Wehrmedizinische Monatsschrift

AUS DEM EINSATZ

Force Health Protection während der
COVID-19-Pandemie im Einsatz “Resolute Support”

Lorenz Scheit a

a Sanitätseinsatzkompanie Masar-i Scharif

 

Hintergrund

Sicherheits- und Präventionsmaßnahmen zur Eindämmung der aktuellen Corona-Pandemie haben eine hohe Priorität beim Gesundheitsschutz von Soldaten im In- und Ausland. Durch erhebliche Anstrengungen auf breiter Ebene war es in Deutschland gelungen, die Infektionszahlen und die daraus resultierende Mortalitätsrate von an SARS-CoV 2 erkrankten Menschen im internationalen Vergleich gering zu halten. Mit der gleichen Sorgfalt wurden Hygiene- und Präventionsmaßnahmen für die im Einsatz stehenden Soldaten 1 weltweit umgesetzt. Das gilt für das Camp Marmal (Masar-i Scharif, Afghanistan) ebenso wie für alle anderen Einsatzliegenschaften außerhalb Deutschlands. Die hier eingesetzten multinationalen Kräfte mit rund 2 200 Soldaten aus insgesamt 20 Ländern, hiervon rund 1 000 deutsche Kräfte, unterliegen erheblichen klimatischen, regionalen und strukturellen Belastungen, wie das Leben auf engem Raum und müssen in diesem Umfeld ihren Auftrag weiterhin zielgerichtet erfüllen. Durch die notwendigen Schutzmaßnahmen wie beispielsweise „social distancing“ und PPE (personal protective equipment) ist die Auftragserfüllung von TAA aktuell erschwert.

Nach Angaben des afghanischen Gesundheitsministeriums mit Stand vom 5. August 2020 sind mindestens 10 Millionen Afghanen und somit ca. 31,5 % der Bevölkerung mutmaßlich mit SARS-CoV-2 infiziert. Hochrechnungen aus den Ergebnissen von PCR-Tests auf SARS-CoV-2 machen es wahrscheinlich, dass in Ballungszentren wie Kabul die Durchseuchungsrate bis zu 53 % betragen dürfte [8].

Der Auftrag des Sanitätsdienstes ist in dieser Situation grundsätzlich unverändert: Prävention, Beratung, Begutachtung und ggf. Behandlung und Therapie sind für alle in Einsatzland befindlichen deutschen Soldaten sicherzustellen. Vor dem Pandemie-Hintergrund erhält dabei insbesondere die Prävention eine neue Dimension.

Die vorliegende Betrachtung soll einen Einblick in die aktuellen Präventionsmaßnahmen, den Umgang mit Verdachtsfällen und Kontaktpersonen sowie die diagnostischen Möglichkeiten und Behandlungskapazitäten geben. Eine ergänzende Auswertung der bisher im mikrobiologischen Einsatzlabor im Camp Marmal durchgeführten RT-PCR (real-time polymerase chain reaction) Untersuchungen rundet das Lagebild im Camp Marmal ab.

Präventionsmaßnahmen im Deutschen Kontingent

Grundlage für die präventionsmedizinischen Maßnahmen im Einsatz bilden die Weisungen zum Hygienemanagement in der Bundeswehr bzw. im Einsatz [2]. Diese enthalten die fachlichen Vorgaben, welche für den jeweiligen Einsatz an die Gegebenheiten vor Ort individuell angepasst umgesetzt werden. Im Einsatz auf internationaler Ebene regeln mehrere Dokumente unterschiedlicher Ebenen (Standard Operating Procedures [SOP], Fragmentary Orders [FRAGOs] und Adminorders) die Verfahren im Umgang mit SARS-CoV-2.

Zur Verhinderung einer möglichen Einschleppung und Ausbreitung von SARS-CoV-2 aus dem Heimatland in das Einsatzkontingent wird das aktuell in den Einsatz zu verlegende Personal für die Dauer von 14 Tagen vor Abflug isoliert untergebracht. Die Einrichtungen werden durch die Überwachungsstellen für öffentlich-rechtliche Aufgaben des Sanitätsdienstes der Bundeswehr stichprobenartig begangen und die Einhaltung der Hygienevorschriften überprüft. Bereits vor Abflug erfolgt durch den Truppenarzt vor Ort eine PCR-Testung mittels Mund-Nase-Abstrich, eine Temperaturmessung und eine zielgerichtete Befragung, um die Infektionsfreiheit sicherzustellen. Bei der Ankunft in Masar-i Scharif erfolgt vor Betreten des Feldlagers noch auf dem Flugfeld eine erneute Temperaturmessung sowie eine Überprüfung der Dokumente. Ergänzt werden die Maßnahmen durch eine Hygieneeinweisung noch im gelandeten Flugzeug vor Ort. Bei Einsatzrückkehrern wird vor Abflug ebenfalls die Temperatur gemessen. Eine SARS-CoV2 Diagnostik mittels PCR erfolgt im Einsatz bei asymptomatischen Soldaten nicht routinemäßig.

Präventionsmaßnahmen im Camp Marmal

Die im Deutschen Einsatzkontingent Resolute Support Mission befohlenen Präventionsmaßnahmen umfassen unter anderem, u. a.:

Persönliche Maßnahmen

Abstandeinhaltung von mindestens 1,5 m, Händehygiene, Unterlassen von Händeschütteln, Tragen eines Mund-Nase-Schutzes (textil), Führen einer Kontaktliste.

DFAC (Dining Facilities Administration Center)

Abstandseinhaltung vor und in der Verpflegungseinrichtung, Händewaschen und desinfizieren, Aufenthalt im Speisesaal nicht länger als 20 min, Trennwände aus Plexiglas auf den Tischen zwischen allen Soldaten.

Informationsarbeit

Plakate mit Verhaltenshinweisen, Corona-Telefonhotline im Feldlager, Informationsplattform im Intranet der Bundeswehr (Marmal-Portal), Taschenkarte „COVID-19“ [7], Information über Schutzmaßnahmen beim In-Processing der ankommenden Soldaten im Einsatz, Briefing der Soldaten im Bereich des TAAC North 2 .

Außenkontakte

Erhebliche Einschränkungen der Kontakte zur Zivilbevölkerung, Reduzieren von militärischen Außenaktivitäten, Anpassen der Maßnahmen bei TAA-Aktivitäten (Train, Advise and Assist), z. B. durch spezielle TAA-Container oder Durchführung des TAA im Freien.

Interne Maßnahmen

Reduzierung interner Veranstaltungen, Beschränkungen für Sport in Gebäuden und Reduzierung von Betreuungseinrichtungen, umgehende Repatriierung im Falle eines positiven Befundes im Rahmen der Molekularbiologischen SARS-CoV-2 Nachweises bei deutschen Kontingentsangehörigen.

Der Einsatz von zivilen lokalen Unterstützungskräften wurde weitgehend reduziert. So werden z. B. die Reinigungsarbeiten in Wohncontainern nicht mehr durch lokale Ortskräfte (LEP) durchgeführt, sondern durch die Bewohner der Shelter selbst. In Einzelfällen wohnen einige Ortskräfte nach Durchlaufen einer 14-tägigen Isolation dauerhaft im Lager (z. B. Übersetzer).

Abb. 1: Informationsplakate für Soldaten im Camp Marmal

Interdisziplinäre und multinationale Zusammenarbeit

Die enge Zusammenarbeit zwischen dem Leitenden Sanitätsoffizier im Einsatz, dem Truppenarzt, dem klinischen Direktor German Field Hospital, dem Facharzt Innere Medizin, dem Leitenden Hygieniker im Einsatz, sowie den Gesundheitsaufsehern im Einsatz und Klinik wurde vor dem Hintergrund der SARS-CoV-2-Pandemie noch einmal intensiviert. Auf internationaler Ebene hat sich eine wöchentlich stattfindende Video-Telefonkonferenz mit den medizinischen Einrichtungen anderer Nationen im Einsatzgebiet etabliert, welche die Zusammenarbeit und Abstimmung von gemeinsamen Aufgaben (z. B. Erstellung von Grundlagen für FRAGOs) ermöglicht. Darüber hinaus finden auf der Ebene des Stabes TAAC-N weitere multinationale intensive Abstimmungen des Fachpersonals statt (z. B. die aktuell wöchentliche COVID-19 Medical Strategy Working Group oder die Outbreak Control Advisory Group (OCAG)). Hierbei treten auch länderspezifisch unterschiedliche sanitätsdienstliche Ansätze, wie z. B. unterschiedliche Testverfahren oder Überwachungszeiträume, zu Tage. Die medizinische Kooperation unter den Nationen erfolgt ferner im Rahmen gegenseitiger Unterstützung, z. B. bei der laborchemischen/mikrobiologischen Diagnostik im Deutschen Einsatzrettungszentrum (Role 2+) und der Sanitätseinsatzkompanie Masar-i Scharif bei medizinischen Beratungen und Behandlungen.

Umgang mit Verdachtsfällen und Kontaktpersonen im Camp Marmal

Die im Feldlager Camp Marmal umgesetzten Maßnahmen für den Umgang mit Verdachtsfällen und Kontaktpersonen orientieren sich an den Vorgaben des RKI (Robert Koch-Institut) [3]. Von Patienten, welche als Verdachtsfall eingestuft sind, werden vor der Klinik im separaten sogenannten „MASCAL-Zeit“ unter entsprechenden Schutzmaßnahmen entsprechende Abstriche gewonnen. Diese werden im mikrobiologischen Einsatzlabor der Klinik untersucht. Die Befundung und Beratung erfolgt telemedizinisch (Videokonferenz im Telemikrobiologie-Modul) durch die Experten im mikrobiologischen Leitlabor im Bundeswehrzentralkrakenhaus Koblenz [6]. In Abhängigkeit vom Testergebnis und dem klinischen Zustand erfolgt die weitere ambulante oder stationäre ärztliche Weiterbehandlung.

Vorgehen bei Patienten

Symptomatischer Patient mit negativer SARS-CoV-2-PCR:

Symptomatischer Patient mit positiver SARS-CoV-2-PCR:

Vorgehen bei Kontaktpersonen von COVID-19-­Patienten

Kontaktpersonen sind Personen mit Kontakt zu einem Patienten mit einer SARS-CoV-2-Infektion ab dem 2. Tag vor Auftreten der ersten Symptome des Falles. Das Ende der infektiösen Periode ist momentan nicht sicher anzugeben. In Einzelfällen konnte der Nachweis viraler DNA noch 41 Tagen nach der Infektion gelingen [4].

Kontaktpersonen der Kategorie I

(Definition: Kumulativ mindestens 15 min Gesichtskontakt oder direkter Kontakt zu Körpersekreten)

Kontaktpersonen der Kategorie II:

(Definition: Weniger als kumulative 15 min Gesichtskontakt, kein Kontakt zu Körpersekreten)

Ambulante, stationäre und Intensivmedizinische Behandlungskapazitäten

Aktuell stehen für die Patientenbehandlung folgende Komponenten zur Verfügung:

Ambulante truppenärztliche Behandlung:

Stationäre Behandlung:

Intensivmedizinische Behandlung:

Diagnostik und Behandlung

Die im German Field Hospital vom mikrobiologischen Einsatzlabor zur Verfügung gestellte molekularbiologische mikrobiologische Diagnostik erlaubt einen Virusnachweis innerhalb von 60 min mittels Xpert®Xpress SARS-CoV-2-RT-PCR der Firma Cepheid® [1].Vom 12. Juni bis zum 12. August 2020 wurden insgesamt 634 PCR-Proben untersucht. Hierbei zeigten sich insgesamt 33 positive und 4 unklare PCR-Analysen. Die Befunde wurden von den Experten im Leitlabor in Koblenz validiert. Hierbei hat sich die bereits seit einigen Jahren etablierte Telemikrobiologie-Komponente außerordentlich bewährt [5].

Die 33 positiv getesteten Proben stammen aus insgesamt 5 unterschiedlichen Feldlagern. Das Durchschnittsalter aller infizierten Patienten lag bei 31,7 Jahren. Die Verteilung auf verschiedene Lagerbereiche bzw. Nationen war sehr unterschiedlich (Abbildungen 4 und 5). 3

Abb. 4: Verteilung der positiven RT-PCR-Analysen auf SARS-CoV-2 nach Lagerbereichen

Abb. 5: Positive RT-PCR auf SARS-CoV-2 bei Non German Forces; auf die Nennung der jeweiligen Nation wurde mit Rücksicht auf dort geltende Vorgaben verzichtet.

Erstes Fazit

Infektionen mit SARS-CoV-2 und deren Verbreitung sind eine relevante Herausforderung in Bezug auf Präventionsmaßnahmen und Management für den Sanitätsdienst im Einsatz. Die Verhinderung von Übertragungen und konsekutiven Ausbrüchen bei militärischem und zivilem Personal im Einsatz ist das oberste Ziel – im Sinne von Force Health Protection zur Aufrechterhaltung der Einsatzfähigkeit. Dies erfordert vielfältige Aktionen.

Durch das vorausschauende Umsetzen konsequenter Schutzmaßnahmen vor und während des Einsatzes kann es gelingen, das Risiko für Übertragungen von SARS-CoV-2 weitestgehend zu reduzieren; dennoch ist eine komplette Verhinderung des Auftretens von Infektionen auch in einem „semipermeablen“ militärischen Lager nicht ganz möglich. Daher ist eine ständige intensive Zusammenarbeit auf der Ebene des gesamten Stabes HQ TAAC-N notwendig, bei der eine fortlaufende Risikoabschätzung durchgeführt wird. Durch konsequente Präventionsmaßnahmen gemäß dem AHA-Prinzip (Abstand – Händedesinfektion – Alltagsmaske), durch eine schnelle Identifizierung infizierten Personen, eine qualitativ optimale Diagnostik und eine präzise Umfelderhebung bezüglich möglicher Kontaktpersonen lässt sich eine Risikominimierung am ehesten erreichen.

Die in diesem Beitrag vorgestellten Maßnahmen könnten dazu beigetragen haben, dass es in den vergangenen Monaten nicht zu größeren Ausbrüchen im Camp Marmal gekommen ist. Das koordinierte Zusammenwirken von LSO im Stab, klinischer Leitung, internistisch-infektiologischer Beratung, mikrobiologischem Leitlabor, hygienetechnischen Maßnahmen und die konsequente Anwendung von Präventionsmaßnahmen scheint eine Verbesserung der Resilienz im Kampf gegen die COVID 19 Pandemie zu erzielen. Der wehrmedizinisch hohe Stellenwert des konservativ-internistischen Fachgebietes tritt in dieser Situation deutlich zu Tage. Weitere Maßnahmen, wie das frühzeitige Ausfliegen positiv getesteter Personen sowie die internationale Vernetzung durch Videokonferenzen und das konsequente Umsetzen der empfohlenen Verhaltensmaßnahmen in der Fläche dürften ebenfalls zu den insgesamt niedrigen Infektionszahlen beigetragen haben. Obgleich aktuell in den kontrollierten Einsatzbereichen erfreulicherweise nur sehr geringe Infektionszahlen nachweisbar sind, ist eine permanente Sensibilität und Vigilanz notwendig, um auch zukünftig Ausbrüche mit größtmöglicher Wahrscheinlichkeit zu verhindern.

Literatur

  1. Balczun C, Granzer H, Fengler I, Rojak S, Klein N, Scheid P, Hagen R: SARS-CoV-2 Diagnostik in der Abteilung XXI des BundeswehrZentralkrankenhauses Koblenz. WMM 2020; 64 (S1): e18. mehr lesen
  2. Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr: Vorgaben zur Verhinderung des Einschleppens, des Auftretens und der Ausbreitung von SARS-CoV-2 in den Einsätzen. Kdo SanDstBw Referat VI.1.2 vom 6. August 2020 [Nur im Intranet der Bw verfügbar]; . mehr lesen
  3. Robert Koch-Institut: Kontaktpersonen­Nachverfolgung bei respiratorischen Erkrankungen durch das Coronavirus SARS-CoV-2, Stand: 14. Juli 2020., letzter Aufruf 24. August 2020. mehr lesen
  4. Robert-Koch-Institut: Antworten auf häufig gestellte Fragen zum Coronavirus SARS-CoV-2 / Krankheit COVID-19. RKI 2020; , letzter Aufruf 24. August 2020. mehr lesen
  5. Scheid P: Innovation in der Krise – Telemedizin in Zeiten von „Influenza“ und „Corona“. WMM 2020; 64 (S1): e11. mehr lesen
  6. Scheid PL: Beitrag von Tele-Health zur „smarten“ Gesundheitsversorgung“. WMM 2020; 64(5): 146-156. mehr lesen
  7. Taschenkarte „COVID 19“. [Nur im Intranet der Bw verfügbar]; mehr lesen
  8. TOLO News: '10M' COVID-19 Cases in Afghanistan: Health Ministry. Tolo News 2020; 5. August 2020: , letzter Aufruf 24. August 2020. mehr lesen

Verfasser

Oberfeldarzt Dr. Lorenz Scheit

MEDCOY Innere Medizin

Sanitätseinsatzkompanie MeS (AFG)

E-Mail: lorenz.scheit@extern.uni-ulm.de


1 Zur besseren Lesbarkeit wird in diesem Beitrag überwiegend die maskuline Form (z. B. Soldat, Patient, Arzt) benutzt; gemeint sind aber immer alle Geschlechter.

2 TAAC = Train Advise Assist Command North

3 Mit Rücksicht auf die Partnernationen wird in Publikationen der Bundeswehr auf konkrete Fallzahlen bzw. Angaben, die eine unmittelbaren Rückschluss auf Partnernationen erlauben, verzichtet.