Wehrmedizinische Monatsschrift

HYGIENE-MANAGEMENT

Hygienemanagement – fachliche, rechtliche und
truppendienstliche Herausforderungen in einer Pandemielage

Florian Helm a

a Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr, Referat VI 1 – Hygiene, Koblenz

 

Zusammenfassung

Die aktuelle Pandemie durch das neu aufgetretene Virus SARS-CoV-2 ist eine historische Ausnahmesituation. Die schnelle epidemiologische Ausbreitung von SARS-CoV-2 traf daher auf ein konzeptionell hierauf wenig vorbereitetes Öffentliches Gesundheitswesen des Zentralen Sanitätsdienstes der Bundeswehr. Planungen zur Überarbeitung des Pandemieplans aus 2006 wurden von der aktuellen Entwicklung eingeholt. Dem gegenüber erwies sich das seit 2011 sukzessive aufgebaute Hygienemanagement der Behandlungseinrichtungen des Sanitätsdienstes als schnell anpassbar und, von vornherein als Online-System angelegt, in der Kommunikation sehr schnell. Es erwies sich als eine große Herausforderung, den rasch einsetzenden hohen Informationsbedarf aus der Truppe zeitnah zu bedienen. Gründe waren zum einen die anfängliche Unkenntnis über den neuen Erreger, der parallele Aufbau eines Einsatzführungszentrums Sanitätsdienst und erhebliche interne Abstimmungsbedarfe mit langen Bearbeitungszeiten. Unter hohem Druck generierte Dokumente mussten unter diesen ungünstigen Bedingungen rasch verbreitet und ebenso rasch wieder angepasst werden, wenn es die Fortentwicklung der Lage erforderte oder sich Vorgaben als nicht praktikabel erwiesen. Durch Personalverlagerung an die Ortsbehörden und persönlichen Einsatz der Beteiligten ließ sich der Arbeitsanfall bewältigen, führte aber zwangsläufig zum fast vollständigen Zurückstellen anderer fachlicher Arbeitsfelder.

Der Anfang einer Pandemie ist die Phase der größten Ungewissheit und des Chaos. In eine solche Situation Ordnung zu bringen ist die Kunst des Katastrophen-Managements und eine Domäne des Militärs insbesondere. Im Ergebnis konnte die Bundeswehr sich bis heute vom landesweiten Trend positiv abheben und nach initial starkem Anstieg der Infektionszahlen durchgehend unterhalb der bundesweiten Inzidenzrate und effektiven Reproduktionszahl bleiben. Dennoch bleibt festzuhalten: Durchhaltefähigkeit und Präsenz in der Fläche wurden maximal auf die Probe gestellt und erwiesen sich im Bereich der Force Health Protection nur dank der Wirksamkeit der bundesweit getroffenen Maßnahmen als hinreichend. Bei der Weiterentwicklung der Bundeswehr im Bereich Landes- und Bündnisverteidigung wird eine parallele Abdeckung der territorialen Aufgaben und der Einsatzunterstützung im Sinne des Zwischenziels 2031 mit der Grundaufstellung erforderlich sein. Entsprechende Anpassungen sind für die kommende Struktur unumgänglich.

Schlüsselworte: Hygiene, Öffentliches Gesundheitswesen, Gesundheitsschutz, Force Health Protection, Pandemie

Keywords: hygiene, publich health service, health protection, force health protection, pandemic

Sachstand

Am 31. Dezember 2019 berichteten chinesische Behörden der WHO über einen Ausbruch einer virusassoziierten Pneumonie im Zusammenhang mit einem Markt für lebende Tiere in Wuhan, Provinz Hubei, China [7]. Erste Übertragungen von Mensch zu Mensch haben wahrscheinlich bereits ab Mitte Dezember 2019 stattgefunden [3]. Seit dem 2. Januar 2020 befanden sich insgesamt 41 stationär aufgenommene Patienten in einem lokalen Krankenhaus. Sequenzanalysen von Proben aus dem Respirationstrakt ergaben Hinweise auf ein neues Coronavirus als Agens, das zunächst als 2019-nCoV bezeichnet wurde [4]. Am 6. Januar 2020 berichtete die WHO erstmals formal über den Ausbruch. China stellte der WHO am 12.01.2020 die RNA-Sequenz des Virus zur Verfügung [7]

Bereits am 24. Januar berichteten 29 chinesische Provinzen über 1 287 neue, bestätigte Fälle und 41 Todesfälle für diesen Stichtag. Erste Fälle traten nun auch im Ausland auf: Hong Kong, Thailand, Japan, Korea, Vietnam und Singapur waren betroffen, aber auch die USA und Frankreich wiesen erste Fälle nach [5].

Am 27. Januar trat der erste Fall in Deutschland auf. Ein Mitarbeiter eines Automobil-Zubehörherstellers im Raum Augsburg hatte sich auf einer firmeninternen Schulung infiziert. Zeitgleich fiel die Entscheidung der Bundesregierung zur Repatriierung von deutschen Staatsbürgern aus dem Hotspot Wuhan. Mit einem „Super Spreading Event“ am 19. Februar in der Gemeinde Gangelt/NRW und ersten Rückkehrern aus dem Hotspot Ischgl/Österreich begann die epidemische Entwicklung in Deutschland, die zum Redaktionsstand dieses Manuskripts (30. Juni 2020) zu 195 747 Fällen geführt hat – davon 9 029 mit letalem Ausgang.

In der Bundeswehr (Bw) lag das Durchschnittsalter der Uniformträger im Juli 2019 bei 31,85 Jahren. Dabei stellt der Anteil der unter 20-Jährigen bis 39-Jährigen einen Anteil von 82,41 % der Personalstruktur [1]. Der erste positiv getestete Mitarbeiter aus dieser Population wurde am 1. März 2020 im Zusammenhang mit der o.a. Veranstaltung in Gangelt auffällig. Im weiteren Verlauf wurde in der Bw bis zum 30. Juni 2020 bei insgesamt 380 Soldaten ein positiver Befund erhoben (siehe Abbildung 1), was einer Inzidenzrate von 205,4/100 000 Personen über 122 Tage entspricht. Die Inzidenzrate für Deutschland insgesamt beläuft sich für den gleichen Zeitraum auf 235,84. Die zeitliche Entwicklung folgt dabei dem Verlauf der Gesamtentwicklung mit einem Anstieg der Zahl aktiver Fälle auf 191 bis zum 30. März. Aktive Fälle gingen seither kontinuierlich zurück, um schließlich ab dem 03. Juni in ein Fließgleichgewicht im niedrigen einstelligen Bereich (Mittelwert 3,21) überzugehen (Abbildung 2). Die effektive Reproduktionszahl, bezogen auf einen Vergleichszeitraum von 7 Tagen (Rt), spiegelt diesen Verlauf wieder: Nach durch die initial geringe Fallzahl bedingtem starken Anstieg stabilisierte sich Rt zunächst ab dem 15. März über zehn Tage bei einem Mittelwert von 4,3. Danach sank Rt ab dem 4. April auf unter 1. Kleinere Ausschläge in der 25. und 26. Kalenderwoche um 1 sind bei in diesem Zeitraum zwischen 3 und 5 aktiven Fällen ohne Aussagekraft. Im Mittel liegt Rt zwischen 4. April und 30. Juni bei 0,79 (Abbildung 3).

Abb. 1: Kumulierte Anzahl auf SARS-CoV-2 positiv getesteter Soldaten vom 1. März bis 30. Juni 2020

Abb. 2: Aktive Fälle Uniformträger in der Zeit vom 1. März bis 30. Juni 2020 und jeweiliger Aufenthalts-/Behandlungsort

Abb. 3: Entwicklung der effektiven Reproduktionszahl von SARS-CoV-2-Infektionen in der Bundeswehr vom 1. März bis 30. Juni 2020

Die Zahl der in Zuständigkeit der Überwachungsstellen für Öffentlich-Rechtliche Aufgaben des Sanitätsdienstes der Bundeswehr (ÜbwStÖffRechtlAufgSanDstBw) verfolgten Kontakte und begründeten Verdachtsfälle betrug kumulativ bis zum 30. Juni 2020 5 010 Personen. Dabei erwiesen sich im Mittel 8,6 % der Personen aus diesen beiden Gruppen als bestätigte Fälle.

Bislang fand kein Eintrag der Infektion in ein Einsatzgebiet statt. Sämtliche Fälle unter deutschen Kontingent­angehörigen sind auf Indexpatienten anderer Nationen zurückzuführen. Kumulativ traten insgesamt 14 bestätigte Fälle auf (7 bei enhanced Forward Presence Battle-group Lithuania, 3 bei Resolute Support (Afghanistan), 4 bei KFOR).

„Öffentliches Gesundheitswesen“ in der Bundeswehr

Planungskategorie Organisation

Formal verfügt der Bereich „Öffentliches Gesundheitswesen“ zur Wahrnehmung öffentlich-rechtlicher Aufgaben im Rechtsgebiet des Infektionsschutzgesetzes in der Bundeswehr über ein dreigliedriges System aus

Im dem BMVg nachgeordneten Bereich stehen dafür im Kdo SanDstBw zwei Dienstposten (1/1/0/0//2) 1 , in den Ortsbehörden insgesamt 19 Dienstposten zur Verfügung (8/11/0/0//19).

Planungskategorie Personal

Die tatsächliche Besetzung dieser Dienstposten war im bisherigen Verlauf gesichert, auch wenn Facharztstandard nicht durchgehend gewährleistet werden kann. Dennoch wurden die ÜbwStÖffRechtlAufgSanDstBw mit Fachpersonal, dass zu diesem Zeitpunkt in anderen Verwendungen eingesetzt war, verstärkt (Nord 1/5/0/0//6, Ost, West und Süd jeweils 2/5/0/0//7).

Planungskategorie Infrastruktur

Die zugeordnete Infrastruktur entspricht der o.a. Ausplanung. Ein fallweiser Aufwuchs, beispielsweise durch Unterstützungspersonal für die Kontaktpersonennachverfolgung, ist in engen Grenzen möglich.

Planungskategorie Rüstung

Von zentraler Bedeutung für die Bearbeitung von in kurzer Zeit anfallenden, großen Mengen schutzwürdiger Daten ist eine belastbare IT-Unterstützung. Zwar steht mit dem Programm „SurvNet@RKI“ grundsätzlich ein solches Hilfsmittel im Warenkorb der BWI zur Verfügung. Die verwendete Version weist jedoch bislang noch erhebliche Einschränkungen auf. Beispielsweise ist erst in der kommenden Version eine Berücksichtigung der Dienststellen der Bundeswehr vorgesehen, so dass derzeit keine dienststelleneigene Datenhaltung realisierbar ist. Alle die Software nutzenden Ortsbehörden und das Kdo SanDstBw greifen daher noch auf eine zentrale Datenbank zu, in der aus Gründen des Datenschutzes keine personenbezogenen Daten hinterlegt werden können. Auch ist es in der aktuell bei der Bundeswehr verfügbaren Version technisch nicht möglich, Kontaktpersonen nachzuverfolgen, da sie ausschließlich auf bestätigte Fälle ausgerichtet ist. In der Folge haben die Ortsbehörden zunächst jeweils in Eigenregie, dann koordiniert unter Federführung der ÜbwStÖffRechtlAufg­SanDstBw SÜD, mit Eigenentwicklungen begonnen.

Derzeit laufen parallel Bemühungen ein gemeinsames Kontaktpersonennachverfolgungstool zu entwickeln und eine bereits in zivilen Gesundheitsämtern genutzte Version von SurvNet@RKI, die zwischenzeitlich ebenfalls über die Fähigkeit zur Kontaktpersonennachverfolgung verfügt, bereit zu stellen. Ziel ist es, eine mögliche zweite Welle in der Erkältungssaison 2020/2021 mit standardisierter IT-Unterstützung „abzuarbeiten“.

Grundlage für die fachliche Planung bei Kdo SanDstBw war mangels Alternative eine täglich fortgeschriebene Excel-Tabelle mit einfachen Funktionen zur deskriptiven Statistik. Die Tabelle diente auch als Datenbasis für eine durch das Zentrum für Softwarekompetenz (ZSwKBw) bereitgestellte und betriebene Website auf der Basis des ArcGIS Operations Dashboard.

Planungskategorie Betrieb

Kdo SanDstBw VI-1 hatte ursprünglich für das Jahr 2020 die Überarbeitung der Pandemieplanung aus dem Jahr 2006 geplant, die noch auf die Bedrohung durch Influenza A/H1N1 hin begonnen, aber nicht zufriedenstellend abgeschlossen worden war. Da diese Arbeiten von der dynamischen Entwicklung der SARS-CoV-2-Pandemie überholt wurden, war es erforderlich, unmittelbar auf das fachliche Informationsbedürfnis der Stakeholder im öffentlichen Gesundheitswesen, in der ambulanten und stationären Patientenversorgung und außerhalb des medizinisch-fachlichen zu reagieren. Hierfür wurden parallel Informationen auf dem Fachstrang, über das Hygienemanagement Bundeswehr im wikiBw, über PIZ und über die Kanäle #HygMgmtBw – News und #HygMgmtBw – eTaschenkarte mit Hilfe der Apps „Stashcat“ oder „BwChat“ verteilt.

Ab dem 27.April wurden die nicht für Behandlungseinrichtungen spezifischen Anteile, zusammengefasst unter dem Dachdokument „Fachliche Weisung zum Gesundheits-/Infektionsschutz im Rahmen der SARS-CoV-2-Pandemie in der Bundeswehr“, durch den Inspekteur des Sanitätsdienstes herausgegeben und bisher mit Änderungen vom 13. Mai und 26.Juni 2020 fortgeschrieben.

Unter Leitung von Oberstarzt Priv.-Doz. Dr. Kehe, Unterabteilungsleiter VI im Kdo SanDstBw) wurde zur höheren Autarkie von der initial deutschlandweit nicht ausreichenden Laborkapazität für den PCR-Nachweis ein Laborverbund gebildet, an dem sich mit höchstem persönlichen Engagement der Beteiligten in einem One-Health-Ansatz die Bundeswehrkrankenhäuser Berlin, Hamburg und Ulm, das Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, die Zentralen Institute des Sanitätsdienstes in Kiel und München sowie die Institute für Mikrobiologie und Radiobiologie der Bundeswehr beteiligten. Vom 1. April bis 30. Juni 2020 konnten so insgesamt 14 549 Proben, davon 11 599 in Dienststellen der Bundeswehr gewonnen, ausgewertet werden. Diese Proben umfassen neben Bw-Angehörigen auch solche, die im Rahmen von Screening und zu therapeutischen Zwecken bei zivilen Patienten der Bw(Z)Krhs gewonnen wurden. Von diesen Bw-intern gewonnenen Proben wurden 393 positiv befundet [6].

Bewertung

Eine evidenzbasierte Bewertung der Wirksamkeit der in der Bw getroffenen Maßnahmen ist kaum möglich, da keine unabhängige Stichprobe vorliegt. Der weit überwiegende Teil der hier zu betrachtenden Population bleibt nicht frei von Einflüssen ziviler Vorgaben, da er erhebliche Anteile der Zeit im „Risiko des privaten Umfelds“ verbringt. Eine Attribuierung von Änderungen im Verlauf zu einzelnen Anteilen von Maßnahmenbündeln ist ebenso nicht möglich.

Ein Vergleich der Altersstruktur der Uniformträger mit der bundesdeutschen Bevölkerung insgesamt ergibt in den Altersbändern 20-40 Jahre ein Verhältnis von 78,96 % zu 24,6 %, respektive 40-60 Jahre von 16,45 % zu 28,4 %. Nach GOLDSTEIN und LIPSITCH (2020) [2] ist insbesondere in der Gruppe der 20-24 Jahre alten Personen in Deutschland im Vergleich zu 10-14-jährigen respektive 35-49-jährigen Personen das relative Risiko apparent zu erkranken mit 1,4 (95 %-CL 1,27-1,55) besonders hoch. Daher war grundsätzlich zu erwarten, dass die Inzidenzraten in der Bundeswehr höher als der Bundesdurchschnitt ausfallen. Dies war jedoch durchgängig nicht der Fall.

Durch zivile Labors an Soldaten durchgeführte Tests sind nicht erfassbar, so dass der Prozentsatz tatsächlich getesteter Personen aus dieser Population nicht zu ermitteln ist. Es ist daher von einer nicht bekannten Dunkelziffer auszugehen.

Eine Hypothese ist, dass durch den im Vergleich zur Zivilbevölkerung besseren Trainings- und Gesundheitszustand der betrachteten Population die Zahl inapparenter oder nicht zu Arztkontakt führender Verläufe und damit die Dunkelziffer höher liegt als im Bundesdurchschnitt. Die im Rahmen des 8. Durchgangs am Gefechtsübungszentrum des Heeres vor Ablauf der abschließenden Quarantäne durchgeführten PCR-Tests bei mehr als 500 Übungsteilnehmenden ergaben jedoch keinen einzigen positiven Befund, so dass die Annahme gerechtfertigt ist, im o.a. Jahrgangsband von einer dem zivilen Bereich analogen Dunkelziffer auszugehen.

Im Ergebnis scheint das Maßnahmenbündel des Sanitätsdienstes der Bundeswehr, die Effekte ziviler Regelungen überlagert und additive Wirkung gehabt und somit das Risiko für eine apparente Erkrankung an COVID-19 für Uniformträger der Bundeswehr gegenüber der Zivilbevölkerung verringert zu haben. Eine Ermittlung des Chancenverhältnisses (Odds Ratio) ist aufgrund der verfügbaren Datenlage, die z. B. eine Stratifizierung nach Altersgruppen nicht erlaubt, nicht möglich. Näherungsweise wäre das Chancenverhältnis, an COVID-19 zu erkranken, für Uniformträger in der Bundeswehr gegenüber der Vergleichsgruppe der 20-49-Jährigen Bundesbürger mit 0,82 anzugeben, also 0,18-fach verringert.

Im bisherigen Verlauf zeigte sich kein zeitlicher Zusammenhang zwischen den Erscheinungsdaten der „Fachlichen Weisung zum Gesundheits-/ Infektionsschutz im Rahmen der SARS-CoV-2-Pandemie in der Bundeswehr“ am 27. April und 13. Mai 2020. Ein isolierter Effekt war aufgrund der im Vorfeld der ersten Weisungsversion verteilten Inhalte und stets der aktuellen Lage angepasster, laufender mündlicher Beratung auf direkte Anfrage auch nicht zu erwarten.

Planungskategorie Personal

Die personellen Ressourcen Kdo SanDstBw VI-1 sind für die parallele Wahrnehmung der Funktion einer Oberbehörde und der Bearbeitung von Einzelanfragen auf taktischer Ebene nicht ausreichend aufgestellt. Formal stehen hierfür nur 1/1/0/0//2 Dienstposten zur Verfügung. Selbstverständlich wurden im Rahmen der laufenden Pandemie sämtliche Personalressourcen auf dieses Themenfeld konzentriert; dennoch stehen hierfür – bei einem vakanten Dienstposten Facharzt Hygiene/Umweltmedizin – nur 4/4/0/0//8 besetzte Dienstposten zur Verfügung. Mit Schwerpunkt März/April 2020 resultierten aus diesem Umstand sehr viele Überstunden. Dies war auch mit hoher Flexibilität der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bei der Nutzung kurzfristig entstehender Freiräume für den Abbau von Gleitzeit oder Mehrarbeit nicht zu verhindern.

Die Ausstattung der ÜbwStÖffRechtlAufgSanDstBw mit temporärer Verstärkung war zwingend geboten. Die erheblichen, sehr personalintensiven Aufwendungen für die Kontaktpersonennachverfolgung waren selbst mit dieser Maßnahme in Spitzenzeiten nicht vollständig abzudecken. Gleichartige Probleme in zivilen Gesundheitsämtern führten zur Entwicklung der Idee zu „Containment Scouts“ durch das RKI. Intention hierbei ist, Fachpersonal durch Entlastung bei der Kontaktpersonennachverfolgung, für höherwertige Aufgaben freizusetzen. Eine entsprechende Ausbildung auf der Basis des vom RKI bereitgestellten Lehrmaterials wurde durch Kdo SanDstBw VI-2 in Zusammenarbeit mit der Sanitätsakademie der Bundeswehr implementiert.

Dies entspricht im Ansatz bereits der auf die Struktur 2031 ausgerichteten und im Konzept K1-9000/4013 „Grundlagen für Management und Kontrolle gefährlicher Infektionskrankheiten“ vom 5. Juni 2019 angelegten zusätzlichen Qualifikation des Personals der erweiterten Befähigung der Truppe zur ABC-Abwehr zu „Community Health Workern“.

Trotz dieser positiven Entwicklungen darf nicht verkannt werden: Nimmt man das aktuelle Szenar als Beispiel für die Belastungen im Rahmen einer kombinierten Landes- und Bündnisverteidigung, so zeigt sich, dass die Strukturen des Öffentlichen Gesundheitswesens für das Rechtsgebiet des IfSG auch ohne zeitgleiche Belastung durch die Unterstützung für bis zu drei Divisionen schon für rein territoriale Aufgaben kaum durchhaltefähig sind.

Planungskategorie Infrastruktur

Da eine Aufnahme von Unterstützungspersonal zur Datenerhebung und –erfassung zwingend Büroraum und belastbare IT-Infrastruktur erfordert, sind Ortsbehörden gehalten, entsprechende Raumnutzungskonzepte für den Notfall vorzuhalten.

Planungskategorie Rüstung

Eine adäquate IT-Unterstützung ist zwingend erforderlich. Ohne sie bleibt der Entscheidungsprozess von wesentlichen Informationen abgeschnitten, da der Ersatz automatisierter Datenverarbeitung durch Erhöhung der personellen Ressourcen nicht realistisch erscheint. Zudem hat sich der bereits laufende Umbruch der gesamten IT-Landschaft für die bundesweite Surveillance von Infektionskrankheiten in Folge der Pandemie erheblich beschleunigt. Gelingt es nicht, hier Anschluss zu finden, so wird dies eine Erfüllung der Aufgaben im Eigenvollzug im Rechtsgebiet des IfSG unmöglich machen: Ohne Zugang zum im Aufbau befindlichen Deutschen Epidemiologischen Melde- und Informationssystem (DEMIS) wäre der Sanitätsdienst praktisch blind. An diesem Punkt zeigt sich die Notwendigkeit der Digitalisierung. Fehlende Ausstattung zur wissenschaftlichen Datenanalyse und –auswertung führt unweigerlich zu Erkenntnislücken und kann bei militärischen Führern und politischen Entscheidungsträgern zu Fehleinschätzungen führen.

Planungskategorie Betrieb

Für Kdo SanDstBw VI-1 erwies sich die Konzentration auf rein fachliche Tätigkeit nicht durchgehend hilfreich. Exemplarisch gilt dies für die fachliche Planung und Begleitung des ersten Repatriierungsfluges für deutsche Staatsangehörige aus der Krisenregion WUHAN. Die Beteiligung verschiedener ziviler Stellen, hier des Bundesministeriums für Gesundheit, des RKI, der Länder Hessen und Rheinland-Pfalz, der Gesundheitsämter Frankfurt und Germersheim sowie des DRK an der Rückholung und isolierten Unterbringung der Passagiere brachte einen erheblichen zusätzlichen, teils politisch motivierten Abstimmungsbedarf mit sich, der zu Beginn durch Kdo SanDstBw VI-1 rein auf fachliche Erwägungen reduziert worden war. Auf dieser Basis allein war ein Gelingen der Kommunikation mit allen Stakeholdern jedoch nicht möglich. Es galt vielmehr, die Interessenlagen der Beteiligten, die zudem von der Unternehmenskultur her stark von der innerhalb der Bundeswehr differieren, zu berücksichtigen und letztlich durch klare Schnittstellendefinition externe Einflussnahme auf Entscheidungen zur Verfahrensweise in eigener Zuständigkeit einzudämmen. Als Herausforderung erwies sich hierbei die auf stetes Austarieren ausgelegte, föderale Organisation der zivilen Beteiligten, die ein fachlich einheitliches Handeln nur durch Überzeugungsarbeit erlaubt.

Im weiteren Verlauf sollte sich zeigen, dass sich diese Situation auch im Binnenverhältnis wiederholte. Die Notwendigkeit, unter hohem zeitlichen Druck fachlich korrekte und situationsangemessene Präzedenzfälle zu schaffen, die dann vom Grundsatz her auch Bw-übergreifend zur Anwendung kommen konnten, führte bei Kdo SanDstBw VI-1 zum Zusammenrücken aller Beteiligten und einem trotz der Arbeitsbelastung sehr guten Arbeitsklima. Es entstand so ein fachlich auf hohem Niveau arbeitendes Team. Aufgrund der Laufzeit von Stabsgängen innerhalb und außerhalb des Sanitätsdienstes konnten fachlich hochwertige Produkte nicht zeitnah zu den „Kunden“ gebracht werden. Immer wieder kam es hierdurch zu lokalen Lösungsansätzen in der Fläche, die jedoch nicht immer fachlich sinnvoll waren. Hier korrigieren zu müssen, obwohl man selbst wegen ausbleibender Antwort als Teil des Problems wahrgenommen wurde, erzeugte zusätzliche Arbeitslast und stellte sich als ständige Bedrohung der hohen intrinsischen Motivation des betroffenen Personals dar. Ohne diese Motivation jedoch hätte die über Monate konstant fordernde Auftragslage durch das kleine Team nicht bewältigt werden können.

Mit dem Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr verfügt die Bundeswehr über ein herausragendes, auch international anerkanntes Forschungsinstitut auf dem Feld des medizinischen B-Schutzes und der Mikrobiologie, Virologie und Parasitologie allgemein. Den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen gelang es bereits sehr früh, den hCoV-19-Nachweis per PCR nach Drosten im Institut zu implementieren. Als grundsätzlich problematisch erwies sich jedoch, dass damit zwar ein Ressortforschungsinstitut mit der Fähigkeit zur raschen Etablierung wehrmedizinisch unverzichtbarer Diagnostik existiert, die Translation dieser Fähigkeit in eine großserientaugliche Diagnostik in der Fläche durch die Abt XVI und XXI der Bw(Z)Krhs jedoch noch Lücken aufweist. Nur die parallele, massive Ausweitung ziviler Laborkapazitäten auf der Basis entsprechender Abrechnungsmöglichkeiten bei gleichzeitiger, positiver Entwicklung der Zahl aktiver Fälle hat in der herrschenden Lage eine Überforderung des o.a. Laborverbundes verhindert. Es erscheint hier in Hinblick auf LV/BV mit hybrider Kriegsführung dringend geboten, sowohl für Biosafety Level (BSL) < 2 einerseits und für BSL > 3 andererseits künftig so auszurichten, dass auch Massenscreenings mit dem Ziel des Erhalts der Einsatzfähigkeit, etwa durch Reduktion von Ausfallzeiten und Effizienzsteigerung therapeutischer Ansätze, für Angehörige der Bundeswehr ohne Bindung an externe Dienstleister durchgeführt werden können.

Ausblick

Nach aktuellem Kenntnisstand ist die Eintrittswahrscheinlichkeit für eine „2. Welle“ nicht beurteilbarer Intensität mit Beginn der Grippesaison 2020/21 hoch. Da die wesentlichen grundlegenden Dokumente für Phasen mit höherer Inzidenzrate bereits aus März/April dieses Jahres vorliegen und lediglich situativ bedingt kleinerer Anpassungen bedürfen, erscheint die Lage aus fachlicher Sicht – unter erneutem Rückgriff auf Personalverstärkung einschließlich Containment Scouts für die ÜbwStÖffRechtlAufgSanDstBw – grundsätzlich mit den identifizierten Ressourcen beherrschbar.

Dennoch ist eine Optimierung der Struktur des Öffentlichen Gesundheitswesens der Bw im Rechtsgebiet des IfSG dringend geboten. Dies sind:

Nur so wird sich die parallele Wahrnehmung territorialer Aufgaben und die zeitgleiche Unterstützung von bis zu drei Divisionen im Felde aus der Grundaufstellung heraus realisieren lassen.

Die Fortschreibung bereits existierender IT-Unterstützung der Ortsbehörden und die Anpassung der Krankenhaus-, Arzt- und Laborinformationssysteme an die Anforderungen von DEMIS werden uns perspektivisch in die Lage versetzen, Entscheidungsfindung auf eine bessere Datenbasis zu stellen. Zugleich wird damit dem Personal für wichtigere Aufgaben Freiraum geboten – für das Erarbeiten fachlicher Inhalte und die fachlich untermauerte, zielgruppengerechte Kommunikation.

Literatur

  1. Bundeswehrjournal: Durchschnittsalter der Soldaten steigt weiter an. Bundeswehrjournal 2019 ( 27. Juli 2019); , letzter Aufruf 24. Juli 2020. mehr lesen
  2. Goldstein E, Lipsicht M: Temporal rise in the proportion of younger adults and older adolescents among coronavirus disease (COVID-19) cases following the introduction of physical distancing measures, Germany, March to April 2020. Eurosurveillance 2020; 25(17): pii=2000596. mehr lesen
  3. Huang , Wang Y, Li X et al.: Clinical features of patients infected with 2019 novel coronavirus in Wuhan, China. The Lancet 2020; 395(10223): 497-506. mehr lesen
  4. Li Q, Guan X, Wu P et al.: Early Transmission Dynamics in Wuhan, China, of Novel Coronavirus-Infected Pneumonia. N Engl J Med. 2020 ; 382(13): 1199–1207. mehr lesen
  5. ProMED-mail. NOVEL CORONAVIRUS (17): CHINA (HUBEI), FRANCE, USA ex CHINA, VIET NAM. s.l. : International Society for Infectious Diseases, 25. Januar 2020:, letzter Aufruf 24. Juli 2020. mehr lesen
  6. Sanitätsakademie der Bundeswehr: Dashboard SARS-CoV-2-PCR & COVID19 Serologie Diagnostik, 30. Juni 2020. SanAkBw 2020.
  7. World Health Organization: Novel Coronavirus - China. WHO 2020; Disease Outbrak News 12 January 2020: , letzter Aufruf 24. Juli 2020. mehr lesen

 

Verfasser

Flottenarzt Florian Helm

Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr

Unterabteilung VI – Referat 1

Von-Kuhl-Straße 50, 56070 Koblenz

E-Mail: florian1helm@bundeswehr.org


1 Dienstposten nach Dienstgradgruppe: Offiziere/Unteroffiziere/Mannschaftsdienstgrade/Zivilbedienstete//Gesamtumfang