Wehrmedizinische Monatsschrift

QUALIFIZIERTE LOGISTIK GEFRAGT

Wehrpharmazeutische Leistungen
der Streitkräftebasis im Rahmen der COVID-19-Pandemie

Oliver Haupt a

a Kommando Streitkräftebasis, Bonn

 

Einleitung

Die Ausbreitung der COVID-19-Pandemie seit dem Jahreswechsel 2019/2020 führte innerhalb kürzester Zeit zu einem global sehr stark ansteigenden Bedarf an Sanitätsmaterial (SanMat) und persönlicher Schutzausrüstung (PSA). Weltweit wurden Schutzmasken und -kittel sowie Beatmungsgeräte und Arzneimittel in bisher nicht bekannten Ausmaßen nachgefragt. Für die Bundeswehr bedeutete dies, dass bei angespannter Versorgungslage die eigenen Soldaten und Soldatinnen sowie zivilen Beschäftigten angemessen zu versorgen waren. Zudem war in großem Umfang und ressortübergreifend Amtshilfe zu leisten, insbesondere im Bereich der Sanitätsmateriallogistik (SanMatLog). Im folgenden Beitrag werden die hiermit verbundenen Anforderungen an die SanMatLog und Wehrpharmazie in der Streitkräftebasis (SKB) und die daraus resultierenden Erfahrungen im Sinne eines First Impression Reports dar- und zur Diskussion gestellt sowie Lösungsmöglichkeiten angesprochen.

Beschaffung und Logistik in Krisenzeiten

Die Bundeswehr verfügt über eine leistungsfähige, zentrale Beschaffungsorganisation und ein mehrstufiges logistisches System mit Fähigkeiten zur zentralen Disposition für die Bewirtschaftung und Instandsetzung von Versorgungsartikeln sowie über eine entsprechende, wenngleich in den Vorjahren strukturell reduzierte, Depotorganisation. Diese hat die Übernahme der Federführung bei der zentralen Beschaffung von PSA, Arznei- und Desinfektionsmitteln sowie bei deren Vereinnahmung, Einlagerung und Transport zum Verbraucher ermöglicht. Um den Bedarf des Bundes zu decken, erfolgte die Beschaffung von PSA und SanMat sowohl über das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) als auch über die Generalzolldirektion (GZD) und das Beschaffungsamt des Bundesministeriums des Innern (BeschA BMI). Für die sich anschließende Übernahme, Lagerung und Verteilung sowie den Transport der beschafften Produkte sind die logistischen Strukturen von besonderer Bedeutung. Dabei spielte die Abteilung Fachaufsicht Sanitätswesen und Wehrpharmazie des Logistikzentrums der Bundeswehr (LogZBw) in Wilhelmshaven mit dem nachgeordneten Bereich der Depots und Materiallager (MatLgr), auch als ortsfeste logistische Einrichtungen (olE) bezeichnet, eine entscheidende Rolle, da hier alle Informationsstränge zusammenlaufen.

Steuerung und Verteilung Hand in Hand

Nach Abstimmung zwischen den (höheren) Kommandobehörden der SKB und des Zentralen Sanitätsdienstes der Bundeswehr mit dem Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) und den anderen Ressorts erfolgte die Steuerung und Koordinierung der Übernahme und Abgabe von PSA und SanMat durch das LogZBw. Die Auswahl der jeweiligen olE richtete sich dabei zum einen nach der noch verfügbaren Lagerkapazität, zum anderen aber vor allem nach der Fähigkeit des jeweiligen MatLgr, den gesetzlichen Anforderungen, z. B. hinsichtlich der Lagerung von Gefahrgut wie Desinfektionsmitteln sowie von Arzneimitteln und Medizinprodukten, zu entsprechen. Die Übernahme des Materials von den jeweiligen Lieferanten sowie die dazugehörige Dokumentation und Vereinnahmung erfolgte am Anfang in den beiden ­Sanitätsmateriallagern (SanMatLgr) der SKB in EPE und KRUGAU sowie später aufgrund des hohen Volumens auch in anderen MatLgr, darunter KARLSRUHE, ­HARDHEIM und WESTER-OHRSTEDT.

Masken, Handschuhe, Schutzbekleidung

Im Anschluss an die Übernahme wurde das Material dann nach einem vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) vorgegebenen Verteilerschlüssel an externe Dienstleister bzw. das Technische Hilfswerk abgegeben und von diesen an die jeweiligen Länder und Behörden verteilt. Bisher wurden so mehrere tausend Paletten, darunter über 18 Millionen Schutzmasken sowie über 60 Millionen Handschuhe umgeschlagen und mehr als 40 Straßentransporte von (Kühl-) Containern, Feldbetten oder medizinischem Gerät durchgeführt. Darüber hinaus wurden insgesamt sechs SALIS-Flüge (Strategic Airlift International Solution) ab­gerufen und das Material von Flugzeugen des Types „­Antonov“ von China nach Deutschland verbracht.

Abb.1: SALIS-Transport von dringend benötigtem Sanitätsmaterial

Sanitätsgerät

Nicht nur Masken und Handschuhe, sondern auch medizinische Geräte zur Beatmung, Diagnostik und Behandlung von COVID-19-Patienten wurden dringend benötigt. So waren in den SanMatLgr Bestände an Beatmungsgeräten und Geräten zur intensivmedizinischen Behandlung eingelagert, welche entweder schnellstmöglich zur Abgabe verfügbar gemacht oder unverzüglich in die kurzfristige Instandsetzung eingesteuert wurden. Die hierfür zuständige zentrale Instandsetzungssteuerstelle für SanMat des LogZBw hat sich in diesem Zusammenhang als leistungsfähiges Element an der richtigen Stelle bewährt. Im Anschluss erfolgte die unverzügliche Disposition der Geräte nach Maßgabe Kdo SanDstBw. So konnten den Bundeswehrkrankenhäusern und zivilen Einrichtungen sowie in Form von Länderabgaben im Rahmen der Amtshilfe mehrere hundert Beatmungsgeräte kurzfristig zur Verfügung gestellt werden.

Abb. 2: Beatmungsgeräte (hier Vorbereiten einer Lieferung nach England) werden überprüft und transportfähig verpackt.

Arzneimittel

Neben der Beatmung stellen bisher nur wenige spezifische Arzneimittel eine weitere Option zur Therapie von COVID-19 dar. Weltweit werden verschiedene Wirkstoffe in unterschiedlichen Phasen von klinischen Studien auf ihre Wirkung hin untersucht. Auch das BMG hat Arzneimittel zur Behandlung von COVID-19 beschafft, welche im Rahmen der Amtshilfe durch das SanMatLgr EPE als „Zentralapotheke des BMG“ vereinnahmt und an die jeweiligen Kliniken verteilt wurden. Hier ist u. a. das Virustatikum Remdesivir zu nennen, das unter höchsten Anforderungen an Qualität und Sicherheit durch qualifizierte Eingangskontrollen im zugehörigen pharmazeutischen Prüflabor an ausgewählte Kliniken zu Studienzwecken und zur Behandlung von COVID-19 Fällen geliefert wurde.

Abb. 3: Qualitätskontrolle im wehrpharmazeutischen Prüflabor in EPE

Über 2,3 Millionen Tabletten, Ampullen und Fertigspritzen wurden so bereits – z.T. per Kühltransport – an ausgewählte (Universitäts-) Kliniken deutschlandweit nach einem Verteilerschlüssel des BMG versandt und über 6 Millionen Tabletten temporär eingelagert. Umliegende Krankenhäuser können bei den belieferten Kliniken diese Arzneimittel patientenindividuell anfordern. Ferner wurden auch vier Studienzentren, die an der weltweit laufenden „Solidarity-Studie“ der Weltgesundheitsorganisation teilnehmen, entsprechend der Vorgaben verlässlich beliefert.

Dies ist in dieser Größenordnung nur möglich, weil alle SanMatLgr der Bundeswehr über den Status einer Bundeswehrapotheke verfügen und die entsprechenden rechtlichen und fachlichen Vorgaben erfüllen. So stellen sich in diesem Zusammenhang naturgemäß zahlreiche Fragen zur Arzneimittelsicherheit, die innerhalb kürzester Zeit zwischen den Beteiligten teils ressortübergreifend geklärt werden mussten und die Notwendigkeit der Abbildung wehpharmazeutischer Fachkompetenz auf verschiedensten Ebenen untermauern.

Von den hohen Qualitätsstandards im SanMatLgr EPE sowie dem überaus motivierten, hochqualifizierten Personal konnte sich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn anlässlich eines Besuches in seinem Wahlkreis selbst überzeugen. Er zeigte sich hocherfreut, dass er im Rahmen der Amtshilfe das SanMatLgr EPE verzugslos als „Zentralapotheke für das BMG“ nutzen konnte.

Abb. 4: Die Leitende Apothekerin der SKB, Oberstapotheker Natascha Kartzinski, erläutert Bundesgesundheitsminister Jens Spahn die Unterstützungsleistungen der Wehrpharmazie der SKB für das Bundesgesundheitsministerium im Kampf gegen die COVID-19-Pandemie.

Erstes Fazit und Ausblick

Die Ausbreitung der COVID-19-Pandemie hat gezeigt, wie wichtig es für militärische und zivilbehördliche Bereiche ist, verzugslos auf medizinische Infrastruktur und Vorräte zugreifen zu können. Insbesondere wurde deutlich, dass im Ernstfall sogenannte Vorhalte- und Abrufverträge für Arzneimittel und Medizinprodukte nicht mit ausreichender Sicherheit greifen. Dramatisch kann eine solche Situation werden, wenn es zu einem Konkurrenzkampf um diese überlebenswichtigen Ressourcen kommt. Schon kurze Zeit nach Beginn der Pandemie bestand breiter Konsens, dass Vorräte und Infrastruktur an diese zusätzlichen Rahmenbedingungen angepasst werden müssen, was insbesondere die Depotorganisation betrifft.

Logistische Kernbereiche

Die Vergabe von logistischen Leistungen nahezu ausschließlich an gewerbliche Dienstleister ist hinsichtlich der belastbaren, jederzeitigen Verfügbarkeit kritisch zu betrachten, insbesondere wenn es darum geht, logistische Kernbereiche auch im Krisenfall aufrecht zu erhalten. Die (SanMat)-logistischen Strukturen haben sich im Rahmen der COVID-19-Pandemie als funktionell und leistungsfähig bewährt und sind auf Grundlage dieser Erfahrungen nun konsequent auf die Bedarfe der Landes- und Bündnisverteidigung (LV/BV) hin weiterzuentwickeln. Die zukünftige Lagerung und Bewirtschaftung von rund zwei Dritteln der Einsatzvorräte an Arzneimitteln und Medizinprodukten in den SanMatLgr bedingt damit einhergehend vermehrt profunde Kenntnisse der logistischen Verfahren und Zuständigkeiten und damit eine entsprechende Erfahrung und Qualifikationshöhe des erforderlichen Personals.

Fähigkeiten neu bewerten

Nicht nur für den Bereich der medizinischen Versorgung erscheint es vordringlich, bisher reduzierte, aber systemrelevante Fähigkeiten anhand der Erfahrungen der ­COVID-19-Pandemie einer Neubewertung zu unterziehen. Dies betrifft nicht nur die Bundeswehr. Fast alle namhaften Unternehmen reduzierten ihre Herstellungsstätten in Deutschland und Europa aus Kostengründen bzw. verlagerten diese vor allem nach Asien. Die damit einhergehende Abhängigkeit wurde unter dem Hinweis auf globale Märkte und Handelsketten bisher in Kauf genommen. Dies betrifft auch den zivilbehördlichen Bereich und Katastrophenschutz, dessen Schnittstellen zur Bundeswehr im Rahmen der Gesamtverteidigung ebenfalls von Bedeutung sind. Hier gilt es, Synergien zu nutzen und, wo erforderlich, gemeinsame Strategien für eine sichere Arzneimittelversorgung festzulegen. Dabei sollte beispielsweise die Wiederaufnahme der Eigenproduktion bzw. eine abgestimmte Nachfrage von nicht-verfalldatierten Arzneimitteln gegenüber der Industrie in Erwägung gezogen werden. Dieses könnte die Bereitschaft der Hersteller erhöhen, speziell diese Arzneimittel für die Anforderungen der Bundeswehr und des Katastrophenschutzes rentabel zur Verfügung zu stellen. Mehr als nur überlegenswert wäre in diesem Zusammenhang sicherlich auch die Wiederaufnahme der Bevorratung von nicht-verfalldatierten, chargenüberwachten Arzneimitteln, die sich während des „Kalten-Krieges“ bereits über lange Zeit bewährt hat.

Begonnene Planung fortsetzen

Insgesamt steht damit für die SanMatLog unserer Zeit nach wie vor ein stringenter Aufbau von strategischen Vorräten im Vordergrund. Zwar wurden in den letzten Jahren bereits grundlegende OrgBer-übergreifende Planungen wie die Zusammenstellung eines Sortiments an essenziellen Arzneimitteln und Medizinprodukten sowie die Standardisierung von SanMat in Satzausstattungen und Handvorräten der truppenärztlichen Versorgung begonnen. Jetzt gilt es jedoch, dies konsequent weiterzuentwickeln und in eine robuste Grundbevorratung zu überführen. Denn eines ist sicher:

Was vor einer nächsten Krise nicht umgesetzt ist, lässt sich in einer neuen Krise nicht mehr kompensieren!

Verfasser

Oberstabsapotheker Dr. Oliver Haupt

Kommando Streitkräftebasis

Generalarzt der Streitkräftebasis

Referat Wehrpharmazie

Fontainengraben 150, 53123 Bonn

E-Mail: oliver2haupt@bundeswehr.org