Wehrmedizinische Monatsschrift

WHICH APP?

Von klinischer Kommunikation bis zu
künstlicher Intelligenz – zum Nutzen von „Apps“

Niclas Lutz a, Felix J. Fellmer a, Katharina Estel a, David A. Back a, Christian Willy a

a Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie, Septische und Rekonstruktive Chirurgie, Bundeswehrkrankenhaus Berlin

 

Zusammenfassung

Die Nutzung von Apps (Applications) und künstlicher Intelligenz (KI) im klinischen Alltag hat erhebliches Potenzial, die tägliche Arbeit von medizinischem Personal zu erleichtern und Patienten im Krankheitsfall zu unterstützen.

Besonders die Kommunikation innerhalb und auch zwischen Kliniken kann durch kleinere Anpassungen bereits vorhandener Angebote deutlich optimiert werden. Hierbei geben „Secure medical messenger“-Dienste wie die App „Siilo® den Weg vor und könnten auch als Grundlage für die Anpassung bundeswehrinterner Messenger-Angebote dienen.

Neben Kommunikations-Apps finden Programme zur Unterstützung bei der Diagnosefindung zunehmend Anklang bei Ärzten und Patienten. Ein Beispiel hierfür ist die die App „Ada®“ – eine Anwendung, die medizinischen Laien nach Eingabe eines Leitsymptoms und dem anschließenden Beantworten einiger relevanter Fragen eine Handlungsempfehlung und wichtige Informationen zu der wahrscheinlichsten Erkrankung liefert, kann auch als „Ärztetool“ von Nutzen sein. Hiervon könnten Truppenärztinnen und -ärzte, die aus unterschiedlichen medizinischen Bereichen kommen, profitieren, indem sie eine solche App als Helfer bei der Diagnosestellung bei ihnen nicht vertrauten Krankheitsbildern zu Rate ziehen.

Stichworte: App, sichere Kommunikation, medizinische Daten, künstliche Intelligenz, Gesundheits-App

Keywords: app, secure communication, medical data, artificial intelligence, healthcare app

Einleitung

Seit der Einführung von Smartphones und Tablets ist die Anzahl der auf ihnen verfügbaren Software-Applikationen (kurz „App“ genannt) exponentiell gestiegen. Im Jahre 2019 standen in den zwei großen „Stores“ insgesamt fast 5 Millionen Apps zur Verfügung (Google Play Store: 2,76 Mio. Apps, Apple Store: 1,96 Mio. Apps) – Tendenz täglich steigend [7][10].

Auch im medizinischen Bereich finden Apps mehr und mehr Anwendung. Erste Studien zeigen eine hohe Akzeptanz von app-gebundenen Angeboten bei Ärzten und Patienten [8]. Das Potenzial von Apps im Gesundheitswesen ist groß, wobei die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten von der elektronischen Patientenakte über digitale Medikamentenpläne bis zu Kommunikations-Apps für die Vernetzung von Patienten oder Ärzten reichen [5].

Mit dieser Arbeit sollen eine kurze Übersicht über die Anwendungsbereiche Kommunikation und KI gegeben werden, Aspekte der Datensicherheit beleuchtet und je ein Anwendungsbeispiel – auch im Hinblick auf eine mögliche Nutzung im Sanitätsdienst – gegeben werden.

Methodik

Es wurde eine Literaturrecherche in PubMed mit den Suchbegriffen „WhatsApp + medical“ und „WhatsApp + Hospital“ durchgeführt. Aufgrund der enorm großen Anzahl an bereits existierenden Projekten und Publikationen zur Nutzung von Apps in der Medizin wurde die weitere Betrachtung auf Apps zur innerklinischen Kommunikation und die als Medizinprodukt zertifizierte App „Ada®“ (Ada Health GmbH, Berlin) beschränkt. Bei den Apps zur innerklinischen Kommunikation wurden die Unterschiede der bereits auf dem Markt etablierten „Secure Messenger“ untersucht – mit besonderem Augenmerk auf den nach unserer Recherche derzeit einzigen „medical Messenger“ Siilo® [11].

Ergebnisse

Die Literaturrecherche in PubMed (Stand 1. Oktober 2019) lieferte für die Suche nach „WhatsApp + medical“ 130 Treffer, für „WhatsApp + Hospital“ 108 Treffer. Im Folgenden werden die Rechercheergebnisse der beiden untersuchten Anwendungsbereiche vorgestellt.

Secure Messenger

Der krankenhausinterne und einrichtungsübergreifende ärztliche Informationsaustausch kann besonders stark von der Verwendung von Apps und Smartphones profitieren. Bereits verfügbare und privat in Deutschland häufig verwendete Messenger-Angebote, wie beispielsweise WhatsApp®, sind aus aktueller datenschutzrechtlicher Sicht nicht für die Versendung von Patientendaten geeignet [3][9], auch wenn dieses im Vergleich mit einem sicheren „Medical Messenger“ auf den ersten Blick so erscheint (Abbildung 1).

Abb. 1: „Screenshots“ zweier heute verfügbarer Messenger-Apps: (A) Die Darstellung zeigt die Chatfunktion und die Möglichkeit der Versendung von Röntgenbildern von Siilo® [11], der ersten DSVGO-konformen „medical messenger“-App. (B) Das Bild zeigt ebenfalls ein Bildschirmfoto aus einem Chat und stellt den Moment eines mit WhatsApp® versandten Videos der 3D-Darstellung einer Acetabulumfraktur dar [12].
Trotz augenscheinlicher Ähnlichkeiten beider gezeigter Messenger gibt es grundlegende relevante Unterschiede, insbesondere bei der Datensicherheit.

Ein medizinischer nutzbarer Messenger muss eine Reihe an besonderen Voraussetzungen erfüllen. So hat hierbei die Konformität mit der Europäischen Datenschutzgrundverordnung (EU-DSGVO) oberste Priorität. Hinzu kommen nahezu gleichbedeutend wichtige Kriterien wie Serverstandort, klar definiert zuständiger ­Jurisdiktion (z. B. Europäischer Gerichtshof), die mit der Software-Anwendung ggf. bestehende Datenverlaufsspeicherung oder das Vorhandensein einer 2-Faktor-Authentifizierung.

Derzeit befinden sich nach dem Ergebnis unserer Recherche nur sehr wenige Apps auf dem Markt, die all diese Voraussetzungen erfüllen. Ein Alleinstellungsmerkmal als „Medical Messenger“ besitzt die App Siilo®, die von Siilo Holding B.V., Amsterdam, Niederlande, gezielt für die medizinische Kommunikation geschaffen wurde [11].

Das aktuell verfügbare bundeswehrinterne Messenger­angebot verfügt lediglich über eine über die Freigabe zur Versendung von personenbezogenen Daten der Schutzklasse 1 und ist somit nicht für die Versendung von Patientendaten geeignet. Vor dem Hintergrund des Bedarfs an schneller und sichererer klinikinterner Kommunikation besteht hier deutlich erkennbarer Weiterentwicklungsbedarf.

Künstliche Intelligenz (KI)

Ein weiteres Feld, bei der app-gebundene mobile Angebote ein interessantes Potenzial zukünftig auch für den Sanitätsdienst Zukunft haben könnten, liegt in der Einbeziehung von KI (auch als „Deep Learning Algorithmen“ bezeichnet), um medizinisches Personal im Alltag zu unterstützen. Es gibt bereits vielversprechende Ansätze, z. B. in der Radiologie und Dermatologie, bei denen KI-basierte Programme ihre Fähigkeit unter Beweis gestellt haben, um z. B. maligne Melanome und Femurkopfnekrosen zu erkennen. So zeigten diese Studien im Vergleich zur ärztlichen Diagnostik für KI-generierte Analyseergebnisse oftmals gleichwertige und in Teilen präzisere Diagnoseergebnisse [2][6].

Abb. 2: Ausschnitte aus dem Ablauf der Diagnosefindung per Smartphone mit Ada®:
(A) Begrüßungsbildschirm nach dem Öffnen der App [1]; (B) Beispielfrage aus dem Fragenkatalog während der Diagnosesuche. Insgesamt werden 30 Fragen pro Leitsymptom gestellt; (C) medizinische Bibliothek mit Handlungsempfehlung und Informationen zur Verdachtsdiagnose

Ein Beispiel für eine KI-App mit der Fähigkeit, medizinische Symptome zu analysieren, ist die „Ada®“ (Abbildung 2). Diese App unterstützt die Nutzer (Zielgruppe ist hier in erster Linie der Patient) bei der Suche nach möglichen Ursachen von Beschwerden durch Eingabe von Leitsymptomen (z. B. Knieschmerz, Kopfschmerz, Erbrechen). Hierfür werden in Folge etwa 30 relevante algorithmen-basierte Fragen gestellt, die Antworten mit tausenden vergleichbaren Fällen und Symptomkombinationen verglichen und dem Patienten die am wahrscheinlichsten zutreffende Ursache seines Leitsymptoms genannt. Im Anschluss haben die Patienten die Möglichkeit, sich in einer von Medizinern zusammengestellten Bibliothek über die genannten Diagnosen zu belesen. Zusätzlich wird eine Handlungsempfehlung präsentiert, wo und wie schnell sich der Benutzer mit welcher möglichen Diagnose vorstellen sollte (u. a. Hausarzt, Spezialist oder Notaufnahme) [1].

Diskussion und Folgerungen

Das schier unerschöpfliche Potenzial und die möglichen grundlegenden Veränderungen des klinischen Alltags durch die Digitalisierung (z. B. (Tele-)Kommunikation, Anwendung von KI, neuronale Netzwerke) wird anhand vieler erfolgreich etablierter Anwendungen immer deutlicher. Nahezu alle medizinischen Fachgesellschaften nehmen sich dieses Themas durch entsprechende Expertengremien an. So haben im Mai 2018 die Deutschen Gesellschaften für Unfallchirurgie, für Orthopädie und Unfallchirurgie sowie die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie eine gesellschaftsübergreifende Arbeitsgemeinschaft „Digitalisierung“ gegründet, um digitale Felder wie „Mobile Health“ oder „Telemedizin“ zu gestalten und praktische Anwendungen zu fördern [4].

Das vorhandene Digitalisierungspotenzial sollte für den Sanitätsdienst rasch nutzbar gemacht werden und hierzu auch Modernisierungsschritte im Bereich der IT überdacht und ggf. neu priorisiert werden. Die Bundeswehr verfügt nach Ansicht der Autoren auf Grund ihrer bereits vorhandenen gut ausgebauten IT-Strukturen und einer bereits bestehenden breiten „Multidisziplinarität“ (Cyber Innovation Hub, IT-Technik, eigene akademische Einrichtungen an den Bw-Universitäten in Informatik, moderne akademisch ausgerichtete Kliniken, modernes Management) über die notwendige organisatorische und strukturelle Basis für eine erfolgreiche zielorientierte Weiterentwicklung.

Kommunikation (messenger)

Für den eigenen Bereich (BwKrhs Berlin) wird vor diesem Hintergrund geplant, die Akzeptanz und den möglichen Mehrwert eines „medical messengers in der Klinik zu prüfen. Hierfür ist ein Sonderforschungsvorhaben zur strukturierten Nutzung und wissenschaftlichen Evaluation der App „Siilo®“ im klinischen Alltag in Vorbereitung. Je nach Ergebnis könnte dieses auch ein Beispiel für eine alle aktuellen Anforderungen erfüllende bundeswehrinterne Messenger-Anwendung sein.

Diagnostik (KI)

Weiteres Potenzial bietet die vertiefte Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten von KI-basierten Programmen. Dabei erscheint uns die App „Ada®“ nicht nur für Patienten interessant zu sein, sondern könnte perspektivisch auch Truppenärztinnen und -ärzte in den regionalen Sanitätseinrichtungen bei der Diagnosefindung unterstützen. Da diese aus verschiedenen medizinischen Fachrichtungen kommen, bringt die Unterstützung durch eine fächerübergreifende „Symptomanalyse-App“ ein erhebliches Unterstützungspotenzial bei der Diagnostik nicht alltäglicher Krankheitsbilder mit sich. Diese Hypothese stützt sich allerdings nicht auf Evidenz. Daher ist beabsichtigt, in einem zweiten Sonderforschungsprojekt – speziell für den Fachbereich der Orthopädie und Unfallchirurgie – durch das BwKhrs Berlin zu untersuchen, inwieweit sich auf einer KI-App basierende Symptomanalysen in ihren Ergebnissen mit der klassischen fachärztlichen Diagnostik (Anamnese, Untersuchung, Bildgebung, ggf. auch operative Diagnosebestätigung) decken. Hierfür sollen die ursprünglichen Symptome bereits sicher diagnostizierter nicht akuter Pathologien, wie z. B. einer Kreuzbandruptur, in die Ada®-App eingegeben und die Ergebnisse miteinander verglichen werden.

Gesamtkonzeption und Entwicklungsdynamik

Grundsätzlich ist es – wie in jeder Organisation – anzustreben, alle und damit auch die beiden angesprochenen geplanten Projekte in ein sanitätsdienstliches Digitalisierungs-Gesamtkonzept einzubinden. Allerdings birgt dieses die Gefahr, dass der „langsamste“ Teil den Takt vorgibt. Deshalb sollten in diesem Bereich der Medizin („eHealth“) weitere innovative Teilschritte nicht erst nach der endgültigen „Fertigstellung“ eines Gesamtkonzeptes begonnen und nur unter dann definierten Rahmenbedingungen durchgeführt werden dürfen. Vielmehr müssten überschaubare Teilprojekte in einer innovativ vorgehenden Arbeitsgruppe „Digitalisierung“ zwar abgestimmt und durch einen verantwortlichen Arbeitsgruppenleiter supervisioniert werden; sie sollten jedoch nach Auffassung der Autoren nicht a priori in einem fest vorgegeben Rahmen erfolgen müssen. Dieses Vorgehen entspräche nicht der enormen Entwicklungsgeschwindigkeit moderner Digitalisierungstechnik und würde die Gefahr mit sich bringen, dass technologischer Fortschritt – z. B. bei der App-Entwicklung – ein Konzept vor seiner Fertigstellung „überholt“.

Vor allem aber darf bei allen noch so phantastisch erscheinenden Möglichkeiten digitaler Innovation nicht vergessen werden, dass sie immer nur dem „höheren“ Ziel dient – einer von Empathie und Menschlichkeit getragenen Patientenbehandlung.

Literatur

  1. Ada Health GmbH: ADA-Health App. , letzter Aufruf am 10. März 2020. mehr lesen
  2. Chee CG, Kim Y, Kang Y, Lee KJ et al.: Performance of a Deep Learning Algorithm in Detecting Osteonecrosis of the Femoral Head on Digital Radiography: A Comparison With Assessments by Radiologists. American Journal of Roentgenology. 2019;213(1): 155-162. mehr lesen
  3. Coleman E, O'Connor E: (2019): The role of WhatsApp(R) in medical education; a scoping review and instructional design model. BMC Med Educ 2019; 19(1): 279. mehr lesen
  4. Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfgallchirurgie: Neue AG Digitalisierung gegründet. , letzter Aufruf am 10. März 2020. mehr lesen
  5. Golchert J, Roehrl S, Berg F et al.: HELP@APP: development and evaluation of a self-help app for traumatized Syrian refugees in Germany - a study protocol of a randomized controlled trial. BMC Psychiatry 2019; 19(1): 131. mehr lesen
  6. Haenssle HA, Fink C, Schneiderbauer R, Toberer Fet al.: Man against machine: diagnostic performance of a deep learning convolutional neural network for dermoscopic melanoma recognition in comparison to 58 dermatologists. Annals of Oncology 2018; 29(8): 1836-1842. mehr lesen
  7. Hinzberg H: iPhone Apps programmieren: Praxiseinstieg. Fechen: Mitp-Verlag 2013 (1. Aufl.).
  8. Kaltheuner M, Drossel L, Heinemann L: DiaDigital Apps: Evaluation of Smartphone Apps Using a Quality Rating Methodology for Use by Patients and Diabetologists in Germany. J Diabetes Sci Technol 2019; 13(4): 756-762. mehr lesen
  9. Page S, Roycroft M: Assessing the impact on less-than-full-time core medical trainees of a WhatsApp group and significantly enhanced website information. Future Healthc J 2019; 6(Suppl 1): 155-156. mehr lesen
  10. Rabe L: Anzahl der verfügbaren Apps im Google Play Store von April 2018 bis November 2019 (in 1.000). , letzter Aufruf 4. November 2019. mehr lesen
  11. Siilo B.V.: Siilo Messaging App. , letzter Aufruf 10. März 2020. mehr lesen
  12. WhatsApp Inc.: WhatsApp Messenger. mehr lesen

Manuskriptdaten

Zitierweise

Lutz N, Fellmer FJ, Estel K, Back DA, Willy C: Von klinischer Kommunikation bis zu künstlicher Intelligenz – zum Nutzen von „Apps“. WMM 2020; 64(6-7): 212-215.

Für die Verfasser

Oberstabsarzt Niclas Lutz

Bundeswehrkrankenhaus Berlin

Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie, Septische und Rekonstruktive Chirurgie

Scharnhorststr. 13, 10115 Berlin

E-Mail: niclaslutz@bundeswehr.org