Wehrmedizinische Monatsschrift

ES WAR KEINE „LEISTENZERRUNG“

Seltene Lokalisation eines Chondrosarkoms
im unteren Sitzbeinast – ein Fallbericht

Helmut Gulbins a, Matthias Johann a

a Bundeswehrkrankenhaus Hamburg – Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie

 

Zusammenfassung

Wir stellen den seltenen Fall eines Chondrosarkoms des Os ischii vor. Bei einem 23-jährigen Soldaten war nach Schmerzen in der Adduktorenregion nach sportlicher Betätigung vom Truppenarzt eine Beckenübersichtsaufnahme angefertigt worden, die schnell zur Diagnose führte. Nicht zuletzt dadurch war eine kurative Operation mit Entfernung des Os ischii einschließlich umgebender Weichteile im Sinne einer weiten Resektion möglich, die histologisch auch als R0 eingestuft wurde. Der Patient ist nun seit 24 Monaten rezidivfrei und hinsichtlich der Resektion beschwerdearm.

Schlüsselwörter: Knochentumor, Chondrosarkom, Becken, Tumorchirurgie, Malignom

Keywords: bone tumor, chondrosarcoma, pelvis, tumor surgery, malignancy

Einleitung

Chondrosarkome sind die zweithäufigste Entität bei den malignen primären Knochentumoren [6][9]. Das Becken ist eine der Prädilektionsstellen, wobei allerdings Tumoren im Bereich der Sitzbeinäste hier eine Rarität sind. Wir berichten über einen jungen Soldaten mit einem Chondrosarkom des unteren Sitzbeinastes.

Fallvorstellung

Anamnese

Ein zum Zeitpunkt der Erstvorstellung beim Truppenarzt 23-jähriger Patient berichtete über Schmerzen im Bereich der linken Leiste, die seit etwa vier Monaten bestünden. Anamnestisch hätte er beim Fußballspielen einen Ausfallschritt gemacht; diesen sah er als Auslöser für die Beschwerden an. Die Schmerzen hätten seitdem aber keine Besserung gezeigt, sondern sogar zugenommen. Waren sie anfangs nur bei Belastung aufgetreten, hätte er zuletzt auch in Ruhe Schmerzen in der Leistengegend verspürt.

Diagnostik

Bei der klinischen Untersuchung zeigte sich ein 23 Jahre alter, sportlicher Soldat in gutem Allgemein- und Ernährungszustand. Die vegetative Anamnese war blande, die Beweglichkeit in der linken Hüfte passiv nicht eingeschränkt, aktiv wurden ziehende Schmerzen bei der Adduktion gegen Widerstand angegeben. Ansonsten wurden keine pathologischen Befunde erhoben. Initial wurde daraufhin die Verdachtsdiagnose einer Insertionstendinose gestellt und zunächst Physiotherapie verordnet. Allerdings überwies der Truppenarzt den Soldaten wegen des langen Verlaufs und der Beschwerdezunahme (auch in Ruhe) zur Anfertigung einer Beckenübersichtsaufnahme zum Radiologen.

Bei dieser zeigte sich eine tumoröse Auftreibung im Bereich der Mitte des linken unteren Sitzbeinastes links mit einer Ausdehnung von ca. 2x2 cm (Abbildung 1).

Abb. 1: Beckenübersichtsaufnahme mit tumoröser Auftreibung (roter Kreis) mit angedeuteter Periost-Reaktion als Hinweis auf Malignität

Ein Überschreiten der Kompartimentgrenzen konnte nicht dargestellt werden, es bestand lediglich eine geringe periostale Reaktion. In der Folge wurde eine Magnetresonanztomographie (MRT) durchgeführt, bei der die Läsion sich in der T2-Wichtung als hypodens darstellte, ohne Nachweis einer Weichteilinfiltration.

Weitere Diagnostik und Therapie

Aufgrund des Befundes erfolgte die offene Biopsie-Entnahme unter der Verdachtsdiagnose „Enchondrom“, allerdings nach den Leitlinien bei Verdacht auf einen malignen Tumor [4]. Postoperativ fielen Hypästhesien im OP-Bereich mit Ausstrahlung in den linken Hoden auf. Neurologisch wurde eine Neuralgie des Nervus genitofemoralis diagnostiziert.

Abb. 2: Das MRT (STIR-Sequenz mit Kontrastmittel) zeigt einen hypodens dargestellten Bezirk im Bereich des linken unteren Sitzbeinastes (Pfeil).

Das Biopsiematerial erbrachte endgültigen Nachweis bezüglich der Dignität, allerdings wurde es als chondrogener Tumor mit malignitätsverdächtigen Anteilen befundet. Daraufhin erfolgte eine Staging-Computertomographie, die keinen Hinweis für eine Fernmetastasierung, wohl aber eine malignitätsverdächtige Weichteilreaktion zeigte.

Endgültig erfolgte dann die weite Resektion (linker unterer Sitzbeinast und angrenzende Weichteile) der Neoplasie im onkologischen Zentrum des Universitätsklinikums Eppendorf in Hamburg. Die histologische Aufarbeitung zeigte nun ein Chondrosarkom mit einer R0 -Resektion, so dass das postoperative Staging „T2M0N0, R0“ lautete.

Weiterer Verlauf

Der Patient ist in einem regelmäßigen Nachsorgeprogramm. Nach 24 Monaten gibt es in der Schnittbilddiagnostik (MRT) keinen Hinweis für ein lokales Rezidiv oder das Auftreten von Fernmetastasen (Abbildung 3).

Abb. 3: Postoperatives MRT, das den unterbrochenen unteren Sitzbeinast (Kreis) ohne Hinweise für ein lokales Rezidiv zeigt.

Klinisch ist der Soldat mittlerweile wieder sehr gut belastbar, ein initial hinkendes Gangbild besserte sich unter intensiver Physiotherapie bis hin zur vollständigen Normalisierung. Es erfolgte ein Wechsel von Verwendungsreihe (VR) 76 (Marinesicherungsdienst) auf VR 73 (Kraftfahrbetrieb); der Soldat ist aktuell auch bei der Teilnahme an Hörsaallehrgängen mit mehrstündigem Sitzen beschwerdefrei.

Diskussion

Inzidenz und Lokalisation von Chondrosarkomen

Chondrosarkome sind maligne Tumore, deren Häufigkeitsgipfel zwischen 4. und 5. Lebensjahrzehnt liegt, das mittlere Alter liegt bei 51 Jahren mit einem Range von 15-78 Jahren. Das Becken ist eine der Prädilektionsstellen für diese Tumoren, allerdings wird hier meistens das Os ilium (75 %) und insbesondere die periacetabuläre Region betroffen. Dementsprechend sind Beschwerden, die der Hüfte zuzuordnen sind, eines der Hauptsymptome für diese Tumore. Ein Befall des Os ischii wird nur bei 6 % der Patienten mit Beckenbefall beobachtet, ist also eine echte Rarität [8].

Der hier vorgestellte Patient stellte sich nun mit Schmerzen der Adduktoren linksseitig vor, wobei die Beschwerden offenkundig klar einer sportlichen Belastung und bei der klinischen Untersuchung auch den entsprechenden Muskelgruppen bzw. deren Sehnenansätzen zuzuordnen waren. Daher war die initiale Diagnose „Insertionstendinopathie der Adduktoren“ nachvollziehbar. Nur durch die zusätzliche projektionsradiografische Untersuchung fiel die Neoplasie im Bereich des unteren Sitzbeinastes auf und der Patient wurde der weiterführenden Diagnostik zugeführt. Im Nachhinein muss man konstatieren, dass in diesem Fall eine eher großzügig gestellte Indikation zu einer radiologischen Diagnostik zu einer frühen Diagnose geführt und damit die Möglichkeit zu einer kurativ angelegten weiten Resektion eröffnet hat.

Therapie

Die Therapie der Chondrosarkome besteht in der weiten Resektion; da diese Tumoren weder strahlensensibel sind noch auf eine Chemotherapie ansprechen, gibt es hier keine adjuvanten Therapieoptionen. Dementsprechend ist die Prognose entscheidend von einem tumorfreien Resektionsrand abhängig.

Insgesamt ist die Prognose, nicht zuletzt wegen der fehlenden adjuvanten Möglichkeiten, nach wie vor schlecht. Bei Befall des Beckens werden Überlebensraten nach 1, 3 und 5 Jahren von 80 %, 45 % und 37 % beschrieben. Aufgrund der oft verspäteten Diagnose und der Schwierigkeit einer weiten Resektion sind die Ergebnisse der Beckenchondrosarkome im Vergleich zu anderen Lokalisationen noch schlechter. Von GASTON exisitiert sogar ein Bericht über ein Spätrezidiv im Becken nach 13 Jahren [5].

Fazit

In dem hier vorgestellten Fall wurde die Diagnose relativ früh gestellt und dadurch eine R0-Resektion ermöglicht. Das Os ischii wurde einschließlich der umgebenden Weichteile weitgehend entfernt. Durch intensive Physiotherapie konnten die zunächst bestehenden Einschränkungen der Belastbarkeit sehr gut kompensiert werden.

Die frühe Diagnose war indes nur durch die frühzeitige radiologische Diagnostik möglich. Diese war erfolgt, da der Patient die Schmerzen als

  • über einen längeren Zeitraum bestehend,
  • progredient und zuletzt
  • auch in Ruhe auftretend

geschildert hatte. Bei solchen Beschwerden ist eine radiologische Diagnostik zum Ausschluss potenzieller maligner Prozesse absolut gerechtfertigt.

Literatur

  1. Andreou D, Ruppin S, Fehlberg S, Pink D, Werner M, Tunn PU: Survival and prognostic factors in chondrosarcoma. Results in 115 patients with long-term follow-up. Acta Orthopaedica 2011; 82(6): 749-755. mehr lesen
  2. Bindiganavile S, Han I, Yun JY, Han-Soo K: Long-term outcome of Chondrosarcoma: a single institutional experience. Cancer Res Treat. 2015; 47(4): 897-903. mehr lesen
  3. Bus MPA, Campanacci DA, Albergo JI et al.: Conventional primary central chondrosarcoma of the pelvis: prognostic factors and outcome of surgical treatment in 162 patients. J Bone Joint Surg Am. 2018; 100(4): 316-325. mehr lesen
  4. Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und orthopädische Chirurgie, Bundesverband der Ärzte für Chirurgie (Hrsg.): Condorsarkom. In: Leitlinien der Orthopädie. Köln: Dt Ärzte-Verlag 2002. mehr lesen
  5. Gaston CL, Sumathi VP, Grimer RJ: Is it ever safe to discharge a chondrosarcoma of pelvis? Report of a local recurrence after 10 years. Musculosketal Surg 2014; 98(3): 241-246. mehr lesen
  6. Katenkamp K, Katenkamp D: Soft Tissue Tumors – New Perspectives on Classification and Diagnosis. Dtsch Aerztebl Int 2009; 106(39): 632-636. mehr lesen
  7. Puchner SE, Funovics PT, Böhler C et al.: Oncological and surgical outcome after treatment of pelvic sarcomas. PLoS ONE 2017; 12(2): e0172203. mehr lesen
  8. van Praag Veroniek VM, Rueten-Budde AJ, Ho V, Study group Bone and Soft tissue tumours (WeBot) er al.: Incidence, outcomes and prognostic factors during 25 years of treatment of chondrosarcomas. Surg Oncol 2018; 27(3): 402-408.  mehr lesen
  9. Wirbel RJ, Schulte M, Maier B, Koschnik M, Mutschler WE: Chondrosarcoma of the pelvis: oncologic and functional outcome. Sarcoma 2000; 4(4): 161-168. mehr lesen

Manuskriptdaten:

ZItierweise

Gulbins R, Johann M: Seltene Lokalisation eines Chondrosarkoms im unteren Sitzbeinast – ein Fallbericht. WMM 2020; 64(6-7): 218-220.

Verfasser

Oberfeldart Priv.-Doz. Dr. Helmut Gulbins, MHBA

Bundeswehrkrankenhaus Hamburg

Klinik für Ortopädie und Unfallchirugie

Lesserstrasse 180, 22049 Hamburg

E-Mail: helmutgulbins@bundeswehr.org