Wehrmedizinische Monatsschrift

FÜHREN AUS EINER HAND

Der Einsatz des Sanitätsdienstes
bei der Bewältigung der Corona-Pandemie

Mascha-Christine Groß a

a Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr, Unterabteilung VII

 

Hintergrund

Als im Dezember 2019 im chinesischen Wuhan die ersten Fälle einer neuen und später als COVID-19 bezeichneten Atemwegserkankung auftraten, ahnten die wenigsten, dass sich diese Infektionserkrankung schon wenige Wochen später zu einer weltweiten Pandemie entwickeln würde, die in weitem Rahmen unser Leben beeinflussen und erheblichen Einfluss auf die Aufgabenerfüllung des Sanitätsdienstes der Bundeswehr nehmen sollte.

Mit der Rückholung deutscher Staatsangehöriger aus dem chinesischen Wuhan Ende Januar 2020 nahm die Öffentlichkeit zum ersten Mal Kenntnis von der Beteiligung der Bundeswehr an der Bekämpfung der Corona-Pandemie. Im Rahmen der sogenannten Schnellen Luftabholung wurde der erste Rücktransport von insgesamt 124 deutschen und internationalen Staatsbürgern mit einer sehr kurzen Vorlaufzeit realisiert und, in enger Zusammenarbeit mit dem zuständigen Amtsarzt des Landkreises Germersheim, die erforderliche Quarantäne in der Germersheimer Sponeck-Kaserne organisiert.

Im weiteren Verlauf wurde die Bundeswehr und speziell der Sanitätsdienst auf allen Ebenen gefordert, um im zivilen Bereich Hilfe zu leisten, spezifische medizinische und pharmazeutische Leistungen zur Verfügung zu stellen oder mit Fachexpertise zu unterstützen. Diese Hilfeleistung dauert mit wechselnder Intensität nach wie vor an.

Die Pandemie hatte auch erhebliche Auswirkungen auf den Dienstbetrieb in der Bundeswehr (z. B. Übungen, Ausbildungsmaßnahmen, Einsatzvorbereitung, Begutachtungen usw.), was innerhalb kürzester Zeit zu einem erheblichen fachlichen Regelungsbedarf führte.

Die übergreifende Koordination aller sanitätsdienstlichen Leistungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie erfolgte (und erfolgt weiterhin) durch das hierfür eingerichtete Einsatzführungszentrum Sanitätsdienst (EFüZ San), welches im Folgenden vorgestellt wird. Die von hier gesteuerten Maßnahmen umreißen zugleich auch das bisherige Einsatzspektrum des Sanitätsdienstes im Rahmen der Bewältigung der Corona-Pandemie.

Das Einsatzführungszentrum Sanitätsdienst

Einrichtung

Bis Ende Februar 2020 nahm das COVID-19-Ausbruchsgeschehen auch in Europa krisenhafte Ausmaße an. Um auf die sich zuspitzende Lage schnell reagieren zu können, richtete das Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr (Kdo SanDstBw) am 2. März 2020 das EFüZ San ein. Dieses sollte die Führungsfähigkeit des Sanitätsdienstes in einer sich permanent wandelnden Lage gewährleisten. Zu Anfang waren hier fünf Soldatinnen/Soldaten eingesetzt. Die Fülle an Anfragen in medizinisch-fachlichen Angelegenheiten, zu Amtshilfeersuchen aus dem zivilen Bereich und zum Umgang mit der Bedrohung durch das Virus im täglichen Dienst führten schnell zur Notwendigkeit eines personellen Aufwuchses des EFüZ San. Unter Einhaltung der empfohlenen Hygienevorschriften wurden so insgesamt 24 Arbeitsplätze eingerichtet. Eine mobile Videokonferenz-Anlage machte die Kommunikation des Kdo SanDstBw zu anderen Dienststellen und Nationen zum Austausch von Informationen und Erfahrungen möglich.

Abb. 1: Organisationsstruktur und Aufgabenverteilung im EFüZ San

Auf insgesamt 24 Arbeitsplätzen bildete das EFüZ San nahezu die vollständige Bandbreite sanitätsdienstlicher Fähigkeiten ab. Zur effizienten Steuerung der Aufgaben wurden die unterschiedlichen Anträge und Aufträge den jeweils dafür zuständigen „Zellen“ zugewiesen. So koordiniert die Zelle „Führung“ Anfragen und Aufträge zur regelmäßigen Information der Führung, zur Vorbereitung von Entscheidungen. Hier erfolgt auch die Überwachung und Erfüllung von Meldeverpflichtungen sowie die Kommunikation zu Stellen außerhalb des Sanitätsdienstes. Die Zelle „Führung“ bildet das Herzstück des EFüZ San, da hier tatsächlich alle Informationen zusammengeführt und koordiniert werden. Unterstützt wird dieses Kernelement durch zwei S3-Feldwebel. Zur Information der Führung wurde tagesaktuell ein Lageupdate etabliert.

Fachwissen bündeln

Neben den genannten eher klassischen Führungsaufgaben war im EFüZ San auch die fachliche Expertise in allen Fragen zu Epidemiologie, Hygiene und Infektionsschutz abgebildet. Diese wurde neben der Bereitstellung der erforderlichen Medical-Intelligence-Produkte für den gesamten Zeitraum auch durch eine 24/7-Rufbereitschaft eines Facharztes/einer Fachärztin für Infektiologie und Epidemiologie verstärkt. Mit Fortschreiten der Pandemie auch in Deutschland rückte die Vorbereitung der medizinischen Einrichtungen der Bundeswehr auf das Infektionsgeschehen in den Vordergrund. Hierzu erwies sich insbesondere der WikiService der Bundeswehr als ­geeignetes Medium, Wissen schnell und aktuell verfügbar zu machen und das bereits etablierte Hygiene­management Bundeswehr um verbindliche Vorgaben zu COVID-19 zu erweitern.

Abb. 2: Die 24/7 Bereitstellung fachlicher Expertise für alle Bundeswehrdienststellen und auch für Anfragen aus dem zivilen Bereich war eine der Aufgaben des EFüZ San.

Koordinieren von Fähigkeiten und Möglichkeiten

Personal

Die Zelle „Personal“ unterstützte mit einer Soldatin/einem Soldaten vor Ort sowie einem Team von fünf bis sieben Soldatinnen/Soldaten im Hintergrund, welche die Koordinierung des Personals sowohl bundeswehrintern als auch bei der zivilen Amtshilfe übernahmen. Ebenfalls koordinierte sie den Einsatz der Reservistinnen und Reservisten.

In der Anfangsphase lag der Schwerpunkt der Aufgaben in der personellen Verstärkung der bundeswehreigenen akut zur Bewältigung der Pandemie geforderten sanitätsdienstlichen Einrichtungen, wie zum Beispiel der Überwachungsstellen für öffentlich-rechtliche Aufgaben, der verschiedenen bundeswehreigenen Labore und der Bundeswehrkrankenhäuser. Besonders greifbar wurde diese zentrale Steuerung bei limitiert vorhandenen Qualifikationen (z. B. Medizinisch-technischer Assistent/in (MTA) Radiologie, MTA Labormedizin, Fachkrankenpfleger/in Anästhesie und Intensivmedizin).

Im weiteren Verlauf rückte die personelle Unterstützung von Anträgen zur Amtshilfe in den Fokus. Als gesonderte Ressource wurden Sanitätsoffizieranwärter/-anwärterinnen eingesetzt, die aufgrund der ausgesetzten Lehrveranstaltungen an den Universitäten für Dienstleistungen zur Verfügung standen.

Sanitätsmaterial

Einen weiteren Schwerpunkt der Unterstützungsleistungen des Sanitätsdienstes betraf das Sanitätsmaterial. In einem ersten Schritt stand die Lagebewertung der eigenen Kräfte und Mittel für eine adäquate Reaktion auf SARS-CoV-2-Infektionen in der Bundeswehr im Vordergrund. Neben der Ausweitung der regulären Beschaffungskanäle galt es, aus dem schnell wachsenden ­Angebot ziviler Anbieter, z. B. von persönlicher Schutzausrüstung, die sinnvollen und nutzbaren herauszufiltern und in den Beschaffungsprozess einzuschleusen. Zu den bundeswehrinternen Anforderungen kamen dann auch sehr schnell von ziviler Seite Anfragen zur Unterstützung mit Sanitätsmaterial. Vielen dieser Anfragen konnte im Rahmen der zivil-militärischen Zusammenarbeit entsprochen werden.

Management der Bundeswehrkrankenhäuser

Die Bundeswehrkrankenhäuser (Bw(Z)Krhs) standen bei der medizinischen Versorgung von COVID-19-Erkrankten sowohl in Bezug auf ihre regionale Einbindung in die Gesundheitsversorgung als auch bei den Hilfeleistungen für Patienten und Patientinnen aus dem Ausland an vorderster Front. Eine detaillierte Vorstellung einschließlich einer ersten Kohorten-Auswertung erfolgt in eigenen Beiträgen. Die rasche Bereitstellung von benötigten Ressourcen für die Krankenhäuser hatte deshalb einen hohen Stellenwert. Das EFüZ San unterstützte hier aus einer dafür eingerichteten Zelle

Beispielhaft konnte so am BwKrhs Westerstede der vorhandene Intensivtransportwagen durch Fachpersonal aus dem Bereich Kommando Sanitätsdienstliche Einsatzunterstützung (Kdo SanEinsUstg) verstärkt und ­somit schichtfähig betrieben werden. Mit dieser medizinischen Hochwertressource konnte bei Sekundärverlegungen von beatmungspflichtigen COVID-19-Patienten die medizinisch notwendige Versorgung während des Transports sichergestellt werden.

Abb. 3: Vielfältige Amtshilfe war - auch in Bezug auf die Kooperation mit Partnern - zu koordinieren: Angehörige des Sanitätsregiments 1 errichteten gemeinsam mit dem THW ein Behelfskrankrankenhaus in Gütersloh (links), ein Team des Sanitätsregiments 2 war im Landkreis Rheda-Wiedenbrück eingesetzt, wo sich der Kommandeur des Kommandos Sanitätsdienstliche Einsatzunterstützung, Generalstabsarzt Dr. Schmidt, vor Ort über den Einsatz informierte (rechts).

Zur Verhinderung der Einschleppung von SARS-CoV-2 in die Bw(Z)Krhs wurden Schleusen eingerichtet. Bis auf das BwKrhs Ulm, das auf eine feste Infrastruktur als Schleuse zurückgreifen konnte, wurden die übrigen vier Bundeswehrkrankenhäuser materiell durch das Kdo SanEinsUstg mit Einheitszelten Typ 2 ausgestattet, die als Kontroll- und Sichtungszelte genutzt werden konnten. Auch beim Betrieb dieser Schleusen wurden die Bw(Z)Krhs aus dem Kdo SanEinsUstg personell unterstützt.

Insgesamt konnten ungefähr 530 Soldaten und Soldatinnen sowie Reservedienstleistende zusätzlich an die Bw(Z)Krhs entsandt werden, die in den unterschiedlichsten Bereichen, wie zum Beispiel der Intensiv- und Krankenpflege, in der Radiologie oder im Labor unterstützt haben.

Im Bereich Management war die Generierung und Fortschreibung des Lagebildes rund um die Patientenversorgung ein Schwerpunkt. Aus den täglichen Lagemeldungen der Bw(Z)Krhs zur Behandlung der COVID-19-Patienten und – Patientinnen erfolgte die Zusammenführung, Auswertung und Aufbereitung für das Lage Update des EFüZ San gegenüber der Führung Kdo SanDstBw und für den Leitungsflyer des Bundesministeriums der Verteidigung. Hinzu kamen Zuarbeiten zu Presseanfragen- oder Amtshilfeersuchen. Weitere Schwerpunkte bildeten die fachliche Bewertung, Koordination, Harmonisierung und Unterstützung hinsichtlich aller betriebsorganisatorischer Fragestellungen der Krankenhäuser in der COVID-19-Lage.

Zivil-Militärische Zusammenarbeit (ZMZ)

Schon sehr früh kristallisierte sich eine Vielzahl von Unterstützungs-/Amtshilfeanträgen für den zivilen Bereich heraus, auf die zu reagieren war. Anträge zur personellen und materiellen Unterstützung bildeten dabei den Schwerpunkt der Anfragen, die in die Zuständigkeit der Zelle „Zivil-Militärische Zusammenarbeit“ fielen. Bis Ende Juni 2020 wurden mehr als 400 Anträge bearbeitet, von denen etwas weniger als die Hälfte positiv beschieden werden konnten. Insbesondere in der Anfangsphase des Pandemiegeschehens musste eine Vielzahl von Anträgen abgelehnt werden, da nicht eindeutig zu erkennen war, wie sich die Lage entwickeln würde und welcher Eigenbedarf personell und materiell auf den SanDstBw zukommen würde. Nachfolgende Beispiele – die Liste könnte noch lang fortgesetzt werden – sollen die Hilfsleistungen der Soldaten und Soldatinnen des Zentralen Sanitätsdienstes der Bundeswehr im Rahmen der Amtshilfe zur Unterstützung des zivilen Gesundheitssystems veranschaulichen

Abb. 4: Personal des Sanitätsregiments 1 führte im Rahmen der Amtshilfe Abstriche bei Personal der Firma Tönnies in Rheda-Wiedenbrück durch.

Abb. 5: Verbindungselemente (hier ein Angehöriger des DRK) unterstützten bei der Koordinierung der Zusammenarbeit mit medizinischen Hilfsorganisationen und Einrichtungen des Katastrophenschutzes

Externe Partner

Von besonderer Bedeutung bei der Arbeit im EFüZ San war die Einrichtung von Verbindungselementen. So wurden schon sehr frühzeitig ständige Verbindungselemente des Deutschen Roten Kreuzes und des Bundesamtes für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen der Bundeswehr im EFüZ San abgebildet. Darüber hinaus wurde ein Verbindungselement des Kdo SanDstBw im Bundesministerium für Gesundheit eingerichtet.

Diese Verbindungselemente trugen dazu bei, dass erforderliche Abstimmungen schnell und zielführend geleistet werden konnten und ein gegenseitiger Informationsaustausch ständig gewährleistet war.

Erstes Fazit

Das EFüZ San versetzte das Kdo SanDstBw in die Lage, sanitätsdienstliche Unterstützungsleistungen zentral zu steuern, Hotspots zu erkennen und – angepasst an die Lage – Kräfte des Sanitätsdienstes zielführend und wirksam einzusetzen. Zusätzlich konnte ein hilfreicher und wesentlicher Beitrag zur Unterstützung des zivilen Gesundheitssystems im Rahmen der Amtshilfe geleistet werden. Die geringen Fallzahlen an COVID-19 Erkrankten bei Bundeswehrangehörigen – sowohl im Inland als auch in den Einsatzgebieten – zeigen, dass die Prävention mit den eingesetzten sanitätsdienstlichen Kräften und Mitteln sowie der verständlichen und jederzeit präsenten Aufklärung erfolgreich war und ist.

Verfasserin

Oberfeldarzt Dr. Mascha-Christine Groß

Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr

Unterabteilung VII – Führung/Einsatz

Von-Kuhl-Str. 50, 56070 Koblenz

E-Mail: maschachristinegross@bundeswehr.org