Wehrmedizinische Monatsschrift

Der besondere Fall:
Segmenttransport über einen neuen
intramedullären motorisierten Transportnagel (Vortragsabstract)

Sebastian Hempe a, Dan Bieler a, Axel Franke a, Erwin Kollig a

a Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, Klinik XIV – Unfallchirurgie und Orthopädie, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, Verbrennungsmedizin

 

Hintergrund

Im Rahmen der Therapie langstreckiger, knöcherner, diaphysärer Substanzdefekte nach Trauma, Infekt oder Tumorresektion ist der Segmenttransport (Kallotasis) ein bewährtes Instrument im Portfolio der rekonstruktiven Extremitätenchirurgie. Eine Kallusdistraktion kann über einen externen Transportfixateur externe bewerkstelligt werden (mit seinem spezifischen Komplikationspotenzial via Pin tract-Infektion) oder alternativ über eine intramedulläre, motorisierte Transportvorrichtung [1]. Ein solches Implantat eines deutschen Herstellers mit elektrischem externen Antrieb via Induktion ist bereits etabliert, wird allerdings exklusiv nur an eine Klinik in Deutschland geliefert. Etabliert ist auch ein Verlängerungsmarknagel eines anderen Herstellers mit einem extrakorporalen magnetischen Antrieb der Transportspindel nach dem Teleskop-Prinzip. Hieraus wurde von diesem Hersteller ein neuartiger Segmenttransportnagel mit derselben Antriebsmechanik für das Femur und die Tibia entwickelt. In dem im Folgenden dargestellten Fallbericht möchten wir einen Fall aus unserer Klinik vorstellen, in welchem der Segmenttransport über einen solchen intramedullären Transportnagel mit extrakorporalem Magnetantrieb erfolgte.

Fallbeschreibung

Anamnese und Verlauf bis 2018

Im April 2011 stellte sich eine damals 28-jährige Patientin erstmals mit rechtsseitigen Oberschenkelschmerzen vor. In der bildgebenden Diagnostik wurde in einer Skelettszintigraphie eine pathologische Mehranreicherung im Bereich des rechten proximalen Femurs festgestellt, eine weitergehende MRT-Bildgebung der betroffenen Region wurde veranlasst. Hierbei konnte eine hyperintense Raumforderung in der T1-fs-, sowie T2-Wichtung festgestellt werden (Abbildung 1). Zur Sicherung der Diagnose bzw. Entität sowie zur Dignitätsbestimmung erfolgte am 4. April 2011 eine Inzisionsbiopsie. In der histologischen Untersuchung konnte eine fibröse Dysplasie gesichert werden. Bei benigner Entität der Raumforderung wurde zunächst ein zuwartendes Prozedere vereinbart. Im weiteren Verlauf kam es im Juni 2016 zu einer Schmerzsymptomatik im Bereich der Raumforderung. Die hieraufhin durchgeführte MRT-Bildgebung zeigte keinen wegweisenden Befundwandel, sodass ein weiter konservatives Procedere mit bedarfsangepasster Analgesie vereinbart wurde.

Abb. 1: Der Ausgangsbefund zeigt in der T1-fs-Wichtung eine hyperintense Raumforderung (Bildquelle bei Autoren bekannt)

Indikationsstellung

In der Folgezeit bestand zunächst weiter Beschwerdearmut, bis die Patientin im Juli 2018 erneut symptomatisch wurde. Eine weitere MRT-Bildgebung zeigte hier eine leichte Progredienz der Raumforderung mit beginnender Ballonierung des Femurs (Abbildung 2). In Anbetracht der bildmorphologischen Progredienz, sowie der zunehmenden Schmerzsymptomatik wurde die Indikation zur operativen Therapie mittels Fensterung des Femurschaftes und vollständiger Curretage der Raumforderung gestellt und die Operation am 27. August 2018 durchgeführt. Die histologische Aufarbeitung des intraoperativ gewonnenen Materials ergab keine Befundänderung.

Im Anschluss hieran persistierte eine Schmerzsymptomatik auch in Ruhe, weshalb verschiedene weitere Therapiemöglichkeiten diskutiert wurden:

Abb. 2: Der Vergleich zwischen den MRT-Bildern von 2016 und 2018 lässt eine Progredienz mit Ballonierung des Femurschaftes in der neueren Aufnahme (links) annehmen.

  1. Weiter konservatives Vorgehen mit bedarfsangepasster Analgesie,
  2. Resektion der Raumforderung mit anschließendem Segmenttransport via Fixateur externe oder
  3. Resektion der Raumforderung mit anschließendem Segmenttransport über einen neuartigen, intramedullären Transportnagel mit extrakorporalem Magnetantrieb.
     

Da die Patientin eine operative Therapie mit sicherer Entfernung der Raumforderung wünschte, für sie die Versorgung mit Fixateur externe aber nicht vorstellbar war, entschied sie sich nach ausführlicher Aufklärung für die Implantation des neuartigen intramedullären Transportnagels (Precice®-Nagel, Firma Nuvasive® Corp., San Diego, USA; Launch-Phase, Implantation Nr. 13 weltweit).

Operation

Nach Planung des operativen Vorgehens mit individueller Anfertigung des Implantats über kalibrierte Messaufnahmen, wurde die Implantation des Nagels, mit additiver Abstützung durch eine zusätzliche Pollerschraube im proximalen Fragment am 20. Mai 2019 durchgeführt (Abbildung 3). Der intraoperativ durchgeführte Probetransport erwies sich als problemlos. Aufgrund des sehr kurzen proximalen Femurabschnittes wurde postoperativ trotz Vollbelastbarkeit des Nagels (86 kg/190 lbs) zunächst eine Abrollbelastung gestattet, um ein Auslockern des Nagels zu verhindern. Der retrograd verlaufende Segmenttransport konnte zeitgerecht gestartet und regulär mit 1 mm pro Tag vorgenommen werden.

Abb. 3: Postoperativer Befund nach Segmentresektion, Implantation des Precice-Nagels und Transportbeginn am 5. postoperativen Tag

Weiterer Verlauf

Im Rahmen der radiologischen Verlaufskontrollen fiel am 10. Juli 2019 eine Lockerung der beiden proximalen Verriegelungsbolzen auf, die einer operativen Revision bedurfte. Diese wurde kombiniert mit dem Umsetzen des Verriegelungsbolzens im Transportsegment, nachdem die erste Transportstrecke im Nagel aufgebraucht war. Der Segmenttransport konnte am 11. September 2019 beendet werden. Die hiernach durchgeführten Röntgenverlaufskontrollen zeigten zunächst eine beginnende knöcherne Konsolidierung, welche sich im Verlauf auf den dorsalen Anteil der Transportstrecke beschränkte. Auch die Docking-Stelle konsolidierte nicht zeitgerecht. Deshalb wurde am 21. Januar 2020 eine Docking-OP mit Plattenosteosynthese (Implantat: KFI-Stahl, 6-Loch-Platte) und zeitgleicher Regeneratoptimierung im Bereich des Transportschlauchs durch Anlagerung von kortikospongiösen Spänen und GPS (mittels Gravitational-Platelet-Separation-System gewonnene Thrombozyten + Wachstumsfaktoren aus dem Patientenblut) durchgeführt (Abbildung 4). Intraoperativ zeigte sich – im Gegensatz zum radiologischen Befund – ein solider isokalibriger Regeneratschlauch über die gesamte Transportstrecke, sodass postoperativ eine schmerzadaptierte Vollbelastung gestattet wurde.

Abb. 4: Zustand nach Docking-OP und Regeneratoptimierung im Transportschlauch mittels Anlagerung von kortikospongiösen Chips und GPS

Fazit

Die Kallotasis über einen intramedullären Segmenttransportnagel hat ihre Funktionalität in der Launch-Phase bestätigt. Die Methode mit dem hier verwendeten Transportnagel hat sich als eine gute Alternative respektive Erweiterung im therapeutischen Portfolio im Vergleich zum sonst in unserer Klinik standardmäßig verwendeten Segmenttransport via Fixateur externe gezeigt. Das Verfahren bietet für Patienten neben der geringeren psychischen Belastung (optisch entstellende Wirkung, Einschränkungen bei der Kleiderwahl) auch den Vorteil der vollen Belastbarkeit während des laufenden Transports. Ferner besteht bei geschlossenem Weichteilmantel kein Risiko für die Entstehung von Pin-Infekten, welche beim Fixateur externe eine wichtige Komplikation darstellen [2].

Allerdings sind auch Nachteile des Nagels nicht außer Acht zu lassen; so ist dieser während des laufenden Transports nicht MRT-fähig, da ein Magnetfeld > 1,5 Tesla den Spindelmechanismus im Inneren des Nagels zerstört. Außerdem kann die Funktionalität des Magnetantriebes nur gewährleistet werden, wenn die Dicke des Weichteilmantels zwischen Nagel und Magnetfernbedienung nicht mehr als 57,2 mm beträgt, da die Stärke des extern angewandten Magnetfeldes ansonsten u. U. nicht ausreicht. Ferner darf auch der Kostenfaktor nicht vernachlässigt werden, da der Transportnagel im Vergleich zum Fixateur externe um ein Vielfaches teurer ist und die Kosten z. B. von gesetzlichen Krankenkassen nicht übernommen werden.

Aufgrund der aus unserer Sicht überwiegenden Vorteile wird das Verfahren in unserer Klinik auch zukünftig in geeigneten Fällen Anwendung finden.

Literatur

  1. Baumgart R, Schuster B, Baumgart T: Kallusdistraktion und Segmenttransport zur Behandlung von Knochendefekten. Der Orthopäde 2017; 46: 673–680. mehr lesen
  2. Hankemeier S, Bastian L, Gosling T, Krettek C: Prinzipien der Kallusdistraktion. Der Unfallchirurg 2004; 107: 945-958, quiz 959. mehr lesen

Interessenkonflikt

Die Verfasser erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Commitee of Medical Journal Editors vorliegt.

Manuskriptdaten

Zitierweise

Hempe S, Bieler D, Franke A, Kollig E: Der besondere Fall: Segmenttransport über einen neuen intramedullären motorisierten Transportnagel (Vortragsabstract). WMM 2020; 64(6-7): 221-223.

Für die Verfasser

Oberstabsarzt Dr. Sebastian Hempe

Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz

Klinik XIV – Unfallchirurgie und Orthopädie, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, Verbrennungsmedizin

Rübenacher Str. 170, 56072 Koblenz

E-Mail: sebastianhempe@bundeswehr.org

Als Vortrag gehalten bei der 27. ARCHIS (29.-31. Januar 2020) in Papenburg.