Kasuistiken
Ungewöhnliche Erscheinungsformen spinaler Schwannome –
4 Fallbeispiele mit erhöhtem diagnostischem und chirurgischem Aufwand
Unusual presentation of spinal schwannoma – 4 cases with enhanced diagnostic and surgical effort
Chris Schulza, Lukas Wunderlicha, Maximilian Kelscha, Uwe Max Mauera
a Bundeswehrkrankenhaus Ulm, Klinik für Neurochirurgie
Zusammenfassung
Hintergrund: Schwannome machen einen Großteil der intraspinalen extramedullären Tumore bei jungen Erwachsenen aus. Sie gehen im Regelfall von einer Nervenwurzel aus und sind meist benigne. Ihre klinische und radiologische Präsentation ist recht einheitlich und typisch. Das therapeutische Vorgehen besteht aus der neurochirurgischen Komplettentfernung. Gelegentlich bereiten die Diagnose und Therapie jedoch Schwierigkeiten, wenn die klinische und radiologische Präsentation der Schwannome untypisch sind, was in der Folge inkomplette Resektionen mit der Notwendigkeit einer postoperativen Strahlentherapie bedingen kann.
Falldarstellung: Es werden 4 Fälle mit untypischem Wachstumsverhalten und den daraus resultierenden Schwierigkeiten bei Diagnostik und Therapie gezeigt. Im Einzelnen präsentieren wir Fälle mit zystischen statt soliden Tumoren, mit retroperitonealem statt intraspinalem Wachstum, knochendestruierende statt -verdrängende Schwannome sowie Tumore mit intra- statt extramedullärer Lokalisation.
Diskussion: Atypische Präsentationen führen zu Diagnoseunsicherheiten und erhöhtem technischen Aufwand bei Feststellung und Entfernung sowie Nachbehandlung der Tumore.
Schlüsselwörter: Schwannome, Neurinome, Wirbelsäule, spinale Tumore
Summary
Background: Schwannomas account for a large proportion of intraspinal extramedullary tumors in young adults. These tumors usually originate from a nerve root and are mostly benign. Their clinical and radiological presentation is consistent and typical. Complete neurosurgical removal is the therapeutic procedure of choice. Occasionally clinical and radiological presentation of the schwannomas are atypical however which can cause problems in diagnosis and therapy and subsequently can lead to incomplete resections with the need of a radiotherapy after surgery.
Case Reports: We describe 4 cases with atypical growth behavior and the resulting difficulties in diagnosis and therapy. In detail, we present cases with cystic instead of solid tumors, with retroperitoneal instead of intraspinal growth, bone destroying instead of bone displacing schwannomas, and tumors with intra- instead of extramedullary localization.
Discussion: Atypical presentations lead to diagnostic uncertainties and increased technical effort for the detection and removal as well as the postsurgical treatment of the tumors.
Keywords: schwannoma, neurinoma, spine, spinal tumors
Hintergrund
Zwei Drittel aller primären intraspinalen Tumoren sind benigne, davon sind die Hälfte Schwannome [9]. Betroffen sind zumeist Erwachsene, mit einem ersten Inzidenz-Peak ab dem 40. Lebensjahr; ca. 10 % der am Bundeswehrkrankenhaus (BwKrhs) Ulm behandelten Schwannom-Fälle betreffen aktive Soldaten. Typische Lokalisation dieser Tumoren ist die Radix posterior des Spinalnerven, womit sie meist intradural extramedullär gelegen sind. Die knöchernen Begrenzungen des Spinalkanals (meist beginnend am Intervertebralforamen) werden durch das in aller Regel gutartige Schwannom sekundär aufgeweitet (Druckatrophie). Bei gleichzeitigem Wachstum intraspinal und entlang der Nervenwurzel durch das Foramen intervertebrale hindurch entstehen die sog. „Sanduhrschwannome“.
Klassisches Symptom des spinalen Schwannoms ist das radikuläre Reizsyndrom der tumortragenden Wurzel. In der Regel wird zuerst ein Schmerzsyndrom auffällig, gefolgt von sensiblen und später auch motorischen Ausfällen einer einzelnen Nervenwurzel [9]. Bei weiterem Größenwachstum können je nach Lokalisation auch das Rückenmark oder die Cauda equina komprimiert werden, was klinisch eine Myelopathie oder polyradikuläre Störungen bis hin zum Cauda-Syndrom nach sich ziehen kann [7].
Der klassische MRT-Befund zeigt einen soliden, rundlichen, glatt begrenzten extramedullären Tumor mit homogener Kontrastmittelaufnahme und meist geringer Hyperintensität in den T2-Wichtungen [5]. Die Standardtherapie symptomatischer spinaler Schwannome ist die operative Totalresektion. Üblich sind dafür heutzutage limitierte mikrochirurgische Zugänge von unilateral [11]; damit lassen sich auch zusätzliche stabilisierende Osteosynthesen zur Prophylaxe einer postoperativen Instabilität oder Deformität so gut wie immer vermeiden [8]. Schwannome sind in der weit überwiegenden Mehrzahl benigne, d. h. bei vollständiger Resektion sind Rezidive eine Ausnahme und eine Chemo- oder Strahlentherapie nach Operation nicht nötig [7].
Abweichend von diesen typischen Befunden bieten Schwannome selten auch ungewöhnliche Präsentationen bezüglich ihrer Lokalisation, Wuchsform und bildgebenden oder histologischen Eigenschaften, was zu Fehleinschätzungen und zu erhöhtem technischen Aufwand bei der Diagnostik und möglichst vollständigen Resektion sowie der Nachbehandlung dieser Tumore führt [4]. Das Schwannom ist dann u. U. nicht mehr der simpel erkennbare Tumor, der technisch einfach auf klassischem Zugangsweg minimal-invasiv vollständig entfernt werden kann und keiner aufwendigen spinalen Stabilisierung oder onkologischen Nachbehandlung bedarf [2].
Wir wollen im Folgenden an vier Beispielen ungewöhnlicher Schwannome, die hierbei entstandenen Probleme und deren Lösungen erläutern.
Falldarstellungen
Fall 1
Ein 37-jähriger Soldat stellte sich mit einer seit insgesamt 12 Monaten bestehenden Leistenschmerzsymptomatik rechts bei seinem Truppenarzt vor. In der umfangreichen radiologischen Abklärung fand sich eine intraspinale Zyste von 2,5 x 1,5 cm Größe auf Höhe des 11. Brustwirbelkörpers (BWK). Ein Zusammenhang zwischen dieser radiologisch als „unkompliziert“ angesprochenen Zyste und den Beschwerden wurde zunächst auch vom mitbeurteilenden Neurochirurgen nicht vermutet. Eine MRT-Kontrolle der vorbekannten Zyste zeigte innerhalb von 2 Jahren eine Vergrößerung auf ca. 3,5 cm x 2 cm Größe. Auch dieser Befundwandel wurde als „unkompliziert“ eingestuft und ein Zusammenhang mit den Beschwerden weiterhin nicht abgeleitet.
Der Soldat wurde schließlich vom Truppenarzt zur Einholung einer Zweitmeinung in unserem Wirbelsäulenzentrum vorgestellt. Größenprogredienz, randständige Kontrastmittelaufnahme sowie eine zwischenzeitlich aufgetretene Gangunsicherheit schienen nicht für eine „unkomplizierte“ Zyste, sondern vielmehr für einen rückenmarkkomprimierenden zystischen Tumor zu sprechen. Demzufolge stellten wird die OP-Indikation und resezierten den Tumor über eine Hemilaminektomie von BWK 11 rechts.
Intraoperativ fand sich der Befund eines zystischen Schwannoms, welches sich unter Kontrolle durch Neuromonitoring komplett entfernen ließ. Histologisch fand sich das Bild eines regressiv veränderten benignen Schwannoms, WHO-Grad 1. Die Schmerzen und Gangstörungen waren postoperativ beseitigt, die sensiblen Störungen persistierten zunächst auf geringerem Niveau. Der Soldat ist zwischenzeitlich wieder voll dienstfähig. Die Kontrollen zeigten bis dato (5 Jahre nach Operation) kein Rezidiv.
Abbildung 1 zeigt MRT-Befunde des Patienten prä- und postoperativ sowie Aufnahmen aus dem OP-Verlauf; das anschließende OP-Video zeigt die Entfernung des Tumors.
Abb.1: MRT- und OP-Bilder zu Fall 1
(A) Präoperatives MRT der Brustwirbelsäule (BWS), axial, T2-gewichtet: Man erkennt eine intraspinale zystische Raumforderung mit erheblicher Kompression des Thorakalmarks.
(B) Postoperatives MRT der BWS, axial, T2-gewichtet: Der zystische Tumor wurde über einen stabilitätsschonenden unilateralen rechtsseitigen Zugang nach intraspinal vollständig entfernt.
(C) Präoperatives MRT der BWS, sagittal, T2-gewichtet: Der zystische intradurale Tumor hinter BWK 11 kommt zur Darstellung. Das Myelon wird erheblich nach ventral verdrängt.
(D) Postoperatives MRT der BWS, sagittal, T2-gewichtet: Der Tumor ist vollständig entfernt, das Myelon hat sich nach dorsal zurück verlagert.
Untere Reihe (intraoperative Bilder):
(E) Nach Duraeröffnung drängt sich der dunkelgelbe Tumor durch die Durotomie nach extraspinal. Myelon oder Nerven sind zunächst nicht erkennbar.
(F) Nach Zysteneröffnung und Ablassen des Inhaltes zusammengefallener Tumor, der nun von seinen Adhäsionen zu neuralen Umgebungsstrukturen (hier intraspinale Nervenfasern) abgelöst wird.
(G) Vollständig von Rückenmark, Nervenfasern und intraspinalen Blutgefäßen abgelöster kollabierter Tumor unmittelbar vor seiner Entnahme in toto.
Fall 2
Ein 43-jähriger Soldat wurde mit diffusen Beinschmerzen links, stellenweise gepaart mit sensiblen Störungen und phasenweise Lähmungserscheinungen vorgestellt. Im MRT fand sich ein großer Tumor im Os sacrum mit Ausdehnung nach retroperitoneal aber auch nach intraspinal. Nachdem eine nicht-invasive Diagnose der Tumorart im PET-MRT nicht sicher gelang, wurde eine CT-gesteuerte Biopsie vorgenommen, um das ohne Zweifel notwendige operative Vorgehen strategisch an einen benignen oder ggf. auch malignen Prozess anpassen zu können. Die Biopsie ergab, nicht ganz unerwartet, ein WHO-Grad1-Schwannom. Da der klassische Weg mit dorsalem Zugang unter Umständen nicht ausreichend hätte sein können, um auch an den gesamten Tumoranteil im Retroperitoneum zu gelangen, wurde gemeinsam mit der Klinik für Gefäßchirurgie ein eventuelles zweizeitiges Vorgehen mit Zugang von transabdominal geplant.
Die vollständige Entfernung sowohl des intraduralen als auch des extraspinalen intraossären sowie retroperitonealen Tumoranteils gelang über einen nach ventral ausgedehnten unilateralen dorsalen Zugang, sodass man auf einen separaten Zugang von abdominal her verzichten konnte.
Intraoperativ wurde per Neuromonitoring eine Assoziation des Tumors zur S1-Wurzel links verifiziert, die im Rahmen der Resektion vollständig geschont werden konnte. Postoperativ war der Patient beschwerdefrei und ohne neurologische Ausfälle. Zwei Jahre postoperativ hatte sich kein Rezidiv ausgebildet.
Abbildung 2 zeigt ausgewählte prä- und postoperative MRT-Befunde sowie ein intraoperativ erstelltes Foto.
Abb. 2: MRT-/CT- und OP-Bilder zu Fall 2
(A) Präoperatives MRT der Lendenwirbelsäule (LWS), sagittal, T2-gewichtet: Man sieht einen partiell zystischen Tumor im Sakrum mit Ausdehnung nach präsakral und intraspinal.
(B) Präoperatives MRT der LWS, axial, T1-gewichtet mit Kontrastmittel (KM): Der Tumor nimmt randständig KM auf und dehnt sich nach ventral bis an die Iliakalgefäße aus.
(C) Präoperatives CT der LWS, koronar, Knochenfenster: Der Tumor hat zudem das S1-Foramen massiv aufgeweitet.
(D) Intraoperative Aufnahme nach Hemilaminektomie SW 1 links: Die Tumorzyste ist dorsal eröffnet, der Tumor bereits subtotal reseziert. Inmitten des Tumors lässt sich eine Nervenstruktur identifizieren, die mittels Neuromonitoring als motorische S1-Faser identifiziert wird (Foto zeigt die Stimulationselektrode am Nervenverlauf).
(E) Postoperatives MRT der LWS, sagittal, T2-gewichtet: Die intraspinalen sakralen Tumorzysten sind nicht mehr darstellbar, auch der präsakrale Tumoranteil ist komplett entfernt.
Fall 3
Eine 53-jährige Patientin stellte sich mit seit mehr als 3 Jahren bestehenden Nacken- und Armschmerzen links vor. Intermittierend waren Dysästhesien im Schmerzareal vorhanden, subjektiv aber keine Lähmungen. Stattdessen führte eine deutlich progrediente Gangstörung zur MRT-Abklärung der HWS und nachfolgend zur Vorstellung in unserer Klinik.
Es fand sich ein großer, teils zystischer und Kontrastmittel aufnehmender Tumor an der mittleren HWS mit Ausdehnung sowohl nach intra- als auch extraspinal. Ferner zeigten sich eine Destruktion der Halswirbelkörper (HWK) 3 und 4 nebst der dazugehörenden Gelenkportionen sowie eine Ummauerung der Arteria Vertebralis links. Auch hier wurde ein Schwannom zwar von Anfang an in die diagnostischen Erwägungen einbezogen, dennoch wurde vorab sicherheitshalber ein Malignom per Biopsie ausgeschlossen, die zu der Diagnose eines WHO-Grad1-Schwannoms führte.
In diesem Fall wurde zunächst ein teilresezierender Eingriff von dorsal aus vorgenommen. Es handelte sich um ein Schwannom an der Wurzel C4 links, welches transdural nach ventral in die Wirbelkörper und nach lateral entlang der Wurzel C4 bis weit in den oberen Armplexus eingewachsen war. Daher wurde eine Laminektomie von HW 3 und 4 inklusive Resektion der tumorbefallenen linksseitigen Wirbelgelenke vorgenommen. Die dorsalen Tumoranteile, sowohl intra- als auch extradural, wurden unter Neuromonitoring entfernt. Bei präoperativ bereits nicht belastungsstabiler Halswirbelsäule wurde additiv eine Schrauben-Stab-Osteosynthese von HW 2 bis HW 5 implantiert.
In einem Zweiteingriff von ventral wurden sodann 10 Tage später die infiltrierten HWK 3 und 4 reseziert und durch ein Kunststoff-Implantat ersetzt, welches zusätzlich durch eine Schrauben-Platten-Osteosynthese von HW 2 bis HW 5 gesichert wurde. Danach wurde über gleichen Zugang in Zusammenarbeit mit der Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde auch der weit in den Halsweichteilen liegende Tumor an der funktionstüchtigen C4-Wurzel bzw. am oberen Armplexus unter Neuromonitoring subtotal entfernt.
Postoperativ war die Patientin beschwerdefrei. Neun Monate postoperativ (letzte Kontrolle) ergaben sich keine Hinweise für einen wachstumsprogredienten Resttumor. Die Implantate zeigten keine Hinweise für Lockerung oder Materialbruch.
In Abbildung 3 ist der Verlauf anhand ausgewählter MRT-/CT-/Röntgen- und OP-Bilder dargestellt; im nachfolgenden Video wird der Tumordurchbruch durch die Dura nach ventral gezeigt.
Abb. 3: MRT-/CT-/Röntgen- und OP-Bilder zu Fall 3:
(A) Präoperatives MRT der Halswirbelsäule (HWS), sagittal, T1-gewichtet mit KM: Man erkennt einen kräftig und homogen KM aufnehmenden Tumor mit intra- und extraspinalen sowie intraossären Anteilen, zudem mit starker Myelonkompression.
(B) Präoperatives MRT der HWS, axial, T1-gewichtet mit KM: Zur Darstellung kommt die Ausbreitung des Tumors durch das Intervertebralforamen und entlang der Nervenwurzel C4 links bis in die lateralen Halsweichteile.
(C) Präoperatives CT der HWS, sagittal, Knochenfenster: Die ossäre Destruktion der Halswirbelkörper 3 und 4 wird sichtbar.
(D) Präoperatives CT der HWS, koronar, Knochenfenster: Neben den Wirbelkörpern 3 und 4 sind auch deren Gelenkportionen links destruiert.
(E) Intraoperative Aufnahme nach Duraeröffnung: Man sieht den extramedullären Tumor an der Wurzel C4.
(F) Intraoperative Röntgenaufnahme HWS seitlich: Die dorsale Osteosynthese von HW 2-5 ist implantiert.
(G) Postoperatives MRT der HWS, sagittal, T2-gewichtet: Nach der dorsalen Resektion finden sich keine intraspinalen Tumoranteile mehr. Das Myelon ist gut entlastet.
(H) Postoperatives CT der HWS, sagittal, Knochenfenster: Die Wirbelkörper HW 3 und 4 sind von ventral reseziert und durch ein Kunststoff-Implantat ersetzt.
(I) Postoperatives CT der HWS, sagittal, Knochenfenster: Zusätzlich erfolgte eine Plattenosteosynthese HW 2-5.
(J) Postoperatives CT der HWS, axial, Knochenfenster: Man erkennt den dorsalen Dekompressionsdefekt (Laminektomie), den Wirbelkörperersatz sowie Anteile der ventralen und dorsalen Osteosynthese.
Fall 4
Bei einem 82-jährigen Mann bestanden sensible Störungen an beiden Händen. Klinisch bestanden Gangunsicherheit und eine ungerichtete Fallneigung bei geschlossenen Augen sowie eine beidseitige Verlängerung der somatosensibel evozierten Potenziale (SEP) des Nervus medianus. Im MRT fand sich eine intramedulläre Raumforderung von 1 cm x 1,5 cm Größe mit KM-Aufnahme im dorsalen Myelon auf Höhe HW 3/4. Unter der Annahme eines intramedullären Tumors wurde die OP-Indikation gestellt und der Prozess unter Kontrolle mit intraoperativem neurologischem Monitoring nach einer Laminektomie HW4 reseziert.
Intraoperativ stellte sich ein dunkler, weicher und schlecht zum Myelon abgegrenzter Tumor dar. Es wurde soweit reseziert, wie das Monitoring keine Störungen an SEP und motorisch evozierten Potenzialen (MEP) sowie im Elektromyogramm (EMG) an Armen und Beinen anzeigte. Kleine Tumorreste mussten wegen beginnender Störungen im Monitoring belassen werden.
Schnellschnitthistologisch wurde intraoperativ ein melanozytärer Tumor diagnostiziert. Postoperativ waren die neurologischen Störungen im Vergleich zum präoperativen Befund gebessert. Im MRT ergab sich postoperativ kein Hinweis auf einen Resttumor. Die endgültige pathologische Aufarbeitung ergab schließlich ein nicht-psammomatöses melanotisches Schwannom. Es erfolgte 3 Monate nach Operation eine konventionelle Radiatio der Tumorregion. Der Patient ist nach 1,5 Jahren (Nachbeobachtungszeit bei Drucklegung) postoperativ beschwerdefrei und zeigt im Kontroll-MRT kein Tumorrezidiv.
Abb. 4: MRT- und intraoperative Bilder zu Fall 4:
(A) Präoperatives MRT der HWS, sagittal, T1-gewichtet mit KM: Es kommt ein stark und homogen KM-aufnehmender intramedullärer Tumor auf Höhe HWK 3/4 zur Darstellung.
(B) Präoperatives MRT der HWS, axial, T1-gewichtet mit KM: Der Tumor liegt dorsal im Myelon in der Mittellinie und komprimiert das Myelon deutlich.
(C) Intraoperatives Bild nach Eröffnung von Dura und Arachnoidea: Man erkennt den dunkel gefärbten und von zahlreichen Gefäßen überzogenen Tumor im Sulcus medianus posterior des Myelons.
(D) Postoperatives MRT der HWS, axial, T2-gewichtet: Der Tumor scheint vollständig entfernt. Man erkennt die Resektionshöhle und den wieder eingesetzten Bogen von HW 4. Das Halsmark ist entlastet.
Diskussion
Abweichungen von normalen Befunden können zu Abweichungen von Standards in Diagnostik- und Therapieabläufen und somit zu suboptimalen Behandlungsverläufen und -ergebnissen führen. Die 4 präsentierten Fälle vermitteln anschaulich, welche Konsequenzen aus den Befund- bzw. notwendigen Strategieabweichungen bei untypischen spinalen Schwannomen resultieren.
Konsequenzen einer atypischen präoperativen Bildgebung
Der MRT-Aspekt war in keinem der präsentierten Fälle klassisch. Der Tumor war vollständig oder partiell zystisch konfiguriert (Fall 1-3), ungewöhnlich extraspinal gelegen und ossär-destruierend (Fall 2+3) sowie intramedullär lokalisiert (Fall 4). Zumindest in Fall 1 führte dies zur Verzögerung der operativen Therapie. In den Fällen 2 und 3 war der präoperative diagnostische Aufwand (CT, MRT und PET) erhöht. In beiden Fällen wurde präoperativ zudem eine bildgesteuerte Biopsie der extraspinalen Tumoranteile vorgenommen. Die Knochendestruktion der beiden Befunde ließ Zweifel an der Benignität der Tumoren aufkommen und bei bioptischem Nachweis eines Chordoms, einer Metastase und insbesondere eines Sarkoms hätte man die onkochirurgische Strategie sicher ändern müssen.
Konsequenzen einer atypischen Lokalisation, Ausdehnung und Knochendestruktion
Nur in Fall 1 war die vollständige operative Entfernung über einen „klassischen“ unilateralen monosegmentalen Zugang noch möglich. Die große Zyste wurde intraoperativ eröffnet, wodurch die Tumorkapsel zusammenfiel. Somit konnte der dann nur noch kleine solide Anteil auch über den weichteil- und stabilitätsschonenden kleinen Zugangsweg der Hemilaminektomie sicher und vollständig entnommen werden.
Ein solcher minimierter Zugang kam für die Fälle 2-4 nicht in Frage. In Fall 2 lag ein Teil des Tumors vor der Wirbelsäule. Ein einseitiger dorsaler Zugang dorthin könnte somit unzureichend sein, wenn man nicht weit und vor allem nicht sicher genug (an die Iliakalgefäße) bis nach präsakral gelangt [4][10]. Hier wurde deshalb eine zweizeitige Strategie entwickelt. Es sollte zunächst der dorsale intraspinale Tumor über eine Hemilaminektomie SW 1 von links und der danach ggf. verbliebene retroperitoneale Tumoranteil über einen transabdominalen Zugang entfernt werden. Letzteres musste glücklicherweise nicht mehr erfolgen, da sich auch der präsakrale Tumor – mit Zugang von dorsal intraspinal – vollständig und sicher durch das aufgeweitete S1-Foramen von den Iliakal-Gefäßen ablösen und entnehmen ließ. Bei Fall 3 bestand zusätzlich zum extraspinalen Wachstum in die ventrolateralen Halsweichteile das Problem der seltenen ossären Destruktion von 2 Wirbelkörpern [12], die von dorsal aus ebenfalls nicht suffizient reseziert und stabil ersetzt werden konnten. Hier wurde ebenfalls eine zweizeitige Strategie geplant, die auch zur Anwendung kam. Zunächst erfolgte die Teilresektion von dorsal inklusive einer Schrauben-Stab-Osteosynthese von HW 2-5. Zehn Tage danach wurden von ventral die infiltrierten Halswirbelkörper 3 und 4 entfernt, durch ein Implantat ersetzt sowie mit einer ventralen Osteosynthese stabilisiert.
Im Fall 4 lag der Tumor im Sulcus medianus dorsalis des Myelons. Unter der Annahme eines intramedullären Prozesses sollte zur besseren Übersicht und der anatomisch orthograden Präparation im Sulcus medianus ein strikter Mittellinienzugang gewählt (in diesem Fall eine Laminektomie) werden. Da der Patient bereits fortgeschrittenen Alters war, die Laminektomie wirbelgelenkschonend verlief und der für den Zugang entnommene Bogen am Ende des Eingriffs wieder osteosynthetisch in den Situs eingesetzt wurde (Laminoplastie), konnte auf eine zusätzliche Stabilisation des Wirbelsäulenabschnittes zur Prophylaxe einer postoperativen (Schwanenhals-) Deformität verzichtet werden.
Konsequenzen des Einwachsens in neurologisch intakte Strukturen
In Fall 1 konnte die Resektion nach intraoperativen Kriterien noch vollständig ablaufen. In den Fällen 2, 3 und 4 ließen sich das Zurückbleiben kleinster Tumorreste nicht mehr vermeiden. In Fall 2 und 3 zeigte das intraoperative Neuromonitoring relevante motorische Funktionen an den tumortragenden Wurzeln an, deren Erhalt dann bei benignem Tumor prinzipiell anzustreben ist (Funktionalität vor Radikalität) [7]. Zur Schonung dieser neurologischen Funktionen wurde ein eventueller Resttumor an den Nervenwurzeln in Kauf genommen. In Fall 4 war der Tumor ohne unter dem OP-Mikroskop erkennbare anatomische Grenze in das Halsmark eingewachsen. Eine radikale Resektion mit Sicherheitsabstand verbietet sich bei dieser Lokalisation. Es wurden unter intraoperativem elektrophysiologischem Monitoring nur jene Tumoranteile entfernt, deren Resektion keine Störungen von SEP, MEP und EMG hervorriefen.
Konsequenzen einer inkompletten Resektion
Nur in Fall 1 gelang noch eine Totalresektion des Tumors. In den Fällen 2 und 3 zeigten sich in der Kontrolle bisher keine Rezidive bzw. kein erkennbares Wachstum des Resttumors. In dieser Situation beschränkt man sich auf ein abwartend-kontrollierendes Management. Für den Fall einer Rezidivbildung käme für beide Fälle eine Bestrahlung (u. U. sogar eine stereotaktische Radiochirurgie) in Betracht. Schwannome sind recht strahlensensibel und Befunde mit einer Tumorgröße < 1,5 cm können auch an der Wirbelsäule mit gutem Langzeitergebnis einzeitbestrahlt werden [3]. Histologisch war der Befund eines WHO-Grad1-Schwannoms in den Fällen 1-3 eindeutig.
Fall 4 warf schnellschnitthistologisch zunächst Fragen auf, da ein melanozytärer Tumor identifiziert wurde. Unter der Annahme einer spinalen Melanom-Absiedlung oder eines primär-melanozytären ZNS-Tumors wurde postoperativ ein Staging hinsichtlich der Suche nach einem etwaigen Primarius begonnen. Es konnte jedoch kein Melanom identifiziert werden. Letztlich ergab dann die hausintern durchgeführte Immunhistochemie ein melanotisches Schwannom. Dieser äußerst seltene Subtyp trägt ein etwa 10 %iges Malignisierungs- und Metastasierungspotenzial in sich [1] und bedarf daher auch im Langzeitverlauf einer stringenten MRT-Kontrolle sowie ggf. frühzeitigen Radiatio (spätestens jedoch bei Rezidivnachweis). In unserem Fall erfolgte dies nach interdisziplinärem Tumorboard-Beschluss 3 Monate nach Operation als konventionelle Bestrahlung der erweiterten Tumorregion, was in unserem Fall ein Tumorrezidiv bislang (Beobachtungszeitraum 1,5 Jahre) verhindert hat.
Fazit
„Das Häufige ist häufig, das Seltene ist selten.“
Auch bei ungewöhnlichen Bildgebungsbefunden, atypischer Lokalisation und Ausdehnung sowie eigentümlichem Wachstumsverhalten und malignomverdächtiger Schnellschnitthistologie sind spinale Schwannome dennoch häufig zu finden [6]. Die frühzeitige Einleitung von Diagnostik und Therapie sind wichtig, um die minimal-invasiven und gleichzeitig totalresezierenden Eingriffe mit geringer perioperativer Morbidität sowie „kurativem“ Ansatz noch gewährleisten zu können. Dies ist auch im Sinne des möglichst guten Erhalts bzw. der möglichst raschen postoperativen Wiederherstellung der Dienstfähigkeit bei betroffenen Soldatinnen und Soldaten (Fall 1 und 2) zu verstehen. So konnte beispielsweise kürzlich bei einem Jet-Piloten ein spinales Schwannom im Bereich des kranio-zervikalen Übergangs, welches bei einem Routine-MRT am Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin als Zufallsbefund entdeckt und bei uns komplikationslos sowie vollständig entfernt wurde, die Wehrfliegerverwendungsfähigkeit erhalten werden. Je größer jedoch die Prozesse sind, umso häufiger sind funktionstüchtige Nervenwurzeln oder Rückenmarkanteile involviert, was eine funktionserhaltende radikale Exzision erschwert oder sogar verhindert [2][9]. In solchen Fällen sind strahlentherapeutische Konzepte eine sinnvolle Ergänzung zur Resektion [3][7][8].
Spinale Schwannome bereiten bei klassischer Befundkonstellation keine großen Schwierigkeiten in der präoperativen Zuordnung, der OP-Strategie und vollständigen Resektion sowie der Nachbehandlung.
Alle vier in diesem Beitrag vorgestellten Fälle waren jedoch untypisch für ein spinales Schwannom. Mit ungewöhnlichen Tumorsituationen muss man in der onkologischen Wirbelsäulenchirurgie immer rechnen. Das moderne Management solcher Prozesse umfasst neben erweiterten diagnostischen Möglichkeiten (u. a. PET-CT und -MRT sowie bildgesteuerte Biopsie) auch interdisziplinäre operative Strategien (je nach Wirbelsäulenabschnitt mit Einschluss von Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie sowie Urologie und HNO-Heilkunde).
Zur technischen Grundausstattung für intraspinale Tumoreingriffe gehören ein modernes OP-Mikroskop, ein intraoperatives neurophysiologisches Monitoring-System und intraoperative Ultraschalldiagnostik. In spezialisierten Zentren sollten aber auch intraoperative Bildgebungsverfahren (CT oder MRT), die OP-Mikroskop-basierte Tumorfluoreszenz und Gefäßangiographie sowie die spinale Navigation möglich sein. In der Summe müssen von onkologisch tätigen wirbelsäulenchirurgischen Hochleistungs-Zentren alle spinalen Prozesse von kranio-zervikal bis lumbosakral über ventrale, laterale und dorsale Zugänge einschließlich der jeweiligen Osteosynthese-Techniken beherrscht werden. Die Mitbehandlung durch onkologische Abteilungen sowie die differenzierte (molekular)neuropathologische Diagnostik sollten innerhalb solcher Zentren gegeben sein.
Nicht zuletzt ist eine enge Zusammenarbeit mit Rehabilitations-Einrichtungen (insbesondere Querschnitt-Zentren) sowie interdisziplinären Tumorboards für die Planung und Durchführung einer spezifischen Weiterbehandlung in der spinalen Onkologie unbedingt anzuraten.
Literatur
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- Wang X, Zhao HY, Lei DQ, Zhu WD, Zhou YC: An analysis of clinical efficacy of microsurgical resection of intradural neoplasm by unilateral approach with Caspar retractors. Med Princ Pract. 2020; 29(3): 231-237. mehr lesen
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Manuskriptdaten
Eingereicht: 11. August 2020
Angenommen: 28. September 2020
Zitierweise
Schulz C, Wunderlich L, Kelsch M, Mauer UM: Ungewöhnliche Erscheinungsformen spinaler Schwannome – 4 Fallbeispiele mit erhöhtem diagnostischem und chirurgischem Aufwand. WMM 2020; 64(12): 410-416.
Für die Verfasser
Flottillenarzt Priv.-Doz. Dr. Chris Schulz
Bundeswehrkrankenhaus Ulm
Klinik für Neurochirurgie
Oberer Eselsberg 40, 89081 Ulm
E-Mail: chrisschulz@bundeswehr.org
Manuscript data
Submitted: 11 August 2020
Accepted: 28 September 2020
Citation
Schulz C, Wunderlich L, Kelsch M, Mauer UM: Unusual presentation of spinal schwannoma – 4 cases with enhanced diagnostic and surgical effort. WMM 2020; 64(12): 410-416.
For the authors
Commander (Navy MC) Priv.-Doz. Dr. Chris Schulz
Bundeswehr Hospital Ulm
Department for Neurosurgery
Oberer Eselsberg 40, D-89081 Ulm
E-Mail: chrisschulz@bundeswehr.org