Wehrmedizinische Monatsschrift

VON DER MACHT DER ZUVERSICHT

Auf das Beste hoffen und auf das Schlimmste vorbereiten

Niels-Alexander von Rosenstiel a

a 1. Deutsch-Niederländisches Korps, Münster

 

Einleitung

Weltweit befinden sich Infektionskrankheiten auf dem Vormarsch und die Seuchengefahr ist in einer stark vernetzten Welt aktuell so hoch wie selten zuvor. So ist die COVID-19-Pandemie eine der größten globalen Herausforderungen unserer Zeit. Die gute Nachricht ist aber, dass „wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“ (Friedrich Hölderlin) und dass Gesundheitskrisen meist katalytisch hinsichtlich der Erarbeitung und Implementierung von Maßnahmen und Instrumenten zur Krisenvorsorge und zum Krisenmanagement wirken. Dabei ist nicht nur die Krise selbst entscheidend, sondern der Umgang mit derselben und was wir aus ihr lernen können.

Wir sind aufeinander angewiesen

Die COVID-19-Pandemie zeigt schmerzlich, wie verwundbar wir sind. Sie macht uns zudem wieder bewusst, dass wir Menschen miteinander verbunden und aufeinander angewiesen sind. Wir sind daher aufgefordert, im Sinne des Ganzen zu handeln, auf Krisen immer vorbereitet zu sein und Gesundheitskrisen solidarisch und gemeinsam zu bewältigen. So hat der Sanitätsdienst der Bundeswehr – neben seiner Krisenvorsorge sowie seinen Verpflichtungen für die laufenden Einsätze und einsatzgleichen Verpflichtungen – nahezu alle seine übrigen Kräfte auf die Bewältigung der „Corona-Krise“ ausgerichtet. Er hat sich diese Aufgabe moralisch zu eigen gemacht und leistet dabei einen substanziellen und ver­lässlichen Beitrag zum „großen Ganzen“ als Teil der gesamtstaatlichen Sicherheitsvorsorge.

Wir haben die Wahl

In diesem Kontext meint „Krise“ eine zugespitzte Bedrohungssituation, in der Routinen sowie eingespielte Handlungsformen oder institutionelle Lösungen nicht mehr die gewünschten Ergebnisse bringen. Sie meint in der Alltagswahrnehmung nichts Positives. Sie ist meist von negativen Wahrnehmungen und Emotionen begleitet, von Angst, Unsicherheit, Stressempfinden, Resignation und Blockade.

Doch das muss nicht sein, denn wir haben die Wahl und die innere Freiheit, ob es diese Krisen sind, die unser Handeln bestimmen, oder die Lebenseinstellung, dass es auch etwas anderes gibt, dass wir eben dieser Bedrohlichkeit entgegensetzen können – etwas, das wir jeden Tag erleben, in dem was gelingt, was gut läuft, in den Handlungen von uns selbst und anderen – aus Hilfsbereitschaft, Solidarität oder dem Glauben an das Gute. Denn Wirklichkeit entsteht durch das, was wir tun, durch das, was wir entscheiden und durch die Verwirklichung bestehender Möglichkeiten.

Zuversicht – eine Frage der Haltung

Mit Zuversicht wird eine innerliche Ausrichtung beschrieben, die auf Hoffnung, Vertrauen und Mut basiert. Sie meint die Grundeinstellung, das Leben zu nehmen wie es ist, aber Verhältnisse auch zu gestalten, zu verändern, das jeweils Bestmögliche zu verwirklichen. So beschreibt der Zukunftsforscher Matthias Horx Zuversicht als eine Haltung, „die uns näher zum Handeln und Verändern bringt“. Sie hat etwas „Zupackendes und gleichzeitig nach der Zukunft Fragendes. Sie fragt: ,Was kann ich, was sind meine Kompetenzen? Was kann ich bewirken? Was ändert sich, und wie kann ich darauf selbst eingehen? ̔

Dies heißt nicht, illusionäre Hoffnungen zu hegen, sondern einen klaren Blick für den Ernst der Lage zu behalten. Zugleich bedeutet Zuversicht aber auch, „sich nicht lähmen zu lassen, sondern die Spielräume zu nutzen, die sich auftun und seien sie noch so klein“ (Ulrich Schnabel). Schließlich ist Zuversicht eine Form von Lebensenergie, die Kraft gibt, kreative Lösungen zu erarbeiten, neue Wege zu entdecken und über sich hinauszuwachsen, wenn es die Situation erfordert.

Zuversicht bedeutet ein ernsthaftes Lebensgefühl, dass Anstrengungen lohnen und dass es der Mühe wert ist, für etwas zu kämpfen, immer wieder unter dem Motto „Das Bessere kommt nicht von allein, aber es ist möglich.“ Und „es geht nicht um die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern um die Gewissheit, dass etwas Sinn macht, egal wie es ausgeht“ (Vaclav Havel). Es geht zudem darum, Visionen und einen langen Atem zu haben, nicht aufzugeben, denn die langfristige Perspektive zählt.

Abb. 1: Hoffnung als wichtige Säule von Zuversicht

Zuversicht besitzt eine große Strahlkraft. Sie lässt „Flügel wachsen“ (Else Pannek) und bedeutet „Einsicht auf Aussicht“ (Ernst Ferstl). Es handelt sich dabei weniger um einen endgültigen emotionalen Zustand, sondern mehr um eine immerwährende und laufende Erarbeitung, Entdeckung und Auseinandersetzung mit sich selbst, bezogen auf eine aktuelle Herausforderung. Wichtig in diesem Kontext sind dabei Selbstvertrauen, Selbstgewissheit, Selbstdisziplin, Selbstverpflichtung, Willenskraft, Fokussierung, Engagement, Gespür und Lebenserfahrung. So verlangen Krisenzeiten von allen Beteiligten ein überdurchschnittliches Engagement und die Bereitschaft, sich selbst zurückzunehmen und alle Energie auf das gemeinsame Ziel hin auszurichten. Wer zuversichtlich ist, schafft sich schließlich selbsterfüllende Prophezeiungen. Das bedeutet, dass hohe, positive Erwartungen einen in einer Art und Weise handeln lassen, dass man selbst und sein Umfeld mehr oder weniger „automatisch“ gute Ergebnisse herbeiführt und Resonanz erzeugt. Diese positiven Erfahrungen sind wiederum ein verstärkender Grund, zuversichtlich zu sein und sich in Verbindung zu einem größeren Ganzen zu fühlen.

Abb. 2: Mit Zuversicht auf den Weg ...

Führungskräfte sind gefragt

Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen weltweiten Gesundheitskrise zeigt sich die Aktualität der anspruchsvollen Herausforderung für Führungskräfte, Komplexität mit Herz und Verstand ebenso rasch wie gründlich zu durchdringen sowie Mitarbeiter souverän in einer unsicheren Zeit zu führen und ihnen begleitend zur Seite zu stehen. In Kombination mit einem transformationellen Führungsstil ist dabei die problemorientierte Führung ein probates Mittel in Krisenzeiten.

Durch transparente und offene Kommunikation stärkt problemorientierte Führung Zuversicht, Engagement und Erfolgsglauben der Mitarbeiter. Eine gezielte Fokussierung auf die eigenen Stärken, die Betonung des eigenen Erfolgsglaubens und der eigenen Zuversicht zeigen, dass die Problemsituation zu bewältigen ist. Jedem einzelnen wird bewusst gemacht, dass er selbst konkret dazu beitragen kann, die Krise zu überwinden.

Es hat sich bewährt, verschiedene Stimmen gleichberechtigt zur Geltung kommen zu lassen sowie alle notwendigen Ressourcen zu bündeln, um die komplexen Aufgaben gemeinsam in kreativer und nachhaltiger Weise zu lösen. Bedeutsam ist auch, alle Beteiligten regelmäßig über den Stand der Krisenbewältigung zu informieren, diese in ihrem Einsatz zu bestätigen und ein Gefühl des Fortschritts in der Krisenbewältigung zu schaffen. Letztendlich sind diese Haltung der Transparenz, der Zuversicht und des besonnenen Wägens sowie Teamgeist und Zusammenhalt entscheidend für den Erfolg.

Fazit

Eine Pandemie war und ist eine große Herausforderung. Aber sie ist auch ein Moment der Reflexivität und der Frage nach Veränderung und Wandel. Sie wirkt wie eine Lupe und führt uns vor Augen, wie viel wir mit Solidarität und Zusammenhalt gemeinsam erreichen können. Hoffentlich lernen wir im großen Stil, wie sinnstiftend es sein kann, für andere da zu sein. Der Beitrag des Sanitätsdienstes der Bundeswehr zum „großen Ganzen“ basiert dabei neben Fachexpertise, Durchhalte- und Kooperationsfähigkeit insbesondere auf Zuversicht. Er ist auch Ausdruck derselben. Orientierung bietet dabei der wunderbare Aphorismus des englischen Schriftstellers Thomas St. Eliot:

„Jeder Tag ist ein neuer Anfang“.

Verfasser

Oberstarzt Dr. Niels von Rosenstiel

Medical advisor / ACOS JMed I. D/NL Corps

Schlossplatz 15, 48143 Münster

E-Mail: nielsvonrosenstiel@bundeswehr.org