Wehrmedizinische Monatsschrift

Virtual Reality – Neue Möglichkeit der Analgesie?!
(Vortrags-Abstract)

Andreas Westerfeld a, Demet Efe a, Annett Berling a, Chris Wulferta, Marcellus Fischer a, Wilm Rost a, Knut Reuter a

a Bundeswehrkrankenhaus Hamburg

 

Thema und Zielsetzung

Invasive Maßnahmen sind verfahrensbedingt meist mit Schmerzen und einem erhöhten Stresslevel für den Patienten verbunden. Im einsatzchirurgischen Setting wird zwischen den primären Maßnahmen der Damage Control Surgery und darauffolgenden Maßnahmen der nachgeordneten Versorgung bis hin zur Rehabilitation unterschieden. Für die ersten stabilisierenden Maßnahmen ist eine suffiziente analgetische Abdeckung im Sinne einer Narkose bei umfassenden chirurgischen Maßnahmen unabdingbar.

Die in der Folge einsetzende Wiederherstellung des Patienten bis zur Rehabilitation ist ebenfalls von schmerzhaften Teilschritten geprägt. Bisher werden für diese Verfahren vor allem periphere Analgetika aus der Gruppe der Opioide und nicht-steroidalen Antiphlogistika verwendet. Diese bringen Nebenwirkungen und bei langfristiger Anwendung auch Abhängigkeit mit sich. Zudem beeinflussen sie den Stresslevel nur gering.

Diesen Problemen sehen wir uns in der Versorgung von Verletzten auf den Ebenen Role 3 und 4 gegenübergestellt. Hier bedarf es – auch vor dem Hintergrund möglicher höherer Patientenzahlen im Fall der Landes- und Bündnisverteidigung – neuer Wege der nichtmedikamentösen Schmerzreduktion.

Methodik

Virtuelle Realität (VR) ist eine moderne Technologie, die es Nutzern erlaubt, in eine vom Computer generierte 3D-Welt einzutauchen. Hierzu werden eine entsprechende VR-Brille, Kopfhörer und ein Motion Tracking System benötigt, wodurch eine realistische Orientierung im Raum möglich wird.

Ursprünglich für militärisches Training oder als Unterhaltungsmittel entwickelt hat sich das Anwendungsgebiet von VR in den letzten 10 Jahren auch auf medizinischen Anwendungen erweitert. Hier sind Untersuchungen im Bereich der Phobie- und Angstbewältigung, geistige und physische Rehabilitation, Behandlung von Essstörungen, chemotherapeutische Behandlung sowie die Therapie akuter und chronischer Schmerzen zu nennen.

In der PTBS und Phobie-Forschung konnte bereits eine suffiziente Einsetzbarkeit von VR nachgewiesen werden; ebenso wurde eine signifikante Reduktion des Stresslevels registriert. Bei weiterhin fallenden Kosten für die VR-Systeme zeigt sich nunmehr eine breitere Anwendbarkeit der Methode in der Medizin; sie findet – als in der klinischen Schmerztherapie bereits etabliertes Verfahren – nun auch vermehrt Anwendung in anderen klinischen Fachgebieten.

So konnte in randomisierten Studien ein positiver Effekt von VR bei kleinen chirurgischen Maßnahmen in Ergänzung zur Lokalanästhesie nachgewiesen werden.

Neben einem signifikant reduzierten Schmerzlevel bei chirurgischen Dammreparationen konnte auch ein verringerter Sedierungsbedarf bei unfallchirurgischen Maßnahmen vermerkt werden.

Im Rahmen der Erprobung des VR-Systems am Bundeswehrkrankenhaus Hamburg wurde Patienten aus den Abteilungen für Allgemein-, Visceral-, Thorax- und Gefäßchirurgie sowie Dermatologie das Verfahren additiv zur konventionellen Analgesie angeboten.

Abb. 1: Patientin mit VR-Brille während eines schmerzhaften Verbandwechsels

Den Patienten wurden während schmerzhafter Prozeduren mit einer 360°-Kamera aufgenommene Naturaufnahmen in die VR-Brille eingespielt, dazu hören sie ruhige meditative Musik.

Ergebnisse

Nachfolgende Beispiele aus verschiedenen Fachbereichen dokumentieren die Wirksamkeit von VR zur Schmerzlinderung.

Allgemein- und Viszeralchirurgie

Bei einer Patientin mit stumpfem Abdominaltrauma und offener Wundbehandlung im Bereich der linken Flanke bei Pankreasfistel und Hautabrasion waren tägliche Verbandswechsel und Spülungen notwendig. Bei der Patientin konnten unter den regelmäßigen Verbandswechseln eine Reduktion des Opiodverbrauches und verminderter Schmerz- und Stresslevel beobachtet werden. Eine Reduktion der Schmerzintensität von VAS 8 auf 4 1 ohne zusätzliche Opiodtherapie wurde registriert.

Abb. 2: Die Patienten unternehmen während der Behandlung eine virtuelle Wanderung in schöner Natur, untermalt von meditativer Musik (Bilder zeigen Ausschnitte aus den 3-D-Videos).

Dermatologie

Bei einem Patienten mit einem tiefen diabetischen Ulkus konnte in der postinterventionellen Befragung eine Reduktion des Stresslevels vermerkt werden. Der Patient wünschte in der Folge nur noch Verbandswechsel und kleinflächige Debridements unter Anwendung der VR.

Schmerztherapie

Für insgesamt drei Patienten zeigten unsere ersten Anwendungen im Rahmen der akuten postoperativen Schmerz- bzw. Wundbehandlung, dass ein unmittelbar intuitives Verstehen und eine hohe Akzeptanz dieser zuvor unvertrauten Technik erwartet werden kann. Eine ergänzende Schmerzmedikation oder Sedierung war in keinem Fall notwendig.

Die zukünftige Nutzung zur Behandlung chronischer Schmerzen ist geplant. Schon jetzt erscheint die alleinige oder supportive Nutzung der VR-Technik für viele ambulante oder bettseitige invasive oder diagnostische Verfahren im In- und Ausland sinnvoll.

Erstes Fazit

Eine supportive analgetische und stressreduzierende Wirkung von VR ist in der Literatur gut belegt und konnte auch bei uns bereits klinisch nachgewiesen werden. Die Anwendbarkeit des Verfahrens im klinischen Setting des Bundeswehrkrankenhauses konnte ebenfalls belegt werden.

Es bestehen signifikante Hinweise, dass durch das Verfahren das Risiko einer Analgetikafixierung reduziert werden kann. Ungeklärt bleibt die Frage nach der Anwendbarkeit in Einrichtungen der Versorgungsebene 3 und Akzeptanz des Verfahrens im dauerhaften klinischen Setting. Dies wird Gegenstand weiterer klinischer Untersuchungen sein.

Literaturauswahl

  1. Bekelis K, Calnan D, Simmons N et al.: Effect of an immersive preoperative virtual reality experience on patient reported outcomes: a randomized controlled trial. Ann Surg 2017; 265: 1068-1073. mehr lesen
  2. Chan PY, Scharf S: Virtual realtity as an adjunctive non pharmacological sedative during orthopedic surgery under regional anesthesia: a pilot feasibility study. Anaesth Analg 2017; 125: 1200-1202. mehr lesen
  3. Maples-Keller JL, Yasinski C, Manjin N et al.: Virtual Reality-Enhanced Extinction of Phobias and Post-Traumatic Stress. Neurotherapeutics. 2017; 14: 554-563. mehr lesen
  4. Shourab NJ, Zagami SE, Golmakhani N et al.: Virtual reality and anxiety in primiparous women during episiotomy repair Iran J Nurs Midwifery Res 2016; 21: 521-526 mehr lesen
  5. Shourab NJ, Zagami SE, Nahvi A et al.: The effect of virtual reality on pain in primiparity women during episiotomy repair: a randomized clinical trial. Iran J Med Sci 2015; 40: 219-224. mehr lesen

 

Für die Verfasser

Oberstabsarzt Dr. Andreas Westerfeld

Bundeswehrkrankenhaus Hamburg

Klinik II – Allgemein- und Viszeralchirurgie

Lesserstr. 180, 22049 Hamburg

E-Mail: andreaswesterfeld@bundeswehr.org

 

Plenarvortrag beim 51. Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehpharmazie e. V. (23.-24. Oktober 2020, Rostock-Warnemünde)


1 VAS = Visuelle Analogskala; Skala (0-10) zur Angabe der Schmerzintensität