Wehrmedizinische Monatsschrift

Polytrauma und schweres Schädel-Hirn-Trauma
überlebt – und dann? (Vortrags-Abstract)

Gregor Freude a, b,Magnus Scheer a, Stefanie Kling a, Ruben Paschke a, Jean-Marc Delmas c, Uwe Max Mauer a

a Bundeswehrkrankenhaus Ulm, Klinik für Neurochirurgie

b Bundeswehrkrankenhaus Ulm, Zentrales Klinisches Management

c Hôpital d’instruction des armées Percy, Service de neurochirurgie, Clamart, Frankreich


Hintergrund

Die Versorgung von (polytraumatisierten) Patienten, bei denen ein schweres Schädel-Hirn-Trauma (SHT) oder eine andere schwere Verletzung/Erkrankung aus dem neurochirurgischen Bereich führend ist, stellt alle beteiligten Fachdisziplinen vor große Herausforderungen. Nach den ersten lebensrettenden Operationen stehen oft im Verlauf weitere Eingriffe an, sobald der Patient wieder kardio-pulmonal stabilisiert ist. Auch der Umgang mit multiresistenten Erregern stellt in diesem Kontext alle Beteiligten vor große Herausforderungen.

Handelt es sich um Patientinnen/Patienten, die regulär in Deutschland bzw. im jeweiligen nationalen Gesundheitssystem Behandlungsansprüche haben, gibt es in Bezug auf die Durchführung notwendiger Folgemaßnahmen in der Regel keine Probleme. Anders sieht es möglicherweise aus, wenn Patienten als Notfall versorgt werden, die Zuständigkeiten für die Folgeversorgung aber ungeklärt ist.

Anhand von 3 ausgewählten Krankheitsverläufen wird die Problematik hinsichtlich der Entlassung aus dem Akutkrankenhaus aufgezeigt. Hierzu werden 2 Fälle aus der neurochirurgischen Abteilung im Bundeswehrkrankenhaus (BwKrhs) Ulm und ein Fall aus der neurochirurgischen Abteilung im Hôpital d‘instruction des armées (H. I. A.) Percy in Clamart (Frankreich), dem Partnerkrankenhaus des BwKrhs, vorgestellt und diskutiert.

Fallbeschreibungen

Fall 1

Ein 22-jähriger rumänischer Lastwagenfahrer verunglückte im Rahmen eines Autounfalls und zog sich dabei ein schwerstes Schädel-Hirn-Trauma (SHT) zu (Abbildung 1). In gemeinsamer Anstrengung konnte sein Leben gerettet werden, jedoch war nach über 3 Monaten Aufenthalt auf Intensiv- und Peripherstation niemand mehr bereit, den Patienten zu übernehmen. Die Repatriierung ins Heimatland war sehr problematisch und wurde von verschiedenen Seiten immer wieder massiv erschwert. Die direkte Verlegung nach Rumänien scheiterte und der Patient musste nochmals 2 Wochen in einer Klinik in München verbringen. Weiterhin muss davon ausgegangen werden, dass die Behandlungskosten über 100 000 € nicht erstattet werden und sich für die behandelnden Krankenhäuser kein Kostenträger finden wird, was den Kliniketat entsprechend belastet.

Abb. 1.: CCT mit akutem subduralen Hämatom links hemispärisch und Kalottenfraktur

Fall 2

Im Herbst 2019 stellte sich unangekündigt eine Patientin in der Notaufnahme des BwKrhs Ulm vor, nachdem sie eine Stunde zuvor mit dem Flugzeug per Linienflug am Flughafen Stuttgart gelandet war. Vier Wochen zuvor war bei ihr in der Türkei eine elektive Wirbelsäulenoperation durchgeführt worden, die Wunde hatte sich infiziert. Eine Behandlung mit Meropenem erfolgte bereits.

Bei Aufnahme zeigte sich die Wunde über der LWS klaffend; es entleerte sich auf Druck ein gelbliches Sekret. Die mikrobiologischen Abstriche ergaben zwei verschiedene Stämme von B. actinobacter baumanii mit jeweils vorhandener 4 MRGN Resistenz (Abbildung 2). Vielfache Operationen waren notwendig, um die schwierige Situation zu stabilisieren. Aufgrund der 4 MRGN-Resistenz fand sich keine ­Pflegeeinrichtung, die sich bereit erklärte, die Patientin zu übernehmen. Nach Ausheilung und mit stabilen Wundverhältnissen konnte sie letztlich nach über 6 Monaten stationärem Aufenthalt nach Hause entlassen werden.

Fall 2: CT LWS mit eingebrachtem dorsalen Fusionsmaterial

Fall 3

Bei einem 75-jährigen Patienten nordafrikanischer Herkunft konnte im H. I. A. Percy ein SHT erfolgreich operiert werden. Jedoch findet sich seit mehr als 2,5 Jahren niemand, der den betreuungsbedürftigen Patienten übernehmen und weiterhin versorgen will. Die Verlegung aus dem H.I.A. Percy ist somit bisher nicht möglich.

Fazit und Empfehlung

Die Therapie eines schwer traumatisierten Patienten, insbesondere mit einem SHT, endet nicht mit der Operation. Die anschließende Rehabilitation und insbesondere Neurorehabilitation spielt für den weiteren Verlauf eine ganz entscheidende Rolle. Sie erfordert zwar keine intensivmedizinischen Maßnahmen und Fähigkeiten, ist aber oft sehr langwierig.

Anhand der 3 Beispiele – die sich in vergleichbarer Form in nahezu allen Kliniken, die Traumapatienten versorgen, finden werden – wird deutlich, dass es trotz eines sehr guten Sozialsystems und bilateraler Verträge manchmal nicht möglich ist, Patienten nach der ersten (Akut-)Therapie in ein Krankenhaus in ihrer Heimat zu verlegen.

Immer wieder kommt es auch zu Fällen, in denen sich Patienten, die im Ausland operiert wurden, mit komplexen Problemen, die dann einer sehr aufwendigen Therapie bedürfen, zum Teil als Notfall ohne Vorankündigung in der Notaufnahme vorstellen – ein zumindest fragwürdiges Geschehen, insbesondere wenn es sich hierbei um die Folgen elektiver Operationen handelt.

Ethische Verpflichtung und Kostendruck

Als Ärztinnen und Ärzte können wir unter gar keinen Umständen einem Patienten die Behandlung zur Rettung aus Lebensgefahr oder zur unmittelbaren Abwendung schwerwiegender Folgen verweigern. Diese „Verpflichtung zur Menschlichkeit“ darf nicht ihre Geltung verlieren, nur, weil kein Kostenträger vorhanden ist. Ethisch ist die Lage damit eindeutig zu beurteilen.

Vor dem Hintergrund des Kostendrucks, der auf allen Kliniken lastet, muss aber sehr wohl gefragt werden: Wer kommt in diesen Fällen für die Kosten auf? Wie kann sichergestellt werden, dass eine aufwändige lebensrettende erste (neuro)chirugische Versorgung auch Erfolgschancen hat und die notwendige anschließende Rehabilitationsbehandlung erfolgt? Auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft ist sich dieser Probleme bewusst. Nicht wenige befürchten, dass Fälle wie die oben geschilderten Fälle in Zukunft zunehmen werden.

Handlungsstrategien entwickeln

Alle Krankenhäuser müssen sich für solche Patienten Handlungsstrategien überlegen. Letztlich bedeutet humanitäres Handeln auch, freie Betten für neue schwerstverletzte Patienten zu haben. Eine denkbare Möglichkeit wäre die Schaffung von Unterkunfts- und Pflegekapazitäten auf dem Krankenhausgelände, in die Patienten weiter verlegt werden können, um im Krankenhaus selbst die teuren und pflegeintensiven Ressourcen zu entlasten. Vorstellbar wären auch Kooperationen mit Pflegediensten und anderen Krankenhäusern, wie diese zum Teil auch schon in den Traumanetzwerken praktiziert werden.

An Kliniken angeschlossene Unterkunfts- und Pflegemöglichkeiten könnten auch im Bündnis- und/ oder Landesverteidigungsfall zu vollwertigen Behandlungsplätzen aufwachsen, als „Holding Capacity“ für eine Drehscheibe im Patiententransport oder in Krisensituationen – wie aktuell der Corona-Pandemie – als zusätzliche Klinikbetten zur Verfügung stehen.

Das Problem der fehlenden Bereitschaft (und Möglichkeit?) vieler Länder, ihre Bürger bei bestehender Verlegungsfähigkeit zu repatriieren, wird sich dadurch nicht lösen lassen. Hier sind den Möglichkeiten der Kliniken Grenzen gesetzt, zumal sich aus der Erfahrung in Ulm die Kooperation mit den Botschaften und Konsulaten – je nach Herkunftsland des Patienten, der zur Rückverlegung ansteht – oft als schwierig bis ungenügend erweist. Hier sind politische Lösungen gefragt.

Manuskriptdaten

Zitierweise

Freude G, Scheer M, Kling S, Paschke R, Delmas JM, Mauer UM: Polytrauma und schweres Schädel-Hirn-Trauma überlebt – und dann? (Vortrags-Abstract). WMM 2020; 64(6-7): 232-233.

Für die Verfasser

Oberfeldarzt Dr. Gregor Freude

Bundeswehrkrankenhaus Ulm

Zentrales Krankenhausmanagement – Leiter Medizincontrolling

Oberer Eselsberg 40; 89081 Ulm

E-Mail: gregorfreude@bundeswehr.org

Als Vortrag gehalten bei der 27. ARCHIS (29.-31. Januar 2020) in Papenburg.