Wehrmedizinische Monatsschrift

AN DAS HERZ DENKEN

Steigendes hsTroponinT im Rahmen von COVID-19:
Perimyokarditis oder asymptomatische Myokardischämie?

Matthias Fischera, Robert Ritzelb, Helge Alexya, Christian Buscha, Christian Kamenika

a Bundeswehrkrankenhaus Hamburg, Klinik I – Innere Medizin

b Bundeswehrkrankenhaus Hamburg, Abteilung VIII – Radiologie

 

Einleitung

Im Rahmen der SARS-CoV-2 Pandemie wurden im Bundeswehrkrankenhaus (BwKrhs) Hamburg zahlreiche Patienten mit diesem neuartigen Krankheitsbild behandelt. Es bot sich ein sehr heterogenes Patientenkollektiv mit verschiedensten klinischen Verläufen, teilweise schweren Komplikationen und einigen Todesfällen. In einem stetigen Lernprozess wurden hausinterne fachübergreifende Therapie- und Überwachungsstandards erarbeitet. Unter anderem wurde auf der Basis von internationalen Publikationen sowie eigener Erfahrungen eine laborchemische Verlaufsroutine etabliert, um frühzeitig die häufigsten Komplikationen erkennen und behandeln zu können. Hierzu zählen vorrangig bakterielle Superinfektionen, thromboembolische Ereignisse und kardiale Komplikationen. Die folgende Kasuistik soll exemplarisch einen schweren Verlauf von COVID-19 mit kardialen Komplikationen beleuchten.

Fallvorstellung

Ein 81-jähriger Patient, zuvor leistungsfähig und selbstversorgend, wurde im April 2020 per Rettungsdienst aufgrund von Fieber, trockenem Husten und seit 3 Tagen progredienter Dyspnoe in der Notaufnahme vorgestellt. Brustschmerzen bestanden zu keinem Zeitpunkt. Als relevante Vorerkrankungen bot er eine schwer einstellbare Hypertonie unter 5-facher medikamentöser Therapie sowie eine Hyperlipidämie. Klinisch imponierten eine Tachypnoe mit respiratorischer hypoxischer Partialinsuffizienz (paO2 56mmHg, paCO2 35mmHg, pH 7,47) sowie eine Temperatur von 39,4 °C. Das initiale EKG zeigte einen normfrequenten Sinusrhythmus mit vorbeschriebenem komplettem Rechtsschenkelblock ohne ischämietypische Endstreckenveränderungen.

Laborchemisch fanden sich erhöhte Werte für C-reaktives Protein (CRP), Laktatdehydrogenase (LDH), Ferritin, Kreatinin sowie eine Lymphozytopenie. Das hsTroponinT war statisch gering erhöht auf 30pg/ml (Referenz <15pg/ml). Leukozyten, Procalcitonin, D-Dimere und Hämoglobin waren normwertig.

Die Computertomografie des Thorax zeigte multisegmentale, bilaterale Milchglasinfiltrate mit eher geringen Konsolidierungen, aber Bronchiektasen. Der Befund wurde als für COVID-19 typisch eingestuft. Es erfolgte die stationäre Aufnahme auf die periphere Isolationsstation zur supportiven Therapie bei dringendem Verdacht auf COVID-19. Im Verlauf konnte mittels PCR aus dem Rachenabstrich SARS-CoV-2 nachgewiesen werden.

Abb. 1: Native Multislice-Spiral-CT des Thorax in 1 mm rekonstruierter Schichtdicke: Neben den deutlichen asymmetrisch verteilten, bilateralen Milchglasinfiltraten zeigten sich übergehend nach subpleural Konsolidierungen. Außerdem konnten Bronchiektasien nachgewiesen werden. Die Befunde wurden als für COVID-19 typisch eingestuft.

Am dritten stationären Tag kam es zu einem Anstieg von Procalcitonin, sodass unter dem Bild einer nosokomial erworbenen, bakteriellen Superinfektion der Lunge eine antiinfektive Therapie mit Piperacillin/Tazobactam eingeleitet wurde. Hierunter kam es im Verlauf zu einer klinischen Besserung sowie zu einem Rückgang der laborchemischen Infektparameter.

Am zehnten stationären Tag fiel im Rahmen der routinemäßigen Labordiagnostik eine massive Elevation des hsTroponinT von über 2000pg/ml auf. Creatinkinase (CK) und CK-MB blieben jedoch auf dem Ausgangsniveau stabil. Der Patient verneinte in diesem Zusammenhang Brustschmerzen, Unwohlsein oder eine Zunahme der Dyspnoe. Das EKG zeigte neu aufgetretene ST-Hebungen in den Ableitungen III, aVF und V3-V5 sowie ST-Senkungen in I und aVL. Echokardiografisch sahen wir einen zirkulären Perikarderguss von 10mm als Hinweis auf eine virale Perimyokarditis. Allerdings zeigte sich zudem eine reduzierte systolische linksventrikuläre Funktion (Ejektionsfraktion 42%) mit septaler Hypo- bis Akinesie. Relevante Klappenvitien bestanden nicht.

Abb. 2: EKG am zehnten stationären Tag: Im Vergleich zur Aufnahme imponieren neu aufgetretene ST-Hebungen in III, aVF und V3-V5 sowie ST-Senkungen in I und aVL.

Es wurde die Indikation zur sofortigen Koronarangiografie gestellt. Hier demaskierte sich eine schwere koronare 3-Gefäßerkrankung mit subtotaler Stenose des proximalen Ramus interventrikularis anterior (LAD) sowie hochgradigen Stenosen der proximalen rechten Koronararterie (RCA) und des Ramus marginalis 2 des Ramus circumflexus (RCX). In der selben Sitzung erfolgte eine Perkutane Koronarintervention (PCI) mit Implantation je eines drug eluting stent (DES) in die proximale LAD und die proximale RCA. Die periphere LAD blieb trotz Dotter-Technik und Applikation von Tirofiban verschlossen.

Am ersten postinterventionellen Tag entwickelte der Patient auf der Intensivstation einen hämodynamisch relevanten AV-Block III°, sodass ein passagerer Schrittmacher eingeschwemmt wurde. Bei persistierendem AV Block III° erfolgte fünf Tage später die definitive Versorgung mit einem DDD-Schrittmacher. Die Durchführung eines Kardio-MRT war aufgrund der Schrittmacherabhängigkeit in der Akutsituation nicht möglich.

Abb. 3: Die Koronarangiographie der linken Koronararterie (linkes Bild) zeigt in der LAD eine proximale subtotale Stenose sowie einen distalen Gefäßverschluss (Pfeile). Bei der Koronarangiographie der rechten Koronararterie (rechtes Bild) zeigt sich eine hochgradige Stenose der proximalen RCA (Pfeil).

Nach einem dreiwöchigen stationären Aufenthalt konnte der Patient letztlich in gutem Allgemeinzustand in die tagesstationäre Anschlussheilbehandlung entlassen werden. Im Juni 2020 erfolgte die elektive Aufnahme zur erneuten Koronarangiografie mit unkomplizierter PCI der verbliebenen RCX-Stenose. In diesem Rahmen wurde außerdem ein Kardio-MRT durchgeführt, welches erwartungsgemäß transmurale Infarktnarben im Versorgungsgebiet der verschlossenen LAD zeigte. Hinweise auf eine rezente oder aktive Perimyokarditis fanden sich zu diesem Zeitpunkt nicht. Der Perikarderguss war unter der antiphlogistischen Therapie mit Colchizin bereits deutlich regredient. Das funktionelle Outcome konnte als sehr zufriedenstellend bewertet werden, die Alltagskompetenz und die körperliche Belastbarkeit waren etwa auf dem Niveau wie vor der SARS-CoV-2-Infektion.

Abb. 4: Kardio-MRT Late-Gadolinium-Enhancement (LGE) im Vier-Kammer-Blick: Es konnte die Infarktnarbe der Apex und des apikalen Septums mit einem transmuralen LGE bestätigt werden.

Diskussion und Fazit

Aufgrund der zahlreichen Berichte über eine kardiale Mitbeteiligung im Sinne einer viralen Perimyokarditis bei Patienten mit COVID-19 [2] wurde im BwKrhs Hamburg das hsTroponinT in die laborchemische Verlaufsroutine aufgenommen und mindestens alle drei Tage kontrolliert. Im oben beschriebenen Fall war der Messwert während der ersten sieben Tage stabil und es kam am zehnten Tag zu einem massiven Anstieg ohne klinisches Korrelat im Sinne einer Angina pectoris. Der echokardiografisch gesehene Perikarderguss untermauerte im ersten Moment die Verdachtsdiagnose einer viralen Perimyokarditis. Jedoch war die Morphologie und Verteilung der ST-Hebungen im EKG eher typisch für eine Ischämie anstelle einer Myokarditis. Zudem bestand ein kardiovaskuläres Risikoprofil (männliches Geschlecht, Alter, Hypertonie, Hyperlipidämie), sodass letztlich die korrekte Indikation zur Koronarangiografie gestellt wurde. In Kenntnis des MRT-Befundes aus dem Juni 2020 ist das Ereignis also rückblickend als asymptomatischer ­ST-Hebungsinfarkt (STEMI) zu werten, welcher zufällig durch die routinemäßige Bestimmung von hsTroponinT entdeckt wurde.

Im Rahmen der SARS-CoV-2 Pandemie wurde vielfach von vermeintlich rückläufigen Fallzahlen akuter Myokardinfarkte und anderer lebensbedrohlicher Krankheitsbilder berichtet [1], die Gründe hierfür scheinen vielschichtig zu sein. Der dargestellte Fall veranschaulicht unserer Meinung nach, dass hospitalisierte Patienten mit COVID-19 umso mehr bezüglich kardialer Komplikationen überwacht werden sollten. Außerdem sollte im Falle einer naheliegenden Perimyokarditis die mögliche Differentialdiagnose einer Myokardischämie nicht außer Acht gelassen werden.

Darüber hinaus illustriert dieser Fall eindrücklich den Wert der interdisziplinären Zusammenarbeit im Klinikbetrieb (Innere Medizin mit Infektiologie und interventioneller Kardiologie, Intensivmedizin, Radiologie) zur Behandlung von COVID-19 Patienten. Ohne das seit August 2019 im Bundeswehrkrankenhaus Hamburg etablierte Herzkatheterlabor wäre die adäquate vor-Ort-Versorgung dieses Patienten nicht möglich gewesen.

Literatur

  1. Garcia S, Albaghdadi MA, Meraj PM et al: Reduction in ST-Segment Elevation Cardiac Catheterization Laboratory Activations in the United States during COVID-19 Pandemic. J Am Coll Cardiol 2020; 75(22): 2871-2872.
  2. Inciardi RM, Lupi L, Zaccone G et al.: Cardiac Involvement in a Patient With Coronavirus Disease 2019 (COVID-19). JAMA Cardiology 2020; 5(7): 819-824.

Für die Verfasser

Stabsarzt Matthias Fischer

Bundeswehrkrankenhaus Hamburg

Klinik I – Innere Medizin

Lesserstraße 180, 22049 Hamburg

E-Mail: matthiasfischer@bundeswehr.org