Wehrmedizinische Monatsschrift

Grenzen der Beatmungsmedizin bei COVID-19 (Vortrags-Abstract)

Nour-Eddine El Mokhtari a

a imland Kliniken Rendsburg und Eckernförde – Kardiologie, Pneumonologie und Innere Medizin Rendsburg

 

Einleitung

Sehr bald nach Beginn der SARS-CoV-2-Pandemie Anfang 2020 erreichten uns beängstigende Nachrichten aus Wuhan (China) und wenig später aus Norditalien. Die Bilder und Berichte aus Krankenhäusern und Intensivstationen waren bedrohlich und alarmierend und riefen die berechtigte Sorge hervor, Patienten nicht adäquat behandeln zu können. Es drohte das Szenario eines Massenanfalls von COVID-19-Patienten bei nicht ausreichenden Intensiv- und Beatmungskapazitäten. In vielen, auch westlichen Industriestaaten, ist dieses Szenario eines überbelasteten nationalen Gesundheitssystems eingetreten – in Deutschland glücklicherweise nicht.

Folgerichtig und nachvollziehbar haben Krankenhäuser und staatliche Stellen unverzüglich begonnen, Beatmungsgeräte zu beschaffen. Das Bundesgesundheitsministerium kaufte alle erwerbbaren Beatmungsgeräte und beauftragte die Fertigung von mehr als 10 000 weiteren Geräten. Krankenhäuser aktivierten bereits ausgesonderte Beatmungsgeräte und prüften, ob sich auch Narkosegeräte für den Einsatz in der intensivmedizinischen Beatmung eignen. Die Beatmungsplätze in Deutschland konnten so um mehrere Tausend weitere erhöht werden.

Konnte damit COVID-19 beherrscht werden?

Abb. 1: Die Anzahl der Intensivbetten pro 100 000 Einwohner ist in Deutschland im internationalen Vergleich am höchsten. Ist COVID-19 damit beherrschbar? (Quelle: mehr lesen , Aufruf 7. Dezember 2020)

Beatmungsmedizin hat  ihre Grenzen

Zu Beginn der Corona-Pandemie drehte sich nahezu alles um Beatmungsgeräte und es entstand der Eindruck, dass, wenn nur genügend Beatmungsgeräte vorhanden wären, Menschenleben gerettet werden. Die knappen Güter „Intensivmedizin“ und „Beatmungsgeräte“ standen im Fokus der öffentlichen Wahrnehmung und auch in der Diskussion um die Zuteilung medizinischer Ressourcen.

Ende Oktober 2020 – im zehnten Monat der Corona-Pandemie –, mit nun mehr Erfahrung mit COVID-19, müssen wir feststellen, dass trotz maschineller Beatmung die Mortalität für von der Erkrankung schwer betroffene Patienten sehr hoch ist und der Nutzen der Beatmung eine Geringere ist, als anfänglich erhofft wurde. Eine in Deutschland im Juli 2020 online veröffentlichte retrospektive Studie zeigt eine Sterblichkeit der beatmeten COVID-19 Patienten von 53 %, bei >80-jährigen sogar von 72 % [1] (Abbildung 2).

Abb. 2: Trotz maschineller Beatmung besteht bei schwer betroffenen älteren Patienten eine hohe Mortalität.

Beatmung ist keine Therapie

Ohne Beatmungsmedizin läge die Mortalität von COVID-19 zweifellos noch höher. Schwer erkrankte Personen benötigen eine Beatmung – und trotzdem können sie sterben. Aufgrund der anfänglichen Fokussierung auf Beatmungsgeräte bleibt es eine Banalität festzustellen, dass Beatmungsgeräte COVID-19 nicht heilen. Die Beatmung selbst ist nicht therapeutisch, sie ist eine supportive Therapie zur Überbrückung einer kritischen Krankheitsphase, um Zeit für einen Heilungsprozess zu gewinnen.

Zum Gesamtbild gehört jedoch auch, dass eine invasive Beatmung bei schwerkranken, multimorbiden und alten Menschen – nicht nur bei COVID-19-Patienten – mit einer hohen Letalität verbunden ist und nicht nur bei COVID-19-Patienten führt eine invasive Beatmung zu einer erheblichen Morbidität mit langer Rehabilitation bis zur Genesung.

Grenzen der Intensivmedizin

Die erschreckend hohe Mortalität beatmeter COVID-19 Patienten und hier besonders alter und multimorbider Menschen macht medizinische Grenzen der Intensivmedizin und der Beatmungsmedizin sichtbar. Um das Überleben eines schweren Verlaufes von COVID-19 zu erhöhen, wird eine vorschnelle Beatmung vermieden. Wird jedoch eine Beatmung unausweichlich, so ist einer nicht invasiven (NIV) Beatmung der Vorzug zu geben. Die Erkenntnis, dass eine intensivmedizinische Therapie für schwer betroffene alte und multimorbide COVID-19 Patienten das Leiden eher verschlimmern und verlängern und weder Heilung noch Linderung der Erkrankung versprechen kann, ist von großer Bedeutung.

Abb. 3: Der Benefit invasiver mechanischer Beatmung (IMV) bei COVID-19 nimmt mit zunehmendem Lebensalter und zunehmender Anzahl/Schwere von Komorbiditäten ab: Die schwarze Linie zeigt einen idealisierten Zustand, bei dem IMV die Sterblichkeit bei allen Patienten in gleicher Weise senkt. Die rote Linie zeigt die zu erwartende Mortalität ohne, die blaue Linie mit IMV in Abhängigkeit von Lebensalter und Anzahl/Schwere von Komorbiditäten.

Palliativmedizinische Aspekte

Aus dem bisher gesagten wird klar, dass die frühzeitige Klärung des Patientenwunsches im Krankheitsverlauf hinsichtlich intensivmedizinischer Therapie und Beatmung ausgesprochen wichtig ist, um den betroffenen Menschen auch palliativmedizinische Therapiewege anbieten und diese planen zu können.

Auch eine Frage der Ressourcen 1

Bei drohender oder eingetretener Überlastung des Gesund­heitssystems und insbesondere der intensivmedizinischen Kapazitäten durch die Corona-Pandemie, stellen sich neben den offensichtlichen medizinischen Fragen der Beatmungsmedizin auch Fragen hinsichtlich der Logistik und der Ethik der Beatmungsmedizin.

Wir werden uns deshalb zwangsläufig auch Fragen wie den folgenden stellen müssen:

Wie können wir eine optimale medizinische Ausrüstung, insbesondere Beatmungsgeräte, für alle, die diese benötigen, verfügbar machen? Verbessert eine optimale medizinische Ausrüstung die Prognose schwerer Krankheitsverläufe? Wie sollen knappe Ressourcen verteilt werden, wenn Beatmungsgeräte und -plätze nicht mehr ausreichen? Wie vermeiden wir Ungerechtigkeiten bei der Verteilung medizinischer Ressourcen?

Literatur

  1. Karagiannidis C, Mostert C, Hentschker C, et al.: Case characteristics, resource use, and outcomes of 10 021 patients with COVID-19 admitted to 920 German hospitals: an observational study. Lancet Respiratory Medicine 2020; 8(9): 853-862. mehr lesen

 

Prof. Dr. med. Nour Eddine El Mokhtari

imland Kliniken Rendsburg und Eckernförde

Chefarzt Kardiologie, Pneumonologie und
Innere Medizin Rendsburg

Lilienstr 20-28, 24768 Rendsburg

E-Mail: nour-eddine.el-mokhtari@imland.de

 

Plenarvortrag beim 51. Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehpharmazie e. V. (23.-24. Oktober 2020, Rostock-Warnemünde)


1 In seinem Festvortrag mit dem Thema „Rationierung und Triage: Muss es maximale Medizin im Ausnahmezustand geben?“ ging Prof. Dr. Heiner Fangerau, Direktor des Instituts für Medizingeschichte, Theorie und Ethik der Medizin der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf beim 51. Jahreskongress der DGWMP e. V. eingehend auf diese Fragestellungen ein.