Wehrmedizinische Monatsschrift

AUS DEN ARBEITSKREISEN DER DGWMP E. V.

Sitzung des Arbeitskreises „Geschichte und Ethik der Wehrmedizin“ am 23. Oktober 2020 in Rostock-Warnemünde

Volker Hartmann a

a Sanitätsakademie der Bundeswehr, Abteilung A, München

 

Einleitung

Die diesjährige Sitzung des Arbeitskreises (AK) im hohen Norden stand ebenfalls im Zeichen der Corona-Pandemie, so dass der Vorsitzende, Oberstarzt Prof. Dr. Ralf Vollmuth, Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw), Potsdam, lediglich eine überschaubare Anzahl an Teilnehmenden begrüßen konnte. Trotzdem erwarteten Zuhörer und Referenten ein hochinteressantes Programm, das viele militärmedizinhistorisch relevante Gebiete abdeckte.

Rechenschaftsbericht

Wie in jedem Jahr gab zunächst Oberstarzt Prof. Dr. Vollmuth einen Rechenschaftsbericht über die Aktivitäten des Arbeitskreises in den letzten 12 Monaten. Er erinnerte dabei an die gut besuchte letztjährige AK-Sitzung in Leipzig, an verschiedene Publikationen, gutachterliche Äußerungen und Interviews der Mitglieder des Arbeitskreises. Anschließend erläuterte er im Hinblick auf seine dienstliche Verwendung im ZMSBw die Aktivitäten im dortigen Forschungsbereich „Militärmedizin und Sanitätsdienst“. Einer der Schwerpunkte seiner Arbeit dort sind Forschungstätigkeiten zum Vergleich des Sanitätsdienstes der Bundeswehr mit dem Medizinischen Dienst der Nationalen Volksarmee im Rahmen eines großangelegten Projekts zur deutsch-deutschen Militärgeschichte von 1970 bis 1989. Auch wies Prof. Dr. Vollmuth auf einen neuen Mitarbeiter in Potsdam hin. Hauptmann Herlemann hat ein Promotionsprojekt zum Themenkomplex „Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte von Peter Bamm“ begonnen.

Gesellschaft für Geschichte der Wehrmedizin e. V.

Nachfolgend berichtete Oberfeldarzt Dr. André Müllerschön (Sanitätsversorgungszentrum Neubiberg) über die Arbeit der Gesellschaft für Geschichte der Wehrmedizin e. V. (GGWM), die noch im November 2019 ihr traditionsreiches, gemeinsam mit der Sanitätsakademie der Bundeswehr veranstaltetes 11. Wehrmedizinhistorisches Symposium durchgeführt hatte. Dabei konnte sich keiner der damaligen Referenten und Zuhörer vorstellen, dass das damalige Rahmenthema „Kriegsseuchen – historische Aspekte und aktuelle Entwicklungen“ nur wenige Monate später derart von der Realität eingeholt werden würde.

Aus der Sanitätsakademie der Bundeswehr ­(SanAkBw)

Flottenarzt Dr. Volker Hartmann (SanAkBw) trug anschließend über die Arbeit an der Akademie auf wehrmedizinhistorischem Gebiet vor. In Wort und Bild präsentierte er neue Ausstellungsstücke der Militärgeschichtlichen Lehrsammlung und skizzierte die großen Herausforderungen der Pandemie für das Lehrgeschehen und größere Symposien und Seminare. Trotzdem konnte Anfang September das dritte Militärmedizinhistorische Seminar mit deutschen und französischen Sanitätsoffizieranwärterinnen und -anwärtern erfolgreich an der Sanitätsakademie durchgeführt werden.

Fachvorträge

Robert Koch: Schlafkrankheit

Im ersten Vortrag der AK-Sitzung stellte Oberstarzt d. R. Dr. Ulrich Schwiersch (Möhrendorf) ein Thema aus der Anfangszeit der Infektiologie vor: „Robert Kochs Erforschung der Schlafkrankheit in Ostafrika“. Zunächst standen Erreger, Überträger, Stadien, Krankheitsbild und die Auswirkungen der Tropenkrankheit auf die einheimische Bevölkerung der damaligen Zeit im Fokus des Beitrags. Danach schilderte der Referent Robert Kochs Forschungsreisen zur Bekämpfung der Infektion, insbesondere in das Gebiet des Viktoria-Sees im heutigen Uganda. Dort widmete sich der damals schon weltbekannte Nobelpreisträger vornehmlich der Entwicklung eines Therapeutikums. Ein solches Präparat glaubte er mit dem Arsenderivat Atoxyl gefunden zu haben, das leider einige unerwünschte Nebenwirkungen aufwies, was die Compliance bei der Bevölkerung reduzierte. Letztlich führte es auch nicht zu der erhofften Ausheilung der Krankheit. Deshalb lagen weitere Schwerpunkte von Kochs Tätigkeit in der Durchführung von Präventionsmaßnahmen, wie der Rodung des Urwalds, um den Überträgern ihr Habitat zu nehmen, und auch in strikten Quarantänemaßnahmen für die betroffene Bevölkerung Ostafrikas.

Emile Roux und Emil von Behring

Der nächste Vortragende, Stabsarzt Ingo Höhling (Bundeswehrkrankenhaus Ulm), befasste sich in seinem ­Referat „Internationale Forschungssynthesen Ende des 19. Jahrhunderts“ mit den Ergebnissen des bereits ­angesprochenen deutsch-französischen militärmedizin­historischen Seminars Anfang September 2020 an der SanAkBw. Dort hatten 10 Sanitätsoffizieranwärterinnen und -anwärter aus den Armeen beider Länder ein wissenschaftliches Poster erstellt, in dem die deutsch-französische Zusammenarbeit Ende des 19. Jahrhunderts auf dem Gebiet immunologischer Aspekte der Diphtherie und des Tetanus thematisiert wurde. Anhand der beiden Protagonisten Emile Roux, dem dritten Direktor des Pasteur-Instituts in Paris, und dem deutschen Nobelpreisträger Emil von Behring wurde dabei aufgezeigt, dass es auch in einer schwierigen Zeit nationaler Stereotypen Ansätze zu einem respektvollen und freundschaftlichen wissenschaftlichen Miteinander gegeben hat. Das Seminar sollte schließlich einen Beitrag zur Entwicklung eines  ­gemeinsamen beruflichen und historischen Selbstverständnisses der jungen Generation beider Völker leisten. In der im Laufe des DGWMP Kongresses durchgeführten Poster-Session ist das wissenschaftliche Werk mit dem 3. Preis ausgezeichnet worden.

Abb. 1: Internationale Forschungssynthesen Ende des 19. Jahrhunderts standen im Fokus des Vortrags von Stabsarzt Höhling

Abb. 2: Dr. Corff stellte eine Krankengeschichte aus dem 19. Jahrhundert vor, zu der er zahlreiche Originaldokumente aus dem damaligen China ausgewertet hatte.

„Der Fall H.“ – eine Krankengeschichte aus dem 19 . Jahrhundert 1

Im nachfolgenden hochinteressanten Vortrag mit dem Titel „Der Fall H. – Dokumente einer Krankengeschichte aus dem 19. Jahrhundert“ diskutierte Dr . Oliver Corff (Berlin) die Epikrise eines Sprachwissenschaftlers und Angehörigen des diplomatischen Dienstes des Deutschen Reiches, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lange Zeit am Konsulat in Shanghai eingesetzt war. Dr. Corff, ein ausgewiesener Sinologe, hatte im Zuge der Erforschung des wissenschaftlichen Werkes dieser Person durch Zufall im Archiv des Auswärtigen Amtes bisher nicht erschlossene Kranken- und Rezeptakten ­gefunden. Hierbei konnte eine akute, während der Rückreise zu einer Kur an Bord eines Passagierschiffes ­aufgetretene Erkrankung aus dem psychiatrischen Formenkreis festgestellt werden. Das beschriebene halluzinatorische Wahngebäude führte dazu, dass der Erkrankte das Schiff in Singapore verlassen musste und erst später nach Deutschland zurückkehren konnte.

Im Zuge der Auswertung eines ärztlichen Befundberichtes und der Rezeptierung entsprechender Medikamente könnte die beschriebene Krankengeschichte ihren Ursprung möglicherweise in einer chronischen Opium-Intoxikation gehabt haben, die sich auf der Seereise zu einem akuten Entzugssyndrom entwickelte. Eine fortschreitende psychiatrische Erkrankung, z. B. auf der Basis einer manisch-depressiven Zyklothymie oder einer Neurolues, ist eher nicht anzunehmen, zumal da der Patient die beschriebene Episode um Jahrzehnte überlebte, in denen er intensiv wissenschaftlich wirkte.

125 Jahre Röntgenstrahlen

Dem Anlass der 125. Wiederkehr der Entdeckung der sogenannten „X-Strahlen“ durch Wilhelm Conrad Röntgen war der nächste Vortrag von Dr. Müllerschön gewidmet. Der Schwerpunkt des Referats mit dem Titel „Vom ´Röntgenkabinett´ zu den Röntgengeräten der Feldsanitätsausrüstung“ lag darin, aufzuzeigen, wie schnell die deutschen Sanitätsdienste dieses neuartige Diagnostikum in die Ausstattung aufnahmen und welche Erfahrungen vor allem in den beiden Weltkriegen damit gesammelt werden konnten. Ein ausführlicherer Kurzartikel ist in dieser Ausgabe der Wehrmedizinischen ­Monatsschrift abgedruckt.

Aus der jüngeren Geschichte

Die abschließende Präsentation von Flottenarzt Dr. Hartmann warf einen Blick auf das bereits auf der letzten AK-Sitzung in Leipzig diskutierte Thema des humanitären Einsatzes der Bundeswehr nach der Tsunami-Katastrophe in Südostasien im Winter 2005. Der Referent hatte damals als Leiter des Marineeinsatzrettungszentrums an zentraler Stelle auf dem Einsatzgruppenversorger „Berlin“ gewirkt; er gab anhand persönlicher Fotografien einen Rückblick auf die damalige Situation vor Ort und ermöglichte so den Zuhörenden einen guten Einblick in die Geschehnisse. Gezeigt wurden neben den Zerstörungen der Flutwelle in Indonesien die Wiederaufbaubemühungen der Bevölkerung und zahlreicher Helfer aus der ganzen Welt.

Abb. 3: Aus erster Hand berichtete Flottenarzt Dr. Hartmann vom Einsatz im Rahmen der Tsunami-Katastrophe 2004/2005.

Der besondere Fokus der Ausführungen lag in der Darstellung der Krankheitsbilder an Bord, der medizinischen Behandlungen und der besonderen Herausforderungen für das Sanitätspersonal in einem Einsatz ohne Blaupause. Zur Sprache kamen auch die Zusammenarbeitsbeziehungen zwischen Zentralem Sanitätsdienst und Marine in diesem ersten JOINT-Einsatz.

Abschließend wies Dr. Hartmann auf die Schwierigkeiten hin, Erfahrungen solcher humanitären Missionen auch für kommende Einsätze nutzbar zu machen und an nachfolgendes Personal weiterzugeben. Eine lebhafte Diskussion schloss den Vortrag und die Arbeitskreissitzung.

Fazit

Auch wenn die besonderen Umstände der Corona-Pandemie eine Herausforderung für die Durchführenden der AK-Sitzung waren, tat dies der fachlichen Qualität des Dargebotenen keinen Abbruch. Der Vorstand des AK Geschichte und Ethik der Wehrmedizin freut sich schon auf die Ausrichtung der nächsten AK-Sitzung im Jahre 2021 – dann unter günstigeren Vorzeichen als im Jahre 2020.

Verfasser

Flottenarzt Dr. Volker Hartmann

Sanitätsakademie der Bundeswehr – Abteilung A

Stv. Vorsitzender des AK

Neuherbergstr. 11

80937 München

E-Mail: volkerhartmann@bundeswehr.org


1 Ein ausführlicher Beitrag zu diesem Thema ist in einer späteren Ausgabe der Wehrmedizinischen Monatsschrift vorgesehen.