Wehrmedizinische Monatsschrift

ARBEITS- UND UMWELTMEDIZIN

Einordnung der COVID-19-Pandemie
aus arbeits- und umweltmedizinischer Sicht

Jürgen Hepke a

a Überwachungsstelle für öffentlich-rechtliche Aufgaben des Sanitäts­dienstes der
Bundeswehr West, Koblenz

 

Hintergrund

Der Überwachungsstelle für öffentlich-rechtliche Aufgaben des Sanitätsdienstes der Bundeswehr ( ÜbwStÖffRechtlAufgSanDstBw, Kurzform: ÜbwSt) West ist – neben den approbationsübergreifenden Aufgaben Präventivmedizin und Hygiene, Arbeitsmedizin, Veterinärmedizin, Lebensmittelchemie und Pharmazie sowie der Abteilung Fachaufgaben Einsatz – die Schwerpunktaufgabe Arbeits- und Umweltmedizin (ArbMed/­UmwMed) zugeordnet. Der Leiter der Abteilung Fachaufgaben Einsatz ist der Einsatzbeauftragte des Sanitätsdienstes der Bundeswehr im Fachgebiet ArbMed/UmwMed für den Einsatz. Der Leiter der Abteilung ­Arbeitsmedizin ist zugleich auch Leiter der Konsiliargruppe XX „Arbeits- und Umweltmedizin“.

Neben der Wahrnehmung der Aufgaben als Arbeitsschutzarzt im zugewiesenen Regionalbereich ist die ÜbwSt West auch für die Beratung und die öffentlich – rechtliche Aufsichtstätigkeit bzw. die Fachaufsicht auf dem Gebiet ArbMed/UmwMed in den Einsatzgebieten verantwortlich.

Rechtsrahmen

Für den eigenen Aufgabenschwerpunkt „ArbMed/­UmwMed“ ist die Beratung und die öffentlich-rechtliche Aufsichtstätigkeit bzw. die Fachaufsicht in den Einsatzgebieten zu gezielten und nicht gezielten Tätigkeiten mit biologischer Gefährdung (Infektionsgefährdungen) tägliche Routine.

Die Aufgaben im Fachgebiet Arbeitsmedizin dazu leiten sich im Besonderen aus dem Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG) [6] sowie dem Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) und den dazu jeweils nachgehenden Verordnungen (wie z. B. der Biostoffverordnung) [5] und weiteren staatlichen Arbeitsschutzvorschriften ab, die maßgeblich durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) bzw. durch den dortigen Ausschuss für Biologische Arbeitsstoffe (ABAS) und die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) fachlich weiter ausgestaltet werden.

Entwicklung im Rahmen der Pandemie

Aufgrund zunehmender Erkenntnisse im Verlauf der Pandemie war die Lage durch Dynamik und kurzfristig erlassene staatliche Regelungen geprägt. Beispielhaft dazu wurden durch das federführende Ressort im BMAS rasch allgemeine Arbeitsschutzstandards für SARS-CoV-2 erlassen [7].

Die Zusammenarbeit des technischen und medizinischen Arbeitsschutzes auf der Ebene der Oberbehörden (Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr (Kdo SanDstBw) Unterabteilung VI und Bundesamt für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen der Bundeswehr (BAIUDBw)) wurde durch die Konsiliargruppe XX und die ÜbwSt West unterstützt. Die neuen Handlungsvorgaben konnten so zügig in die Bw–Vorschriftenlandschaft eingeführt werden [9].

Durch die BAuA wurden auch die Anwendungskriterien für „Persönliche Schutzausrüstung“ (PSA) und besonders für den erforderlichen Atemschutz bei den unterschiedlichen Arbeiten am Patienten geschärft [3] (siehe Abbildung 1).

Abb. 1: Empfehlungen der BAuA zum Einsatz von Schutzmasken im Zusammenhang mit SARS-CoV-2 (Stand: 12.06.2020) [3]

Maßnahmen ÜbwStÖffRechtlAufgSanDstBw West

Natürlich bildeten – wie bei den anderen ÜbwSt – die „Gesundheitsamtsaufgaben“ einen Arbeitsschwerpunkt. Hierzu wird im Beitrag von GERMANO et al. aus der ÜbwSt Nord in dieser Ausgabe berichtet. Im Folgenden sollen deshalb mehr die arbeitsmedizinischen Aspekte in den Fokus genommen werden.

Das Thema Pandemieplanung stand in den vergangenen Jahren immer wieder auf der Tagesordnung der Konsiliargruppe XX. Auf verschiedenen Tagungen im Sanitätsdienst wurde hierzu aus dem Blickwinkel der Arbeitsmedizin vorgetragen und auch publiziert, wie z. B. im Zusammenhang mit der „Schweinegrippe 2009/2010“ zum Aspekt des Schutzes von militärischem Personal in Einsatzgebieten bei Pandemieereignissen [11].

Regelmäßig stand dabei die Optimierung des Arbeitsschutzes bei eigenem Personal, aber auch die Optimierung des Patientenschutzes (z. B. bei hochinfektiösen Erkrankungen der Risikogruppe 4, wie z. B. Ebola) und der Ablauforganisation im Sinne des Prozessgedankens und eigener QM-Systeme im Fokus.

Lagefeststellung

Eine grundsätzliche Lageänderung im Vergleich zu früheren epidemiologischen Ereignissen sehen wir bei der SARS-CoV-2-Pandemie vorrangig in der geänderten öffentlichen Kommunikation und der massiven öffentlichen Reaktion.

Als positiver Aspekt im bisherigen Verlauf der Pandemie ist bei einer aktuell gesicherten COVID-19-Fallzahl für den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg) von 380 bestätigten Infektionen dieser in Risikogruppe 3 eingeordneten Erkrankung zu vermerken, dass darunter keine Todesfälle zu verzeichnen waren. 1

Gleichzeitig ist aber festzustellen, dass die Zahl gesicherter Infektionen mit SARS-CoV-2 im Zentralen Sanitätsdienst der Bundeswehr (ZSanDstBw) fast doppelt so hoch ist wie in den anderen Organisationsbereichen. Ähnliches ist auch im zivilen Gesundheitswesen feststellbar, was die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) veranlasste, auf die Einstufung von COVID-19 als mögliche Berufskrankheit hinzuweisen [8]. Für Soldaten ist auch eine Anerkennung als Wehrdienstbeschädigung möglich (Mitteilung Kdo SanDstBw VI 3 vom 20. Juli 2020).

Arbeitsschutz im Sanitätsdienst

Die mögliche erhöhte Gefährdung für eine SARS-CoV-2-Infektion gab Anlass, umgehend die aktuellen eigenen Arbeitsschutzkonzepte in den besonders gefährdeten Funktionsbereichen des Sanitätsdienstes (z. B. Atemschutz und PSA bei Tätigkeiten mit Aerosolbildung, wie Endoskopie, zahnärztliche Behandlung, Hochfrequenz-Chirurgie usw.) gemeinsam mit den entsprechenden anderen Konsiliargruppen zu überprüfen und ggf. anzupassen.

In der frühen „Lockdown-Phase“ wurde jedoch sehr schnell deutlich, dass arbeitsmedizinische Beratung sowohl für die Identifikation als auch für die Betreuung Beschäftigter mit erhöhtem Risiko für einen schweren Verlauf bei einer Erkrankung im Zusammenhang mit einer SARS-CoV-2-Infektion erforderlich war [1].

Primär galt es, die Tätigkeiten/Dienstposten im Sanitätsdienst mit dem höchsten Erkrankungsrisiko (Aerosolbildung am Arbeitsplatz in unmittelbarer Nähe zum Sanitätspersonal) zu identifizieren und bei unklarer Infektionslage ausreichend zu schützen, d. h. mindestens mit Masken nach FFP-3 Standard (FFP = Filtering Face Piece) wie in den Technischen Regeln für Biologische Arbeitsstoffe (TRBA 250) gefordert [2].

Beratung der Truppe

Ein weiterer Aufgabenschwerpunkt war, bei den militärischen Einheiten im Zuständigkeitsbereich, die als erste die Allgemeine Grundausbildung (AGA) nach der Lockdown-Phase wieder durchführen mussten 2 , Handlungssicherheit durch intensive Beratung auch im Rahmen von Vor-Ort-Besichtigungen herzustellen.

Erste Folgerungen aus arbeits- und umweltmedizinischer Sicht

Die derzeitigen Organisationsstrukturen und die direkte Unterstellung der Überwachungsstellen unter den Stellvertreter des Inspekteurs des Sanitätsdienstes der Bundeswehr und Kommmandeur Gesundheitseinrichtungen haben sich aus hiesiger Sicht in der Krise gut bewährt.

Es musste allerdings festgestellt werden, dass in den letzten Jahrzehnten nicht nur in zivilen Gesundheitsämtern umfangreiche Einsparungen realisiert wurden. Der Ausbau der Fähigkeiten zur Einsatzunterstützung erfolgte auch im Sanitätsdienst der Bundeswehr mit höherer Priorisierung als der Aufbau präventivmedizinischer Fähigkeiten. Ein Aufholen ist hier schwierig, erfordert dieses doch Ausbildungsgänge von mehreren Jahren.

Aus Sicht des Arbeitsmediziners ist – auch unter infektionspräventiven Aspekten –eine Stärkung präventivmedizinischer Fähigkeiten in der Bundeswehr geboten. Dabei sollte nicht nur die individuelle Gesundheit und Fitness im Fokus stehen, wie dieses im Betrieblichen Gesundheitsmanagement der Fall ist. Die COVID-19-­Pandemie zeigt uns, dass auch die Infektionsprävention stärker berücksichtigt werden muss. Hierbei sollten verstärkt sowohl die Spezifitäten und Gefährdungen des Arbeitsplatzes als auch arbeitsmedizinische Aspekte Berücksichtigung finden. Hierzu empfiehlt sich, auf die Expertise der Betriebsärzte und der Fachkräfte für Arbeitssicherheit, die allen Dienststellen zur Verfügung stehen, zurückzugreifen. Denn Infektionsschutz ist Teil des Arbeitsschutzes.

Literatur

  1. Angerer P, Kaifie-Pechmann A, Tautz A: Beschäftigte mit erhöhtem Krankheitsrisiko - Umgang mit Risikogruppen für schwere Krankheitsverläufe an Arbeitsplätzen oder in Tätigkeiten mit erhöhtem COVID-19 Infektionsrisiko.Kompetenznetz Public Health COVID-19 2020; < https://www.public-health-covid19.de/images/2020/Ergebnisse/Beschaftigte_mit_erhohtem_Krankheitsrisiko.pdf>, letzter Aufruf 9. August 2020. mehr lesen
  2. Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege: TRBA 250 Biologische Arbeitsstoffe im Gesundheitswesen und in der Wohlfahrtspflege, Ausgabe März 2014, 4. Änderung vom 2. Mai 2018. mehr lesen
  3. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin: Empfehlungen der BAuA zum Einsatz von Schutzmasken im Zusammenhang mit SARS-CoV-2. Stand:12. Juni.2020; , letzter Aufruf 9. August 2020. mehr lesen
  4. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz: Arbeitsschutzgesetz vom 7. August 1996 (BGBl. I S. 1246), das zuletzt durch Artikel 113 des Gesetzes vom 20. November 2019 (BGBl. I S. 1626) geändert worden ist". ; letzter Aufruf 9. August 2020. mehr lesen
  5. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz: Biostoffverordnung vom 15. Juli 2013 (BGBl. I S. 2514), die zuletzt durch Artikel 146 des Gesetzes vom 29. März 2017 (BGBl. I S. 626) geändert worden ist. ; letzter Aufruf 9. August 2020. mehr lesen
  6. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz: Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit vom 12. Dezember 1973 (BGBl. I S. 1885), das zuletzt durch Artikel 3 Absatz 5 des Gesetzes vom 20. April 2013 (BGBl. I S. 868) geändert worden ist". ; letzter Aufruf 9. August 2020. mehr lesen
  7. Bundesministerium für Arbeit und Soziales: SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard vom 16.04.2020. ; letzter Aufruf 9. August 2020. mehr lesen
  8. Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e. V.: Informationen für D-Ärzte in Zusammenhang mit COVID-19-Erkrankungen verursacht durch das Coronavirus SARS-CoV-2. ; letzter Aufruf 9. August 2020- mehr lesen
  9. Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr Unterabteilung VI: Alle Informationen zu COVID-19 im Wiki Bw (NUR IM INTRANET BW VERFÜGBAR).
  10. Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr: Bereichsvorschrift C1-800/0-4009 Geschäftsordnung für die Konsiliargruppen beim Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr. (NUR IM INTRANET BW VERFÜGBAR) ; letzter Aufruf 18. Mai 2020
  11. Terborg O, Hepke J, Wilhelmy H-J, Köhler R, Meyer-Falcke A: Schutz von militärischem Personal bei Pandemieereignissen. ErgoMed/Prakt.ArbMed 2011; 5/2011 (35) 44

Verfasser

Oberstarzt Dr. Jürgen Hepke

Überwachungsstelle für öffentlich-rechtliche Aufgaben des Sanitätsdienstes der Bundeswehr West

Andernacher Str. 100, 56070 Koblenz

E-Mail: juergenhepke@bundeswehr.org


1 Die Zahlenangaben in diesem Absatz beziehen sich auf eine Auswertung zum Redaktionsschluss (30. Juni 2020)

2 Teilweise wurde die AGA bereits am 14. April wieder aufgenommen, um die Anfang des Jahres 2020 vor dem Lock-Down begonnene Ausbildung abzuschließen.