Wehrmedizinische Monatsschrift

FLUGMEDIZINISCHE KASUISTIK

Einsatzfähigkeit als Eurofighter-Pilot
nach allogener Stammzellspende – ein Fallbericht

Immanuel Roiua, Ulrike Wagner ᵇ

a Taktisches Luftwaffengeschwader 74, Neuburg an der Donau

ᵇ BundeswehrZentralkrankenhaus Koblenz, Klinik I – Innere Medizin

 

Zusammenfassung

Ein Eurofighter-Pilot entschied sich nach umfassender medizinischer Aufklärung zur allogenen Knochenmarkstammzellspende (Leukapherese nach vorheriger Knochenmarkstimulation). Der Soldat war lediglich an vier Tagen nicht dienstfähig und konnte nach kurzzeitiger Rekonvaleszenz wieder am Flugdienst teilnehmen.

Dieser Fall verdeutlicht, welche geringen Nebenwirkungen und Einflüsse auf die Dienstfähigkeit bei einem gesunden Menschen im Gefolge eines solchen Eingriffs zu erwarten sind.

Schlüsselwörter: Flugmedizin, Stammzellspende, Knochenmarktransplantation, Flugtauglichkeit, Leukapherese

Keywords: flight medicine, stem cell donation, bone-marrow transplant, flight capability, leukapheresis

Einleitung

Ein Luftfahrzeugführer (LFF) Eurofighter des Taktischen Luftwaffengeschwaders 74 (TaktLwG 74), der im Jahr 2010 eine Vortypisierung für eine Knochenmarkstammzellenspende bei der Deutschen Knochenmarkspenderdatei (DKMS) durchgeführt hatte, wurde im Juli 2020 kontaktiert und davon in Kenntnis gesetzt, dass er nach erfolgter Feintypisierung als Stammzellspender für einen an Leukämie erkrankten Patienten in Frage komme.

Bei dem Spender handelte es sich um einen zu diesem Zeitpunkt 31-jährigen Mann, der seit 2008 durch regelmäßige Flugtauglichkeitsuntersuchungen unter eng­maschiger medizinischer Beobachtung stand und seither ohne größere Unterbrechung die hohen gesundheitlichen Anforderungen für diese Verwendung erfüllte. In dieser Zeit absolvierte er insgesamt ca. 600 Flugstunden, hauptsächlich auf dem Waffensystem Eurofighter.

Als Erkrankungen wurden in dieser Zeit eine Pinealis­zyste ohne Krankheitswert, eine juvenile Osteochondrose, eine leichte S-Skoliose der Wirbelsäule und ein Knick-Senk-Spreizfuß festgestellt.

Im November 2009 erlitt er eine traumatische Schulterluxation, welche rezidiv- und beschwerdefrei abheilte. Zuletzt war er im November 2019 aufgrund einer chronifizierten Sinusitis in antibiotischer Behandlung und deshalb kurzzeitig nicht flugtauglich. Des Weiteren traten beim Patienten saisonal lokale allergische Symptome auf Gräser und Pollen auf, welche jeweils unter topisch angewendeten Antiallergika gut behandelbar und zeitlich zu limitieren waren.

Verlauf der Stammzellenspende

Vorbereitung und wissenschaftliche Betrachtung 1

Der LFF wurde durch die durchführende medizinische Einrichtung (Robert-Bosch-Krankenhaus Stuttgart) und den zuständigen Fliegerarzt über Ablauf, Nutzen, Auswirkungen und Risiken des Eingriffs aufgeklärt.

Die gewählte Methode zur Gewinnung der Stammzellen bestand in einer Leukapherese nach vorher erfolgter Mobilisierungstherapie mittels Granulozyten-Kolonie-­stimulierendem Faktor (Granulocyte-Colony Stimulating Factor/G-CSF). Hierbei treten besonders bei der Mobilisierung bei fast jedem Spender Nebenwirkungen auf. Am häufigsten sind Knochenschmerzen (32 %), Kopfschmerzen (20 %), Brustschmerzen (2 %) und Nachtschweiß (1 %) [3]. Wiederholt wurde ein erhöhtes Langzeitrisiko für das Auftreten von Leukämien diskutiert, jedoch konnte bisher durch keine Studie ein relevanter Zusammenhang aufgezeigt werden [1].

In diesem Fall war insbesondere von Interesse, ob der Erhalt der Wehrfliegerverwendungsfähigkeit in irgendeiner Weise gefährdet sein könnte. Hierzu findet sich in den deutschen Vorschriften keinerlei spezifische Erwähnung. Im Waiver Guide der US-Air Force, der als anerkanntes Konsultationswerk bei Flugmedizinern innerhalb der NATO gilt, findet sich dazu folgende Empfehlung:

„Fliers who donate bone marrow should be DNIF until the following parameters have been met:

Oral iron supplements are compatible with flying status after successful ground testing. Iron

injections may be administered to flying personnel while they are DNIF. No waiver is required

following bone marrow donation.“ [4]

Bezüglich der Vereinbarkeit mit dem Dienst in der Bundeswehr allgemein findet die Knochenmarkspende lediglich eine Würdigung in der Zentralvorschrift A1-800/0-4013 „Organspenden von Soldatinnen und Soldaten“. Hier heißt es wörtlich:

„Weil die Knochenmarkspende von der Bedeutung und Tragweite des erforderlichen Eingriffs sowie von den gesundheitlichen Auswirkungen her mit einer Blutspende grundsätzlich vergleichbar ist, besteht insoweit keine (dienst-)rechtliche Problematik. Denn die Knochenmarkspende begründet – wie die übliche Blutspende – keine Pflichtverletzung des Soldaten bzw. der Soldatin als Spender, wenn ihre Durchführung jeweils auf die dienstlichen Erfordernisse abgestimmt ist und die kurzfristige Erholungsphase nach der Spende keine Auswirkungen auf die Einsatzfähigkeit der Betreffenden mit sich bringt.“ [2]

 

Entnahme

Letztendlich entschied sich der Soldat für die Durchführung und begann am 29. August 2020 mit der subkutanen Administration von Granocyte® in einer Dosierung von 60 Mio. I.E/d. Ab diesem Zeitpunkt war er nicht mehr flugtauglich und wurde im Status „duty not involving flying (DNIF)“ geführt.

Am 31. August 2020 erfolgte die erste Vorstellung beim Fliegerarzt, da mittlerweile Beschwerden im Sinne einer leichten Grippesymptomatik mit Kopf- und Gliederschmerzen sowie Abgeschlagenheit zu verspüren waren. Deshalb hatte er wie vorab besprochen eigenständig eine Bedarfstherapie mit Paracetamol 500 mg p.o. begonnen. Es wurden vier einzelne Tabletten über vier Tage eingenommen, wodurch die Beschwerden erträglich waren. Ab dem 31. August wurde er als „krank zu Hause“ geführt. Weitere ärztlichen Konsultationen oder medikamentöse Therapien waren nicht vonnöten.

Am 02. September 2020 erfolgte ambulant eine komplikationslose Stammzellentnahme mittels eines Spectra Optia®-Apheresesystems. Die Entnahme dauerte 300 min unter kontinuierlicher Calciumsubstitution. Dabei konnte ausreichend Stammzellmaterial gewonnen werden und der Spender konnte am selben Tag wieder in sein häusliches Umfeld entlassen werden.

Am Tag der Apherese zeigten sich im Blutbild Auffälligkeiten im Sinne einer Leukozytose in akuter Phase (Leukozyten 32,4 Giga/l, Segmentkernige 67 %, Stabkernige 4 %, Neutrophile 72,7 %, Eosinophile 1,7 %, Monozyten 5 %, Basophile 0,1 %, Lymphozyten 13,4 %). Ebenso zeigte sich eine dezente Anämie (Hämatokrit 0,345 l/l, Hb 12,3 g/l, Eryrthrozyten 3,99 Tera/l). Das restliche Blutbild und die Gerinnung waren normwertig.

Wiedereingliederung in den Flugdienst

Am 04. September 2020 stellte sich der Soldat erneut beim Fliegerarzt vor. Er beschrieb, am Vortag noch ein fiebriges Gefühl gehabt zu haben, welches keiner medikamentösen Therapie bedurfte. Die eigenständig durchgeführte Messung der Körpertemperatur ergab 36,1° C. Bei Vorstellung gab er vollständige Beschwerdefreiheit an, so dass er bereits an diesem Tag zur Erprobung seiner Leistungsfähigkeit eine Übungseinheit am Simulator durchführte. Diese hatte ein einfaches Anforderungsprofil und konnte vom LFF problemlos bestanden werden, jedoch gab er an, sich geistig nicht auf dem Maximum seiner Leistungsfähigkeit gefühlt zu haben.

Am 07. September 2020 bestanden klinisch keinerlei Beschwerden mehr; er absolvierte ein Simulatortraining mit mittelgradigem Anspruchsprofil. Hier war er in der Lage, sicher alle Anforderungen zu erfüllen. Eine am selben Tag erfolgte Blutentnahme ergab ein durchweg normwertiges Blutbild und eine physiologische Blutgerinnung (Abbildung 1), so dass die uneingeschränkte Flugfreigabe erteilt werden konnte. Der LFF führte am 08.Septmeber 2020 – weniger als eine Woche nach Stammzellspende – seinen ersten Flug durch. Hierbei handelte es sich um einen relativ anspruchsvollen Nachtflug, den er problemlos und ohne klinische Beschwerden absolvieren konnte.

Abb. 1: Laborwerte mit Referenzbereichen 5 Tage nach der Stammzellspende

Diskussion und Fazit

Dieser Fall zeigt exemplarisch, wie komplikationslos eine Stammzellenspende gerade bei jungen und medizinisch nicht wesentlich krankheitsbelasteten Menschen verlaufen und wie gering die Behinderung der operationellen Einsatzfähigkeit selbst bei einer Tätigkeit sein kann, bei der die gesundheitlichen Anforderungen derart hoch sind wie bei einem LFF eines strahlgetriebenen Luftfahrzeugs mit Schleudersitz.

Im vorliegenden Fall benötigte der Spender lediglich zwei Krankheitstage und zwei Tage Sonderurlaub, bevor er am zweiten Tag post interventionem wieder für Innendienst und Simulator zur Verfügung stand. Der Flugdienst konnte bereits am 6. Tag post interventionem wiederaufgenommen werden, so dass die Zeitspanne, in der der Soldat nicht vollständig einsatzbereit war, auf 10 Tage (davon 6 Arbeitstage) limitiert war.

Beim genannten Verfahren liefert die derzeitige Vorschriftlage nicht nötige Sicherheit für die Spender und den zuständigen Truppenarzt, da nur von Knochenmark- nicht jedoch von Stammzellspende die Rede ist und explizit eine „kurze Erholungszeit“ und „keine Auswirkungen auf die Einsatzfähigkeit der Betreffenden“ als Bedingung für die Zulässigkeit aufgeführt wird, was im Vorfeld eines solchen Eingriffs niemand ernsthaft garantieren kann.

Sicherlich sind solche Prozeduren gerade im Hinblick auf die Pflicht zur Gesunderhaltung eines jeden Soldaten im Einzelfall kritisch zu betrachten. Jedoch steht demgegenüber immer der erhebliche Nutzen für den Empfänger, dessen Leben von dem Vorhandensein und der Spendenbereitschaft eines geeigneten Spenders abhängt. Auch die positive Außenwirkung, die Soldaten durch die Bereitschaft zur Knochenmarkspende erzielen, sollte nicht unerwähnt bleiben.

Dieses Beispiel sollte aus Sicht der Autoren auch als Aufruf angesehen werden, sich öffentlich in den genannten Vorschriften klar für die Knochenmarkstamm­zellspende von Soldaten in beiden möglichen Verfahren ­(Knochenmarkstanze, Leukapherese) und ohne Einschränkung zu positionieren sowie in der Bundeswehr aktiv für eine Registrierung und Typisierung von Soldatinnen und Soldaten bei der DKMS zu werben, z. B. im Zusammenhang mit Blutspenden in militärischen Einrichtungen. Daher könnte es sich aus unserer Sicht – vor allem im Sinne der Erkrankten, deren Leben von einer Knochenmarkspende abhängt – lohnen, das zur Förderung der Bereitschaft zur Blutspende, für die gezielte Aktionen in Kasernen seit Jahren erfolgen, verfolgte Konzept auch in Bezug auf die Knochenmarkspende anzuwenden.

Literatur

  1. Bojanić I, Golubić B: Collection of hematopoietic progenitor cells from healthy donors, Acta Med Croatica 2009;63(3): 237-244. mehr lesen
  2. Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr: Zentralvorschrift A1-800/0-4013 „Organspenden von Soldaten“.( gültig ab 01.08.2016)
  3. Ordemann R, Hölig K: Acceptance and feasibility of peripheral stem cell mobilisation compared to bone marrow collection from healthy unrelated donors, Bone Marrow Transplant 1998; 21(Suppl 3): 25-28.
  4. US Air Force: Aerospace Medicine Waiver Guide, Last Update 9 July 2020. , letzter Aufruf 1. Oktober 2020. mehr lesen

Manuskriptdaten

Zitierweise

Roiu I, Wagner U: Einsatzfähigkeit als Eurofighter-Pilot nach allogener Stammzellspende – ein Fallbericht. WMM 2020; 64(12): 437-439.

Für die Verfasser

Oberfeldarzt Dr. Immanuel Roiu

Taktisches Luftwaffengeschwader 74

Grünauer Str. 170/1, 86633 Neuburg/Donau

E-Mail: immanuelroiu@bundeswehr.org


1 Gemäß geltender Vorschriften wurden die geplanten Maßnahmen im Vorfeld zwischen Fliegerarzt und der Fachgruppe Innere Medizin im Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe besprochen und die weitere Vorgehensweise (Entscheidung über Flugfreigabe durch Fliegerarzt, wenn keine Komplikationen bestehen) festgelegt.