde mit den Teilnehmenden die Antidotbevorratung in den Kliniken besprochen und mögliche Risiken für chirurgisches Personal bei der operativen Sanierung kontaminierter Einsprengungen thematisiert.

Ergebnisse und Fazit

Die praxisnahe Ausbildung durch das InstPharmToxBw ermöglichte eine zielgruppengerechte Vorbereitung auf akzidentelle Kampfstoffexpositionen im Zusammenhang mit der Öffnung des Dethlinger Teichs. Die zivilen Ärztinnen und Ärzte des Heidekreis-Klinikums und des BG Klinikums Hamburg profitierten von der Expertise des InstPharmToxBw im medizinischen C-Schutz und den vermittelten Handlungsempfehlungen für diese Extremsituation.

Dieses Beispiel für zivil-militärische Zusammenarbeit zeigt, dass die Bundeswehr für ausgewählte Fragestellungen auch einen wichtigen Beitrag zum Katastrophenschutz in Deutschland leisten kann. Hierbei kann durch Synergien aus der zivil-militärischen Zusammenarbeit eine Verbesserung der Patientenversorgung im Schadensfall erreicht werden.

Literatur

  1. Handelsblatt 2017: Tödliche Altlast trübt das Heide-Idyll. ; Aufruf am 3. Dezember 2019. mehr lesen
  2. Heidekreis: Die Öffnung des Dethlinger Teiches bei Munster ist am 16. September 2019 gestartet. ; Aufruf am 22. Dezember 2019. mehr lesen
  3. Heidekreis: Informationen zum Thema Altlasten im Dethlinger Teich, Munster - Historie zur Rüstungsaltlast Dethlinger Teich. Heidekreis: Bericht vom 25. Februar 2015. ; Aufruf am 22. Dezember 2019. mehr lesen
  4. Informationen zum Thema Altlasten im Dethlinger Teich, Munster: Ergebnisse der Grundwasserbeweissicherung am Dethlinger Teich bis 2009, Heidekreis: Bericht vom 25. Februar 2015. ; Aufruf am 3. Dezember 2019. mehr lesen
  5. Norddeutscher Rundfunk Studio Lüneburg (3.12.2019): Lies will Dethlinger Teich komplett sanieren. , Aufruf am 3. Dezember 2019. mehr lesen
  6. Worek F, Baumann M, Pfeiffer B, Aurbek N, Thiermann H: Mobiler Cholinesterase -Schnelltest zur Felddiagnostik einer Organophosphat-Exposition in Vollblut. WMM 2011; 55(4): 81-83.
  7. Worek F, Schilha M, Neumaier K, Aurbek N, Wille T, Thiermann H, Kehe K:, 2016. On-site analysis of acetylcholinesterase and butyrylcholinesterase activity with the ChE check mobile test kit-Determination of reference values and their relevance for diagnosis of exposure to organophosphorus compounds. Toxicology letters 2016; 249: 22–28. mehr lesen

Manuskriptdaten

Zitierweise

Amend N, Worek F, Thiermann H, Steinritz D, Sterr S, Wille T: Rüstungsaltlasten im Dethlinger Teich – Ausbildungsunterstützung durch das Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Bundeswehr. WMM 2020; 64(2): 85-88.

Für die Verfasser

Oberstabsarzt Dr. Niko Amend

Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Bundeswehr

Neuherbergstr. 11, 80937 München

E-Mail: nikoamend@bundeswehr.org