Wehrmedizinische Monatsschrift

KOMPLEXITÄT JENSEITS DER KLINIK

Kranken-/Lufttransport unter COVID-19-Bedingungen

Bernd Brix a

a Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe, Köln

 

Einleitung

Mit der COVID-19-Pandemie sind wir mit einer Erkrankungswelle konfrontiert, die zuvor noch niemand in einem solchen Ausmaß erlebt hatte und bei der viele nationale und internationale Bedarfsträger sich um die wenigen, ad hoc global zur Verfügung stehenden Ressourcen bemühen mussten – ein Massenanfall von Erkrankten also, der eine Priorisierung selbst in Deutschland verlangte, einem Land mit einem der besten Gesundheitssysteme der Welt überhaupt.

Beim Lufttransport von Kranken und Verwundeten liegt naturgemäß der Fokus auf den klinisch medizinischen Parametern. Die fliegerischen, administrativen, organisatorischen, personellen und materiellen Rahmenbedingungen werden mehr oder weniger „stillschweigend“ als gegeben vorausgesetzt und nur selten in der Gesamtbeurteilung solcher Missionen betrachtet oder gewürdigt.

Um solche Missionen erfolgreich zu gestalten ist eine sehr intensive Koordination vieler Zuständigkeiten erforderlich, die alle einen erheblichen Einfluss auf die Missionsdurchführung haben (Abbildung 1).

Abb. 1: An der Planung und Durchführung von Kranken-/Lufttransporten beteiligte Ministerien, militärische Kommandobehörden, Ämter und Dienststellen

Flexible Reaktion gefordert

Für Flüge im Rahmen COVID-19 gab es verschiedene Szenare, deren gemeinsame und spezifischen Herausforderungen im Folgenden skizziert werden.

Beiden Rückholflügen der Luftwaffe für deutsche Bundesbürger aus China nach Deutschland waren die Passagiere per definitionem keine Erkrankten. Die Kurzfristigkeit des Auftrages bei hohem politischen Interesse verlangte aber einen extrem großen Koordinationsaufwand und dabei schnelle, sichere und mit den öffentlich-rechtlichen Verantwortlichen der Bundeswehr abgestimmte Hygienemaßnahmen zum Schutz der Passagiere und der eingesetzten Besatzungsmitglieder.

Der Lufttransport von Patienten ist mittlerweile trotz der immer wiederkehrenden Herausforderungen Routine. Der Lufttransport von intensivmedizinisch zu betreuenden COVID-19-Patienten stellte alle Beteiligten aber vor ganz neue Herausforderungen.

Flüge in Einsatzgebiete bzw. aus diesen wurden und werden unter lageangepassten Maßgaben geplant und durchgeführt, um eine Verbreitung von SARS-CoV-2 dorthin zu verhindern. Dabei gilt es, auf dem Weg in den Einsatz die Isolationsmaßnahmen bruchfrei bis ins Einsatzland zu gewährleisten. Die Isolations- und Behandlungsmöglichkeiten sind im Einsatzgebiet begrenzt und ein Rücktransport nach Deutschland ist darüber hinaus eine sehr aufwendige und kostenintensive Maßnahme, die möglichst zu vermeiden ist.

Um den Herausforderungen dieser Szenare zu begegnen, mussten in vielen Bereichen Neuland betreten, Risikomanagement entwickelt oder angepasst werden sowie flexibel Lösungen gefunden werden, um die Aufträge aus dem politischen Bereich sowie aus der militärischen Führung erfolgreich erfüllen zu können.

Die jeweilige Rolle der einzelnen Beteiligten im Detail zu erläutern würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen; Voraussetzungen und Einflussfaktoren auf die Flugplanung und Flugdurchführung sollen deshalb an einigen Beispielen dargestellt werden.

Beschaffung und Bereitstellung von Material

Die Bereitstellung von ausreichendem Patientenlufttransport für COVID-19-Erkrankte erforderte eine erhebliche Beschleunigung von Herstellungs-, Beschaffungs-, Liefer- und Zulassungsprozessen. Nur so war es überhaupt möglich, die Verfügbarkeiten von Material, Luftfahrzeugen und Personal – sowohl luftfahrttechnischem als auch medizinischem–- durchhaltefähig zu koordinieren.

Das Spektrum reichte von der beschleunigten Herstellung und Zulassung von Geräteträgern für die neuen Beatmungsgeräte Hamilton-T1 bis hin zu einem detaillierten und auf den jeweiligen Flug zugeschnittenen Hygiene- und Sicherheitsplan.

Abb. 2: Für das neue Beatmungsgerät Hamilton-T1 wurde kurzfristig ein luftfahrttauglicher Geräteträger gebaut und zugelassen.

Desinfektion der Luftfahrzeuge

Die Desinfektion eines Luftfahrzeugs nach einem Transport von COVID-19-Erkrankten ist in zweifacher Hinsicht eine Herausforderung. Zum einen muss das verwendete Mittel/Verfahren vom Robert Koch-Institut (RKI) für eine Desinfektion gemäß Infektionsschutzgesetz zugelassen sein, zum anderen muss es aber auch eine Zulassung seitens des Herstellers des Luftfahrzeugs besitzen.

Das jeweilige Desinfektionsmittel muss mindestens eine VAH-Listung (Verbund für angewandte Hygiene) besitzen. Das durch den Flugzeughersteller für das Luftfahrzeug A400M zugelassene Desinfektionsmittel NETBIOKEM DSAM ist aber derzeit weder beim RKI noch beim VAH gelistet.

Um dennoch den A400M als Luftfahrzeug für COVID-19-Patienten einsetzen zu können, war eine Sondergenehmigung zur Nutzung von bislang durch die Industrie auf Grund potenziell korrodierender Eigenschaften nicht zugelassenen Desinfektionsmitteln durch den Inspekteur Luftwaffe notwendig.

Weiterhin auch „normale“ AirMedEvac-Bereitschaft

Parallel hierzu war weiterhin die „normale“ AirMedEvac-Bereitschaft für alle Einsatzgebiete mit den Luftfahrzeugen A310 und A400M in den jeweiligen Bereitschaftsstufen sicherzustellen. Dies bedeutet eine Verdoppelung des Kräfteansatzes.

Um dieser potenziellen Aufgabendichte gerecht zu werden war es kurzfristig erforderlich, einen zusätzlichen Lehrgang Medical Director (MD) für A400M im Sinne einer Delta-Schulung (Umschulung bereits ausgebildeter MD auf anderen LFZ-Mustern) durchzuführen. An diesem Lehrgang nahmen insgesamt 12 Fliegerärzte und Sanitätsstabsoffiziere teil. So konnte der Personalpool MD A400M durchhaltefähig erweitert werden.

Im Ergebnis konnte zwischen Kommando Luftwaffe und Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr ein gemeinsames, durchhaltefähiges Lufttransportkonzept erarbeitet werden, welches den Dauereinsatz für innerdeutsche Patiententransporte für COVID-19 ermöglichte.

Abb. 3: Verfügbare Luftfahrzeuge und Transportkapazitäten

Hygienekonzept

Um sachgerecht angepasst und die jeweilige Gesamtlage berücksichtigend die erforderlichen Hygiene- und Sicherheitskonzepte für die Flüge festlegen zu können, war eine enge und oft sehr kurzfristige Zusammenarbeit der fliegenden Verbände mit dem Leitenden Amtsarzt der Bundeswehr und der Öffentlich-rechtlichen Aufsicht der Bundeswehr (ÖrABW), dem ZentrLuRMedLw sowie den verantwortlichen Fliegerärzten erforderlich.

Es galt, eine ausreichende Verfügbarkeit von persönlicher Schutzausrüstung (PSA) für alle kritischen Bereiche sicherzustellen. Anfänglich überstieg der erhebliche Bedarf an PSA deren Verfügbarkeit bei Weitem. Die Verteilung wurde richtigerweise durch Kdo SanDstBw zentral gesteuert und zunächst auf den klinischen Bereich ausgerichtet, musste dann aber zügig auf den Bereich des Lufttransportes erweitert werden, um Aufträgen unter Anwendung eines genau abgestimmten Risikomanagements gerecht werden zu können.

Es galt, die Vorgaben des RKI zu beachten und die Anwendung dieser Vorgaben auf den militärischen Flugbetrieb in Absprache mit den für den jeweiligen Bereich zuständigen öffentlich-rechtlichen Verantwortungsträgern der Bundeswehr so umzusetzen, dass Schäden bzw. Risiko für Mensch und Material minimiert wurden, die Auftragsdurchführung aber dennoch gewährleistet war.

Beim Lufttransport von Personen im Rahmen der Pandemie galt es also, den verschiedenen Personengruppen gerecht zu werden und diese mit entsprechender Schutzausstattung auszustatten (siehe Tabelle 1).

Tab. 1: Differenzierung der persönlichen Schutzausrüstung im Flugbetrieb

Neben der PSA ist die räumliche Trennung der einzelnen Personengruppen im Luftfahrzeug eine wichtige Maßnahme. Neben dem einzuhaltenden Mindestabstand von 1,5 m oder zwei Sitzreihen wurden die jeweiligen Bereiche für Crew, gesunde Personen und Kranke festgelegt und deutlich gekennzeichnet. Der Bereich für die Luftfahrzeugbesatzung befand sich am weitesten vorne, danach kamen die Passagiere und am weitesten hinten im Luftfahrzeug saßen die infizierten/erkrankten Personen. So konnte eine optimale Aufteilung mit dem geringsten Risiko der Übertragung von SARS-CoV-2 der einzelnen Personengruppen erreicht werden.

Abb. 4: Sitzplatzmanagement am Beispiel Airbus A310 der Flugbereitschaft BMVg

Fazit

In der Hochphase der COVID-19-Erkrankungen in Deutschland und Europa haben in gemeinsamen Anstrengungen die Luftwaffe, das Zentrum für Luft-und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe und der Zentrale Sanitätsdienst der Bundeswehr – insbesondere der Leitende Amtsarzt der Bundeswehr – sowie die Fliegerarzt-Teams der Lufttransportverbände in einer sehr gut koordinierten Zusammenarbeit sowohl die Rückholaktionen deutscher Staatsbürger aus China, die Übernahme von schwerst an COVID-19 Erkrankten aus Italien und Frankreich als auch die Sicherstellung der Kontingentwechsel in den Einsatzgebieten erfolgreich durchgeführt.

Nur mit gemeinsamer Anstrengung aller Beteiligten konnten die zu Beginn großen Herausforderungen dieser Pandemie erfolgreich bewältigt werden. Der gemeinsame Wille zu erfolgreicher Auftragserfüllung war überall spürbar, er ist mehr als positiv hervorzuheben.

Besonders stolz macht mich persönlich aber die Einsatzbereitschaft, die Motivation und das Können unserer (Flieger-) Ärztinnen und Ärzte, unserer Anästhesistinnen und Anästhesisten, unseres Pflegepersonals, unserer Medizingerätetechniker, unserer Flugmedizinischen Assistenten und unserer Notfallsanitäter, die in einer unbekannten und herausfordernden Situation ganz hervorragende Arbeit geleistet haben.

Verfasser

Oberstarzt Dr. Bernd Brix

Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe

Leitender Fliegerarzt der Luftwaffe

Flughafenstr. 1, 51147 Köln

E-Mail: berndbrix@bundeswehr.org