Wehrmedizinische Monatsschrift

Zurück in die Vergangenheit?
Hämotherapie der akuten Hämorrhagie des Verwundeten

Christoph Walter Jänig a

a Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, Klinik X Anästhesiologie und Intensivmedizin

 

Hintergrund

Der Tod durch Verbluten ist die häufigste traumaassoziierte Todesursache auf dem Gefechtsfeld. In den letzten Jahrzehnten haben der Einsatz des Tourniquets und die schnelle Verbringung akut blutender Verwundeter in chi­rurgische Versorgungseinrichtungen zu einer signifikanten Reduktion dieser vermeidbaren Todesursache geführt.

Die akute Hämorrhagie ist nicht nur durch den resultierenden Schock mit damit einhergehender Minderversorgung des Körpers mit Sauerstoff und die dadurch entstehende Azidose gekennzeichnet. Regelmäßig entwickelt sich eine traumatisch induzierte Koagulopathie (TIC), welche die Blutungsneigung noch verstärkt und den Circulus vitiosus unterhält.

Die Therapie der Wahl im akuten hämorragischen Schock ist die Transfusion von Blut. Während seit den Anfängen der Hämotherapie im amerikanischen Bürgerkrieg bis zu den 1970er Jahren fast ausschließlich Vollblut transfundiert wurde, etablierte sich in der Folgezeit aufgrund ökonomischer Überlegungen und einem zunehmend höheren Anteil internistisch begründeter Transfusionen das Konzept der Blutkomponententherapie mittels Erythrozytenkonzentraten (EK), Plasmaprodukten (Plasma) und Thrombozyten (TK).

Erstaunlicherweise wurde in den folgenden Jahrzehnten der Hämotherapie des Traumapatienten wissenschaftlich kaum noch größeres Interesse gewidmet. Seit den Konflikten im Irak und in Afghanistan und dem Konzept der Damage Control Resuscitation (DCR) aus dem Jahr 2006 sind wieder deutlich mehr Publikationen zu diesem Thema erschienen. Auch der Sanitätsdienst der Bundeswehr widmet sich diesem Thema mit einem spezifischen Forschungskorridor.

Hämotherapie wie und wann?

Im Fokus des Interesses stehen die Effektivität der Gabe von Vollblut im Vergleich zur Komponententherapie und der Einfluss einer bereits prähospitalen Transfusion von Blutprodukten auf das Überleben der Patienten.

Aktuelle Studien zeigen einen positiven Einfluss einer frühzeitig prähospital begonnenen Versorgung mit Blutprodukten [2]. Weiterhin bieten Vollblutpräparate einen deutlichen Überlebensvorteil gegenüber der Komponententherapie bei günstigem Risikoprofil im Rahmen der ungekreuzten Notfalltransfusion von sog. „Low-titer-Blutgruppe-O-Vollblut“ (LTOWB) [1].

Aufgrund der aktuellen Erkenntnisse empfiehlt z. B. das Komitee zur taktischen Verwundetenversorgung (CoTCCC) der US Streitkräfte im hämorrhagischen Schock die primäre Verwendung von Vollblut und erst in zweiter Linie die Transfusion von Blutkomponenten (EK, Plasma, TK) im Verhältnis 1:1:1. Auch die europäische Leitlinie zur Therapie der akuten Hämorrhagie (1:1:0), sowie die deutsche S3-Leitlinie zur Polytraumaversorgung (1 : 1 : 0,25) empfehlen ein möglichst physiologisches Verhältnis der transfundierten Blutkomponenten [1][3].

Aus transportlogistischen Gründen stehen aktuell nicht alle Komponenten für die leitliniengerechte Therapie zur Verfügung. Weiterhin ist die Herstellung von Vollblutpräparaten in Deutschland – im Gegensatz zu den USA, wo Vollblut weiterhin ein durch die Food and Drug Administration (FDA) zugelassenes Arzneimittel ist [1] – nicht gestattet.

Vorteile von Vollblut

Die Gabe von Vollblut hat weitere für die Einsatzmedizin relevante Vorteile.

Plasmaprodukte sind in den Einsatzgebieten lediglich lyophilisiert in Glasflaschen erhältlich. Dies erfordert im Bedarfsfall nicht nur eine Rekonstitution, die zusätzliche Zeit kostet, sondern stellt speziell für kleine militärische Einheiten beim abgesessenen Transport (z. B. im Rucksack) ein Problem aufgrund der zerbrechlichen und voluminösen Verpackung dar. Eine Vorhaltung von gefrorenem Frischplasma ist für medizinisches Personal der Ebene 1 oder der Ebene 2B (z. B. Forward Surgical Element, FSE) aus logistischen Gründen (Notwendigkeit einer Tiefkühleinheit) nicht möglich.

Tab. 1: Regelung der Versorgung mit Blut bei Nato-Partnern und Australien

Renaissance der Warmblutspende

Aktuell steht dem medizinischen Personal lediglich die Gewinnung von frischem Vollblut als Therapieoption zur Verfügung. Die Gewinnung von Vollblut mittels Warmblutspende darf jedoch nur initiiert werden, wenn absehbar ist, dass der Bedarf an Blut den Bestand an mitgeführten Blutkomponenten übersteigt.

Die Warmblutspende bedarf jedoch mehr noch als die Rekonstitution der Plasmaprodukte eines deutlichen zeitlichen Vorlaufs, da die identifizierten Spender einbestellt und klinisch untersucht werden müssen, um anschließend mit der Warmblutspende zu beginnen.

Weiterhin ist im aktuellen Konzept vorgesehen, dass nur blutgruppengleiches Vollblut transfundiert werden darf. Dies ist vordergründig aus Gründen der Vermeidung einer hämolytischen (major) Transfusionsreaktion sinnvoll. Allerdings stellt dies zum einen höhere Anforderungen an die Vorbereitung und Durchführung der Warmblutspende und ist zum anderen anfälliger für Fehler, denn gegenwärtig passieren die meisten Transfusionsreaktionen aufgrund von Verwechslungen durch das applizierende Personal (sog. „Human Factors“).

Betrachtet man das Szenario, in welchem gegenwärtig eine Warmblutspende stattfinden soll, befinden wir uns in einer maximalen Stresssituation für das medizinische Personal, welches potenziell parallel um das Leben mehrerer Verwundeter kämpft. Eine akzidentelle Transfusion blutgruppeninkompatiblen Blutes scheint hier eher möglich als im klinischen Routinebetrieb.

Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass das Risiko einer relevanten Transfusionsreaktion für die blutgruppeninkompatible Transfusion von Vollblut der Gruppe O mit den vorhandenen plasmatischen Anti-A und Anti-B-Antikörpern mit 1:120 000 deutlich geringer ist als bei der akzidentiellen Transfusion von blutgruppeninkompatiblen Erythrozyten (unabhängig ob als Erythrozytenkonzentrat oder Vollblutbestandteil) der Blutgruppen A und B (1: 80 000).

Ein weiterer Risikofaktor der Warmblutspende ist, dass der Spender und das aus ihm gewonnene Blut anders als bei durch den Blutspendedienst zur Verfügung gestellten Präparaten nicht vorher auf akute Infektionen getestet werden kann und somit eine Infektionsübertragung auf den Patienten ungewollt erfolgen kann.

Fazit und Ausblick

Für die zukünftige evidenz-basierte, leitlinienkonforme Versorgung Verwundeter sollte daher der Blutspendedienst der Bundeswehr rechtlich in die Lage versetzt werden, Vollblutprodukte regulär in den Einsatzgebieten zur Verfügung zu stellen.

Weiterhin erschient es aufgrund der aktuellen Studienlage gerechtfertigt, LTOWB als universelles Notfallblutprodukt auch ungekreuzt bereits prähospital nah am Ort der Verwundung zu applizieren. Hierfür müssten jedoch geeignete Spender bereits im Inland identifiziert und regelmäßig auf ihre serologische Eignung hin überprüft werden.

Weiterhin unverzichtbar ist die Warmblutspende im Einsatzland. Hierfür muss jedoch das Sanitätspersonal bis zur Versorgungsebene 1 flächendeckend in den Prozeduren geschult werden, um die Handlungs- und damit Patientensicherheit zu gewährleisten.

Literatur

  1. Black JA, Pierce VS, Kerby JD, Holcomb JB: The evolution of blood transfusion in the trauma patient: whole blood has become full circle. Semin Thromb Hemost 2020; 46(02): 215-220. mehr lesen
  2. Shackelford SA, Del Junco DJ, Powell-Dunford N et al.: Association of prehospital blood product transfusion during medical evacuations of combat casualties in Afghanistan with acute and 30-day survival. JAMA 2017; 318(16): 1581-1591. mehr lesen
  3. Spahn DR, Bouillon B, Cerny V et al.: The European guideline on management of major bleeding and coagulopathy following trauma: fifth edition. Critical Care 2019; 23: 98. mehr lesen
  4. Taylor AL, Corley JB, Swingholm MT et al.:Lifeline for the front lines: blood products to support the warfighter. Transfusion 2019; 59: 1453-1458. mehr lesen
  5. Williams BS, Merutka N, Meyer D et al.: Safety profile and impact of low-titer group O whole blood for emergency use in trauma. J Trauma Acute Care Surg 2020; 88: 87-93. mehr lesen

Manuskriptdaten

Zitierweise

Jänig CW: Zurück in die Vergangenheit? – Hämotherapie der akuten Hämorrhagie des Verwundeten. WMM 2020; 64(6-7): 234-235.

Verfasser

Flottillenarzt Dr. Christoph W. Jänig

Bundeswehrzentralkrankenahaus Koblenz

Klinik X – Anästhesiologie und Intensivmedizin

Rübenacher Str. 170, 56072 Koblenz

E-Mail: christophwalterjaenig@bundeswehr.org

Als Vortrag gehalten bei der 27. ARCHIS (29.-31. Januar 2020) in Papenburg