Wehrmedizinische Monatsschrift

FLUGOPHTHALMOLOGIE

Aderhautmelanom bei einem Berufspiloten –
Erhalt der Flugtauglichkeit durch Cyberknife-Bestrahlung1

Jörg Frischmuth a, Frank M. Jakobs a

a  Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe, Fürstenfeldbruck

 

Zusammenfassung

Vorgestellt wird der Fall eines 45 Jahre alten Berufspiloten (class 1), der an einem malignen Melanom der Netzhaut erkrankte. Durch Behandlung mittels Protonenbestrahlung (Cyberknife) konnte das Malignom entfernt und gleichzeitig die Sehleistung erhalten werden.

Bei der Cyberknife-Behandlung ist gegenüber Enuklea­tion und Brachytherapie eine erhöhte Metastasierungsrate des Netzhaut-Melanoms nicht zu erwarten. Für den Patienten war in diesem Fall nach dem Ergebnis des Aeromedical Assessment eine Rückkehr ins Cockpit als Berufspilot unter Auflagen ohne Flugsicherheitsbedenken möglich.

Schlüsselworte: Malignes Melanom, Netzhaut, Cyber­knife, Flugtauglichkeit, Sehvermögen, Pilot

Keywords: malignant melanoma, retina, Cyberknife, fitness to fly, vision, pilot

Das Aderhautmelanom

Inzidenz

Das Aderhautmelanom ist der häufigste maligne intraokulare Tumor. Die Inzidenz liegt in Studien zwischen 0,5 und 1,5 Neuerkrankten auf 10 000 Einwohner und Jahr. Das Erkrankungsrisiko steigt mit zunehmendem Lebensalter mit einem Maximum zwischen dem 60. und 70. Lebensjahr [11].

Morphologie, Lokalisation, Metastasierung

Der Tumor ist meist eine umschriebene prominente Raumforderung mit erheblichen Wachstumsvarianten, Entwicklungseigenschaften und Pigmentierungsgrad. Typischerweise entwickelt sich eine noduläre Geschwulst mit runder, elliptischer oder länglicher Basis. Er ragt zwischen Sklera und Bruchscher Membran kalottenförmig ins Bulbusinnere.

Das Tumorwachstum kann in drei Richtungen erfolgen:

Die primäre Metastasierung erfolgt in die Leber. Die Lebermetastasen treten typischerweise klinisch 5 Jahre nach Streuung (Mikrometastasen) auf [8]. Die mittlere Überlebenszeit nach der Diagnose bei Lebermetastasen liegt zwischen 2 und 7 Monaten. Ein signifikanter Risikofaktor ist eine genetische Disposition [7][10]. Weitere bedeutsame Risikofaktoren können aus einem histo-­pathologischen Befund abgelesen werden. Dieser ist aber nur bei einer Enukleation oder einer der Strahlentherapie vorausgehenden Biopsie erhältlich.

Therapie

Es stehen drei Therapieoptionen zur Verfügung:

Bei der Enucleatio bulbi wird der komplette Augapfel operativ entfernt, der Betroffene wird einäugig.

Bei den beiden anderen Therapieformen bleibt der ­Bulbus erhalten; allerdings kann im weiteren Verlauf dennoch eine Enukleation notwendig werden. Bei der ­Brachytherapie wird ein Applikator auf den Augapfel genäht, der aus schalenförmige, der Bulbuswölbung angepassten Strahlenträgern aus Silber in verschiedener Größe und Form besteht, die 106Ruthenium (Beta-Strahler) in gleichmäßiger Verteilung enthalten. Eine 0,1 mm dicke zum Augapfel gelegene Silberschicht lässt Betastrahlen durch die konkave Seite des Applikators praktisch ungehindert hindurch, während die Rückseite aus 1 mm Silber die gesamte Strahlung absorbiert. Es gibt auch Applikatoren, die 90Strontium oder 90Yttrium enthalten.

Die dritte Therapieoption ist die Röntgenbestrahlung, für die es zur Zeit zwei verschiedene Techniken gibt. Bei der Gamma-Knife-Bestrahlung werden rund 200 ­60Kobalt-Quellen durch einen helmförmigen Kollimator auf einen Punkt gebündelt. Die Bestrahlungsgenauigkeit wird durch die Befestigung eines stereotaktischen Rahmens am Kopf gewährleistet, Augenbewegung werden durch eine lokale Anästhesie zur Ausschaltung der ­Augenmuskulatur verhindert.

Bei der Cyberknife-Bestrahlung werden die Photonen durch einen Linearbeschleuniger erzeugt, die Behandlung erfolgt unter Nutzung von Präzisionsrobotik und einem Bildortungssystem. Hierbei entfällt die Anbringung eines stereotaktischen Rahmens am Kopf des Patienten.

Abb. 1: Cyberknife Röntgenbestrahlung: Ein Roboterarm mit sechs Freiheitsgraden und kompaktem Bestrahlungsgerät kann mit den Strahlen den Tumor präzise erreichen. Durch das Bildortungssystem werden Bewegungen des Patienten ausgeglichen.

Rezidive und Überlebensraten

Lokale Rezidive nach Radiatio eines Aderhautmelanoms treten nach 5 bzw. 10 Jahren in 5,8 bzw. 7,6 % der Fälle auf und werden dann entweder erneut bestrahlt oder es muss eine Enukleation des Auges erfolgen [12]. Die 5-Jahres-Überlebensrate beträgt nach den Ergebnissen der Collaborative Melanoma Study (COMS,1985-2003) nach Enukleation 80 %, nach Photonenbestrahlung 81 % [10]. In anderen Studien liegen die 5-Jahres Überlebensraten für die Enukleation und die Brachytherapie zwischen 78 % und 80 % [3]. Insgesamt besteht in Bezug auf die Überlebensrate zwischen den aktuellen Behandlungsmethoden kein signifikanter Unterschied [6][9][12].

Fallbericht

Ein 45-jähriger Berufspilot aus Ungarn mit über 10 000 Flugstunden, zum Zeitpunkt der Erstvorstellung eingesetzt auf dem Airbus A320, bemerkte am rechten Auge einen Gesichtsfeldausfall nach unten.

Die augenärztliche Untersuchung in München ergab ­einen Visus ohne Korrektur von 1,0 auf beiden Augen. In der Funduskopie zeigte sich am rechten Auge bei 12 h in der mittleren Peripherie, nahe an den Nervus Optikus reichend, ein Tumor mit peripherer seröser Netzhautablösung von 3 h über 6 h bis 9 h. Sonografisch stellte sich ein kuppelförmiger Tumor mit einer Basis von 5,7 x 12,6 mm, einer Prominenz von 5,7 mm sowie einer ­Reflektivität von 57 % mit peripherer Begleitamotio von 12 h über 6 h bis 9 h dar. Alle Kriterien eines Aderhaut­melanoms mit Begleitamotio waren erfüllt.

Ein Tumorstaging mit Sonografie, Kernspintomografie und Labordiagnostik ergab keinen Anhalt einer Metastasierung, woraufhin die Indikation zur Protonenbestrahlung gestellt wurde. Drei Tage später erfolgte in München die Cyberknife-Therapie mit einer Gesamtdosis von 21 Gy.

Abb. 2: Cyberknife Behandlungsschema (Planungs-CT)

Abb. 3: Cyberknife Behandlungsschema (Planungs-MRT)

Im Verlauf zeigten sich in 3-monatigen Sonografiekon­trollen und 6-monatigen 3 Tesla Kernspintomografiekontrollen keine Metastasen. Die Labordiagnostik blieb immer unauffällig.

Im ophthalmologischen Verlauf sank der Visus am Tumor­auge zunächst bis auf 0,2 ab, um sich später um 0,5 zu stabilisieren. Sonografisch zeigte sich eine ­Tumorregression mit abnehmender Prominenz.

Ein Jahr nach der Behandlung wurde der Patient aus Ungarn zur flugophthalmologischen Begutachtung vorgestellt. Es wurden folgende Befunde erhoben:

Abb. 4: Perimetrie-Ergebnis etwa 1J Jahr nach der Behandlung. (Quelle Frischmuth, Fürstenfeldbruck)

Abb. 5: Fundusfoto etwa 1 Jahr nach der Bestrahlung

Abb. 6: Sonografischer Befund etwa 1 Jahr nach der Bestrahlung

Nach weiteren 6 Monaten stellte sich der Patient zur fachophthalmologischen Kontrolluntersuchung wieder vor. Dabei zeigte sich ein unverändert stabiler Befund des rechten Auges.

Flugmedizinische Beurteilung

Vorbemerkung

Grundsätzlich erfolgen Wiederholungsuntersuchungen bei Luftfahrtpersonal durch einen flugmedizinischen Sachverständigen (Aeromedical Examiner – AME), der durch die jeweilige Aufsichtsbehörde seines Landes entsprechend lizensiert ist.

Erfüllt ein Bewerber um ein „Medical“ die gesundheitlichen Voraussetzungen nicht, ist er auf seinen Antrag hin durch ein Aeromedical Center (AMC) zu begutachten. In Abhängigkeit von dessen Beurteilung kann dann ein Tauglichkeitszeugnis – ggf. unter bestimmten Auflagen und Einschränkungen – ausgestellt. werden [1].

Flugmedizinische Beurteilung im vorgestellten Fall

Die Flugmedizinische Beurteilung erfolgt im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben der Europäischen Union und der European Aviation Safety Agency (EASA) [9] und unter Anwendung des Acceptable Means of Compliance and Guidance Material to Part-Med (AMC) [2].

Kritische Punkte

Kritische Punkte, die zu prüfen waren (die jeweiligen anzuwendenden Regularien sind in Klammern angegeben):

Abschließende Beurteilung

Somit erfolgte die Empfehlung an den ungarischen Aeromedical Examiner (AME, Fliegerarzt) und die ungarische Lizenzbehörde, das Medical Class 1 mit folgenden Einschränkungen auszustellen:

Fazit

Moderne Behandlungsverfahren erlauben es zunehmend, schwerwiegende Erkrankungen wie einen bösartigen Augentumor so zu behandeln, dass resultierende gesundheitliche Einschränkungen gering gehalten werden und es erlauben, dass der Betroffene auch einen Beruf mit höchsten gesundheitlichen Anforderungen weiterhin ausüben kann.

Im vorgestellten Fall konnten bei dem Piloten durch schonende Cyberknife-Behandlung eines Melanoms der Netzhaut Bulbus und Visus erhalten werden. Er hat ohne Gefährdung von eigener Gesundheit und der Flugsicherheit den Weg zurück ins Cockpit gefunden und fliegt weiter als Berufspilot.

Der Fall zeigt aber auch die Vorteile von einheitlichen und europaweit geltenden Luftfahrtbestimmungen und -standards, die eine nationenübergreifende medizinische Begutachtung in einem komplexen Fall erst ermöglichten.

Literatur

  1. Europäische Union: Durchführungsverordnung (EU) 2019/27 der Kommission vom 19. Dezember 2018 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1178/2011 zur Festlegung technischer Vorschriften und von Verwaltungsverfahren in Bezug auf das fliegende Personal in der Zivilluftfahrt gemäß der Verordnung (EU) 2018/1139 des Europäischen Parlaments und des Rates. Amtsblatt der Europäischen Union 2018; ; Aufruf am 22. Dezember 2019. mehr lesen
  2. European Aviation Safety Agency: Acceptable Means of Compliance (AMC) and Guidance Material (GM) to Part-MED requirements for air crew, Issue 2, 28.01.2019. EASA 2019; https://www.easa.europa.eu/sites/default/files/dfu/Annex%20I%20to%20ED%20Decision%202019-002-R.pdf>, Aufruf am 22. Dezember 2019. mehr lesen
  3. Frischmuth J, Jensen OA, Bjerrum K, Prause JU, Guthoff R: Das Aderhautmelanom – eine randomisierte Vergleichsstudie Ruthenium-Bestrahlung vs. Enukleation, Klinische Monatsblätter für Augenheilkunde 1992; 200(4): 257-261. mehr lesen
  4. FrischmuthJ: Berufspilot mit Aderhautmelanom, Erhaltung von Bulbus und Visus durch Cyberknife-Bestrahlung. Flug u Reisemed 2015; 22(5): 11-14. mehr lesen
  5. Lommatzsch PK (Hrsg.): Ophthalmologische Onkologie. Stuttgart: Enke 1999; 207-310
  6. Marucci L, Ancukiewicz M, Lane AM et al.: Uveal melanoma recurrence after fractionated proton beam therapy: Comparison of survival in patients treated with reirradiation or with enucleation. Int J Radiat Oncol Biol Phys 2011; 79(3): 842-846. mehr lesen
  7. McLean IW, Foster WD, Zimmermann LE: Uveal melanoma: localisation, size, cell type and enucleation as risk factors in metastasis. Hum Pathol 1982 ; 13(2): 123-132. mehr lesen
  8. Mosci C, Lanza FB, Barla A, Mosci S, Hérault J, Anselmi L, Truini M: Comparison of clinical outcomes for patients with large choroidal melanoma after primary treatment with enucleation or proton beam radiotherapy. Ophthalmologica 2012; 227(4): 190-196. mehr lesen
  9. Riechardt AI, Codini D, Dobne B et al.: Salvage proton beam therapy in local recurrant uveal melanoma. Am J Ophthalmol 2014; 158(5): 948-956. mehr lesen
  10. Singh AD, Rennie IG, Kivela T, Seregard S, Grossniklau H: The Zimmermann-McLean-Foster hypothesis: 25 years later. Br J Ophthalmol 2004; 88(7): 962-967. mehr lesen
  11. Virgili G, Gatta G, Ciccolallo L et al. and EUROCARE Working Group: Incidence of uveal melanoma in Europe. Ophthalmology 2007; 114(12): 2309-2315. mehr lesen
  12. Wackernagel W, Holl E, Tarmann L et al.: Local tumour control and eye Preservation after gamma-knife radiosurgery of choroidal melanomas. B Journal Ophthalmol 2014; 98(2): 218-223. mehr lesen

Manuskriptdaten

Zitierweise

Frischmuth J, Jakobs FM: Aderhautmelanom bei einem Berufspiloten – Erhalt der Flugtauglichkeit durch Cyberknife-Bestrahlung. WMM 2020; 64(3-4): 109-113.

Für die Verfasser

Oberstarzt Dr. Jörg Frischmuth

Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe, Fürstenfeldbruck

Klinische Flugmedizin

Straße der Luftwaffe 308, 82256 Fürstenfeldbruck

E-Mail: joergfrischmuth@bundeswehr.org

Der Fall wurde in kürzerer Fassung auch in der Zeitschrift Flug- und Reisemedizin (Flug u Reisemed 2015; 22(5): 221-224) vorgestellt (Erstveröffentlichung).

1 Die Fachgruppe II 3 (AeMC, Klinische Flugmedizin) des Zentrums für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe in Fürstenfeldbruck begutachtet als Aeromedical Center auch zivile Piloten. Der Beitrag beschreibt einen Fall aus diesem Aufgabenbereich.