Wehrmedizinische Monatsschrift

ORIGINALARBEIT

Militärgerichtliche Leichenöffnungen
in den Kriegsjahren 1942 bis 1945

Military court-mandated autopsies in the war years 1942 to 1945

Ingo Wirth

 

Zusammenfassung

An der im „Dritten Reich“ im Jahr 1934 wiedergegründeten Militärärztlichen Akademie in Berlin wurde 1938 eine gerichtlich-medizinische Untersuchungsstelle eingerichtet, aus der zwei Jahre später das Institut für wehrgerichtliche Medizin hervorging. Zum Leistungsspektrum des Instituts gehörte die Vornahme von Obduktionen und anderen forensischen Untersuchungen auf Anforderung von Wehrmachtsdienststellen.

Die Leichenöffnungen erfolgten mehrheitlich im Städtischen Krankenhaus Westend in Berlin-Charlottenburg, das seit Kriegsbeginn als Reservelazarett 101 Berlin diente. Für die vorliegende Studie konnte ein unvollständig überlieferter Bestand an Obduktionsbefunden ausgewertet werden. Das Spektrum der untersuchten Todesfälle reicht von natürlichen Sterbefällen über Unfälle, Suizide und Tötungsdelikte bis zu Kriegstoten durch Kampfhandlungen und standrechtliche Erschießungen.

Schlüsselwörter: Wehrmacht, Militärärztliche Akademie, Institut für wehrgerichtliche Medizin, Leichenöffnung, Unfalltod, Suizid, Fremdtötung

Summary

In 1938, a forensic medical unit was established at the “Militärärztliche Akademie” (Army Medical School, re-established during the “Third Reich” in 1934) in Berlin. Two years later, this gave rise to the “Institut für wehrgerichtliche Medizin” (Institute of Military Forensic Medicine). The services provided by the institute included performing autopsies and other forensic investigations at the request of Wehrmacht agencies. Most of the autopsies were carried out at the “Städtisches Krankenhaus Westend” (Westend Municipal Hospital) in the Charlottenburg district of Berlin, which had served as military hospital “Reservelazarett 101 Berlin” since the beginning of the war. This study evaluates the incomplete surviving autopsy reports. The range of deaths investigated ranges from natural deaths, accidents, suicides and murders, to war-related deaths from combat operations and summary executions.

Key-words: Wehrmacht, Army Medical School, Institute of Military Forensic Medicine, autopsy, accidental death, suicide, homicide

Einleitung und Zielstellung

Mit der Eröffnung der Militärärztlichen Akademie im Herbst 1934 wurde in Berlin eine Tradition fortgeführt, die bis in das Jahr 1795 zurückreichte [5][15]. Damals war auf Initiative des Generalstabschirurgen der preußischen Armee Johann Goercke (1750−1822) die ­Pépinière als Ausbildungsstätte für Militärchirurgen gegründet worden. Die „Eleven“ besuchten die Vorlesungen des 1724 eingerichteten Collegium medico-chirurgicum [14]. Ihre praktische Ausbildung erhielten sie im Charité-Krankenhaus, im Invalidenhaus und in den Militärlazaretten der Garnison.

In Vorbereitung auf die Universitätsgründung in Berlin wurde 1809 das Collegium aufgelöst. Da aber ein Teil der „Eleven“ nicht die notwendige Vorbildung für ein Universitätsstudium besaß, wurde 1811 – wiederum auf Vorschlag von Goercke – die Medizinisch-Chirurgische Akademie für das Militär gegründet. Die zwischenzeitlich erweiterte Pépinière erhielt 1818 den Namen Medizinisch-Chirurgisches Friedrich-Wilhelms-Institut. Anlässlich der hundertjährigen Stiftungsfeier 1895 wurde das Institut mit der Akademie zur Kaiser-Wilhelms-Akademie für das militärärztliche Bildungswesen vereinigt [16]. Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg musste auch diese militärische Einrichtung aufgrund der Bestimmungen des Versailler Vertrages aufgelöst werden, und so endete im Jahr 1920 der Lehrbetrieb.

Im Gebäude der ehemaligen Kaiser-Wilhelms-Akademie im Zentrum Berlins begann am 1. Oktober 1934 für die neu eingestellten Sanitätsoffizieranwärter der Wehrmacht das Studium. Nach einer bald darauf erfolgten Neugliederung gab es neben der Lehrgruppe A (Vorklinik) und der Lehrgruppe B (Klinik) die Lehrgruppe C als Forschungsgruppe [4]. Dazu gehörte ab 1938 eine gerichtlich-medizinische Untersuchungsstelle, die dem pathologisch-anatomischen Institut angegliedert war. Die Leitung übernahm der ehemalige Oberarzt am Berliner Universitätsinstitut für gerichtliche und soziale Medizin Gerhart Panning (1900−1944), der sich 1941 durch verbrecherische Schussversuche auf sowjetische Kriegsgefangene schuldig machte [13][19].

Schon bald nach seinem Amtsantritt drängte Panning auf die Umwandlung der Untersuchungsstelle in ein Institut,

„damit Kriegsgerichte nicht dem Universitätsinstitut den Vorzug geben, in der Annahme es sei leistungsfähiger und die Untersuchungsstelle nur ein Anhängsel des pathologisch-anatomischen Institutes der Militärärztlichen Akademie“ [1].

Am 5. Juli 1940 genehmigte der Heeressanitätsinspekteur den Antrag, und es entstand das Institut für wehrgerichtliche Medizin (IwgM). Anfang Oktober 1943 wurde ein Teil des Instituts wegen der häufiger werdenden Luftangriffe der Westalliierten auf die Reichshauptstadt nach Gießen ausgelagert. Die Außenstelle unter Leitung von Oswald Huber (1908−1984) erhielt einige Räume im Institut für Bodenkunde der Universität [12]. Die Arbeitsstätte in Berlin verblieb bis gegen Kriegsende an der Militärärztlichen Akademie.

Zum Leistungsspektrum des IwgM gehörte die Vornahme von Leichenöffnungen auf Anforderung von Wehrmachtsdienststellen. Fischer [2][3] hat zwei Studien über die gerichtsmedizinische Obduktionstätigkeit für Kriegsgerichte vorgelegt. Seine erste Analyse umfasst den Zeitraum von 1939 bis 1941. Die erweiterte, zweite Auswertung reicht bis in das Jahr 1943. Die Zielstellung der vorliegenden Studie ist es, die bisher bekannten Daten zu ergänzen.

Quellenmaterial

Die ausgewerteten Obduktionsergebnisse umfassen den Zeitraum vom 13. Januar 1942 bis zum 9. März 1945, wobei die erhalten gebliebenen Befundberichte weit überwiegend aus dem Jahr 1944 stammen (Tabelle 1). Auf welche Art und Weise bzw. aus welchen Gründen dieses ungleich verteilte Aktenkonvolut zustande gekommen ist, konnte nicht ermittelt werden. Ebenso ließen sich die Stationen der Überlieferung bis in die Schriftgutsammlung des Instituts für gerichtliche und soziale Medizin Berlin nicht nachvollziehen.

Tab. 1: Anzahl der ausgewerteten Obduktionsfälle (n = 184) nach Jahrgängen

 

Abb. 1: Beispiel für ein Obduktionsprotokoll

Die Gliederung der Obduktionsprotokolle aus dem IwgM weicht nur unwesentlich von der heutigen Struktur bei gerichtlichen Leichenöffnungen ab. Nach einer durchweg kurzen Beschreibung des zum Tod führenden Geschehens folgen Äußere und Innere Besichtigung sowie das vorläufige Gutachten mit Obduktionsergebnis, Todesursache und gutachtlicher Beurteilung. Je nach Sachverhalt finden sich histologische, toxikologisch-chemische oder bakteriologische Zusatzuntersuchungen.

Die erfassten 184 militärgerichtlichen Obduktionen wurden an verschiedenen Standorten durchgeführt. Der Großteil der Leichenöffnungen erfolgte im Städtischen Krankenhaus Westend in Berlin-Charlottenburg, das seit Kriegsbeginn als Reservelazarett 101 Berlin diente. Ein weiterer Obduktionsort war das Universitätsinstitut für gerichtliche und soziale Medizin, dessen Direktor Victor Müller-Heß (1883−1960) seit dem Frühjahr 1944 in Personalunion das nahe gelegene IwgM leitete [7]. Vereinzelt haben die Sanitätsoffiziere auch in Reservelazaretten im Umland von Berlin obduziert.

Rechtsgrundlagen der militärgerichtlichen Leichenöffnungen

Mit der Mobilmachung der deutschen Streitkräfte am 26. August 1939 trat die „Verordnung über das militärische Strafverfahren im Kriege und bei besonderem Einsatz“, kurz Kriegsstrafverfahrensordnung (KStVO), in Kraft (RGBl. 1939 I S. 1457−1476). Wie im zivilen Strafprozess war auch im Kriegsverfahren die gerichtliche Untersuchung bestimmter Todesfälle vorgesehen. Für die Leichenöffnung galt § 39 Abs. 3 KStVO:

„(3) Steht die Todesursache nach der Leichenschau nicht einwandfrei fest, so läßt der Untersuchungs­führer die Leiche von einem Sanitätsoffizier öffnen. Zuvor wird möglichst die Person des Verstorbenen festgestellt. Einem Beschuldigten wird die Leiche zur Anerkennung vorgezeigt“ (RGBl. 1939 I S. 1464).

Der unbestimmte Hinweis im Gesetz, „die Leiche von einem Sanitätsoffizier öffnen“ zu lassen, bedingte im Wehrkreis III (Groß-Berlin) einen mehrjährigen Kompetenzstreit zwischen Pathologen und Gerichtsmedizinern. Der Anlass für die Kontroverse über die Zuständigkeit im Obduktionsdienst war der Standortarztbefehl Nr. VIII vom 19. September 1939. Darin war festgelegt, die Leichen aus Berlin in das Reservelazarett 101 oder in die Charité zu überführen. Sowohl gerichtliche Leichenöffnungen als auch „außergerichtliche Obduktionen gerichtlich-medizinischer Prägung“ wurden befehlsgemäß dem Wehrkreispathologen zugewiesen. Erst nach mehrjährigen Bemühungen gelang es dem Direktor des IwgM, eine Neuregelung zu erreichen. In einer Anordnung des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW) vom 10. August 1942 hieß es:

„(2) Den Heeresgerichten wird empfohlen, mit dem Gerichtlich-Medizinischen Institut der Militärärztlichen Akademie Berlin NW 40, Scharnhorststraße 35, in folgenden Fällen Fühlung zu nehmen:

a) wenn besondere geheimhaltungsbedürftige Nebenumstände der Tat vorliegen;

b) wenn durch die Anwendung von Militärwaffen im weitesten Sinne der Tod verursacht ist (Mord, Totschlag, Körperverletzung mit tödlichem Ausgang, fahrlässige Tötung, Tötung in Notwehr oder in Ausübung des Befehlsnotrechts, nicht dagegen im Allgemeinen bei Selbstmord mit Militärwaffen);

c) wenn Begutachtungen auf dem Gebiet der Spurenkunde erforderlich sind;

d) wenn in sonstigen Fällen die örtlich in Frage kommenden Sachverständigen verhindert sind“ [1].

Wie in der Anordnung ersichtlich, untersuchten Gerichtsmediziner im Auftrag der Militärjustiz nicht nur Todesfälle. In Strafverfahren wegen Wehrkraftzersetzung, etwa durch Selbstverstümmelung oder Krankheitssimulation, konnte ohne medizinische Untersuchungen ein strafrechtlich relevantes Handeln nicht nachgewiesen werden. Die Gerichtsmediziner in der Wehrmacht waren mit derartigen Verdachtsfällen konfrontiert und entschieden mit ihrem Gutachten nicht selten über den Ausgang des Strafverfahrens [3]. Aufgrund der enormen Verschärfung des Militärstrafrechts während der NS-Zeit drohte den Angeklagten bei einem Schuldspruch im Regelfall die Todesstrafe. Insbesondere das als Auffangtatbestand konzipierte Delikt Wehrkraftzersetzung „entfaltete bis 1945 eine perfide Wirkung und diente Zigtausenden von Justizmorden als Legitimation“ [8].

Ergebnisse

Geschlechts- und Altersverteilung der Verstorbenen

Unter den obduzierten Toten waren 183 Männer und eine Frau. Außer 150 Wehrmachtsangehörigen, vom Soldaten bis zum Oberst, und sechs Wehrmachtsbeamten waren darunter zehn Mitglieder der Waffen-SS, fünf Kriegsgefangene und ein Volkssturmmann sowie zwei Angehörige der Organisation Todt. Die Frau war als Flakhelferin eingesetzt und hatte während eines laufenden Kriegsgerichtsverfahrens wegen „Unerlaubter Entfernung“ einen Suizid begangen. Bei neun untersuchten Todesfällen gab es keinen Hinweis auf den Dienstrang im Protokoll.

Die Zuordnung von 169 Verstorbenen, bei denen das Sterbealter angegeben war, zu den Altersgruppen ist in Tabelle 2 zusammengestellt. Die jüngsten Toten waren im Alter von 17 Jahren, von denen drei als Soldat der Wehrmacht, einer der SS und einer der Organisation Todt angehörten. In der Altersstufe ab 51 Jahre fanden sich mehrheitlich ältere Berufssoldaten, aber auch ein Volkssturmmann. Der älteste Tote, ein 63-jähriger Oberst, war nach seinem Suizid zusammen mit drei anderen Erschossenen in einer Wohnung aufgefunden worden. In 15 Protokollen fehlte die Angabe des Sterbealters.

Tab. 2: Altersgruppen der Verstorbenen (n = 169)

Bei der Altersverteilung fiel besonders die breite Spanne des Sterbealters von 17 bis zu 63 Jahren auf. Bis auf den Angehörigen der Organisation Todt gehörten die anderen 17-Jährigen bereits einer militärischen Formation an. Ein Panzerschütze war nach einer Gasvergiftung bei der militärischen Ausbildung verstorben. Sein Fall aus dem Jahr 1942 belegt, dass schon zu dieser Zeit vereinzelt Jugendliche vor Erreichen des gesetzlich festgelegten Alters zum aktiven Wehrdienst einberufen wurden. Nach § 4 Wehrgesetz vom 21. Mai 1935 begann die Wehrpflicht erst mit dem vollendeten 18. Lebensjahr (RGBl. 1935 I S. 609). Im weiteren Verlauf des Krieges änderte sich die Situation durch immer früher erfolgte Einberufungen und schließlich durch die Aufstellung der Volkssturm­verbände [11]. Gemäß „Erlaß des Führers“ vom 25. September 1944 war im gesamten Reich „aus allen waffenfähigen Männern im Alter von 16 bis 60 Jahren der Deutsche Volkssturm zu bilden“ (RGBl. 1944 I S. 253). Der nachweislich einzige Volkssturmmann unter den analysierten Todesfällen starb Anfang März 1945 mit 51 Jahren durch selbst beigebrachte Stich- und Schnittverletzungen.

Todesart und Todesursachen

Die Analyse der Todesart war bei 180 Fällen möglich; sie erbrachte eine Relation von 16 natürlichen Sterbefällen (= 8,9 %) zu 164 nichtnatürlichen Todesfällen (= 91,1 %). Über die gebräuchliche Einteilung in Unfälle, Suizide und Tötungsdelikte hinaus waren hier als zusätzliche Kategorien die Kriegseinwirkungen und die standrechtlichen Erschießungen zu berücksichtigen (Tabelle 3). Bei vier Verstorbenen ließ sich das zum Tod führende Geschehen nicht aufklären. In einem Fall ergab die Obduktion zwar als Todesursache Ertrinken, jedoch fehlten Erkenntnisse über das Zustandekommen durch Unfall, Suizid oder Fremdeinwirkung. Darüber hinaus blieb in drei Fällen die Todesart ungeklärt. Es handelte sich um zwei Wasserleichen im Zustand hochgradiger Fäulnis und um einen mumifizierten Leichnam.

Die häufigste Ursache für einen natürlichen Tod (n = 16 Fälle) war mit fünf Fällen die ischämische Herzkrankheit, gefolgt von vier Sterbefällen durch Meningitis sowie von jeweils zwei Fällen mit Diphtherie bzw. malignen Tumoren. Bei den übrigen drei natürlichen Todesfällen ist der als Todesursache bezeichnete Zustand eher eine Befundbeschreibung als eine pathologisch-anatomische Diagnose.

Die Ursachen für die nichtnatürlichen Todesfälle lassen sich von der Art der äußeren Gewalteinwirkung ableiten (Tabelle 4). Anders als bei den Unfällen mit dem deutlichen Überwiegen von stumpfer Gewalt dominiert sowohl bei den Suiziden als auch bei den Tötungsdelikten die Verwendung von Schusswaffen.

Tab. 3: Verteilung der Obduktionsfälle nach Todesart (n = 180)

 

Tab. 4: Unfälle, Suizide und Tötungsdelikte nach Art der Gewalteinwirkung (n = 156)

Tödliche Unfälle

Bei den Unfällen durch stumpfe Gewalt führten am häufigsten Verkehrsunfälle mit Lkw, Pkw und Eisenbahnzügen zum Tod (Tabelle 5). In der Mehrzahl dieser Fälle war ein Polytrauma die Todesursache. Die Stürze ereigneten sich zweimal zu ebener Erde und zweimal aus der Höhe. Dem Unfallhergang entsprechend war bei den erstgenannten Fällen ein Schädel-Hirn-Trauma und bei den anderen beiden Fällen ein Polytrauma todesursächlich. Der ungewöhnlich erscheinende, als Unfall durch Schlag ausgewiesene Todesfall kam nach Angabe der Obduzenten durch eine unbeabsichtigte Selbstverletzung zustande. Der französische Kriegsgefangene hatte sich auf einem Bauernhof beim Dreschen selbst mit dem Dreschflegel am Kopf getroffen und war wenig später infolge eines epiduralen Hämatoms verstorben.

Tab. 5: Unfallbedingte Todesfälle durch stumpfe Gewalt (n = 32)

Die unfallbedingten Vergiftungen bilden die zweitgrößte Fallgruppe (vgl. Tabelle 4). Ein Soldat hatte während der militärischen Ausbildung das Gas einer Nebelkerze eingeatmet. Ein weiterer Vergiftungsfall macht die katastrophale Ernährungslage der sowjetischen Kriegsgefangenen deutlich [20]. Der ausgehungerte Rotarmist hatte in Unkenntnis vergiftetes rotes Getreide gegessen und starb zwei Tage später an einer Thalliumintoxikation. Die übrigen Vergiftungen dieser Gruppe waren durch übermäßigen Alkoholkonsum verursacht. In den Studien von Fischer [2][3] zeigte sich, dass ein Alkoholabusus nicht nur zu zahlreichen Vergiftungstodesfällen beim Militär, sondern auch zu tödlichen Stürzen und Straßenverkehrsunfällen geführt hatte.

Die vier Schusstodesfälle in der Unfallgruppe waren auf unsachgemäßes Hantieren mit der Waffe zurückzuführen. Auch die zwei Todesfälle durch scharfe Gewalt kamen während der militärischen Ausbildung zustande. Beim Üben mit Handgranaten wurden die Soldaten durch Splitter tödlich verletzt. Der Erstickungstod durch Thoraxkompression war in beiden Fällen bei einem Lkw-Unfall eingetreten. Die zwei Stromtodesfälle betrafen Funker, die dienstlich mit Arbeiten an elektrischen Geräten beschäftigt waren. Der Bolustod wurde durch einen Fleischbissen bei hastigem Essen in der Manöverpause auf einem Truppenübungsplatz ausgelöst.

Die Unfallereignisse werden üblicherweise nach der Art der äußeren Einwirkung unterschieden, sind aber im Hinblick auf den Gegenstand der vorliegenden Studie auch als zivil oder militärisch zu differenzieren. Nach dieser zusätzlichen Einteilung waren es 32 Unfälle im zivilen Bereich, die sich während eines Ausgangs oder eines Urlaubs ereignet hatten. Die übrigen 24 Unfälle kamen im Zusammenhang mit militärischen Dienstverrichtungen zustande. Typische Ereignisse in dieser Fallgruppe waren Verkehrsunfälle und unbeabsichtigte Verletzungen durch Schusswaffen.

Selbsttötungen

Mit einer Anzahl von 90 Obduktionen (= 54,9 % der 164 nichtnatürlich Verstorbenen) waren die Selbsttötungen die am häufigsten erfassten nichtnatürlichen Todesfälle. In Anbetracht der Ungleichverteilung der überlieferten Obduktionsbefunde mit der Konzentration auf das Jahr 1944 ließ sich die anderweitig festgestellte Zunahme von Suiziden in den Reihen der Wehrmacht mit der Fortdauer des Krieges nicht nachvollziehen. Der erwiesene Anstieg der Fallzahlen wird damit erklärt, dass viele Soldaten „dem Druck und den Belastungen des Krieges nicht länger standhalten“ konnten [6].

Aus denselben Gründen nahm zum Kriegsende hin auch die Zahl der Selbstverstümmelungen zu, die manchmal zu schweren Verletzungen und später zum Tod durch eigene Hand führten [3]. Rechtlich galt jede Handlung, die darauf abzielte, sich der Erfüllung des Wehrdienstes ganz, teilweise oder zeitweise zu entziehen, als Wehrkraftzersetzung. Nach einer Hochrechnung von Seidler [18] erhielten während des Zweiten Weltkriegs etwa 6 200 Soldaten wegen Selbstverstümmelung die Todesstrafe.

Wie bei Militärpersonen zu erwarten, stand bei den ausgewerteten Suiziden die Verwendung von Schusswaffen mit deutlichem Abstand an der Spitze (vgl. Tabelle 4). Diese Selbsttötungen wurden hauptsächlich durch Schüsse in den Kopf begangen (42 Fälle), und nur fünfmal handelte es sich um einen Herzschuss. Phänomenologische Besonderheiten boten ein Suizid mit zwei aufgesetzten Schüssen in den Kopf aus zwei Pistolen und ein kombinierter Suizid durch Kopfschuss und Hängen.

In der Häufigkeitsverteilung der Suizide folgen nach den Schusstodesfällen die Vergiftungen und das Erhängen. Bei den Vergiftungen war Kohlenmonoxid das bevorzugte Suizidmittel (16 Fälle), während Barbiturate lediglich zweimal und Zyankali nur einmal verwendet wurden. Die Studien von Fischer [2][3] ergaben eine ähnliche Reihenfolge an der Spitze der Verteilung, nach der die weitaus häufigsten Selbsttötungen von Militärangehörigen durch Schusswaffen, Erhängen und Vergiften begangen wurden.

Im ausgewerteten Protokollbestand war vermerkt, dass die Selbsttötung von drei Stabsoffizieren und einem hohen Wehrmachtsbeamten mit dem gescheiterten Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 im Zusammenhang stand. Der missglückte Anschlag hatte sogleich eine Welle von Selbsttötungen unter den eingeweihten Militärs ausgelöst [6]. Einer der führenden Verschwörer, Generalmajor Henning von Tresckow, tötete sich bereits am folgenden Tag, um der Festnahme zu entgehen. Noch bis zum Ende des Krieges verfolgten die Nationalsozialisten tatsächliche und angebliche Mitverschwörer. Während dieser Zeit entschieden sich nicht wenige verdächtigte Offiziere zur Selbsttötung. Erst mit den letzten Hinrichtungen im April 1945 endeten die rücksichtslosen Verfolgungsmaßnahmen.

Todesfälle durch Fremdeinwirkung

Nach § 1 Abs. 1 Kriegssonderstrafrechtsverordnung galt für alle Personen, die dem Militärstrafgesetzbuch unterworfen waren, auch das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich (RGBl. 1939 I S. 1455). Folglich konnten auch Delikte aus dem Reichsstrafgesetzbuch, hieraus insbesondere die Tötungsverbrechen, von Behörden der Militärjustiz geahndet werden. Bei den festgestellten zehn Tötungsdelikten der allgemeinen Kriminalität handelte es sich bei Opfern und Tätern um Militärpersonen, sodass die gerichtlichen Leichenöffnungen anordnungsgemäß von Sanitätsoffizieren des IwgM ausgeführt wurden.

Sämtliche zehn Tötungsdelikte waren durch Schusswaffen ausgeführt worden (vgl. Tabelle 4). Aufgrund der kurzen Sachverhaltsschilderung in den Obduktionsprotokollen können acht als vorsätzlich begangen und zwei als fahrlässig verursacht angesehen werden. Die acht Vorsatztaten standen im Zusammenhang mit Festnahmen im Streifendienst, wobei siebenmal die diensttuenden Wehrmachtsangehörigen und einmal der Festzunehmende erschossen wurden. Die zwei fahrlässigen Taten ereigneten sich beim Waffenreinigen und bei einem Handgemenge nach einem Gaststättenbesuch.

Von den erfassten sechs tödlichen Verletzungen durch Kriegseinwirkungen waren ausnahmslos Angehörige von Kampfverbänden betroffen. Allerdings widerspiegelt diese verschwindend geringe Fallzahl auch nicht annähernd das Sterben deutscher Soldaten im Zweiten Weltkrieg. Nach dem Kriegstagebuch des OKW verloren von 1939 bis 1945 allein im Heer 1 622 561 Wehrmachtsangehörige durch Feindeinwirkung ihr Leben [17].

Aus dem Jahr 1942 sind zwei Fälle von standrechtlicher Erschießung dokumentiert. Die Opfer waren ein 19-jähriger und ein 24-jähriger Soldat. Die Obduktionsbefunde erweisen die Technik der Exekution: Das Erschießungskommando feuerte eine Salve von zehn Schuss aus 6-10 m Entfernung auf den Todeskandidaten ab [3]. Dementsprechend wurden bei den obduzierten Soldaten neun bzw. sieben Schusswunden in der Brust festgestellt. Die Todesursache war in beiden Fällen eine Herzzerreißung. Auch diese Toten repräsentieren nur exemplarisch die gesamte Fallgruppe. War es in den ersten Kriegsjahren noch eine überschaubare Zahl standrechtlicher Erschießungen, so nahm die Standgerichtsbarkeit mit der ausweglos werdenden Lage an den Fronten gigantische Ausmaße an. Die Urteile, die ohne mündliche Verhandlung ausgesprochen wurden, lauteten in der Regel auf Tod [9]. Im Unterschied zu den Entscheidungen im regulären Militärgerichtsverfahren konnten Standgerichtsurteile unverzüglich vollzogen werden. Überall in Deutschland waren sogenannte fliegende Standgerichte unterwegs, die ihre Todesurteile eigenhändig vollstreckten [10].

Fazit

In der Gesamtschau belegen die ausgewerteten Todesfälle, dass auch in der Endphase des Krieges die Leichen plötzlich oder unter besonderen Umständen verstorbener Angehöriger der Wehrmacht und anderer Formationen, Kriegsgefangener und Zivilisten auf Anordnung von Militärgerichten im IwgM obduziert wurden. Die einwandfreie Feststellung der Todesursache sollte „unter den kriegsbedingten strengen Maßstäben“ klare Rechtsverhältnisse schaffen und den Verdacht einer Mitschuld von Kameraden oder Zivilisten bestätigen oder beseitigen [2]. Durch die Obduktionstätigkeit leisteten die Sanitätsoffiziere des IwgM ihren fachspezifischen Beitrag zur sachgerechten Aufklärung rechtlich relevanter Todesfälle.

Kernsätze

  • Zum Leistungsspektrum des 1940 gegründeten Instituts für wehrgerichtliche Medizin gehörte die Vornahme von Obduktionen auf Anordnung von Kriegsgerichten.
  • Die Auswertung von 184 Obduktionsbefunden erbrachte eine Relation von 8,9 % natürlichen Sterbefällen zu 91,1 % nichtnatürlichen Todesfällen.
  • Bei den Unfällen war die Einwirkung stumpfer Gewalt durch Verkehrsunfälle die häufigste Todesursache.
  • Wie bei Militärpersonen zu erwarten, dominierte bei den Suiziden die Verwendung einer Schusswaffe.
  • Zur Gruppe der Todesfälle durch Fremdeinwirkung gehörten Tötungsdelikte, tödliche Verletzungen durch Kriegseinwirkungen und standrechtliche Erschießungen.

Literatur

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  4. Fischer H: Die militärärztliche Akademie 1934−1945. Osnabrück: Biblio Verlag 1985; 11−26.
  5. Goerke H: Aufgaben und Leistungen der früheren deutschen Militärärztlichen Bildungsanstalten. WMM 1976; 20: 119−124.
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Manuskriptdaten

Eingereicht: 11. September 2019

Angenommen: 4. November 2019

Zitierweise

Wirth I: Militärgerichtliche Leichenöffnungen in den Kriegsjahren 1942 bis 1945. WMM 2020; 64(3-4): 98-103.

Verfasser

Prof. Dr. med. Dr. phil. Ingo Wirth

Stedingerweg 24, 10407 Berlin

E-Mail: ingo.wirth@hpolbb.de

Manuscript data

Submitted: 11 September 2019

Accepted: 4 November 2019

Citation

Wirth I: Military court-mandated autopsies in the war years 1942 to 1945. WMM 2020; 64(3-4): 98-103.

Author

Prof. Dr. med. Dr. phil. Ingo Wirth

Stedingerweg 24, 10407 Berlin

E-Mail: ingo.wirth@hpolbb.de