Wehrmedizinische Monatsschrift

MIT „AHA-PRINZIP“ ERFOLGREICH

Der Sanitätsdienst des Heeres in Zeiten von Corona

Arne Müller a

a Kommando Heer, Strausberg

 

 

Einleitung

Noch am 1. Februar 2020 meldete Tagesschau-Online, dass „sieben Deutsche an Coronavirus erkrankt“ seien. Die Zahlen sehen nun anders aus und betreffen auch die Streitkräfte und als größte Teilstreitkraft mithin das Deutsche Heer.

Einer der ersten Quarantänefälle im Heer war sehr prominent. Es war der Inspekteur des Heeres selbst, denn er musste sich nach Teilnahme an einer internationalen Konferenz im März 2020 als Kontaktperson in häusliche Quarantäne begeben, da ein internationaler Konferenzteilnehmer positiv auf das Coronavirus getestet wurde. Ein positiver Effekt des offenen Umgangs mit dieser Situation war nun, dass die Awareness der Heeressoldatinnen und –soldaten bzgl. der Infektionslage ad hoc bestand.

Sanitätsdienst im Fokus

Die Unterabteilung IV 3/GenArztHeer des Kommando Heer (KdoH) und der Sanitätsdienst des Heeres standen seit Mitte März plötzlich im Fokus des Geschehens. Beispielhaft sei hier die Situation im Eurocorps genannt. Nachdem das Robert Koch-Institut die Region Grand East in Frankreich zum Risikogebiet erklärt hatte, stand man vor der Frage, wie mit den Grenzpendlern aus und nach Deutschland zu verfahren sei. Hier wurden rasch unbürokratische aber effiziente Verfahrensweisen unter wesentlicher Beratung der Leitendenden Sanitätsoffiziere (LSO) vor Ort etabliert.

Zur Bewältigung der Pandemie wurde eine Befehlsgebung sowohl für den Stab KdoH als auch das Deutsche Heer lageabhängig auf Basis der fachlichen Weisungen des Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr (Kdo SanDstBw) erlassen. Neben der militärärztlichen Beratungsleistung auf allen Ebenen wurde die zentrale Rolle der Überwachungsstellen für Öffentlich Rechtliche Aufgaben des Sanitätsdienstes der Bundeswehr (ÜbwStÖffRechtlAufgSanDstBw) zu Aspekten der Hygiene, insbesondere aber der amtsärztlichen Befugnisse im Rahmen der Eigenvollzugskompetenz deutlich.

Darüber hinaus wurde die Lage Covid-19 genutzt, aus der bestehenden Zelle Information ein ohnehin zu etablierendes Führungszentrum Heer aufzustellen und dieses gleich einem realen Stresstest zu unterziehen. Die gewonnenen Erkenntnisse fließen bereits in die Weiterentwicklung ein.

Handlungsprinzipien

Das Handeln des Sanitätsdienstes im Heer wurde – basierend auf dem Vier-Säulen -Modell ( Einsatz, Ausbildung, Hilfeleistung, Führungsfähigkeit) der Weisung Nr. 4 des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg) von folgenden Prinzipien bestimmt:

  1. Sicherstellen der Einsatzverpflichtungen
  2. Adaptieren von Ausbildungen
  3. Schutz (der Risikogruppen und des Gesundheitssystems) und Auflockerung
  4. Einschränkungen von Begutachtungen (Fallschirmsprung etc.)
  5. Amtshilfe und Führungsberatung der territorialen Strukturen
  6. Das „Abstand, Hygiene, Alltagsmaske–Prinzip“ (AHA-Prinzip) im Heer
 

Abb. 1: Soldaten der 10. Kompanie des Fallschirmjägerregiments 31 während der Grundausbildung mit Karte und Kompass unter freiem Himmel und unter Einhaltung des Abstandsgebotes von 2 Metern in Seedorf am 09. Juni 2020.

Sicherstellen der Einsatzverpflichtungen

Hierzu musste identifiziert werden, wann welche Soldatinnen und Soldaten in mandatierte Einsätze (z. B. Resolute Support, MINUSMA) verlegen und welche Bedingungen es dazu einzuhalten galt. Eine 14-tägige isolierte Unterbringung in einem Hotel unmittelbar vor Verlegung in den Einsatz und ein negatives Testergebnis gehörten zu den Vorgaben. Andere Länder, wie Mali, forderten zuerst eine 14-tägige Quarantäne im Einsatzland selbst. Teilweise wurden Rotationen ausgesetzt (z. B. durch UN), so dass insgesamt ein hoher Planungsaufwand für das In und Out des Einsatzpersonals des Heeres betrieben werden musste. Trotz Auftreten einzelner positiv getesteter Corona-Fälle in Litauen und dem Kosovo ergaben sich nach Bewertung GenArztHeer keine signifikanten Beeinträchtigungen der Kräftedispositive.

Adaptieren von Ausbildungen

Die hoheitlichen Aufträge und Einsatzbereitschaft der Streitkräfte können nur erfüllt/erhalten werden, wenn ausreichend qualifiziertes Personal verfügbar ist. Daher standen sowohl die Grundausbildungen als auch die Fortsetzung einsatzvorbereitender Ausbildungen nie für eine längerdauernde Aussetzung zur Diskussion.

Nach wie vor ist grundsätzlich vorgesehen, alle Ausbildungsmaßnahmen im Heer auf Einsatznotwendigkeit und Durchführbarkeit unter den hygienischen Vorgaben hin zu untersuchen. Wurde nach Anlage eines strengen Maßstabes auf Durchführung entschieden, hatte befehlsgemäß vorab eine 14-tägige Absonderung zu erfolgen.

Zwingend notwendige Laufbahnlehrgänge und auch die Grundausbildungen wurden verkürzt, auf wesentliche Aspekte konzentriert und dazu mit Methoden des „distance learning“ ergänzt. Vorgeschaltet waren teilweise häusliche Isolierungen, um nur von Corona freie Ausbildungsteilnehmer zu haben.

Abb. 2: Der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Alfons Mais (links), überzeugt sich beim Dienstaufsichtsbesuch im Gefechtsübungszentrum 8/20 von der „Truppentauglichkeit“ des AHA-Prinzips.

Zeitkritische einsatzvorbereitende Ausbildungen z. B. im Gefechtsübungszentrum (GÜZ) mussten im Vorfeld detailliert geplant werden, da eine vorherige Absonderung nicht mehr zu organisieren war. Hierzu war eine Expertengruppe aus den KdoH, Kdo SanDstBw und dem Bundesamt für Infrastuktur, Umweltschutz und Dienstleistung der Bundeswehr (BAIUDBw) vor Ort. Die durch die ÜbwStÖffRechtlAufgSanDstBw vorgegebenen Hygienekonzepte wurden u. a. durch Ausbildung in abgegrenzten Kohorten erfüllt; zudem war eine sanitätsdienstliche Begleitung durchgehend sichergestellt.

Schutz und Auflockerung

Auf Befehl wurden zur Minimierung einer Ansteckung der gesamten Unterabteilung bei GenArztHeer diese in 2 Gruppen geteilt, die jeweils die Funktionalitäten Führung, Wehrmedizin, Wehrpharmazie, Einsatz, Konzeption und Weiterentwicklung abbildeten.

Dieses Prinzip wurde unterlegt durch die zur Verfügung stehende Nutzung von Home-Office, Bearbeitung von Fernaufgaben sowie die Heranziehung von Reservedienstleistenden.

Eine zweiwöchige Rotation ermöglichte ein konstantes Arbeiten, insbesondere auch dadurch, dass die Funktionalitäten nicht alle gleichzeitig, sondern versetzt rotierten, bei Vorbeugung der Infektion durch konsequente ­Abstandshaltung (Home-Office). So waren stets das aktuelle Wissen und gesundes Personal als Reserve verfügbar. Eine breite Informationskampagne in Zusammenarbeit mit dem Arbeitsschutz sensibilisierte jeden Mitarbeiter des Kommandos, so dass die Zahl der Erkrankten respektive Verdachtsfälle auch bei wechselndem Präsenzdienst geringgehalten werden konnte.

Für die Ebene KdoH konnte dies gut funktionieren, jedoch stellte sich rasch heraus, dass die Abteilungen SanDst auf Divisions- und Brigadeebene personell viel zu gering aufgestellt waren, um zu rotieren oder gar 24/7 schichtfähig zu sein. Zudem waren die SanDst der 1. und 10.PzDiv im territorialen Strang auf Ebene der Regionalen Führungsstellen West und Süd eingebunden.

Einschränkungen von Begutachtungen

Schnell wurde deutlich, dass auf Grund von Schutz und Auflockerung auch die regionalen Sanitätseinrichtungen ihre Kapazitätsgrenzen erreichen würden, so dass seitens Kdo SanDstBw festgelegt wurde, die Begutachtungen teilweise auszusetzen bzw. auf ein unabdingbares Minimum zu beschränken.

GenArztHeer hat daher in fachlicher Abstimmung mit Kdo SanDstBw und den Sanitätsdiensten der OrgBer zeitnah Weisungen erlassen, um die Auswirkungen auf die Einsatzbereitschaft zu mitigieren. Dies betraf insbesondere die Fallschirmsprungverwendungsfähigkeit.

Amtshilfe und Führungsberatung der territorialen Strukturen

Dem Kommando Territoriale Aufgaben (Kdo TA) wurden bundesweit vier Regionale Führungsstellen unterstellt. Die RegFüSt West (1. PzDiv) und Süd (10. PzDiv) wurden aus den Divisionsstäben heraus gebildet. Die Division Schnelle Kräfte (DSK) koordinierte u. a. den Einsatz von Hubschraubern, das nationale Risiko und Krisenmanagement und fungierte als Personalbackup.

Entsprechend der geografischen Verteilung des Infektionsgeschehens war der Südwesten Deutschlands mehr von Covid-19 betroffen als der Nordosten. Dies machte sich auch in der Anzahl der Amtshilfeanträge bemerkbar. Heeressoldatinnen und -soldaten in dreistelliger Kopfstärke wurden neben truppenstellenden Verbänden anderer OrgBer zur Unterstützung ziviler Einrichtungen wie Gesundheitsämter, Altenheime etc. eingesetzt. Ein großes bereitgestelltes Kräftedispositiv musste bisher jedoch nicht abgerufen werden, so dass ausreichend Reserven vorhanden waren.

Das AHA-Prinzip im Heer

Die hoheitliche Auftragserfüllung der Streitkräfte musste in einem ausgewogenen Verhältnis zum Schutzbedürfnis der Soldatinnen und Soldaten und zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stehen. Dieser Spagat war nicht immer einfach und forderte vom Einzelnen auch eine Zurückstellung privater Belange. Patentrezepte gab es nicht, so dass stets eine individuelle, lage- und bedarfsadaptierte Lösung gefunden werden musste. Hier galt es, Überzeugungsarbeit zu leisten.

Eine gute Orientierung bot dabei das AHA-Prinzip „Abstand, Hygiene, Alltagsmaske“, dessen Dreiklang auch medizinischen Laien eine gute Handlungshilfe und dem militärischen Führer eine valide Entscheidungshilfe bot.

Abb. 3: «Abstandhalten» mit 2 Armlängen und «Alltagsmaske» beim Feierlichen Gelöbnis der Rekruten des Gebirgsjägerbataillons 232 in der Jäger­kaserne in Bischofswiesen am 07. Juli 2020

Fazit

Allgemein bleibt festzuhalten, dass bzgl. der Bewältigung der Coronakrise alle beteiligten Angehörigen des Heeressanitätsdienstes hochmotiviert und stringent zur Auftragserfüllung beitrugen. Eine Herausforderung war die Vereinbarkeit von Familie und Dienst. Wegen initial fehlender Anerkenntnis einer Systemrelevanz des Soldatenberufes traten Herausforderungen bei der Kinderbetreuung in Kindertagesstätten auf.

Ging beginnend mit der Krise vieles auf Zuruf und Vertrauen, gewann im Laufe der Entwicklung die Bürokratie doch wieder die Oberhand. Dabei kam subjektiv das Gefühl auf, auch bei dieser Krise wieder einmal von vorn anfangen zu müssen. Es gab keine Schublade mit fertigen Konzepten (z. B. betrieblicher Pandemieplan), obwohl mit der Schweinegrippe und Ebola früher bereits eine Gefahr von Infektionserregern ausging und man sich diesen Herausforderungen erfolgreich gestellt hatte.

Durch die Implementierung des noch anzupassenden Führungszentrums Heer hat sich eine auch zukünftig belastbare Struktur etabliert, in der von vornherein jeder weiß, welchen Platz er auszufüllen hat.

Die Führung der Regionalen Führungsstellen West und Süd aus den Divisionsstäben der 1. und 10.PzDiv heraus war zweckmäßig. Die Coronakrise hat aber auch gezeigt, dass auf Ebene der Brigade und Division die Abteilungen SanDst personell zu gering aufgestellt sind. Schichtfähigkeit und Durchhaltefähigkeit über Monate waren nicht gegeben, Reserven waren nicht vorhanden. Hier besteht Nachsteuerungsbedarf.

Verfasser

Oberstarzt Dr. Arne Müller

Kommando Heer

Unterabteilung IV 3/Generalarzt des Heeres

Prötzeler Chaussee 25, 15344 Strausberg

E-Mail: genarztheer@bundeswehr.org