Wehrmedizinische Monatsschrift

HERAUSFORDERUNG „INA“

Vier große Herausforderungen, die zu meistern waren – die Anpassung
der Interdisziplinären Notaufnahme des Klinikzentrums Westerstede

Christian Kramer a

a Bundeswehrkrankenhaus Westerstede – Klinik X – Anästhesie, Intensiv-, Notfall- und Schmerzmedizin

 

Hintergrund

Das Klinikzentrum Westerstede ist ein in der Bundesrepublik einmaliges zivil-militärisches Kooperationsprojekt der Ammerland Klinik GmbH und des Bundeswehrkrankenhauses (BwKrhs) Westerstede [1]. Innerhalb des Zentrums gehört die Interdisziplinäre Notaufnahme (INA) zu den von beiden Kooperationspartnern personell, infrastrukturell und materiell gemeinsam betriebenen Teilbereichen.

Schon zu „normalen“ Zeiten werden hier jährlich über 35 000 Notfallpatienten triagiert und versorgt [2]. Das Klinikzentrum ist seit 2016 zudem als eine von 11 Kliniken in Niedersachsen durch die Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie als überregionales Traumazentrum zertifiziert [4]; dadurch spielt die Interdisziplinäre Notaufnahme für die Polytraumaversorgung im Nordwesten Deutschlands eine zentrale Rolle. Seit 2017 besteht im Klinikzentrum zudem eine Stroke Unit mit der Möglichkeit zur Thrombektomie, was ein zusätzliches Aufkommen schwer kranker Patienten mit hochspezialisiertem Interventionsbedarf bedingt.

Durch die Coronakrise sah sich die INA des Klinikzentrums nun zusätzlich zu dieser „regelhaften“ Inanspruchnahme einer Reihe von völlig neuen Anforderungen ausgesetzt, denen zu genügen, ein noch intensiveres Zusammenspiel der beiden Kooperationspartner notwendig machte. Aus diesen neuen Anforderungen erwuchsen vier voneinander unterscheidbare Herausforderungen, für die spezifische Antworten gefunden wurden. Die gefundenen Antworten erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Allgemeingültigkeit, zumal die Pandemiekrise gezeigt hat, dass durch sich wandelnde Informationsstände häufig auch Anpassungen der Maßnahmen vorgenommen werden müssen.

Die in Westerstede erarbeiteten Verfahrensweisen für die vier identifizierten Herausforderungen werden in diesem Beitrag zusammengefasst – auch um damit zu einem breiteren Erfahrungsausstausch, zumindest im Bereich des Sanitätsdienstes der Bundeswehr, beizutragen.

1. Herausforderung: Infrastrukturelle und bauliche Massnahmen

Zu Beginn der Pandemie musste im Klinikzentrum Westerstede zunächst sichergestellt werden, dass die Patientenwege zwischen bestätigten COVID-19-Patienten, Verdachtsfällen und Nicht-COVID-Fällen getrennt werden konnten. Diese Forderung wurde in Westerstede sogar schon vor der entsprechenden Empfehlung des Robert Koch-Institutes (RKI) [4] umgesetzt.

Dazu wurden vor dem Hintergrund des vorhandenen Pandemieplans zunächst die Lagepläne des Klinikzentrums und der Notaufnahme betrachtet und Überlegungen angestellt, wie diese Differenzierung verschiedener Patientengruppen vom Zeitpunkt der Ankunft in der Klinik gewährleistet werden konnte. Da die Notwendigkeit einer räumlichen Trennung und Absonderung der (Verdachts)-COVID-19-Patienten für sämtliche Schweregrade von Erkrankungen galt, mussten also Wege und Räumlichkeiten sowohl für die Patienten, die zu Fuß die Notaufnahme aufsuchen, als auch für beatmete Patienten gefunden und eingerichtet werden.

Durch die für uns vorteilhaften baulichen Gegebenheiten der Notaufnahme konnten diese Vorgaben relativ zügig umgesetzt werden. Zu diesem Zeitpunkt gerade zufällig laufende Umbaumaßnahmen wurden geringfügig abgeändert; durch das Einziehen weniger Wände im Flurbereich konnten rasch mehrere Untersuchungsräume und ein Warteraum für die fußläufigen Isolationspatienten geschaffen werden.

Für alle Patienten, die mit dem Rettungsdienst kamen und mit hoher Dringlichkeit behandelt werden mussten, wurde im „High-Care-Bereich“ der Notaufnahme ein Isolationsraum für kritische Patienten als sog. „Schockraum“ mit allem nötigen Notfall-Equipment vorgehalten. Außerdem wurden in diesem Bereich drei weitere Untersuchungsräume ausgewiesen, die im Eskalationsfall ebenfalls für COVID-19-Patienten bzw. Verdachtsfälle hätten genutzt werden können

Für die liegend eingelieferten Patienten, die nicht vital bedroht waren, wurde der Außenzugang zur Isolationsabteilung, die sich am Ende der Aufnahmestation befindet, genutzt. Zwei dort vorhandene Einzelzimmer haben jeweils einen Schleusenvorraum, eine eigene Fäkalienspüle und die Lüftung kann separat entkoppelt werden. Im Verlauf der Pandemie wurde dann dieser Bereich um zwei Zimmer erweitert, indem eine Leichtbauwand eingezogen wurde.

Abb. 1: Wenige Leichtbauwände (rechts im Bild) trennen mehrere Untersuchungsräume und einen Wartebereich für fußläufige Isolationspatienten vom übrigen INA-Bereich ab.

Auf diese Weise konnte insgesamt eine räumliche Versorgungssituation sichergestellt werden, die hinsichtlich der speziellen Anforderungen der Pandemie-Lage völlig den Empfehlungen sowohl des RKI [4] als auch der S1-Leitlinie „Empfehlungen zur intensivmedizinischen Therapie von Patienten mit COVID-19“ [3] entsprach.

2. Herausforderung: Personeller Mehrbedarf

Neben den bestehenden entstand durch die neugeschaffenen Räumlichkeiten auch eine nicht unbeträchtliche Anzahl bis dahin nicht vorhandener Arbeitsplätze – mit entsprechendem Personalbedarf im Schichtbetrieb. Die Führung des BwKrhs Westerstede handelte hier nach dem Grundsatz „Leben in der Lage“ und bewies große Flexibilität und Anpassungsfähigkeit; es wurden 15 qualifizierte Soldatinnen und Soldaten zur INA abgestellt bzw. kommandiert. Dadurch wurde gewährleistet, dass sämtliche Bereiche in der Notaufnahme auf einem durchweg hohen Qualitätsniveau betrieben werden konnten. Die „Neuen“ wurden zügig eingearbeitet, machten sich rasch mit den örtlichen Gegebenheiten und Gepflogenheiten vertraut und wurden so schnell Teil des (auf mehr als 70 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angewachsenen) Pflegeteams.

3. Herausforderung: Persönliche Schutzausrüstung

Durch den bundesweiten zunächst befürchteten und zeitweise auch realen Mangel an persönlichen Schutzausrüstungen (PSA) wurde schnell klar (und dann auch vom RKI empfohlen), dass für Einmalbenutzung vorgesehene Schutzkittel- und masken mehrmals getragen werden sollten. Dies ist grundsätzlich auch möglich, bedarf aber eines enorm hohen Schulungsaufwandes für die Anwenderinnen und Anwender, damit das An- und Ablegen der PSA ohne Kontamination vonstattengeht. Hier waren die „barrier-nurses“ gefragt, die von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern oft als „Geschenk des Himmels“ bezeichnet wurden, da sie genau das Wissen mitbrachten und vermittelten, das in dieser Situation gefordert war.

Alle Teammitglieder konnten so umfassend und hochkompetent geschult werden. Auch im Nachgang standen die Kameradinnen zu jeder Zeit für Fragen und Hilfestellungen zur Verfügung. Für die Details dieses am BwKrhs Westerstede entwickelten Ausbildungssystems wird auf den in dieser Ausgabe der WMM erschienenen Beitrag zur Umgestaltung der ITS verwiesen, der von den Initiatorinnen dieses Ausbildungskonzeptes mitverfasst wurde [5].

4. Herausforderung: Informationsfluss

Die Pandemie brachte fast täglich Revisionen der Vorgaben des RKI und der Krankenhausgesellschaften mit sich, die dann auch sofort umzusetzen waren. Die pflegerische Leitung der INA, d. h. die leitenden Pflegepersonen beider Kooperationspartner, sorgten durch ihre ständige Zusammenarbeit dafür, dass alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Notaufnahme einen schnellen Zugang zu diesen Informationen bekamen: Alle relevanten Neuerungen wurden täglich schriftlich zusammengefasst und in einen Ordner abgelegt, den in der INA Tätige zu Beginn der Arbeitsschicht lesen musste. Alle Informationen wurden zusätzlich im Rahmen eines Newsletters als E-Mail verschickt und so elektronisch verfügbar gemacht. Insbesondere zu Beginn der Pandemie (und der bestehenden vielen Unklarheiten und ständigen Neuerungen) war das Leitungspersonal außerdem jederzeit (24/7) ansprechbar, was vom Team auch dankbar angenommen wurde.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Zeit der Herausforderungen, die die Pandemie in einem Akutkrankenhaus mit sich brachte und bringt, durch eine hohe Motivation aller Beteiligten vor Ort, die zügige und ­unkomplizierte Unterstützung durch die Führung des Sanitätsdienstes und das Bundeswehrdienstleistungszentrum sowie eine hervorragende Zusammenarbeit aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – vom Kommandeur bis zur Reinigungskraft und vom Pflegedienstleiter bis zum Tischler – gemeistert wurde (und wird) und zu einem großen Zusammenhalt im Team geführt hat.

Literatur

  1. Barthel C: 10 Jahre Kooperation zwischen dem Bundeswehrkrankenhaus und der ­Ammerland-Klinik in Westerstede. Wehrmedizin und Wehrpharmazie 4/2018.
  2. Das Bundeswehrkrankenhaus Westerstede – Einzigartig aus Überzeugung: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2015/2.
  3. DGIIN/DIVI: Empfehlungen zur intensivmedizinischen Therapie von Patienten mit COVID-19 – S1-Leitlinie (Version 3, 21. Juli 2020). <https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/113-001.html>, letzter Aufruf 12. August 2020.
  4. Robert Koch-Institut: Empfehlungen des RKI zu Hygienemaßnahmen im Rahmen der Behandlung und Pflege von Patienten mit einer Infektion durch SARS-CoV-2. <https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Hygiene.html>, letzter Aufruf 8. August 2020.
  5. Sohr C, Liebrecht S, Reichling A, Koch M: Die Anpassung der Intensivstation 74 des Bundeswehrkrankenhauses Westerstede an die Bedingungen der COVID-Krise – Friktionen und Lösungswege aus Sicht der Pflege. WMM 2020; 64(9): e33.
  6. Wikipedia: Liste überregionaler Traumazentren in Deutschland. <https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_überregionaler_Traumazentren_in_Deutschland>, letzter Aufruf 8. August 2020.

Verfasser

Hauptfeldwebel Christian Kramer

Bundeswehrkrankenhaus Westerstede

Klinik X – Anästhesie, Intensiv-,
Notfall- und Schmerzmedizin

Lange Str. 38, 26655 Westerstede

E-Mail: christian1kramer@bundeswehr.org