ÜBERSICHTSARBEIT
Sanitätsdienstliche Aspekte des Gebirgskampfs –
Lehren der Vergangenheit1
Medical aspects of mountain warfare – teachings of the past2
Raimund Lechnera, Enrico Stapsa, Björn Hossfelda, Markus Tannheimerb
a Bundeswehrkrankenhaus Ulm, Klinik X – Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie
b Universitätsklinik Ulm, Innere Medizin II – Sektion für Sport- und Rehabilitationsmedizin
Zusammenfassung
Die Geschichte des Gebirgskampfs reicht Jahrtausende in die Vergangenheit. Der technische Fortschritt veränderte zunächst das Bergsteigen, in der Folge auch den Krieg im Gebirge und damit zwangsläufig die Erfordernisse an die sanitätsdienstliche Versorgung. Die Geschichte zeigt, dass die Umweltbedingungen im Gebirge sowohl die Kampfkraft der eingesetzten Truppen reduzierten als auch erheblich zu den Opferzahlen beitrugen. Viele Ausfälle sind auf unzureichende Planung, Ausbildung und Ausrüstung in Kombination mit den unerbittlichen Umweltbedingungen zurückzuführen, die durch militärische Planer oftmals unterschätzt wurden und werden.
Die Häufigkeit des Kampfs im Gebirge nimmt weltweit zu. Die Klimazone Gebirge beeinflusst alle Führungsgrundgebiete, insbesondere die Mobilität und die sanitätsdienstliche Versorgung. Zu beachten ist dabei, dass Soldaten anfälliger gegenüber höhen- und alpinmedizinischen Krankheitsbildern sind. Mittlerweile sind Gefechte in den höchsten Regionen der Welt und unter den härtesten klimatischen Bedingungen nahezu allgegenwärtig. Ein auf die notwendigen Fähigkeiten des Gebirgssanitätsdienstes abgestimmtes Ausbildungscurriculum sowie eine gebirgssanitätsdienstliche Ausstattung sind unumgänglich, um den fachlichen und militärischen Besonderheiten dieser extremen Klimazone gerecht zu werden. Bei zahlreichen Streitkräften (auch in der Bundeswehr) wurden durch personelle und finanzielle Einschnitte die früher bestehenden Strukturen oftmals reduziert, was nun einen zeit- und kostenaufwendigen Wiederaufbau erfordert.
Dieser Beitrag schildert die Entwicklung des Gebirgskampfes von der Antike bis heute. Er soll dazu beitragen, ein Grundverständnis für die im Gebirge herrschenden Einsatzbedingungen zu generieren und auf dieser Grundlage Ausbildung, technische Entwicklung und Beratungsfähigkeit des Sanitätsdienstes für Einsätze im Gebirge weiterzuentwickeln.
Schlüsselwörter : Gebirgskrieg, Gebirgskampf, Definition, Geschichte, Umweltfaktoren, Sanitätsdienst
Summary
Mountain warfare has thousands of years of history. First technological developments changed mountaineering, subsequently mountain warfare, and, inevitably, the requirements for health service support in the mountains. History proves that this environment has decreased combat strength and has made a significant contribution to casualty numbers. Many casualties are due to inadequate planning, training and equipment in combination with the harsh environmental conditions, which have been often underestimated by military planners, even today. Mountain warfare shows an increasing frequency. Mountains influence all warfighting functions, but especially movement, manoeuvre (mobility), and force protection (health support). In addition, soldiers are more susceptible to mountain related illnesses. Meanwhile, battles are almost omnipresent in the highest regions of the world, under harshest climatic conditions imaginable. To overcome the hardships of mountain warfare, special mountain units including support elements are mandatory, especially for health service support. After years of personnel and financial cutbacks, existing structures have been reduced in many forces (even in the Bundeswehr); they now require time-consuming and costly reconstruction.
This article describes the development of mountain warfare from the ancient times until now. By building a basic understanding of the operating conditions in mountains further development of military training, technical equipment, and consulting capability of the Bundeswehr medical service regarding mountain warfare can be supported.
Keywords: mountain warfare, definition, history, environmental factors, health service support,
“Mountainous terrain is a special circumstance, one greatly complicating the other hazards of war.”
Charles S. Houston, 2002 [12]
Der Gebirgskampf in der Antike und im frühen Mittelalter
Auch wenn der anhaltende Kampf gegen den internationalen Terrorismus der Thematik Gebirgskrieg in den letzten Jahren wieder mehr Aufmerksamkeit verschaffte, ist der Kampf im Gebirge kein Phänomen der Moderne. Die Herausforderungen des Gebirgskampfs wurden bereits durch den chinesischen General Sun Tzu erkannt. 500 v. Christus empfahl er, bergiges Gelände zügig zu überschreiten und dieses Terrain nicht für bewaffnete Auseinandersetzungen zu nutzen [32]. Es ist keine eindeutig benennbare militärische Operation bekannt, die unumstritten als erste im gebirgigen Gelände ausgeführt wurde und damit als der Beginn der Kriegsführung im Gebirge gelten kann. Es gibt jedoch einige sehr frühe Beispiele, bei denen schwieriges gebirgiges Gelände genutzt wurde, um sich einen Vorteil über seinen Gegner zu verschaffen.
Die Schlacht bei den Thermopylen 480 v. Christus, bei der die Griechen, angeführt durch Leonidas I, eine zahlenmäßig deutlich überlegene persische Streitmacht über Tage davon abhalten konnten, weiter vorzustoßen, weist sicherlich Grundzüge des Gebirgskampfs auf [17]. Letztlich wurden Leonidas und seine Soldaten durch eine kleine Einheit in der Flanke umgangen und vernichtend geschlagen [3]. Die Überquerung des Khawak-Passes im heutigen Afghanistan (ca. 4 500 m über Meereshöhe) durch Alexander den Großen war so fordernd, dass seine 50 000 Mann starke Streitkraft in 15 Tagen nur 60 Meilen zurücklegte und hunderte seiner Soldaten durch eine Kombination aus Hypoxie, Kälte, Hunger und Dehydrierung starben. Sie gilt als eine der verlustreichsten Unternehmungen des Gebirgskampfes [12]. 250 v. Chr. führte Mogul Mirza Mohammed Haidar einen Feldzug auf der tibetischen Hochebene (4 000-5 000 m über Meereshöhe) durch. Er berichtete von Halluzinationen, dramatischen Leistungsverlusten und Dyspnoe bis hin zu Koma und Tod [11]. Im Jahr 218 v. Chr. überquerte schließlich der berühmte karthagische Feldherr Hannibal die Pyrenäen und die Alpen, um – von den Römern unerwartet – von Norden in das Römische Reich einzufallen. Während der Durchquerung kam es zu zahlreichen Scharmützeln mit lokalen keltischen Stämmen. Sein Vorgehen kann somit als bewusste strategische Planung unter Berücksichtigung der Vor- und Nachteile der Truppenverlegung und Kriegsführung im Gebirge als Alternative zur Anlandung an der italienischen Küste angesehen werden [4][5][12][17][24].
Im 14ten und 15ten Jahrhundert gelang es einer nur leicht gepanzerten, aber deshalb hochmobilen Schweizer Armee die schwer gepanzerten und daher unbeweglichen Gegner Habsburg und Burgund in den Schlachten von Morgarten, Sempach und Murten zu überwältigen. Diese Schlachten begründeten den Ruf der Schweiz als uneinnehmbare Bergfestung und sind ein Beispiel der Vorteile einer hohen Beweglichkeit, insbesondere beim Kampf im schwierigen Gelände [7].
Historisch sind somit bis zum späten 18ten Jahrhundert einige bemerkenswerte militärische Ereignisse nachweisbar, die Teilaspekte des Kampfes im Gebirge beinhalten. Meistens wurden die Alpen jedoch von großen Armeen lediglich überquert, um das eigentliche militärische Zielgebiet zu erreichen, wie beispielsweise Caesars Feldzug nach Gallien oder die Feldzüge deutscher Kaiser gegen die Päpste des Mittelalters [17]. Hierbei war die Überquerung, im Gegensatz zum Feldzug Hannibals, alternativlos.
Im Allgemeinen wurde im Zeitalter der „Linientaktik [...] jedes schwierige Terrain [...] sorgsam vermieden“ [7]. Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts stellte General Clausewitz fest, dass das Gebirge im Allgemeinen ungünstig sei, und dass es sich allenfalls zur Schwächung des Gegners eigne, jedoch nicht, um ein Entscheidungsgefecht zu führen [17]. Er räumt jedoch ein, dass die Berge „ein wahrer Zufluchtsort des Schwachen“ sind, also desjenigen, „der eine absolute Entscheidung nicht mehr suchen darf.“ [2]
Insgesamt gesehen, war der Gebirgskampf in der Antike und im Mittelalter jedoch die Ausnahme, nicht die Regel.
Die Entwicklung des Gebirgskampfs im
19ten Jahrhundert
Ab dem späten achtzehnten Jahrhundert setzten drei Entwicklungen ein, aus denen der moderne Gebirgskampf hervorging. Zunächst änderte sich die Einstellung der Menschen zum Gebirge. Das raue und dauerhaft unbewohnbare Hochgebirge galt fortan nicht mehr als Heimat der Götter und die Besiedlung des Gebirges und dessen infrastrukturelle Entwicklung schritten voran [17]. Ein zunehmender Entdeckergeist und der Wille, bestehende Leistungsgrenzen zu verschieben, waren die Triebfeder des modernen Alpinismus, als dessen Beginn oftmals die Erstbesteigung des Mont Blanc durch Balmat und Paccard im Jahr 1786 gesehen wird. Abgesehen von wenigen Ausnahmen, wie z. B. die Besteigung des Mont Aiguille im Jahre 1492, waren bis dahin nur relativ niedrige Höhen und technisch leichtes Gelände erstiegen worden [5].
Die Ambitionen, hohe Berge zu bezwingen, führten nach und nach zur Entwicklung neuer Bergausrüstung und Klettertechniken. Ohne die Verfügbarkeit und den sachgemäßen Gebrauch von Steigeisen, Eispickel, Eisschrauben, beschlagenen Stiefeln, Seilen, Gurten, Helmen, Karabinern und spezieller Kleidung wäre eine zunehmende Mobilität im schwierigen Gelände unmöglich gewesen. Obwohl rudimentäre Steigeisen bereits 400 v. Chr. Verwendung fanden und Eisenstangen und Seile erstmals 327 v. Chr. von Alexander dem Großen zur Eroberung einer Festung auf dem Sogdischen Felsen eingesetzt wurden, wurden solche Ausrüstungsgegenstände bis ins 19. Jahrhundert nicht nennenswert weiterentwickelt [5].
Darüber hinaus änderte sich die militärische Taktik – weg von der relativ unbeweglichen Linien- und Phalanx-Taktik, hin zur beweglicheren und wendigeren Kolonnentaktik [7][17]. Die Mobilität von Streitkräften wurde zu einem der zentralen Merkmale moderner Kriegsführung und erleichterte das Führen von Truppenteilen im unwegsamen Gelände maßgeblich. Nach ENGELS begründete Napoleon Bonaparte mit der Überquerung des Col di Cadibona während der Schlacht von Montenotte im Jahr 1796 den modernen Gebirgskampf [7].
Einhergehend mit diesen Entwicklungen kam es ab Beginn des 19. Jahrhunderts vermehrt zu Auseinandersetzungen im Gebirge. Im Zusammenhang mit den Napoleonischen Kriegen überquerte beispielsweise Napoleon Bonaparte im Mai 1800 den Großen Sankt Bernhard Pass mit 40 000 Mann und der russische General Suworow wich unter hohen Verlusten über den Panixerpass in der Schweiz aus [7][17]. Zudem kam es zu zahlreichen Volksaufständen in Bergregionen, beispielsweise dem Tiroler Aufstand (1809), dem Aufstand der Karlisten im Baskenland (1830er und 40er Jahre) und dem Aufstand der kaukasischen Stämme gegen Russland mit seinem Höhepunkt in den 1840er Jahren [7][17].
Auch außerhalb von Europa kam es nun vermehrt zu Auseinandersetzungen im gebirgigen Gelände. Zwischen 1808 und 1824 kämpften José de San Martín und Simón Bolívar in Südamerika gegen die spanische Kolonialmacht. San Martín überquerte 1817 mit seinen Truppen den 4 575 m hochgelegenen Uspallata Pass, Simón Bolívar überquerte mit seiner Streitmacht 1819 im Rahmen der Schlacht von Boyacá einen fast 5 000 m hohen Pass. Beides geschah unter enorm hohen Verlusten an Soldaten und Material. 1822 besiegte General Sucre die spanischen Royalisten an den Steilhängen des Vulkans Pichincha in Höhen über 3 500 m direkt oberhalb Quitos, der heutigen Hauptstadt Ecuadors. In den Jahren 1823 und 1824 führte Bolívar seine Truppen im heutigen Peru in die letzten Schlachten der spanisch-amerikanischen Unabhängigkeitskriege, in Höhenlagen bis fast 4 300 m und in überwiegend zerklüftetem Gelände [12].
In Zentralasien kam es ab dem frühen 19. Jahrhundert zu zahlreichen Konflikten um die wirtschaftliche und militärische Vormachtstellung. Der Himalaya (mit seinen Randgebirgen dem Karakorum und dem Hindukusch) zwischen dem russischen Reich und China im Norden sowie dem heutigen Pakistan, Indien und Afghanistan im Süden, oftmals mit Mindesthöhen von 5 000 m, ist eine nur schwer zu überwindende natürliche Barriere, deren Kontrolle die geostrategische Dominanz über weite Gebiete bedeutete [12]. Angrenzende Gebiete wie Afghanistan und Tibet waren deshalb hart umkämpfte Pufferzonen. Besonders erwähnenswert ist die Vernichtung der Armee von General Elphinstone im Januar 1842. Während des ersten Anglo-Afghanischen Krieges wurde seine 20 000 Soldaten zählende Streitkraft mit zusätzlichen 35 000 Gefolgsleuten nach zahlreichen vorangegangenen Gefechten bei Gandamak durch militärisch eigentlich unterlegene Afghanen – unter Ausnutzung des Geländes – vernichtend geschlagen. Den Überlieferungen zufolge konnte sich lediglich ein Überlebender, der Militärarzt Dr. Brydon, nach Indien durchschlagen und über die Katastrophe berichten [12][17].
Um das Jahr 1900 erkannten schließlich zahlreiche Nationen die Notwendigkeit von speziell ausgerüsteten und ausgebildeten Gebirgseinheiten und die ersten Gebirgstruppen wurden in Dienst gestellt. 1872 wurden die italienischen Alpini aufgestellt, 1887 die Chasseur Alpin in Frankreich, 1907 die kaiserlich – königliche Gebirgstruppe Österreich – Ungarns und 1914 das Königlich Bayerische Schneeschuh Bataillon, ein späterer Bestandteil des Alpenkorps [10][17]
Moderner Gebirgskampf
Erster Weltkrieg
Der Erste Weltkrieg veränderte das Gesicht des (Gebirgs-)Kriegs durch enormen technischen Fortschritt und hoch entwickelte Waffensysteme für immer. Es war das erste Mal in der Weltgeschichte, dass sich riesige Armeen über Jahre hinweg in einem rücksichtslosen statischen Grabenkampf gegenüberstanden – so auch am Alpenbogen, wo eine fast 1 000 Kilometer lange Frontlinie mit über Monaten nahezu unveränderten Verläufen errichtet wurde. Zivile Bergführer mit militärischer Zusatzausbildung und speziell ausgebildete Gebirgstruppen hoben die Kriegsführung in zuvor als nicht beherrschbar eingestuftes Gelände (Abbildung 1). Kälte, Steinschlag, Lawinen, Unterernährung und sehr schlechte hygienische Bedingungen verursachten oftmals mehr Opfer als die Feindwirkung.
Abb. 1: Auf der Bergflanke im Vordergrund ist eine zerfallene und ausgesetzte Stellung in den Ortler Alpen erkennbar. Im Hintergrund ist die Ostflanke der Königsspitze und der Ortler zu sehen.
Doch auch abseits der Alpen kam es zu Auseinandersetzungen im Gebirge. Im Kaukasus starben 78 000 von 90 000 türkischen Soldaten im Kampf gegen die russische Armee an Kälte, Unterernährung, Erkrankungen wie Skorbut und nicht zuletzt durch den Einfluss der Höhe [5][12][24]. Auch in den Karpaten kam es in der sogenannten Winterschlacht 1914/15 zu verlustreichen Kämpfen. Bei dem Unterfangen, 130 000 belagerte Soldaten der k. u k. Monarchie Österreich-Ungarns zu entsetzen, kam es zu sechsmal so vielen Opfern wie die Anzahl der eingeschlossenen Soldaten. Die meisten Todesfälle wurden durch die harschen Umweltbedingungen verursacht. Rückblickend war keine der Konfliktparteien auf eine winterliche Auseinandersetzung im Gebirge vorbereitet [37].
Zweiter Weltkrieg
Im Gegensatz zum Ersten Weltkrieg gab es während des Zweiten Weltkriegs keine statische Gebirgsfront. Dennoch wurden zahlreiche Kampfhandlungen im gebirgigen Terrain durchgeführt, unter anderem am Polarkreis, in Norwegen, Griechenland, dem Balkan, den Karpaten, den Westalpen und Südfrankreich. Besonders erwähnenswert ist die Operation Edelweiß. Im Sommer 1942 versuchten Gebirgsjäger, die Ölvorkommen bei Baku am Schwarzen Meer einzunehmen und überquerten hierzu weite Teile des Kaukasus unter teils widrigen klimatischen Bedingungen (Abbildung 2). Ihr Vorstoß konnte etwa 40 km vor Erreichen der Ölfelder durch die Sowjetarmee gestoppt werden [12][24][26][31]. In den italienischen Apenninen durchlebte die US-amerikanische 10th Mountain Division ihre Feuertaufe, als sie nachts einen 600 m hohen Steilhang überwand und deutsche Stellungen im Bereich des Mt. Belvedere einnahm. Die 10th Mountain Division wurde speziell für den Kampf im schwierigen Gelände aufgestellt und ihre Soldaten dahingehend rekrutiert, ausgebildet und ausgerüstet [12][36].
Weitere Kriege im 20. und 21. Jahrhundert
Abgesehen vom Ersten und Zweiten Weltkrieg kam es im Laufe des 20. Jahrhunderts weltweit zu zahlreichen bewaffneten Auseinandersetzungen im Gebirge. In Anbetracht der großen Anzahl ist es unmöglich alle militärischen Operationen mit Charakteristika des Gebirgskampfs aufzuzählen. Einige Beispiele sind der Rückzug der US Truppen vom Changjin-Stausee im Koreakrieg [12][21][24], der Mau-Mau-Aufstand in den Wäldern des Mount Kenya und der Aberdare Range [6], der britische Radfan Feldzug im südjemenitischen Unabhängigkeitskrieg 1964 [13] oder der Falklandkrieg 1982, der teilweise im stark vergletscherten und bergigen Südgeorgien (etwa 1 300 km südöstlich der Falklandinseln gelegene Inselgruppe) ausgetragen wurde [13][30]. Der überwiegende Anteil wurde jedoch auf den Falklandinseln ausgefochten, mit einer Maximalhöhe von lediglich 708 m. Das außergewöhnlich nasskalte und stürmische Wetter verursachte eine erhebliche Anzahl von Kälteschäden [13][24]. Nicht vergessen werden dürfen der Drogenkrieg und die linksradikalen Guerilla-Bewegungen in Südamerika, der latent schwelende Konflikt zwischen Nepal und Indien über die Trinkwasservorräte des Himalaya, der Tschetschenien-Konflikt [19] und der Bürgerkrieg der Democratic Allied Forces im Ruwenzori Gebirge in Uganda [35].
Die höchste Dichte von Militäreinsätzen im Gebirge findet sich jedoch in Zentralasien und den angrenzenden Regionen. So griff 1962 China Indien unerwartet an. Chinas Truppen waren gut ausgerüstet und akklimatisiert, die indische Armee hatte hingegen hunderte Tote auf Grund der Auswirkungen von Höhe und Kälte zu verzeichnen [29]. Im Jahre 1947, kurz nach der Unabhängigkeit von Großbritannien, erhoben sowohl Indien als auch Pakistan Anspruch auf Kaschmir. Zahlreiche Kriege wurden bereits um dieses Stück Land ausgetragen – ein Territorialkonflikt, der bis heute nicht beigelegt ist [12]. Bisheriger Höhepunkt ist der Siachen-Konflikt in Ost-Kaschmir (1984 bis in die Gegenwart) mit bis auf 6 447 m lokalisierten Militärposten und der höchsten bekannten Militäroperation weltweit [12][17][29]. 1988 bestieg ein pakistanischer Erkundungstrupp den Gipfel des Sia Kangri (7 422 m) unter indischem Beschuss [33]. 1978 besetzte Russland Afghanistan und musste sich nach 10 Jahre dauernden schwersten Kämpfen zurückziehen [12][29]. Im gegenwärtigen Kampf gegen den Terrorismus steht Afghanistan seit Jahren wieder im Fokus. Während der Operation Enduring Freedom und den Einsätzen der International Security Assistance Force und der Resolute Support Mission kam es zu zahlreichen Gefechten in über 3 000 m Höhe; darunter dürfte die Operation Anaconda am bekanntesten sein [20][25][29][33].
Abb. 2: Der Elbrus (5 642 m), höchster Gipfel des Kaukasus, wurde während des Zweiten Weltkriegs von Gebirgsjägern erstiegen.
Definition des Gebirgskampfs
Auf Grund der großen Anzahl ist eine vollständige umfassende Aufzählung aller Gebirgskampfereignisse nahezu unmöglich, weshalb der vorstehende historische Abriss auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Wesentlich erscheint uns aber die Beantwortung der Frage, wie Gebirgskampf genau definiert werden kann? Schon allein die Festlegung, was denn ein Berg ist, ist uneinheitlich und schwierig; folgerichtig ist es noch schwieriger den Begriff Gebirgskampf sinnvoll zu definieren [26]. Zur Definition eines Berges oder Gipfels wird oft die Höhe, Steilheit, Dominanz oder Schartenhöhe bemüht. Jedoch sind Erhebungen, die im Flachland als Berg bezeichnet werden, in Gebirgsregionen oftmals nur Hügel [28]. Eine weltweit gültige Festlegung existiert nicht.
Wir schlagen eine Definition für den Begriff „Gebirgskampf“ vor, die versucht, den Besonderheiten des Überlebens und Kämpfens in dieser Klimazone gerecht zu werden, um damit militärischen Planern die Relevanz des Geländes und der rauen Umweltbedingungen nahezubringen [14]:
Gebirgskampf ist eine militärische Operation in einem Gelände, welches mindestens Höhenunterschiede von 300 m und zusätzlich Besonderheiten im Gelände, des Klimas oder der Höhenlage aufweist.
Tabelle 1 gibt eine Übersicht über die Definition des Gebirgskampfes und dessen Teilaspekte.
Bei Überschreiten der in Tabelle 1 angegebenen Grenzwerte sind spezielle Ausbildung und Ausrüstung erforderlich, um die Besonderheiten der Umweltbedingungen kompensieren zu können. Umweltbedingungen unterhalb der Grenzwerte können in der Regel durch querschnittlich ausgebildete und ausgerüstete militärische Kräfte bewältigt werden. Die angegebenen Grenzwerte sind nicht absolut, sondern als fließender Übergangsbereich zu verstehen.
Tab. 1: Definition des Gebirgskampfs und dessen Teilaspekte [14]
Die Kletterschwierigkeit UIAA II (Union International des Associations d’Alpinisme II) beschreibt eine mäßig schwere Kletterei, die Klettern mit der sogenannten Drei-Punkt-Regel erforderlich macht (dabei sind immer 3 Gliedmaßen an Haltepunkten fixiert, wodurch sich der Körper in einer stabilen Position befindet. Nur eine Hand oder ein Fuß wird zum Weitergreifen oder -steigen bewegt bzw. zum Einhängen des Seils verwendet) [38].
Beispiele für Geländezüge, in denen überwiegend querschnittliche Infanteriekräfte eingesetzt werden können, sind die deutschen Mittelgebirgslandschaften, in denen weder besondere Ausrüstung noch besondere Ausbildung notwendig sind. Beispiele für Militäreinsätze, die nicht als Gebirgskampf gelten, jedoch wesentliche Teilaspekte von diesem aufweisen sind unter anderem die Angriffe der British Commandos an der französischen Steilküste der Normandie im Zweiten Weltkrieg (Kampf im schwierigen Gelände), der Sowjetisch-Finnische Winterkrieg 1939/ 1940 oder Napoleon’s Russlandfeldzug 1812 (Winterkampf bzw. Kampf in Polarregionen) [12][13][24][26]. 1904 kam es während der militärisch begleiteten diplomatischen Mission von Younghusband in Tibet zu dokumentierten Gefechten in mehr als 5 500 m Höhe– eine Höhenlage, die durch europäische Streitkräfte bis dato nicht erreicht worden war. [12][29] Die Annexion Tibets durch China 1950 ist ein weiteres Beispiel für Kampf in großen und extremen Höhen [12]. Die Gefechte wurden in großer Höhe auf dem Tibetischen Hochland ausgetragen, jedoch ohne nennenswertes Höhenprofil.
Auch wenn jedes dieser Ereignisse militärhistorisch von herausragender Bedeutung ist, fällt keines in die Kategorie des Gebirgskampfs, wenngleich Einzelaspekte des Gebirgskampfs vorhanden sind und eine intensive Ausbildung und besondere Ausrüstung unumgänglich waren.
Erkenntnisse aus der Geschichte
„The task of mountain troops is to fight in some of the world’s most forbidding terrain, against and among mountain people.“
J. Matloff, 2017 [19]
In der Geschichte finden sich zahlreiche militärische Operationen im Gebirge. Um bei möglichen zukünftigen Einsätzen bestmöglich auf die Herausforderungen dieser Klimazone vorbereitet zu sein, ist es unumgänglich bisherige Ereignisse auszuwerten. Die Theorie des Gebirgskampfs wurde aus taktischer, operationeller und strategischer Sicht nicht erst seit Clausewitz umfassend bewertet [2][98][17][32]. Aus dem Blickwinkel der sanitätsdienstlichen Versorgung existieren jedoch bedeutend weniger Analysen oder operationell-strategische Verfahrensanweisungen.
PIERCE stellt in seiner Abhandlung fest, dass „Konflikte zunehmend in Bergregionen […] auftreten“ [26]. Nach Untersuchungen der Ernährungs und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) sind „Bergvölker von Konflikten in einem Ausmaß betroffen, das in keinem Verhältnis zu ihrer Bevölkerungszahl und den von ihnen bewohnten Regionen steht“. Die FAO wertet es als alarmierende Tatsache, „dass die Konflikte in Bergregionen in den letzten 50 Jahren stark zugenommen haben.“[8] Berge bedecken ungefähr ein Viertel der Erdoberfläche, doch nur etwa 10 % der Weltbevölkerung lebt in bergigen Regionen [19]. 2002 wurden 23 der in diesem Jahr dokumentierten 27 bewaffneten Konflikte in Bergregionen ausgetragen [28].
Für dieses Missverhältnis gibt es zahlreiche Gründe. Zunächst sind Gebirgsregionen Zufluchtsorte für Unabhängigkeitsbewegungen und Terrororganisationen [19][23]. MATLOFF begründet das Konfliktpotential von Bergregionen zudem damit, dass gerade dort ethnische Minderheiten leben, da die topografischen Gegebenheiten die Entwicklung isolierter Bevölkerungsgruppen mit einer eigenen Kultur, eigenen Traditionen und eigener Sprache fördern. Die Bedürfnisse dieser kleinen ethnosozialen Gemeinschaften werden jedoch von den Regierungen der zugehörigen Staaten oftmals nicht anerkannt, da die Mehrheit der Bevölkerung von Flächenstaaten eben nicht dieser Minderheit angehört [19]. Des Weiteren entspringen in Bergregionen viele Flusssysteme, welche für das angrenzende Flachland von fundamentaler Bedeutung sind. Streitigkeiten über die Wasserversorgung werden an der Quelle und somit im Bergland ausgetragen [19]. Abschließend stellen Berge eine natürliche Grenze dar, mit der Konsequenz, dass Grenzkonflikte zwangsläufig im Gebirge ausgetragen werden [19].
Zusammenfassend werden militärische Einsätze in Gebirgsregionen immer wahrscheinlicher. Dies stellt alle Führungsgrundgebiete in allen Organisationsbereichen der Bundeswehr vor Herausforderungen und betrifft insbesondere die Mobilität sowie die sanitätsdienstliche Versorgung.
Sanitätsdienstliche Versorgung
Betrachtet man bisherige Gebirgskampfszenarien, so fällt auf, dass ein Großteil der Ausfälle nicht auf Feindwirkung, sondern auf die vorherrschenden Umweltbedingungen zurückzuführen ist (Tabelle 2). In den von uns ausgewerteten Einsätzen beträgt dieser Anteil bis zu 90 % [29].
Tab. 2: Ausfälle bei ausgewählten Gebirgskampfereignissen im Hinblick auf die Umwelteinflüsse (ergänzt nach [34] und [14])
*AMS: Acute Mountain Sickness (Akute Bergkrankheit)
Für die sanitätsdienstliche Versorgung bedeutet dies, dass zusätzlich zu den Gefechtsverletzungen ein großer Anteil an Verletzungen und Erkrankungen zu erwarten sind, die im Hinblick auf die Prävention und Behandlung, jedoch auch auf die Ausbildung der Sanitätssoldaten und die mitzuführende medizinische Ausrüstung erheblichen Einfluss haben (Tabelle 3).
Tab. 3: Die häufigsten Erkrankungen und Verletzungen im Gebirge und die zugrundeliegenden Umweltfaktoren (adaptiert nach [14])
*AMS: Acute Mountain Sickness (Akute Bergkrankheit); HACE: High Altitude Cerebral Edema (Höhenhirnödem); HAPE: High Altitude Pulmonary Edema (Höhenlungenödem)
Einzelheiten zur Prävention, Diagnostik und Therapie dieser Krankheits- und Verletzungsbilder, auch hinsichtlich militärischer Besonderheiten, sind regelhaft nicht Bestandteil der Ausbildung des Sanitätssoldaten und erfordern eine spezifische Weiterbildung 1 (medizinische Details, auch bezüglich militärischer Besonderheiten, siehe [15] und [16]). Dabei ist zu beachten, dass mit zunehmender Entfernung vom Äquator bereits bei sehr geringen Absoluthöhen ein raues Gebirgsklima vorherrscht, wie man an der Anzahl der Kälteschäden im Falklandkrieg beeindruckend erkennen kann. Dies wird von Mitteleuropäern im Rahmen militärischer Planungsprozesse oftmals unterschätzt, da sie lediglich gemäßigte Breiten gewöhnt sind.
Generell ist Alpinismus mit steigender Schwierigkeit und insbesondere Höhenbergsteigen von Natur aus mit einer erheblichen Anzahl von Verletzten und auch Toten assoziiert [39][40]. Neben einigen gebirgsspezifischen Erkrankungs- und Verletzungsbildern ist zusätzlich das Risiko für verschiedene Erkrankungen, die auch in niedrigen Höhen vorkommen können, im Gebirge erhöht. Zudem besteht aufgrund der grundsätzlichen Unterschiede zwischen dem zivilen Bergsteigen und dem militärischen Einsatz im Gebirge für Soldaten ein erhöhtes Risiko für Höhenerkrankungen und anderen gebirgsspezifischen Verletzungs- und Krankheitsbilder (Tabelle 4). Dies liegt hauptsächlich an einem schnelleren Höhengewinn, einem längeren Verbleib in der Höhe und erschwerter Akklimatisation.
Tab. 4:Unterschiede zwischen zivilem Bergsteigen und militärischem Einsatz im Gebirge [14].
Faktor Mobilität
Klimabedingungen und Geländestruktur haben jedoch nicht nur auf Anzahl und Art von Verletzten, Verwundeten und Erkrankten einen erheblichen Einfluss. Sie beeinflussen auch maßgeblich die Mobilität der eingesetzten Truppen [26]. Eine hohe Mobilität war bereits in der Schlacht bei den Thermopylen oder den Siegen der Eidgenossen im 14ten und 15ten Jahrhundert ein Schlüsselfaktor, der über Sieg oder Niederlage entschied [7][17]. Mit der Mobilität sind aber zeitgleich auch Logistik und Transport betroffen, was zu überdehnten Versorgungsketten führt. Erschwerend kommt hinzu, dass Zusatzausrüstung, wie besondere Bekleidung und Bergausrüstung, notwendig ist und dass einige Versorgungsgüter mit zunehmender Höhe einem vermehrten Verbrauch unterliegen, beispielsweise Brennstoff und Wasser [9].
In Bezug auf den Sanitätsdienst betrifft dies sowohl den Nachschub mit Versorgungsgütern als auch den Verwundetentransport bzw. die Mobilität der eigenen Kräfte. Einige Historiker führen an, dass Hannibal während seiner Alpenüberquerung deutlich unterlegene Feindkräfte nicht attackierte, da eventuell anfallende Verwundete seinen Vormarsch im schwierigen Gelände erheblich verlangsamt hätten [4]. Dies zeigt auf, dass Patientenversorgung und Transport zwangsläufig mit Bewegungen im Gelände verknüpft sind [17]. Eine Marschzeitberechnung muss daher alle Führungsgrundgebiete übergreifend zwingend angepasst werden, da sowohl Geländerelief als auch Oberflächenbeschaffenheit, Wetterbedingungen und Höhenlage die Marschleistung dramatisch reduzieren können (Details zu einer angepassten Marschzeitberechnung in [16]).
Damit Unterstützungselemente (inklusive der Sanitätskräfte) ihrem Auftrag nachkommen können, müssen Sie den eingesetzten Kräften zwingend folgen können – idealerweise eigenständig, um möglichst wenig andere Kräfte zu binden. Dies erfordert zum einen die Ausstattung mit der notwendigen persönlichen und sonstigen Ausrüstung, die sich an der zu versorgenden Truppe orientieren muss. Zum anderen ist eine angemessene Bewegungskompetenz im Gelände unabdingbar. Diese Verbringungsausbildung ist jedoch sehr zeitintensiv und wird, bezogen auf die umfassende Ausbildung eines Gebirgssoldaten, teilweise mit bis zu 10 Jahren beziffert [36]. Ein russisches Programm während des sowjetisch-afghanischen Krieges zur Ausbildung von Ärzten für Hochgebirgseinsätze beinhaltete 900 Stunden Ausbildung, davon 108 Stunden für medizinische Themen (etwa 1/3 theoretische und 2/3 praktische Ausbildung) und 792 Stunden Bergsteigertraining mit lediglich 47 Stunden Theorie [9]. Zivile ein- bis dreiwöchige Ausbildungsangebote wie das „Diploma in Mountain Medicine“ und/oder das „Diploma in Wilderness and Expedition Medicine“ sind sicherlich geeignet, eine solide Grundlage vor allem bezüglich medizinischer Inhalte zu schaffen. Jedoch sind sie nur auf ärztliches Personal und nicht auf medizinisches Assistenzpersonal zugeschnitten, militärische Aspekte der Alpin- und Höhenmedizin fehlen gänzlich und eine Fähigkeit zum selbstständigen und vor allem sicheren Bewegen im Gebirge wird nach Ansicht der Autoren nicht im erforderlichen Ausmaß erreicht.
Eine Möglichkeit, die umwelt- und geländebedingten Einschränkungen zu überwinden, sind beispielsweise Lastentiere. Auch in aktuellen Konflikten, exemplarisch zu Beginn des Afghanistankonflikts, kamen diese sowohl zum Transport von Versorgungsgütern als auch zum Verwundetentransport zum Einsatz [1][9]. Primäre Transportmittel im gebirgigen Gelände sind heutzutage unbestritten Hubschrauber. Sie erleichtern den Güter- und Truppentransport erheblich und ermöglichen es, auch alpinistisch unzureichend ausgebildetes Personal in entlegene Regionen zu transportieren [17]. Aufgrund starker Winde, schlechter Sicht, der höhenbedingten Leistungsreduktion und ausgesetzter Landezonen sowie nicht zuletzt der feindlichen Bedrohung ist ihre Verwendung im militärischen Gebirgseinsatz aber oft nur eingeschränkt möglich [9][17]. Eine Versorgung über Kraftfahrzeuge ist prinzipiell ebenfalls möglich, jedoch stark abhängig von den vorherrschenden Straßenverhältnissen und der höhenbedingten Leistungsreduzierung von Dieselmotoren. Allerdings gibt es weltweit zahlreiche Regionen mit befahrbaren Straßen über 4 000 m Höhe, teilweise auch bis über 5 000 m Höhe. Durch einen schnellen Höhengewinn erhöhen sie jedoch, analog zum Hubschraubereinsatz, das Risiko für potenziell letale Höhenerkrankungen erheblich [18]. Die gesteigerte Mobilität ist der entscheidende Unterschied zu Konflikten in großen Höhen in der Vergangenheit. Während des Alpenkriegs oder Younghusbands militärischer Expedition nach Tibet spielten Höhenerkrankungen eine untergeordnete Rolle, da durch den langsamen Höhengewinn genügend Zeit zur Akklimatisation zur Verfügung stand [12].
Drohnen haben in den letzten Jahren immens an Bedeutung gewonnen. Abgesehen von der Möglichkeit, Luftangriffe durchzuführen, können sie zur Nachrichtengewinnung im unwegsamen und unzugänglichen Gelände eingesetzt werden. Mit weiteren technologischen Fortschritten ist der Transport größerer Materialmengen ein denkbares zukünftiges Einsatzgebiet. Im Himalaya wurden bereits Drohnenflüge in Höhen über 8 000 m zur Aufklärung und Koordination bei Bergrettungseinsätzen und für die Lieferung von kleinen Mengen an überlebenswichtigen Medikamenten auf fast 7 000 m durchgeführt [27]. Im Alpenraum ist eine Drohnenunterstützung bei Bergrettungseinsätzen mittlerweile keine Ausnahme mehr.
Die Eigenheiten der Klimazone Gebirge haben jedoch zur Folge, dass menschliche Lastenträger mitunter das einzig zuverlässige Mittel zur Versorgung von Truppenteilen sind [9]. Im Zweiten Weltkrieg erfolgte beispielsweise der Verwundetentransport im Gebirgssanitätsdienst trotz enormer technischer Fortschritte überwiegend improvisiert, was einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Letalität hatte [22]. Dies erfordert gerade von den eingesetzten Sanitätskräften als Grundvoraussetzung einen hohen Grad an körperlicher Leistungsfähigkeit und das Beherrschen von Seilmanövern und Sicherungstechniken [9].
Um den Besonderheiten des Kampfs im Gebirge gerecht zu werden, gibt es heute in vielen Streitkräften spezielle Gebirgsinfanterieeinheiten. Dem entgegenstehend scheint das Bewusstsein für die Notwendigkeit von gebirgsgängigen Unterstützungskräften oft nicht besonders stark ausgeprägt. Folglich sind Einheiten zur medizinischen Versorgung im Gebirge, die eine abgestimmte medizinische und bergsteigerische Ausbildung durchlaufen haben und entsprechend ausgerüstet sind, selten. Angesichts der jahrelangen personellen und finanziellen Einschnitte im Militär westlicher Streitkräfte wurden bestehende Strukturen oftmals reduziert und erfordern nun einen zeit- und kostenaufwändigen Wiederaufbau. Aktuell ist die Versorgung im Gebirge vor allem vom Improvisationstalent und Erfindungsreichtum einzelner motivierter Sanitätssoldatinnen und -soldaten abhängig [22].
Abb. 3: Die Versorgung Verwundeter im Gebirgskampf wird beim Lehrgang „Gebirgsbefähigung Sanitätspersonal“ in Füssen trainiert.
Schlussfolgerungen
“Mountain and cold-weather warfare has a long history, and that history clearly demonstrates that those who ignore it are doomed to fail when fate places them in such an environment.”
Scott W. Pierce, 2008 [26]
Der technische Fortschritt veränderte zunächst das Bergsteigen, in der Folge auch den Krieg im Gebirge und damit zwangsläufig die Erfordernisse an die sanitätsdienstliche Unterstützung. Mittlerweile sind Gefechte in den höchsten Regionen der Welt unter den härtesten klimatischen Bedingungen nahezu allgegenwärtig. Viele Opfer sind auf unzureichende Planung, Ausbildung und Ausrüstung in Kombination mit den lebensfeindlichen Umweltbedingungen zurückzuführen, die durch militärische Planer oftmals unterschätzt wurden und immer noch werden. Die Analyse der Geschichte des Gebirgskampfes vermag jedoch ein Grundverständnis für die Einsatzbedingungen im Gebirge zu generieren.
Darüber hinaus muss eine fundierte sanitätsdienstliche Beratung der militärischen Führung beim Einsatz in der Klimazone „Höhe und Kälte“ erfolgen.
Auch eine Anpassung der Ausrüstung, die Fähigkeit, dem zu unterstützenden Truppenteil folgen zu können (Mobilität), und die fachliche Qualifizierung, um klimazonenspezifische Verletzungs- und Erkrankungsbilder gemäß aktuellen Leitlinien versorgen zu können, sind obligat. Das für den Gebirgseinsatz vorgesehene Sanitätspersonal muss deshalb sowohl spezifische Lehrgänge (u. a. Bergrettung Sommer und Winter, Heereshochgebirgsspezialist, Heeresbergführer, Höhenmedizin) durchlaufen als auch durch eine Truppenausbildung auf diese Aufgabe vorbereitet werden. Hierzu ist eine Integration der Sanitätselemente in die Ausbildungs- und Übungsvorhaben der zu unterstützenden Truppenteile unumgänglich. Aus Sicht der Autoren muss dieses mit organisatorischen und strukturellen Anpassungen einhergehen.
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Manuskriptdaten
Eingereicht: 14. September 2020
Nach Überarbeitung angenommen: 2. November 2020
Zitierweise
Lechner R, Staps S, Hossfeld B, Tannheimer M: Sanitätsdienstliche Aspekte des Gebirgskampfs – Lehren der Vergangenheit. WMM 2021; 65(1): 2-12.
Für die Verfasser
Oberfeldarzt Dr. Raimund Lechner
Bundeswehrkrankenhaus Ulm, Klinik X –Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie
Oberer Eselsberg 40, 89081 Ulm
E-Mail: raimundedgarlechner@bundeswehr.org
Manuscript data
Submitted: 14 September 2020
After revision accepted: 2 November 2020
Citation
Lechner R, Staps S, Hossfeld B, Tannheimer M: Medical aspects of mountain warfare – teachings of the past WMM 2021; 65(1): 2-12.
For the authors
Lieutenant Colonel (MC) Dr. Raimund Lechner
Bundeswehr Hospital Ulm, Depertament X – Anaesthesiology, Intensive Care, Emergency Medicine, Pain Therapy
Oberer Eselsberg 40, D-89081 Ulm
E-Mail: raimundedgarlechner@bundeswehr.org
1 Der Themenkomplex „Medizinische Versorgung im Gebirgseinsatz“ war für die Combat Medical Care Conference 2020 vorgesehen, die aufgrund der COVID-19-Pandemie nicht stattfinden konnte. Die Beiträge können unter <https://wehrmed.de/article/4117-das-cmc-e-paper.html> gelesen bzw. heruntergeladen werden.
1Zu diesem Thema wurde von den Autoren beim 8th European Hypoxia Symposiums (9.-11. September 2016) beim NATO Mountain Warfare Centre of Excellenc in Poljče, Slowenien, vorgetragen. Der Beitrag baut auf diesem Vortrag auf.
2 This article is based on a presentation given by the authors during the 8th European Hypoxia Symposium (9 to 11 September 2016) at the NATO Mountain Warfare Centre of Excellenc in Poljče, Sloweniea.