Wehrmedizinische Monatsschrift

FUNKTION UND ÄSTHETIK

Die Plastische Chirurgie im wehrmedizinischen Kontext1

Meike Wendlandt, Benedikt Friemert a

a Bundeswehrkrankenhaus Ulm – Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie, Septische und Rekonstruktive Chirurgie, Sporttraumatologie

 

Zusammenfassung

Die Rekonstruktive Chirurgie ist ein Teilgebiet der Plastischen Chirurgie und von erheblicher wehrmedizinischer Relevanz. Der Erhalt beziehungsweise die Wiederherstellung der Integrität des Körpers und damit der Funktionsfähigkeit nach Trauma oder Operation muss das Ziel der Chirurgie im Allgemeinen und in der Traumatologie im Besonderen sein.

Die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen chi­rurgischen Fachbereichen sollte so früh wie möglich initiiert werden, um ein möglichst gutes Ergebnis für jeden Patienten zu erzielen.

Die Betrachtung des gesamten Patienten, seiner Vorerkrankungen, seine Lebenssituation und selbstverständlich seiner Wünsche ist in solchen komplexen Fällen bei der Planung jeglicher operativer Prozedur essenziell. Nicht jeder Patient ist geeignet für eine aufwendige operative Rekonstruktion. Hier muss auch in enger Absprache mit der Anästhesie vorgegangen werden. Häufig sind rekonstruktive Eingriffe von erheblicher zeitlicher Länge – so kann die Durchführung einer freien Lappenplastik zwischen 5 und 10 Stunden dauern. Vorerkrankte Patienten mit zum Beispiel Herz-Kreislauf-Erkrankungen müssen in Zusammenarbeit mit Anästhesie und Innerer Medizin vorbereitet werden. In seltenen Fällen muss tatsächlich von einer aufwendigen Operation abgesehen werden, wenn das Operationsrisiko größer ist als der bestmögliche zu erwartende Nutzen.

Bei aller Planung hat grundsätzlich der Extremitätenerhalt absolute Priorität. Eine Amputation bringt nicht nur ein erhebliches operatives Risiko mit sich, sondern birgt auch die Gefahr einer dauerhaften Immobilisierung, da der Kraftaufwand und Energieverbrauch für das Gehen an Gehstützen oder mit Prothese nach Amputation an einer Extremität deutlich erhöht wird und damit oftmals nicht mehr bewältigt werden kann. Der Behandlungspfad muss folglich im chirurgischen Team, mit dem Patienten und seiner Familie, mit der Anästhesie und den Mikrobiologen/Infektiologen, aber auch den Physiotherapeuten und Orthopädiemechanikern, wohl abgewogen sein.

Große Weichteildefekte sind oftmals kontaminiert und benötigen eine abgestimmte operative und pharmakologische Behandlung. Hierzu haben sich sogenannte „septische Visiten“ bei uns im Hause bewährt, bei denen ein Team aus Infektiologe, Mikrobiologe, Pharmazeut, Chirurg und Physiotherapeut gemeinsam mit dem Patienten sprechen und die Therapie planen. Eine Rekonstruktion kann nur erfolgen, wenn eine Wunde weitestgehend sauber und im Idealfall keimfrei ist.

Schlüsselwörter: Defektdeckung, Lappenplastik, freier Lappen, gestielter Lappen, Wiederherstellung, Funktion, Traumabehandlung, „damage control surgery“

Keywords: defect cover, flap graft, free graft, pedicle flap, reconstruction, trauma treatment, damage control surgery

Einleitung

Die Rekonstruktive Chirurgie, die sich mit der Wiederherstellung des Körpers beschäftigt, ist ein Teilbereich der Plastischen Chirurgie. Im Rahmen dieses Artikels soll die wehrmedizinische Relevanz dieses Teilgebietes der Plastischen Chirurgie beschrieben werden. Hierbei sollen insbesondere die Möglichkeiten und Vorgehensweisen der Rekonstruktiven Chirurgie betrachtet werden.

Innerhalb der Bundeswehr ist die Plastische Chirurgie ein noch junges Fachgebiet, welches in den Kliniken für Unfallchirurgie und Orthopädie der Bundeswehrkrankenhäuser Ulm, Koblenz und Berlin als Sektion „Septisch-Plastische Chirurgie“ sollorganisatorisch verankert ist.

Gemäß Definition der Deutschen Gesellschaft für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chi­rur­gie (DGPRÄC) basiert die Plastische Chirurgie auf den vier Säulen:

Abb. 1: Die vier Säulen der Plastischen Chirurgie

Qualifikation und Schwerpunkte

Der Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie ist ein eigenständiger Facharzt mit einer 6-jährigen Weiterbildungszeit. Wie bei allen anderen chirurgischen Fächern erfolgt zunächst die chirurgische Basisweiterbildung (common trunk) und anschließend die 4-jährige fachspezifische Weiterbildung. Bei der Weiterbildung im Rahmen des DUO-Konzeptes der Bundeswehr erfolgt auch im Rahmen der Weiterbildung zum Facharzt für Plastische Chirurgie zunächst die Weiterbildung zum Facharzt für Chirurgie. Anschließend dauert die Weiterbildung zum Plastischen Chirurgen weitere drei Jahre. Während dieser Weiterbildungszeit ist eine 6-monatige Weiterbildung in einem Brandverletztenzentrum erforderlich.

Die Schwerpunkte der Plastischen Chirurgie im militärischen Kontext sind die Rekonstruktive Chirurgie der Weichteildefekte durch Schuss- und Explosionsverletzungen sowie die Handchirurgie. Die Verbrennungsmedizin hat ebenfalls erhebliche wehrmedizinische Relevanz, da einsatzbedingte Verletzungen häufig thermomechanische Kombinationsverletzungen sind.

In diesem Artikel soll der Begriff und die Bedeutung der Rekonstruktiven Chirurgie erklärt und die wehrmedizinische Relevanz dargestellt werden.

Grundsätze und Ziele der Traumabehandlung

Grundsätzlich verfolgt die Traumabehandlung folgende Ziele:

Die Traumabehandlung kann bei bestimmten Verletzungen einzeitig erfolgen, häufig ist jedoch ein mehrzeitiges Vorgehen erforderlich. Entsprechend ist die initiale Diagnose für die Planung der weiteren operativen Maßnahmen wesentlich.

Abb. 2: Was bedroht den Patienten und die Extremität?

Ein polytraumatisierter Patient mit multiplen Verletzungen, von denen mindestens eine lebensgefährlich ist, muss zunächst seine Verletzungen überleben. Hier beginnt die chirurgische Notfallversorgung (damage control surgery) mit dem Ziel der Sicherung der Vitalfunktionen und dem Schutz vor Folgeschäden mit Herstellung der stationären Behandlungsfähigkeit beziehungsweise der Transportfähigkeit in regionale und überregionale Traumazentren/Spezialkliniken wie Verbrennungszentren.

Die damage control surgery ist eine individualmedizinische Versorgungsstrategie mit dem Ziel, Überleben UND bestmögliche Lebensqualität zu ermöglichen.

Sie beinhaltet die folgenden Maßnahmen:

Abb. 3: Ziel der Wiederherstellung bei der Traumabehandlung

Idealerweise beginnt die Zusammenarbeit der Traumatologie und der Plastischen Chirurgie bereits in der Frühphase der Traumaversorgung. Ziel ist die Wiederherstellung der Integrität des Körpers, der Funktionsfähigkeit, der Ästhetik und damit die Wiederherstellung des Körperbildes.

Integrität bedeutet die generelle Intaktheit des Körpers. Nach schweren Traumata oder Tumoroperationen kann ein Defekt bestehen, welcher die Integrität aufhebt. Defekte können ebenso Weichteile wie Haut und Unterhautfettgewebe, Muskulatur, Knochen, Nerven und Gefäße betreffen. Hierbei ist es essenziell zu verstehen, dass der Körper ein System aus ineinandergreifenden Systemen ist.

Kurzum, ...

... das Eine kann nicht ohne das Andere existieren.

Vorgehen zur Rekonstruktion von Defektwunden

Es gibt Verletzungen, bei denen so komplexe Defekte vorliegen, dass alle der in der Einleitung genannten Strukturen ersetzt werden müssen. In den meisten Fällen sind jedoch Weichteildefekte mit freiliegenden Knochen und Sehnen die Indikation für Defektrekonstruktionen.

Defektwunden können nicht nur durch Traumata entstehen, sondern auch aufgrund der erforderlichen Radikalität bei Tumoroperationen notwendig werden und grundsätzlich auch nach Operation jeder Art auftreten, wenn im Verlauf Wundheilungsstörungen und/oder Infektionen entstehen.

Vor jeglicher Art von Defektdeckung ist die sorgfältige Erhebung der Anamnese des Patienten essenziell. Wundheilungsstörungen können durch Medikamente, wie z. B. Corticoide oder Zytostatika, entstehen beziehungsweise unterhalten werden. Durchblutungsstörungen an der Extremität, bedingt entweder durch das Trauma, eine periphere arterielle Verschlusskrankheit oder venöse Insuffizienz, müssen im Vorfeld diagnostiziert und behandelt werden. Ebenfalls nicht zu vergessen sind bei schwer heilenden Wunden Erkrankungen aus dem dermatologischen Formenkreis, wie z. B. das Pyoderma gangränosum oder auch Kollagenosen. In den oben genannten Fällen kann durch Optimierung der Medikation, eine interventionelle oder gefäßchirurgische Verbesserung der Durchblutung oder lokale Salbenbehandlung in seltenen Fällen die Wunde der Sekundärheilung zugeführt werden, ohne dass eine weitere operative Versorgung erforderlich wird. Sollten diese Maßnahmen jedoch nicht zielführend sein oder aber der Defekt nicht konservativ auszubehandeln sein, dann sind plastisch-chirurgische Maßnahmen zu ergreifen.

Die Defektdeckung folgt dem Prinzip der „Rekonstruktiven Leiter“: Primärverschluss – Sekundärverschluss – Hauttransplantat – Lokale Lappenplastik – Freie Lappenplastik (Abbildung 4).

Abb. 4: „Rekonstruktive Leiter“

Für den Erfolg der Rekonstruktion ist die Wahl der Art der Defektdeckung essenziell. Eine rigorose Abfolge im Stufenschema sollte also nicht erfolgen. Beispielhaft sei hier die Spalthautdeckung auf einen freiliegenden Knochen mit Plattenosteosynthese genannt. In diesem Fall ist eine erfolgreiche Defektdeckung unmöglich, da das Einheilen eines Hauttransplantates ohne einen durchbluteten Wundgrund nicht möglich ist. Daraus folgt:

 

Für jeden Defekt muss die Auswahl des Deckungsverfahrens abhängig von der Defektgröße, der Defektstruktur und den anatomischen Gegebenheiten des Patienten erfolgen.

 

Primärverschluss

Nach Schnittverletzungen und unkomplizierten Riss-Quetschwunden ist nach sorgfältiger Reinigung des Wundgebietes und Anfrischen der Wundränder der direkte Hautverschluss mit Nähten möglich.

Sekundärverschluss

Nach Schnittverletzungen und Riss-Quetschwunden ist erst nach vorhergehender operativer Versorgung und zwischenzeitlichem temporärem Wundverschluss (durch VAC®-System oder Epigard®) der Wundverschluss durch Hautnaht möglich. Voraussetzung hierfür ist, dass der Wundgrund sauber und gut durchblutet ist.

Hauttransplantation

Bei Verletzungen, die bis in das Subkutangewebe reichen, kann nach vorhergehender Vorbereitung des Wundgrundes (ebenfalls durch VAC®-System oder ­Epigard®) eine Hauttransplantation erfolgen. Hierzu wird ein Hauttransplantat mittels Dermatom mit einer Dicke von 0,2-0,4 mm entnommen, anschließend entweder mit einem Skalpell gestichelt oder mittels MESH eine Vergrößerung der Oberfläche vorgenommen, bevor es dann auf den sauberen und gut durchbluteten Wundgrund aufgebracht und befestigt wird. Eine Einheilung ist in der Regel nach 5-7 Tagen erfolgt.

Lappenplastiken

Wenn keine der oben genannten „einfacheren“ Therapien eine sichere Defektdeckung erzielen kann, so ist die Verwendung einer sogenannten Lappenplastik notwendig. Dabei wird körpereigenes Gewebe vom Entnahmeort an den Defektort verlagert. Im Englischen wird der Begriff „flap“ verwendet, im Französischen „le lambeau“.

Grundsätzlich gibt es verschiedene Arten der Lappenplastik, die sich auf die Zusammensetzung des Gewebes wie auch auf die Art des Gewebetransfers beziehen.

Eine weitere Unterscheidung des Gewebetransfers besteht in der Art der Deckung; man unterscheidet „gestielte Lappen“ und „freie Lappen mit mikrovaskulärem Gefäßanschluss“.

Gewebezusammensetzung einer Lappenplastik

Das Transplantat einer Lappenplastik besteht aus:

Gestielte Lappenplastiken

Gestielte Lappenplastiken können eine randomisierte (random pattern) Gefäßversorgung oder aber eine definierte Gefäßversorgung (axial pattern) aufweisen.

Die Verwendung als Vorschub-, Rotations-, Transpositionslappenplastik ist möglich und beschreibt die Art der Lappenverschiebung aus einem an den Defekt angrenzenden Areal.

Eine Sonderform der gestielten Lappenplastik ist die perforatorbasierte Propellerlappenplastik, die ein sehr elegantes Verfahren der Defektdeckung beschreibt, bei der eine Lappenplastik an einem definierten und mikrochirurgisch präparierten Gefäßstiel in einen Defekt im Sinne eines Propellers um bis zu 180 Grad in einen Defekt hineingeschwenkt werden kann.

Häufig verwendete gestielte Muskellappenplastiken sind:

Als fasziokutan gestielte Lappenplastiken kommen insbesondere zur Anwendung:

Die Abbildungen 5 bis 12 zeigen Beispiele für gestielte Lappenplastiken.

 

Abb. 5: Viertgradige Dekubitalulzera über beiden Sitzbeinen und dem Kreuzbein (links); Defektdeckung mittels fasziokutaner Vorschublappenplastiken vom dorsalen Oberschenkel beidseits und glutealen fasziokutanen Rotationslappenplastiken (rechts)

Abb. 6: Viertgradige Dekubitalulzera über dem Trochanter major links und dem Kreuzbein (links); Defektdeckung mittels gestielter Tensor fascia lata Lappenplastik und glutealem fasziokutanem Rotationslappen (rechts)

Abb. 7: Chronische Wundheilungsstörung im Bereich der mittleren BWS nach Quetschverletzung (links); Defektdeckung mittels perforatorbasierter fasziokutaner DICAP-Propeller-Lappenplastik (rechts)

Abb. 8: Defektwunden über dem Sternum infolge Osteomyelitis nach Herzklappenersatz (links); Defektdeckung mittels gestielter Rectus abdominis Lappenplastik (Mitte, Befund 2 Tage postoperativ mit Monitorinsel); 6 Wochen postoperativ – nach Abtragung der Monitorinsel und Spalthauttransplantation – ist eine erneute Fistelung aufgetreten, welche kardiochirurgisch weiterbehandelt wurde (rechts)

Abb. 9: Hautnekrose über der proximalen Tibia mit freiliegendem Osteosynthesematerial (links); Defektdeckung mittels gestielter Gastrocnemius-Lappenplastik und Spalthauttransplantation (rechts)

Abb. 10: Defektwunde über dem palmaren Handgelenk mit freiliegendem Nervus medianus und Flexor carpi ulnaris (links); die Defektdeckung erfolgte mittels sogenanntem Becker-flap, einem fasziokutanem Perforatorlappen aus der dorsalen Arteria ulnaris (Mitte); Befund 3 Monate postoperativ (rechts).

Abb. 11: Defektwunde nach Explosionsverletzung mit offener Humerusfraktur, Osteomyelitis und Defektstrecke des Nervus medianus: Versorgung mittels multipler Debridements und Spül-VAC®-Anlagen; im Verlauf Rekonstruktion des Humerus mittels Beckenkammspan und Plattenosteosynthese, Rekonstruktion des Nervus medianus auf 3 cm mittels Nervus suralis Interponaten und gestielter Latissimus dorsi Lappenplastik mit Spalthauttransplantatio
(A) Aufnahmebefund – (B) intraoperativer Befund nach Osteosynthese – (C) intraoperativer Befund nach Latissmus dorsi-Lappenplastik – (D) Befund 4 Wochen postoperativ

Abb. 12: Defektwunde nach Achillessehnennaht (links); Defektdeckung mittels gestielter fasziokutaner Arteria fibularis Perforator Propellerlappenplastik (rechts)

Freie Lappenplastiken

Die Verwendung von freien Lappenplastiken mit mikrovaskulärem Gefäßanschluss ist dann notwendig, wenn eine gestielte Lappenplastik aufgrund von Kollateral­verletzungen im an das Trauma angrenzenden Areal nicht verwendbar ist und/oder wenn Wundgröße und/ oder Beschaffenheit eine gestielte Lappenplastik aus­schließen.

Jede freie Lappenplastik muss ein definiertes Gefäßbündel haben, welches mikrovaskulär an der Empfängerstelle angeschlossen wird. Für die Auswahl der Lappenplastik sind Größe und Beschaffenheit des Defektes sowie die Qualität der Anschlussgefäße wichtig.

Wesentlich ist, dass mit der Wahl der Lappenplastik kein neuer einschränkender Defekt entsteht. Im konkreten Fall bedeutet dieses z. B., dass die Entnahme eines Latissimus dorsi-Lappens bei einem auf den Rollstuhl angewiesenen Patienten vermieden werden sollte, da hierdurch ein Transfer vom Rollstuhl auf einen Stuhl oder ins Bett erheblich erschwert wird. Auch muss bei Patienten mit vorbestehender Abdominalhernie und Lungenerkrankungen auf die Verwendung eines Rectus abominis-Lappens verzichtet werden.

In Bezug auf die Beschaffenheit des Defektes ist wesentliche Entscheidungsgrundlage, welches Gewebe rekonstruiert werden muss. Ein Knochendefekt kann nur durch einen Knochen ersetzt werden, die Muskelfunktion nur durch einen Muskel, usw. Bei tiefen Defekten empfiehlt sich die Verwendung von Muskellappenplastiken, die oftmals voluminöser sind. Flache Defekte profitieren von schlanken fasziokutanen Lappenplastiken.

Aus den oben genannten Gründen muss ein Plastischer Chirurg ein „Waffenarsenal“ an freien Lappenplastiken beherrschen. Hierfür kommen beispielsweise folgende freie Muskellappenplastiken in Frage:

Freie fasziokutane Lappenplastiken sind zum Beispiel:

Freie Knochentransplantate können entnommen werden aus

Abb. 13: Fasziokutane ALT-Lappenplastik am rechten lateralen Oberschenkel; im Überblick (links); Darstellung des perforatorbasierten Gefäßstiels (rechts)

Abbildung 13 zeigt ein Beispiel für eine ALT-Lappenplastik. Weitere Beispiele für freie Lappenplastiken finden sich in den nachfolgenden Fallbeispielen.

Fallbeispiele

Fallbeispiel 1

Ein 42-jähriger Mann erlitt einen Motorradunfall mit folgenden Verletzungen:

Die Erstversorgung erfolgte mittels Anlage eines Fixateur extern am Unterschenkel und Oberschenkel, Arthrotomie und Gelenkspülung, Bursektomie, Kompartmentspaltung und VAC® -Anlage.

Im weiteren Verlauf erfolgten mehrfache VAC®-Wechsel, die Marknagelung des Humerus sowie ein Sekundärverschluss der Haut am Unterschenkel nach Kompartmentspaltung.

Es verblieb eine große Defektwunde über der proximalen Tibia, welche mittels freier Latissimus dorsi-Lappenplastik gedeckt wurde (Abbildung 14). Zuvor erfolgte jedoch die offene Reposition der proximalen Trümmerfraktur durch zwei Plattenosteosynthesen.

Abb. 14: Freie Latissimus dorsi-Lappenplastik aus Fallbeispiel 1: intraoperativer Befund nach Doppel-Plattenosteosynthese der Tibia (oben links) und nach anschließender freier Latissimus dorsi-Lappenplastik (oben rechts); postoperatives Röntgenbild (unten links); Befund 3 Monate postoperativ (unten rechts)

Der Anschluss der Lappengefäße erfolgte über einen AV-loop an die Arteria femoralis und eine Begleitvene im Adduktorenkanal. Trotz sehr langem Gefäßstiel des Latissimus dorsi-Lappens musste durch ein Veneninterponat (AV-loop) eine Verlängerung des Gefäßanschlusses erfolgen, um den bis zum mittleren Unterschenkel reichenden Defekt mit dem Muskellappen komplett decken zu können. Der postoperative Verlauf war unproblematisch. Im weiteren Verlauf erfolgte zur weiteren Verkleinerung der auftragenden Lappenplastik die Verordnung eines Kompressionsstrumpfes.

Das postoperative Ergebnis der Defektdeckung ist sehr gut. Aufgrund der massiven knöchernen Verletzungen im Bereich der Kniegelenkflächen ist mit der Notwendigkeit der Implantation einer Kniegelenkprothese im weiteren Verlauf zu rechnen.

Fallbeispiel 2

Vorgestellt wird eine 77-jährige Patientin mit Wundheilungsstörung über dem Malleolus medialis nach Plattenosteosynthese wegen einer zwei Monate zuvor erlittenen distalen Tibiafraktur. Die Anamnese war bis auf eine Unterschenkelvenenthrombose, welche postoperativ vor zwei Monaten aufgetreten war, blande. Eine Antikoagulation in therapeutischer Dosierung erfolgte während des gesamten stationären Aufenthaltes.

Nach Aufnahme erfolgte ein Wechsel der Osteosynthese sowie ein Sekundärverschluss. Im weiteren Verlauf kam es zu einer erneuten Wunddehiszenz. Eine Metallentfernung war aufgrund der bisher nicht sicheren knöchernen Durchbauung und vorbeschriebener schlechter Knochenqualität nicht möglich. Aus diesem Grund war auch ein erneuter Wechsel des Osteosynthesematerials nicht möglich, sodass nach nochmaligem Debridement und Behandlung mit Spül-VAC® die Defektdeckung mit einer freien Parascapularlappenplastik (Abbildung 15) mit Anschluss an die Arteria tibialis posterior und Begleitvene und Einlage von Gentafoil® erfolgte. Der postoperative Verlauf gestaltete sich unkompliziert und die Patientin konnte 13 Tage postoperativ entlassen werden. Der weitere Verlauf über 6 Monatewar ebenfalls unauffällig.

Abb. 15: Freie Parascapularlappenplastik aus Fallbeispiel 2: präoperativer Befund (oben links); intraoperativer Befund nach Defektdeckung (oben rechts); Röntgenbefund 1 Woche postoperativ (unten)

Fallbeispiel 3

Vorgestellt wird ein 41-jähriger Patient mit einer drittgradig offenen Schussbruchverletzung am linken Unterarm (Trümmerfraktur und Defektzone am proximalen Radius und Ulna). Die Initialversorgung erfolgte in einem zivilen Krankenhaus, wo eine Kompartmentspaltung, Reposition mittels Fixateur-Anlage und Exploration der arteriellen und nervalen Strukturen durchgeführt wurden (Abbildung 16). Der Patient wurde 3 Tage nach dem Trauma mit anliegendem Fixateur extern und temporärem Wundverschluss mittels COLDEX® Extra (offenporiger Hydroschaum zum temporären Hautersatz) in unsere Klinik verbracht.

Abb. 16: Schussverletzung Unterarm (Fall 3): Aufnahmebefund am Unfalltag mit Austrittswunde am dorsal (links) und Eintrittswunde ventral (Mitte); Befund eine Woche nach dem Trauma mit liegendem Fixateur extern nach Übernahme in das BwKrhs Ulm (rechts)

Die erste operative Versorgung in unserer Klinik bestand aus einem ausgiebigen Debridement der Weichteile, der Resektion von Knochensplittern, dem Einbringen von Knochenzement zum Erhalt des Raumes und der Länge sowie der Anlage eines Vakuumsystems. Weitere 3 Operationen waren erforderlich, bevor ein Wundverschluss möglich war, welcher mit Sekundärnaht und einem kleinen Spalthauttransplantat erfolgte.

Aufgrund der erheblichen Kontamination der Wunde mit Knochen- und Metallsplittern wurde eine mehrzeitige Rekonstruktion geplant. Im Rahmen des ersten stationären Aufenthaltes bestätigte sich neurologisch das klinisch auffällige Interosseus anterior Syndrom mit Schwäche der Daumen- und Zeigefingerflexoren, hervorgerufen durch eine Läsion des Nervus medianus. Des Weiteren bestand ein kompletter Verlust der Streckfähigkeit des Daumens sowie eine allgemeine Schwäche der Extension und Flexion von Fingern und Handgelenk ohne ­Hinweis auf eine Nervenläsion. Vielmehr waren diese Störungen Ausdruck der erheblichen muskulären Verletzungen.

10 Wochen später erfolgte die Rekonstruktion der 7cm langen Defektstrecke des Radius mittels freiem Fibulatransplantat vom kontralateralen Unterschenkel. Ebenfalls aus der Fibula erfolgte die Rekonstruktion der Ulna auf einer Strecke von 2cm. In beiden Fällen erfolgte die Stabilisierung mittels Plattenosteosynthese. Eine zusätzliche Stabilisierung erfolgte postoperativ mittels Unterarmgipsschiene und einer Orthese (ElbowRANGER) zur Vermeidung jeglicher Scherbewegung zwischen Radius und Ulna.

Abb. 17: Verlauf der Knochenheilung: (A) Erstversorgung mit Fixateur extern am Unfalltag; (B) und (C) 1 Woche nach Einbringen der Knochentransplantate; (D) und (E) nach 12 Monaten mit guter knöcherner Einheilung des transplantierten Knochens

Abb. 18: Funktional und ästhetisch gutes Ergebnis 15 Monate nach dem Ereignis

Der nächste operative Schritt war drei Monate später die Rekonstruktion der Streckfähigkeit des Daumens. Eine neurologische Ursache war ausgeschlossen worden, folglich war eine Verletzung der Sehne des Extensor pollicis longus Ursache der Bewegungseinschränkung. Die Kraft der Finger und des Handgelenks zeigte sich durch intensive Physiotherapie deutlich gebessert. Zur Rekonstruktion der Extensor pollicis longus-Sehne erfolgte ein Extensor indices-Transfer. Die postoperative Behandlung erfolgte zunächst mittels Schiene und später intensiver Physiotherapie. Aufgrund einer verzögerten Knochenheilung begann zudem die Behandlung der Frakturzonen mit exogen-gepulstem Ultraschall.

4 Monate später zog sich der Patient bei einem Verkehrsunfall eine periimplantäre distale Radiusfraktur zu, welche operativ mittels Plattenosteosynthese stabilisiert werden musste. In gleicher Sitzung erfolgte am proximalen Radius die Anlagerung von Knochenspongiosa bei noch nicht konsolidierter knöcherner Heilung.

Der Verlauf zeigte sich sehr erfreulich mit knöcherner Durchbauung der frischen Fraktur wie auch der proximalen Anschlussstelle des Fibulaspanes in der CT Kontrolle und Ultraschallkontrolle 3 Monate postoperativ.

Die intensive Rehabilitation konnte fortgesetzt werden. Die Beweglichkeit des linken Armes sowie das Kraftausmaß sind ein Jahr nach Trauma annähernd normalisiert.

Fazit

Defektwunden jeder Art sind typisch für Kriegsverletzungen. Die Wiederherstellung der Integrität des Körpers, der Funktion und der Ästhetik sind Ziel unseres Bemühens.

Der Rekonstruktiven Chirurgie kommt hierbei nach der erfolgreichen ersten Versorgung und dem Transport in die Heimat eine Schlüsselrolle zu. Mit den in den Bundeswehrkrankenhäusern vorhandenen Fähigkeiten steht damit ein wichtiges und unverzichtbares Element zur qualifizierten Versorgung unserer Soldatinnen und Soldaten im Falle einer Verletzung oder Verwundung zur Verfügung, mit dem die Grundlagen für eine so weit wie möglich gehende Rehabilitation geschaffen wird.

Literatur beim Verfasser

Manuskriptdaten

Zitierweise

Wendlandt M, Friemert B: Funktion und Ästhetik – Die Plastische Chi­rurgie im wehrmedizinischen Kontext; WMM 2020; 64(6-7): 201-211.

Für die Verfasser

Oberfeldarzt Dr. Meike Wendlandt

Bundeswehrkrankenhaus Ulm

Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie, Septische und Rekonstruktive Chirurgie, Sporttraumatologie

Oberer Eselsberg 40, 89081 Ulm

E-Mail: meikewendlandt@bundeswehr.org


1 Im Sinne einer besseren Lesbarkeit wird in dieser Arbeit ausschließlich die maskuline Form (z. B. Soldat, Patient, Arzt) benutzt; gemeint sind aber immer alle Geschlechter.