Wehrmedizinische Monatsschrift

Innereuropäische Aeromedical-Evacuation-Flüge
der Bundeswehr von COVID-19-Patienten (Vortragsabstract)

Janina Posta, b, Dennis Matthias Ritterc, Björn Hossfeldd, Oliver Maria Erleye, Stefan Sammitob, e

a Flugbereitschaft des Bundesministeriums der Verteidigung, Köln

b Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Bereich Arbeitsmedizin

c Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, Klinik X – Anästhesie, Intensivmedizin und Notfallmedizin

d Bundeswehrkrankenhaus Ulm, Klinik X – Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie

e Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe, Köln, Fachgruppe Forschung und Erprobung

 

Einleitung

Seit Ende 2019 führt das neuartige SARS-CoV-2-Virus – initial in der Volksrepublik China, nach schneller globaler Ausbreitung auch weltweit – zu der als COVID-19 bekannten Erkrankung. Am 11. März 2020 erklärte die WHO COVID-19 offiziell zur Pandemie. Im Februar 2020 kam es zu einem massiven Anstieg von COVID-19-Erkrankten auch innerhalb Europas, insbesondere waren Länder wie Italien, Frankreich und Spanien betroffen.

Im Rahmen der humanitären Hilfeleistung engagierte sich die Bundeswehr im Auftrag der Bundesrepublik Deutschland, außerhalb regulärer NATO- oder EU-Verpflichtungen, bei der Entlastung stark beanspruchter regionaler Krankenhäuser von europäischen Partnerländern. Vom 28. März bis zum 03. April 2020 wurden insgesamt 22 italienische und 2 französische an COVID-19 erkrankte, intensivpflichtige Staatsbürger mittels Flächenflugzeug (A310-304 MRTT, stationiert am Flughafen Köln-Bonn bei der Flugbereitschaft des Bundesministeriums der Verteidigung, bzw. A400M „Atlas“, stationiert am Fliegerhorst Wunstorf beim Lufttransportgeschwader 62) zur weiteren Behandlung nach Deutschland transportiert.

Erkenntnisse aus bisherigen Lufttransporten von intensivmedizinischen, lungenerkrankten Patienten lassen sich aufgrund der Neuartigkeit der COVID-19-Erkrankung nicht ohne weiteres übertragen. Deshalb wurde im Rahmen der COVID-19-Flüge fortlaufend und zeitnah durch das Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe in Zusammenarbeit mit den fliegenden Verbänden eine Analyse der Patientendaten durchgeführt, um bereits währenddessen Erkenntnisse für zukünftige Transporte zu gewinnen (siehe Abbildung 1). Das dabei gewählte Vorgehen wurde bereits an anderer Stelle publiziert [6][7].

Ziel dieser Studie ist eine deskriptive Beschreibung des transportierten Patientenkollektivs, der Veränderungen der Kreislauf- sowie der Beatmungssituation während des Fluges und einer vergleichenden Untersuchung in Abhängigkeit des Patienten-Outcomes. Hieraus sollen notwendige Maßnahmen, die bei der Einsatzplanung bedacht werden müssen, abgeleitet werden.

Methoden

Es erfolgte eine retrospektive Analyse der Intensivtransportprotokolle sowie weiterer vorhandener Dokumente (Patient-Movement-Request, Verlegungsbriefe, Flugzeiten) der Flüge, die die deutsche Luftwaffe mit den Flugzeugmustern A310-304 MRTT und A400M vom 28. März bis zum 03. April 2020 durchführte. Die Patientenauswahl erfolgte im Vorfeld der jeweiligen Flüge im Rahmen nationaler italienischer bzw. französischer Entscheidungen. Die Daten wurden in eine Datenmaske in die Statistik-Software IBM SPSS 24 für Microsoft Windows eingepflegt und anonymisiert deskriptiv statistisch ausgewertet, nachdem sie vorab auf inhaltliche Plausibilität überprüft worden waren. Fehlende Angaben wurden im Nachgang – soweit möglich – direkt beim medizinischen Personal erfragt. Die Angaben werden als Median mit Spannweite dargestellt. Der Vergleich der Vital- und Beatmungsparameter (zu Beginn des Fluges vs. zum Ende des Fluges) wurde mittels Wilcoxon-Rangsummentest bzw. Test nach McNemar für verbundene Stichproben mit einem primären Signifikanzniveau von p < 0,05 analysiert. Aufgrund der multiplen Testung wurde das Signifikanzniveau mittels der Bonferroni-Korrektur adjustiert (p* < 0,0036 bei 14 Parametern). Für den Gruppenvergleich hinsichtlich des Outcomes der Patienten (Entlassen vs. verstorben) wurde der Mann-Whitney-U-Test für unverbundene Stichproben bzw. Chi-Quadrat-Test verwendet, das Signifikanzniveau wurde nach Adjustierung auf p* < 0,006 festgelegt.

Für die Analyse war entsprechend der Vorgaben der Ethikkommission der Ärztekammer Nordrhein sowie nach Entscheidung der Ethikkommission der Medizinischen Fakultät der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg keine formale Beratung notwendig, da es sich um eine rein retrospektive Datenanalyse handelt.

Ergebnisse

Der Alters-Median der 24 Patienten lag bei 59,1 Jahren (Spannweite 46,0-71,1 Jahre). Fünfzehn Patienten (63 %) wiesen dokumentierte Vorerkrankungen auf, wobei differenzierte medizinische Dokumentationen (beispielsweise Arztbriefe, Krankenhausverlegungsberichte, o. ä.) lediglich bei 16 der 24 Patienten (67 %) zur Verfügung standen. Bei 22 Patienten konnte anhand der vorhandenen Daten der Beschwerdebeginn nachvollzogen worden. Dieser lag im Median bei 17,5 Tagen (Spannweite 6-35 Tage) vor dem luftgebundenen Transport. Alle Patienten waren beatmet und analgosediert. Endotracheal intubiert waren 19 Patienten (79 %), die übrigen 5 Patienten waren bereits tracheotomiert. Der Beginn der mechanisch-kontrollierten Beatmung lag im Median 9,5 Tage vor dem Transport (Spannweite 3-28 Tage). Alle Patienten (100 %) waren druckkontrolliert beatmet, im Median mit einem positiven-endexspiratorischen-Druck (PEEP) von 14,0 cm H2O. Während des Fluges kam es, mit Ausnahme einer zusätzlichen Katecholaminpflichtigkeit, die bei 9 Patienten aufgrund der Vertiefung der Narkose notwendig wurde, zu keinen signifikanten Veränderungen der Vital- und Beatmungsparameter. Es zeigte sich kein statistisch signifikanter Einfluss von bestehenden Vorerkrankungen, des Alters, des BMI sowie der Zeit der künstlichen Beatmung vor Flug bzw. Tage der ­COVID-­19-Erkrankung vor Flug auf die Mortalität der Patienten (p* jeweils > 0,006).

Abb. 1: Prozess der Datenauswertung sowie der zeitnahen Erstellung des entsprechenden Berichts und die Verteilung an die am Patiententransport (AE) beteiligten Stellen (aus [6])

Diskussion

Anhand der Analyse des transportierten Patientenkollektivs zeigte sich, dass es keine signifikanten Veränderungen der Kreislauf- und Beatmungssituation während des Transportes gab. Eine mögliche Erklärung dafür bietet die bei allen Patienten durchgeführte Vertiefung der Narkose vor Flugbeginn, um diese vor Stressoren während des Fluges (z. B. Beschleunigungskräfte bei Start- und Landung) besser abzuschirmen, die als risikopotenzierende Faktoren gelten [3][4]. Mit einer suffizienten Analgosedierung ließen sich zudem negative Einflüsse, wie etwa häufiges Umlagern bis zur Zielklinik und Lärmexposition während des Fluges, reduzieren [3].

Die kardiodepressiven Nebenwirkungen der Narkotika können jedoch eine erhöhte Gabe von Katecholaminen zur Unterstützung der Kreislaufsituation erforderlich machen, was auch durch andere Kollegen, die COVID-19-Intensivpatienten luftgebunden transportierten, bestätigt wird [6]. Die vorsorgliche Bereitstellung eines dritten Intensivteams im Luftfahrzeugt A310 (jeweils ein Intensivmediziner und ein Intensivpfleger), wodurch zwei anstelle üblicherweise drei Patienten von einem Intensivteam betreut wurden, erwies sich im Hinblick auf die kritische Gesamtsituation der Patienten als sinnvolle, bedarfsgerechte Maßnahme, v. a. in Bezug auf klinische Erkenntnisse, die Transporte als besonders komplikationsanfällige Phase in der Intensivmedizin beschreiben [4].

Abb. 2: Vorbereitung der Patientenübergabe am Zielflughafen Köln am 28. März 2020

Die vorliegende Analyse veranschaulicht, dass weder Vorerkrankungen, das Patientenalter, der BMI, die Zeitspanne der künstlichen Beatmung bis zum Flug, noch der Beginn der COVID-19-Erkrankung Auswirkungen auf die Mortalität bei der anschließenden stationären Behandlung hatten. Insofern eignen sich diese Parameter nicht, um im Sinne einer Selektion Patienten mit ungünstigem Outcome bevorzugt anderweitig zu transportieren. Dies deckt sich mit den Erkenntnissen anderer Autoren, die luftgebundene Transporte von Patienten mit ARDS prinzipiell für möglich halten [2] und postulieren, dass „nicht-transportfähige“- Patienten in der heutigen Medizin nicht mehr existierten [5].

Wie bereits POLOCZEK et al. zusammenfassen [4], besteht ein sicherer Transport von Intensivpatienten aus

Genau diese Vorgaben erfüllte die Bundeswehr mit den durchgeführten Aeromedical-Evacuation-Flügen von intensivpflichtigen COVID-19-Erkrankten zwischen dem 28. März und dem 03. April 2020.

Limitationen

Die vorgestellten Ergebnisse beruhen auf einem kleinen Patientenkollektiv; die statistische Aussage ist dadurch eingeschränkt. Allerdings liegen zu diesen speziellen an COVID-19 erkrankten Intensivpatienten auch keine größeren Analysen vor.

Literatur

  1. Albrecht R, Knapp J, Theiler L, Eder M, Pietsch U: Transport of COVID-19 and other highly contagious patients by helicopter and fixed-wing air ambulance: a narrative review and experience of the Swiss air rescue Rega. Scand J Trauma Resusc Emerg Med 2020; 28(1): 1–6. mehr lesen
  2. Jahn N, Voelker MT, Bercker S, Kaisers U, Laudi S: Interhospitaltransport von Patienten mit ARDS. Anaesthesist 2017; 66(8): 604–613. mehr lesen
  3. Lang M: Funktion von Beatmungsgeräten unter den simulierten Kabinendruckbedingungen in Militärluftfahrzeugen. WMM 2003; 47(1): 13–17.
  4. Poloczek S, Madler C: Transport des Intensivpatienten. Notfall & Rettungsmedizin 2000; 3(7) :445–446. mehr lesen
  5. Poloczek S. Interhospitaltransfer von Intensivpatienten. Anästhesiologie & Intensivmedizin 2000; 41: 757–762 . mehr lesen
  6. Sammito S, Post J, Kohl M.T., Marquardt S, Moll T, Ritter DM et al.: Hilfe auf dem Luftweg: Innereuropäische Lufttransporte im Rahmen der COVID-19 Pandemie- Optimierung auf Basis einer wissenschaftsbasierten interdisziplinären Analyse. WMM 2020; (S1): e13. mehr lesen
  7. Sammito S, Post J, Ritter DM, Hossfeld B, Erley OM: Innereuropäische Aeromedical-Evacuation-Transporte im Rahmen von COVID-19. Der Notarzt 2020; 36(05): 263-270.doi: 10.1055/a-1208-4806. mehr lesen
  8. Wernecke S, Lührs J, Hossfeld B: Das Strategic-Aeromedical-Evacuation-System der Bundeswehr : Langstreckenlufttransport als intensivpflegerische Herausforderung. Med Klin Intensivmed Notfmed 2019; 114(8):752–758. mehr lesen

Manuskriptdaten

Zitierweise

Post J, Ritter DM, Hossfeld B, Erley OM, Sammito S: Innereuropäische Aeromedical-Evacuation-Flüge der Bundeswehr von COVID-19-Patienten (Vortragsabstract). WMM 2020; 64(12): 30Y-32.

Für die Verfasser

Oberstabsarzt Janina Post

Flugbereitschaft des Bundesministeriumns der Verteidigung

Flughafenstraße 1, 51147 Köln

E-Mail: janinapost@bundeswehr.org

Vortrag beim Wettbewerb um den Heinz-Gerngroß-Förderpreis der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie e. V. am 23. Oktober 2020 in Rostock-Warnemünde.