Wehrmedizinische Monatsschrift

VOM 51. JAHRESKONGRESS DER DGWMP E. V.

Ausgewählte Vorträge, Poster und Berichte aus Arbeitskreisen

Der 51. Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie e. V. (DGWMP e. V.) fand am 23. und 24. Oktober 2020 in Rostock-Warnemünde statt. Ein ausführlicher Tagungsbericht sowie die Abstracts der Beiträge aus dem Nachwuchswettbewerb um den Heinz-Gerngroß-Förderpreis wurden in der Ausgabe 1-2021 der Wehrmedizinischen Monatsschrift veröffentlicht (siehe hierzu auch unter http://wmm-online.de).

Im Folgenden werden Extended Abstracts von aus­gewählten Vorträgen und Postern sowie Berichte aus ­Arbeitskreisen der DGWMP e. V. vorgestellt.

Corona – die Stunde der Betriebsärzte
(Vortrags-Abstract)

René Milfeit a

a Überwachungsstelle für öffentlich-rechtliche Aufgaben des Sanitätsdienstes der Bundeswehr NORD, Kronshagen

 

Hintergrund

Mit Beginn der SARS-CoV-2-Pandemie im Frühjahr 2020 sah sich die Überwachungsstelle für öffentlich-rechtliche Aufgaben des Sanitätsdienstes der Bundeswehr Nord (ÖRA Nord) Herausforderungen schier unüberschaubaren Ausmaßes gegenüber. Eine sehr hohe Anzahl von Kontaktpersonen-Ermittlungen im Rahmen der Infektionsketten-Verfolgung und Unterbrechung in den Einheiten und Dienststellen im Zuständigkeitsbereich machte es erforderlich, das gesamte Personal der ÖRA Nord mit allen Abteilungen an dieser Aufgabe zu beteiligen.

Nach Beendigung der ersten Lockdown-Phase zeichnete sich immer klarer ab, dass mit Wiederaufnahme des Dienstbetriebes unter Pandemiebedingungen den Arbeits- bzw. Betriebsmedizinern eine entscheidende Rolle – auch im Infektionsschutz – zukommt.

Infektions- und Arbeitsschutz

Während die Maßnahmen des Infektionsschutzes darauf abzielen, die unkontrollierte Ausbreitung des Krankheitserregers mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln – bis hin zu Einschränkungen der persönlichen Freiheit – zu verhindern, ist es Aufgabe des Arbeitsschutzes, das Risiko für den einzelnen Beschäftigten hinsichtlich einer Infektion am Arbeitsplatz zu minimieren.

Gesetzliche Regelungen

Die Bundeskanzlerin hat am 15. April 2020 mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Bundesländer festgelegt, dass durch jedes Unternehmen ein geeignetes Hygienekonzept umgesetzt werden muss. Dabei reicht es aus, dem SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard (CoVArbSchSt, Bundesministerium für Arbeit und Soziales – BMAS – v. 16. April 2020) sowie den entsprechenden branchenspezifischen Konkretisierungen der Unfallversicherungsträger (UVT) zu folgen. Die Erstellung eines eigenen Hygienekonzeptes ist nicht erforderlich.

Der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard wurde zwischenzeitlich durch die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel (CoVArbSchR, BMAS, 20. August 2020) konkretisiert, bei der die Vermutungswirkung gilt: Wenn der Arbeitgeber die Regel befolgt, kann er davon ausgehen, dass die Anforderungen an den Arbeitsschutz erfüllt sind. Durch die CoVArbSchR wird die Rechtssicherheit für alle betrieb­lichen Akteure erhöht.

Aufgaben des Arbeitgebers

Der Arbeitgeber bzw. Dienststellenleiter hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung gem. § 5 Abs. 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) zu ermitteln, welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. Die sogenannte Gefährdungsbeurteilung stellt das zentrale Element zur Auswahl geeigneter Schutzmaßnahmen im Arbeitsschutz dar, sie ist für jeden Arbeitsplatz zu erstellen und regelmäßig zu aktualisieren. Diese ist in der aktuellen Pandemie-Situation um die Gefährdung durch SARS-CoV-2 anhand CoVArbSchSt/CoVArbSchR zu ergänzen.

Expertise der Betriebsärzte gefragt

Im Internet stehen branchenspezifische Hinweise sowie Muster-Gefährdungsbeurteilungen zur Verfügung und können als Hilfestellung für die eigenen Dokumente genutzt werden. Die Betriebsärzte sind die Experten, die die Betriebe, Einheiten und Dienststellen über Hygieneregeln, die Inhalte von CoVArbSchSt sowie CoVArbSchR usw. informieren. Durch ihre spezielle Ausbildung sind sie in der Lage, besonders schutzbedürftige Beschäftigte vor dem Hintergrund der Kenntnisse der Arbeitsplätze sowie des individuellen Gesundheitszustandes zu beraten und dem Arbeitgeber wichtige Hinweise zu entsprechenden Schutzmaßnahmen zu geben.

Das BMAS hat als Handreichung für die Betriebsärzte die Arbeitsmedizinische Empfehlung „Umgang mit aufgrund der SARS-CoV- 2-Epidemie besonders schutzbedürftigen Beschäftigten“ herausgegeben, die die individuelle Beratung in Bezug auf spezielle Krankheitsbilder erleichtern soll. Die Herausgabe der Empfehlung ist u. a. auch deshalb zu begrüßen, weil der Begriff „Risikogruppe“ im Zusammenhang mit der SARS-CoV-2-Pandemie von den verschiedenen Protagonisten zwar sehr häufig genutzt, jedoch sehr unterschiedlich ausgelegt wird, ohne dass Präzisierungen in Form von Diagnosen vorliegen. Diese Beratungen, erforderlichenfalls unter Zuhilfenahme der Empfehlung, sollen individuellen Schutzmaßnahmen, z. B. durch Umgestaltung des Arbeitsplatzes, ermöglichen, um das Infektionsrisiko für den Betroffenen zu minimieren (Minimierungsgebot). Denkbar sind z. B. Installation von Schutzbarrieren zwischen Arbeitsplätzen, die Unterbringung in einem Einzelbüro, Entsendung ins Homeoffice und vieles mehr.

Länder, Unfallversicherungsträger und Bund haben vereinbart, in den nächsten Monaten bei ihrer Beratung und Aufsichtstätigkeit einen deutlichen Schwerpunkt auf die Umsetzung der speziellen Regelungen zum Infektionsschutz am Arbeitsplatz zu legen. Hierbei richtet sich der Fokus besonders auf Abstandsregelungen, Regelungen für Lüftungssysteme und allgemeine Hygienevorschriften. Ziel ist es, Mängel konsequent abzustellen und erforderlichenfalls Rechtsverstöße auch zu sanktionieren.

(Leitlinie zur Beratung und Überwachung während der SARS-CoV-2-Epidemie, Gemeinsame
Deutsche Arbeitsschutzstrategie, 31.August 2020).

Betriebsärzte gefordert

Im Rahmen der Besichtigungs- und Beratungstätigkeit als öffentlich-rechtliche Aufsichtsbehörde im medizinischen Arbeitsschutz musste seitens des Arbeitsschutzarztes Nord im Zuständigkeitsbereich immer wieder festgestellt werden, dass die Beteiligung der zuständigen Betriebsärzte durch die Dienststellen an den Maßnahmen zum Infektionsschutz am Arbeitsplatz der Verbesserung bedarf.

Einheiten und Dienststellen, die durch zivile Leistungserbringer versorgt werden, müssen die Beratungstätigkeiten (gem. § 3 Arbeitssicherheitsgesetz, ASiG) konsequent unter Hinweis auf die vertraglich festgeschriebene Leistungserbringung einfordern.

„Uniformierte“ Betriebsärzte dürfen nicht ins Homeoffice geschickt werden, wenn sie vor Ort für Planung und Umsetzung und kontinuierliche Weiterentwicklung der Arbeitsschutzmaßnahmen dringend benötigt werden. Wunschvorsorge ist zu ermöglichen, Angebotsvorsorge, wo erforderlich, gemäß Gefährdungsbeurteilung zu realisieren.

Die konsequente „Nutzung“ betriebsärztlicher Expertise ermöglicht die Entlastung von ebenfalls hoch beanspruchten Leistungserbringern der Gesundheits­ver­sorgung, z. B. von Truppenärzten der Regionalen ­Sanitätseinrichtungen oder Amtsärzten der Überwachungsstellen. Die Einbindung ermöglicht den Dienststellenleitern den verantwortungsvollen und rechtskonformen Umgang mit den Personen, die sich als Angehörige der „Risikogruppe“ wähnen.

COVID-19: Arbeitsunfall/Berufskrankheit?

Eine Infektion mit dem SARS-CoV-2 Virus kann als Arbeitsunfall eingestuft werden, wenn diese auf eine nachweislich mit dem Virus infizierte Person (Indexperson) zurückzuführen ist. Dieses setzt den intensiven Kontakt zur Indexperson voraus, Dauer und Intensität des Kontaktes sind hierbei von entscheidender Bedeutung. Im Einzelfall kann auch ein nachweislich massives Infek­tionsgeschehen im Betrieb (sog. Ausbruchsgeschehen) als ausreichend gewertet werden. Für Beschäftigte im Gesundheitswesen kommt auch eine Anerkennung als Berufskrankheit (BK) in Frage. In diesem Fall ist nachzuweisen, dass Kontakt zu Infizierten im Rahmen der beruflichen Tätigkeit vorhanden war sowie „relevante Krankheitserscheinungen“, einschließlich eines positiven PCR-Tests, vorgelegen haben.

Verfasser

Flottillenarzt Dr. René Milfeit

Überwachungsstelle für öffentlich-rechtliche Aufgaben

des Sanitätsdienstes der Bundeswehr NORD

Kopperpahler Allee 120, 24119 Kronshagen

E-Mail: renemilfeit@bundeswehr.org

 

Plenarvortrag beim 51. Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehpharmazie e. V. (23.-24. Oktober 2020, Rostock-Warnemünde)