Wehrmedizinische Monatsschrift

Gesundheit, Belastbarkeit und

Leistungsfähigkeit von jungen Erwachsenen

Thomas Rüther a, Dieter Leyk a, b

a Deutsche Sporthochschule Köln

b Institut für Präventivmedizin der Bundeswehr, Andernach

 

Hintergrund

Der technische Fortschritt in Beruf, Verkehr und Freizeit, der gesellschaftliche Wohlstand wie auch die Nutzung von Smartphone, PC, TV und sozialen Medien haben den Alltag und die Einstellungen von Menschen erheblich verändert. Durch die Etablierung ungünstiger und bewegungsarmer Lebensstile ist es in der Bevölkerung nicht nur zu Leistungsverlusten, sondern auch zu einer epidemieartigen Verbreitung von gesundheitlichen Beschwerden und chronischen Erkrankungen gekommen. Dieser Trend betrifft zusehends Heranwachsende und junge Erwachsene [4].

Einfluss von Smartphone, PC, TV und Co auf junge Menschen

Viele junge Menschen nutzen etwa 9,5-12Stunden täglich das Internet, Social Media, Games, Fernsehen u. a. [18]. Der intensiv-exzessive Medienkonsum findet in den meisten Fällen im Sitzen statt und hat zu der enormen Abnahme von körperlichen Aktivitäten und muskulären Anforderungen beigetragen [8][15]. Statt sich zu bewegen und dem in der Kindheit und Jugend physiologischen Bewegungsdrang zu folgen, wird die freiwillig gewählte „Immobilisation“ – das Dauersitzen – zu einer Gewohnheit. Der Bewegungsmangel im Kindes- und Jugendalter ist beträchtlich und wird weiter zunehmen: Die WHO-Bewegungsempfehlung für Heranwachsende von einer Stunde täglicher moderater bis intensiver körperlicher bzw. sportlicher Mindestaktivität wird nur von 15 % (Jungen) bzw. 7 % (Mädchen) der 14- bis 17-jährigen erreicht. Beim Übergang von Schule zu Beruf verringern sich die körperlichen und sportlichen Aktivitäten zumeist weiter [8]. Bewegungsmangel tritt umso häufiger auf, je niedriger die Schulbildung bzw. der sozial-ökonomische Status ist [8][15].

Auch das ständig und im Überfluss vorhandene Nahrungsangebot führt zu dem steigenden Anteil übergewichtiger Heranwachsender. Weltweit wurde bei Jugendlichen zwischen 1975 und 2016 eine Zunahme des starken Übergewichtes (Adipositas) von 1 % auf 7 % festgestellt [11]. Im Vergleich zum Referenzzeitraum 1985-1999 ist in Deutschland der Anteil übergewichtiger bzw. adipöser Heranwachsender um 50 % bzw. 100 % gestiegen. Von den 11- bis 13-jährigen Jungen (Mädchen) sind 21 % (20 %) übergewichtig bzw. 8 % (6,5 %) adipös [17]. Bei den 25- bis 34-jährigen Männern (Frauen) sind 52,0 % (32,0 %) übergewichtig bzw. 17 % (14,0 %) adipös [10]. Die Gewichtszunahme im frühen Erwachsenenalter ist bei sportlich inaktiven Männern (ca. 0,9 kg pro Jahr) lifestyle-bedingt und ist nahezu vollständig auf den weiteren Aufbau von Körperfettmasse zurückzuführen [7][8]. Dies zeigt sich auch am Taillenumfang von 18- bis 25-jährigen Männern, der nahezu linear um ca. 1 cm pro Jahr zunimmt (Abbildung 1).

Abb. 1: Taillenumfang im Altersgang (Mittelwert ± Standardfehler; Männer n=10407, Frauen n=2428); Abbildung aus [8]

Körperliche Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit

Es liegt auf der Hand, dass zwischen der körperlichen Leistungsfähigkeit, Belastbarkeit und der Erfüllung soldatischer Anforderungen ein großer Zusammenhang besteht. Für die Streitkräfte ist die unzureichende Fitness vieler junger Erwachsener zu einem Ausbildungsproblem geworden, da diese den Belastungen in der Grundausbildung häufig nicht mehr gewachsen sind [2][6]. Dabei handelt es sich um eine schon seit mehreren Jahrzehnten laufende Entwicklung: SANTILA et al. [16] ermittelten in einer Gesamterhebung finnischer Wehrpflichtiger im Zeitraum von 1975 bis 2015 eine nahezu stetig nachlassende aerob-kardiovaskuläre und neuromuskuläre Fitness. Beispielsweise verringerten sich von 1980 bis 2015 die im Mittel erreichten Laufstrecken beim 12-Minuten-Lauf (Cooper-Test) um 337m (12,5 %). Untersuchungen im Rahmen der „Fit-fürs-Leben-Studie“ von LEYK et al. [7] deuten sogar darauf, dass die geschlechts- und alternsbezogene biologische Entwicklung physischer Leistungsfähigkeit oftmals bereits vor dem 20. Lebensjahr lebensstilabhängig überlagert und beeinträchtigt wird: die 24- bis 25-jährigen befanden sich daher im Mittelwert auf dem Leistungsniveau 14- bis 15-jähriger. Die parallel ermittelten anthropometrischen und Verhaltensmerkmale weisen darauf hin, dass bereits in diesem jungen Lebensalter ein starker Zusammenhang zwischen körperlicher Leistung und lebensstilbedingten Risikofaktoren besteht.

Taillenumfang und körperliche Leistung

Körperliche Leistungen werden nur selten im wechselseitigen Kontext mit Gesundheits- oder Risikomerkmalen analysiert [14]. Grund ist der Mangel an umfangreichen empirischen verknüpften Daten. Daher wurde in der „Fit-fürs-Leben-Studie“ der Ansatz verfolgt, Risikofaktoren (Übergewicht, Bewegungsmangel, Rauchen) als Prädiktor körperlicher Leistungen zu untersuchen [7][15]. Bei den untersuchten 18- bis 25-Jährigen hatten etwa 30 % keinen, 40 % einen, 20 % zwei und 10 % drei Risikofaktoren. Die weitergehende Analyse zeigte zum Beispiel für den 1000 m-Lauf, dass jeder einzelne der betrachteten Risikofaktoren additiv und statistisch unabhängig mit einer geringeren Laufleistung verknüpft ist (Abbildung 2).

Abb 2: 1 000 m-Laufleistungen (Mittelwert ± Standardfehler) von 18- bis 25-jährigen Männern (n = 1 500) ohne, mit einzelnen und kombiniert vorhandenen Risikofaktoren (R = Rauchen,
B = Bewegungsmangel,
Ü = Übergewicht);
Abbildung aus [15]

Die Leistungsrelevanz von Risikomerkmalen soll am Beispiel Taillenumfang weiter veranschaulicht werden: Der Taillenumfang ist ein gutes Kriterium für viszerales Fett. Er wird von der WHO im Rahmen der Adipositasprävention genutzt und ist ein deutlich besserer Indikator für die Körperzusammensetzung und Gewichtsklassifizierung als der Body-Mass-Index [1][8][13][19]. Mehr noch, die von uns durchgeführten Zusammenhangsanalysen belegen eindrucksvoll, dass der Taillenumfang bereits vor Überschreiten etablierter medizinisch-klinischer Grenzwerte mit Leistungsminderungen verknüpft ist: Abbildung 3 zeigt fein abgestufte, geradezu idealtypische Relationen zwischen Taillenumfang und den 1000 m-Zeiten sportlich inaktiver junger Männer. Aus präventivmedizinischer Sicht sollte das „Schneidermaß Taillenumfang“ in der Bundeswehr als Standardmessgröße im Rahmen der Gesundheits- und Fitnessförderung eingesetzt werden.

Abb. 3: 1000m-Laufzeiten (Mittelwert ± Standardfehler) 18- bis 25-jähriger sportlich inaktiver Männer (n=961), gruppiert nach dem Taillenumfang (Klassenbreite 2cm)

Stärkere Ausrichtung der Bundeswehr auf die ­individuelle Einsatzfähigkeit

Mit Blick auf unsere digitale Mediengesellschaft ist zu erwarten, dass die Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit der jungen Generation weiter abnimmt. Es ist zudem unwahrscheinlich, dass diese Negativentwicklung mittelfristig durch Fitness- und Gesundheitsinitiativen im schulischen und familiären Bereich gestoppt werden kann.

Damit steht die Bundeswehr (wie andere physisch fordernde Berufe) vor einem Dilemma. Das „Nachwuchsproblem“ wird sich (auch aufgrund des demografischen Wandels) weiter verschärfen: Rekrutinnen und Rekruten, die in ihrer Schulzeit keine ausreichenden Bewegungserfahrungen sammeln konnten, werden den Belastungen in der Grundausbildung kaum gewachsen sein. Hinzu kommt, dass sich der „Mindset“ vieler Berufseinsteiger geändert hat, die tatsächlich nutzbare Ausbildungszeit durch rechtliche und bürokratische Vorgaben reduziert ist und die Notwendigkeit einer harten fordernden militärischen Ausbildung in der Öffentlichkeit immer wieder hinterfragt wird [9][12].

Dies alles ändert allerdings nichts daran, dass die physischen und mentalen Belastungen in Einsatzländer wie Mali und Afghanistan hoch sind und gut ausgebildete und einsatzbereite Soldatinnen und Soldaten erfordern [12]. Aus den laufenden Entwicklungen und vorliegende Fakten ergibt sich für die Bundeswehr zwangsläufig, dass die Verbesserung der individuellen Einsatzfähigkeit in den Fokus gerückt werden muss. Leistungs- und Einsatzbereitschaft sollten einen völlig anderen Stellenwert bekommen: Dies gelingt nur, wenn die Soldatinnen und Soldaten „mitgenommen“ werden und die persönliche Einsatzbereitschaft zum Ziel wird [3][5]. Dazu sind substanzielle Umwälzungen innerhalb der Bundeswehr erforderlich.

Literatur

  1. Ahmad N, Adam SIM, Nawi AM, Hassan MR, Ghazi HF: Abdominal obesity indicators: Waist circumference or waist-to-hip ratio in Malaysian adults population. Int J Prev Med 2016; 7: 82. mehr lesen
  2. Kyröläinen H, Santtila M, Nindl BC, Vasankari T: Physical fitness profiles of young men: associations between physical fitness, obesity and health. Sports Med 2010; 40: 907-920. mehr lesen
  3. Leyk D, Franke E, Hofmann M, et al.: Gesundheits- und Fitnessförderung in der Bundeswehr. Von ressourcenorientierter Präventionsforschung zur Umsetzung in die Fläche. WMM 2013; 57: 162-166. mehr lesen
  4. Leyk D, Gorges W, Bergmann H, et al.: Gesundheitsförderung und Präventionsforschung im Kontext von Arbeit und Leistung. WMM 2010; 54: 274-278.
  5. Leyk D, Harbaum T, Schoeps S: Warum bleiben Menschen gesund und leistungsfähig?. Ein wichtiger Forschungsbereich des künftigen Institutes für Präventivmedizin der Bundeswehr. Wehrmed Wehrpharm 2016; 16: 93-94.
  6. Leyk D, Rohde U: Valide Erfassung und Dokumentation der körperlichen Fitness – Voraussetzung zur Neukonzeption von Grundausbildung und Einsatzvorbereitung. WMM 2018; 62: 372-373. mehr lesen
  7. Leyk D, Rüther T, Witzki A, et al.: Physical fitness, weight, smoking, and exercise patterns in young adults. Dtsch Arztebl Int 2012; 109(44): 737-745. mehr lesen
  8. Leyk D, Rüther T, Wunderlich M, et al.: Sporting activity, prevalence of overweight, and risk factors. Cross-sectional study of more than 12 500 participants aged 16 to 25 years. Dtsch Arztebl Int 2008; 105: 793-800. mehr lesen
  9. Leyk D, Witzki A, Gorges W, et al.: Körperliche Leistungsfähigkeit, Körpermaße und Risikofaktoren von 18-35-jährigen Soldaten: Ergebnisse der Evaluierungsstudie zum Basis-Fitness-Test (BFT). WMM 2010; 54(11-12): 278-282. mehr lesen
  10. Mensink GBM, Schienkiewitz A, Haftenberger M, Lampert T, Ziese T, Scheidt-Nave C: Übergewicht und Adipositas in Deutschland: Ergebnisse der Studie zur Gesundheit Erwachsener in   Deutschland (DEGS1). Bundesgesundheitsblatt 2013; 56: 786-794. mehr lesen
  11. NCD Risk Factor Collaboration: Worldwide trends in body-mass index, underweight, overweight, and obesity from 1975 to 2016: a pooled analysis of 2416 population-based measurement studies in 128·9 million children, adolescents, and adults. Lancet 2017; 390: 2627-2642. mehr lesen
  12. Persikowski L: Zielsetzung und Rahmenbedingungen militärischer Ausbildung am Beispiel der Offiziersausbildung im Heer. WMM 2018; 62(10): 356-357 mehr lesen
  13. Pischon T, Boeing H, Hoffmann K, et al.: General and abdominal adiposity and risk of death in Europe. N Engl J Med 2008; 359(20): 2105-2120. mehr lesen
  14. Rauner A, Mess F, Woll A: The relationship between physical activity, physical fitness and overweight in adolescents: a systematic review of studies published in or after 2000. BMC Pediatrics 2013; 13: 1-9. mehr lesen
  15. Rüther T, Mödl A, Sievert A, Leyk D: Jung, gesund und Fit-fürs-Leben? Lifestyle und Leistungsfähigkeit im Kontext von Bildung und Beruf. IMPULSE- Das Wissenschaftsmagazin der Deutschen Sporthochschule Köln 2013; 1: 19-23. mehr lesen
  16. Santtila M, Pihlainen K, Koski H, Vasankari T, Kyröläinen H: Physical fitness in young men between 1975 and 2015 with a focus on the years 2005-2015. Med Sci Sports Exerc 2018; 50: 292-298. mehr lesen
  17. Schienkewitz A: Übergewicht und Adipositas im Kindes- und Jugendalter in Deutschland – Querschnittergebnisse aus KiGGS Welle 2 und Trends. J Health Monitoring 2018; 3(1): 16-23. mehr lesen
  18. Statista: Durchschnittliche tägliche Nutzungsdauer ausgewählter Medien in Deutschland im Jahr 2019. , letzter Aufruf 26. Juli 2020. mehr lesen
  19. World Health Organization (ed.): Waist circumference and waist-hip ratio. Report of a WHO expert consultation, Geneva, 8-11 December 2008. Geneva: WHO 2013. mehr lesen

 

Für die Verfasser

Dr. Thomas Rüther

Deutsche Sporthochschule Köln, Forschungsgruppe Leistungsepidemiologie, Institut für Trainingswissenschaft und Sportinformatik, Abteilung IV – Leistungsphysiologie

Am Sportpark Müngersdorf 6, 50933 Köln

E-Mail: ruether@dshs-koeln.de