Wehrmedizinische Monatsschrift

WEITERhin erheblicher PRÄVENTIONSBEDARF

Sexuell übertragbare Krankheiten im militärischen Umfeld – ­fortbestehender Bedarf an präventivmedizinischen Angeboten und weiterer Optimierung des medizinischen Managements 1

Carina Gottwald a, Norbert Georg Schwarz b, Hagen Frickmannc

a Sanitätszentrum Wilhelmshaven

b Bernhard Nocht Institut – Arbeitsgruppe Infektionsepidemiologie, Hamburg

c Bundeswehrkrankenhaus Hamburg, Klinik XXI Mikrobiologie und Krankenhaushygiene, Außenstelle Bernhard-Nocht-Institut, Hamburg

Hintergrund –  Sexuell übertragbare Krankheiten als häufige ­Phänomene im militärischen Umfeld

Sexuellübertragbare Infektionen („sexually tansmitted infections“, STI) sind international in den Streitkräften weit verbreitet mit „Lebensprävalenzen“ bis zu 40 % und mehr in Querschnittsstudien [3]. Während die Datenlage zu STI bei US-Soldat(inn)en vergleichsweise gut ist, liegen zu STI bei Soldaten 2 aus Europa nur wenige Informationen vor. Aus diesem Grund wurde eine retrospektive Erhebung der Prävalenz und der Determinanten des Auftretens von STI bei deutschen Fallschirmjägern und Marinesoldaten durchgeführt, indem zufällig ausgewählte Krankenakten aus den medizinischen Abteilungen zweier Kasernen systematisch analysiert wurden. Exemplarisch wurden die Krankenakten von 80 Fallschirmjägern und 80 Marinesoldaten auf Dokumentationen stattgehabter STI und zugehöriger Sexualanamnesen mit Fokus auf dem wahrscheinlichen Übertragungsmodus hin untersucht, um mithin Informationen zu Risikofaktoren sowie Qualitätsdeterminanten des diagnostischen und therapeutischen Managements zu akquirieren.

Ergebnisse einer Erhebung im deutschen ­Sanitätsdienst – STI als häufige Diagnosen bei teils optimierbarem Fallmanagement

Der Anteil syndromal diagnostizierter STI betrug 17,5 % bzw. 20 % (Abbildung 1), der Anteil der klinisch oder infektionsdiagnostisch gesicherten STI dagegen 13,9 % bzw. 11,3 % in den untersuchten Kollektiven, bestehend aus überwiegend männlichen Fallschirmjägern und Marinesoldaten. Somit war das beobachtete Auftreten von STI durchaus mit den Berichten aus anderen Streitkräften vergleichbar, was den fortbestehenden Bedarf an präventiven Maßnahmen unterstreicht.

Abb. 1: Symptomgestützt diagnostizierte und nur zum Teil labor­dia­gnostisch bestätigten Geschlechtserkrankungen (bzw. Verdachtsdiagnosen) bei den untersuchten Fallschirmjägern und Marinesoldaten

Im Durchschnitt wurden die STI von den Soldaten in der zweiten Hälfte des dritten Lebensjahrzehnts erworben. Der Anteil infizierter Offiziere war bei den Marinesoldaten etwas höher, während sich unter den Fallschirmjägern mehr infizierte Mannschaftsdienstgrade befanden. Leben als Single oder Leben in einer Paarbeziehung ohne Trauschein waren die am häufigsten dokumentierten Angaben zum Beziehungsstatus der infizierten Patienten. Für die Marinesoldaten war in den untersuchten Akten nur ein einziger Fall einer mutmaßlichen STI-Übertragung im Einsatz dokumentiert, für die Fallschirmjäger sogar gar keiner, obwohl fast die Hälfte der in die Untersuchung einbezogenen Patienten beider Kollektive über Einsatzerfahrung verfügte.

In einer relevanten Minderheit von etwa 20 % der Infizierten wurde die Partnertherapie vernachlässigt und insbesondere bei den Marinesoldaten war eine erhebliche Verzögerung zwischen dem Auftreten von für eine STI spezifischen Symptomen und der ärztlichen Vorstellung zu verzeichnen. Während grundsätzlich therapiert wurde und dabei die Einhaltung der Leitlinien mit über 80 % durchaus im akzeptablen Rahmen lag, war die Compliance bezüglich diagnostischer Therapiekontrollen mit 50 % als schlecht zu bezeichnen, obwohl hin und wieder klinische Rezidive zu beobachten waren. Auch wenn klinische Hinweise auf eine STI als solche richtig erkannt wurden, beschränkte sich das medizinische Management in einer Reihe von Fällen auf die rein syndromale antiinfektive Behandlung ohne detaillierte diagnostische Abklärung, somit auch ohne Möglichkeit einer infektionsdiagnostischen Verlaufskontrolle bzw. einer antimikrobiellen Resistenztestung, was durchaus als verbesserungswürdiger Zustand anzusehen ist.

„Lieber widerlich als wieder nich‘?“ –
Hochrisikoverhalten als Herausforderung für ­präventivmedizinische Ansätze

Präventivmedizinische Maßnahmen werden erheblich erschwert, wenn sexuelles Hochrisikoverhalten im vollen Bewusstsein der damit einhergehenden Gesundheits­risiken erfolgt. In solchen Situationen gehen reine Aufklärungskampagnen ins Leere. Insbesondere aus dem angelsächsischen Sprachraum finden sich Berichte über einen nicht zu vernachlässigenden Anteil von hochgradig risikoaffinen und dabei hervorragend über spezifische STI-Übertragungsrisiken informierten Soldaten, die den Preis potenzieller sexuell übertragbarer Infektionen um das Ziel des ­Erhalts eines riskanten – weil abwechslungsreichen – Sexuallebens willen zumindest billigend in Kauf nehmen [1][2][6].

Es ist naheliegend, dass in solchen Fällen wohlfeile Verweise auf die soldatische Pflicht zur Gesunderhaltung kein Gehör finden werden, sondern dass entsprechende Kameradinnen und Kameraden zunächst vom eigenständigen Wert intakter sexueller Gesundheit überzeugt werden müssen, um dem Präventionsgedanken gegenüber überhaupt zugänglich zu werden. Nur wer aus innerer Überzeugung zustimmt, dass es sich lohnt, gesund zu bleiben und die eigene körperliche Integrität nicht wissentlich zu ruinieren, wird zu Kompromissen zulasten der individuellen Bedürfnisbefriedigung bereit sein. Präventive Beratung umfasst somit nicht nur die Frage des „Wie“, sondern auch die Frage des „Warum“, kann somit persönliche Werte und Vorlieben berühren und ist mithin komplexer als die bloße Präsentation technischer oder auf Verhaltensmodifikation hin ausgerichteter Präven­tionsansätze.

STI-Prävention nach wie vor von Bedeutung

Sowohl die aktuelle Studie als auch die Literaturschau legen den Schluss nahe, dass STI-Prävention und die Bewusstmachung von STI-Risiken beim Militär weiterhin von Bedeutung sind. Der Sanitätsdienst bietet sowohl medizinischem Personal als auch Soldaten Unterricht zu STI und STI-Akquisitionsrisiken, um ein entsprechendes Risikobewusstsein zu schärfen und zugleich Optionen aufzuzeigen, präventiven Gesundheitsschutz mit der dennoch bestehenden Möglichkeit eines individuell erfüllenden Sexuallebens zu verbinden.

Beispiele für Präventionsmaßnahmen vor Ort sind etwa die Versorgung mit Präservativen auf Marineschiffen ­sowie die bedarfsgerechte Bereitstellung post- und präexpositioneller medikamentöser HIV-Prophylaxen in Übereinstimmung mit den nationalen Leitlinien. Wesentlich erscheint jedoch die im Sanitätsdienst realisierte Möglichkeit, dass Soldatinnen und Soldaten mit und ohne Symptome nach riskanten Sexualkontakten das Angebot bekommen, sich vertrauensvoll bei den Ansprechpartnerinnen und -partnern in ihren sanitätsdienstlichen Einrichtungen Rat und Hilfe zu holen, was sowohl Beratungsoptionen als auch erforderliche Maßnahmen zur frühzeitigen Diagnose und Behandlung von STI impliziert [5].

Literatur

  1. Boyer CB, Pollack LM, Becnel J et al.: Relationships among sociodemographic markers, behavioral risk, and sexually transmitted infections in U. S. female Marine Corps recruits. Mil Med 2008; 173: 1078-1084. mehr lesen
  2. Cooper TV, DeBon M, Haddock CK et al.: Demographics and risky lifestyle behaviors associated with willingness to risk sexually transmitted infection in Air Force recruits. Am J Health Promot 2008; 22: 164-167. mehr lesen
  3. Deiss R, Bower RJ, Co E, Mesner O et al.: The Association between Sexually Transmitted Infections, Length of Service and Other Demographic Factors in the U.S. Military. PLoS One 2016; 11: e0167892. mehr lesen
  4. Gottwald C, Schwarz NG, Frickmann H: Sexually transmitted infections in soldiers – a cross-sectional assessment in German paratroopers and navy soldiers and a literature review. Eu J Microbiol Immunol 2019 Nov ; ePub ahead Print, doi:10.1556/1886.2019.00023. mehr lesen
  5. Maaßen W, Gottwald C, Frickmann H: „Wie sag ich’s meinem Kinde?“ – Fallbeispiele gut vertragener HIV-Postexpositionsprophylaxen im tropischen Einsatzgebiet. WMM 2016; 60: 366-375. mehr lesen
  6. Pollack LM, Boyer CB, Weinstein ND: Perceived risk for sexually transmitted infections aligns with sexual risk behavior with the exception of condom nonuse: data from a nonclinical sample of sexually active young adult women. Sex Transm Dis 2013; 40: 388-394. mehr lesen

 

Für die Verfasser

Oberfeldarzt Priv.-Doz Dr. Hagen Frickmann

Bundeswehrkrankenhaus Hamburg – Klinik XXI ­Mikrobiologie und Krankenhaushygiene, Außenstelle am BNTIM

Lesserstr. 180, 22049 Hamburg

E-Mail: frickmann@bnitm.de

 


1 Die Langfassung dieses Beitrags wurde im Oktober 2019 vom European Journal o f Microbiology and Immunology a ls Originalarbeit zur Publikation angenommen und im November 2019 als e - Pub veröffentlicht [ 4 ] .

2 Zur besseren Lesbarkeit wird bei den militärischen Bezeichnungen überwiegend auf eine geschlechtsspezifische Differenzierung verzichtet; gemeint sind jedoch stets alle Geschlechter.