Wehrmedizinische Monatsschrift

Tagung des Arbeitskreises „Wehrpharmazie“
am 23. Oktober 2020 in Rostock-Warnemünde

Frederik Vongehra

a Sanitätsakademie der Bundeswehr, München

 

Im Rahmen des 51. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie e. V. (DGWMP) in Warnemünde traf sich am 23. Oktober 2020 der Arbeitskreis (AK) Wehrpharmazie. Neben der Wahl des neuen Vorstands wurden von den Referenten ­Aspekte der militärischen wie auch der zivilen Pharmazie im Umgang mit der Corona-Pandemie aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet.

Vorstandswahl

Einstimmig wurde im Rahmen der turnusgemäßen Wahl Oberfeldapotheker Mark Lutsch, der die Tagung des AK kommissarisch leitete, zum neuen Vorsitzenden des Arbeitskreises gewählt; ihn sekundieren fortan Ober­stabsapotheker Dr. Frederik Vongehr und Oberstapotheker Dr. Boris Mey als Stellvertreter.

Begrüßung und Verabschiedung

Oberstapotheker Arne Krappitz, Leitender Apotheker der Bundeswehr, hob in seiner Begrüßung zunächst das Engagement des bisherigen Vorsitzenden, Oberstapotheker Dr. Bernd Klaubert, hervor und bedankte sich für die vertrauensvolle Zusammenarbeit. Klaubert, der seit 2014 den Arbeitskreis leitete und zukünftig im Präsidium der DGWMP e. V. die Wehrpharmazie vertritt, habe dem AK „neuen Schwung“ verliehen, zum einen durch die konsequente Einbindung von jungen Kameradinnen und Kameraden bis hin zu noch studierenden Sanitätsoffizieranwärtern und zum anderen durch die thematische Ausrichtung mit rezenten wissenschaftlichen Facetten der Wehrpharmazie. Darüber hinaus sei ihm durch die Einbindung von Reservedienstleistenden und externen Referenten auch stets der fachliche Blick über die Wehrpharmazie hinaus gelungen. Krappitz dankte ferner ausdrücklich den bisherigen Stellvertretern Oberst­apotheker Dr. Boris Mey, Flottenapotheker a. D. Dr. des . Gregor Peller und Oberfeldapotheker Mark Lutsch.

Der Leitende Apotheker der Bundeswehr betonte anschließend im inhaltlichen Ausblick der folgenden Vorträge die Vielfältigkeit und die Leistungsfähigkeit der Wehrpharmazie, „welche diese – nicht nur, aber gerade auch jetzt wieder im Rahmen der Corona-Pandemie – eindrucksvoll unter Beweis gestellt hat.“ Im Schwerpunktheft „SARS/COVID-19“ der Wehrmedizinischen Monatsschrift seien verschiedene Beiträge der Wehrpharmazie zur Bewältigung der Corona-Pandemie eindrucksvoll dargestellt. Die Herstellung von pharmazeutischen Produkten in solchen Krisenzeiten als wichtiges Schwerpunktthema werde folglich auch in den Referaten behandelt, und zwar aus regulatorischer Perspektive, aus der Sicht der Herstellung vor Ort und der eines untersuchenden Zentralen Institutes. Abschließend werde der bisherige Umgang mit der Pandemie aus Sicht der zivilen AG Notfall- und Katastrophenpharmazie der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft bewertet, so Oberstapotheker Krappitz.

Die Teilnehmenden des AK Wehrpharmazie in Rostock (von links nach rechts):
Oberfeldapotheker Mark Lutsch, Oberstapotheker Dr. Meyer-Trümpener, Oberfeldapotheker Langbein, Oberstapotheker d. R. von Ehr, Oberfeldapotheker Wölk, Oberstabsapotheker Dr. Vongehr, Flottenapotheker d. R. Dr. Koch, Oberstapotheker Krappitz, Oberfeldapotheker Dr. Herkert, Oberfeldapotheker Dr. Röseler, Oberfeldapotheker Geiß, Oberstapotheker Zube, Oberfeldapotheker Dr. Plößl
Die Mund-Nasen-Bedeckung wurde im Freien und nur kurzzeitig für das Foto nicht getragen.

Fachvorträge

Herstellung in Krisensituationen

Oberfeldapotheker Dr. Christoph Röseler (Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr, Koblenz) referierte über die „Herstellung pharmazeutischer Produkte in Bundeswehrapotheken in Zeiten einer Krise/Pandemie unter Berücksichtigung regulatorischer Anforderungen“.

Durch die aktuelle SARS-CoV-2-Pandemie stünden die Gesundheitssysteme weltweit vor bislang nie dagewesenen Herausforderungen. Bereits seit Jahren seien für eine steigende Zahl von Arzneimitteln längerfristige Liefer- und Versorgungsengpässe zu verzeichnen, die sich in der akuten Krisensituation weiter verschärften und auch Arzneimittel aus anderen Indikationsgebieten betreffen. Hauptgrund sei der weltweite Trend in der pharmazeutischen Industrie zur Spezialisierung und Kostenreduktion über das Supply Chain Management. Als Folge seien u. a. reduzierte Lagerhaltung und eine große Abhängigkeit hinsichtlich der Verfügbarkeit von Wirkstoffen von Herstellern in China und Indien zu verzeichnen.

Entgegen des allgemeinen Trends zur Spezialisierung auf einzelne Produktgruppen bestehe für die Bundeswehr die Herausforderung darin, eine Fähigkeit zur Eigenherstellung einer vielseitigen Palette von wehrpharmazeutisch relevanten Produkten abzubilden. Die Herstellung von Arzneimitteln und Blutprodukten wurde bereits im Jahr 2012 durch die Neufassung des Herstellungserlasses auf die Versorgungssicherheit von einsatzrelevanten Produkten ausgerichtet. Dabei handele es sich primär um die Herstellung von Nischenprodukten, z. B. Antidote, die für den globalisierten Pharmamarkt wirtschaftlich von nachrangigem Interesse seien. Da während der SARS-CoV-2-Pandemie auch bislang marktverfügbare Arzneimittel wie Midazolam und Propofol zum Engpassartikel würden, sei eine Neubewertung der Eigenherstellung notwendig. Dazu müsse in einem risikobasierten Ansatz die punktuelle Erweiterung des Herstellungsportfolios der bundeswehreigenen Herstellung mit Blick auf essenzielle Arzneimittel durchleuchtet werden.

Für das Inverkehrbringen von im Rahmen der Großherstellung produzierten Fertigarzneimitteln mit etablierten Wirkstoffen bedürfe es grundsätzlich einer arzneimittelrechtlichen Zulassung gemäß § 21 Arzneimittelgesetz (AMG), was die Erwirkung einer bundeswehreigenen Zulassung als regulatorische Grundlage bedeute. Alternativ könne die Anwendung der AMG-Zivilschutzausnahmeverordnung in Betracht gezogen werden, wobei hier ebenfalls der dokumentierte Nachweis von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit zu führen und die Grundsätze der Guten Herstellungspraxis anzuwenden seien.

Er resümierte, dass für eine nachhaltige Versorgungssicherheit ausgewählter Produkte zukünftig Produktions- und Lagerkapazität in einer neu auszuplanenden Herstellungsstätte ausgebracht werden müsse, um eine schnelle Reaktionsfähigkeit in Krisensituationen zu gewährleisten.

Erfahrungen aus der Herstellung

Oberfeldapotheker Dr. Florian Plößl (Bundeswehrkrankenhaus Ulm) berichtete zu „Erfahrungen aus der Arzneimittelherstellung in der Pandemie“.

Das Bundeswehrkrankenhaus (BwKrhs) Ulm besitzt als singuläres Fähigkeitselement der Bundeswehr eine Herstellungsstätte nach § 13(1) AMG. Hier werden unter Gesichtspunkten einer industriellen Herstellung Arzneimittel im Großmaßstab hergestellt und über den Apothekenbetrieb in Richtung Zentrallogistik in Verkehr gebracht. Plößl führte aus, dass der Ausbruch von SARS-CoV-2 die Großherstellung inmitten von Vorbereitungsmaßnahmen zur infrastrukturellen Ertüchtigung zur Herstellung von Autoinjektoren getroffen habe. Mitte März 2020 sei sowohl seitens der BwKrhs-Apotheke Ulm als auch seitens Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr (Kdo SanDstBw) der Bedarf an Händedesinfek­tionsmitteln aufgrund von Lieferengpässen auf ziviler Seite kommuniziert worden. Unter Anwendung der Allgemeinverfügungen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) vom 04.03.2020 und 09.04.2020 seien ab Ende März ca. 140 000 Flaschen Händedesinfektionsmittel hergestellt worden. Zudem habe man ab Mai 2020 über 2 500 l Händedesinfektionsmittel in 500 ml-Flaschen abgefüllt. Diese Flaschen seien zuvor von einer österreichischen Firma nach Ulmer Vorgaben hergestellt worden, so dass die üblichen Spender-Armaturen im Krankenhausbereich weiterhin Anwendung finden können.

Die Produktion in Ulm sei verzugslos aufgenommen worden, da man ausreichend Flaschen bevorratete und aufgrund der industriellen Großherstellung ausreichend Lieferanten für Flaschen, Etiketten und Packmaterial zur Verfügung standen. Auch sei, so Plößl, die Versorgung mit Rohstoffen in Arzneibuchqualität in Form von Abruflieferungen stets gewährleistet gewesen. Zugleich habe man durch frühzeitige Einbindung des Arbeitsschutzes Hemmnisse im Umgang mit brennbaren Flüssigkeiten beseitigen können. Durch Gestellung von Personal aus dem Sanitätsregiment 3 konnte das Stammpersonal für weitere Herstellungsaufträge mit Corona-Bezug eingesetzt werden, wobei keinerlei Abstriche an den Vorgaben der „Good Manufacturing Practice“ (GMP) gemacht wurden.

Die Herstellungsaufträge resultierten aus den entstandenen Versorgungsengpässen mit Midazolam-Injektionslösung und Ribavirin-Lösung zur Behandlung von ­COVID-19-Erkrankten. Das Nukleosid-Analogon Ribavirin werde seit 2013 zur Behandlung von Krim-Kongo Hämorrhagischem Fieber als Lösung zur Herstellung einer Infusion produziert. Im Rahmen der Pandemie wurde dieses Arzneimittel von den anderen Bw(Z)Krhs im Rahmen der Querversorgung abgerufen – insgesamt habe man mehr als 1 500 Einheiten Ribavirin-Lösung hergestellt. Zur Abmilderung eines Engpasses von ­Midazolam-Injektionslösung seien ca. 45 000 Ampullen hergestellt und im Juni in Verkehr gebracht worden. Aufgrund der etablierten Strukturen und wirtschaftlichen Beziehungen konnte fürderhin die Großherstellung innerhalb weniger Wochen die industrielle Fertigung und Abfüllung von Desinfektionsmitteln aufnehmen und das Produkt in so großen Stückzahlen bereitstellen, dass die etablierte Logistik mittels ziviler Vertragspartner an ihre Grenzen geführt worden sei. Dies gelte auch für die ­parallele Herstellung von Fertigarzneimitteln, die nur durch das rasche Zuführen von Unterstützungskräften erhalten bleiben konnte.

Während des SARS-CoV-2-Ausbruchsgeschehens habe sich deutlich gezeigt, dass die alleinige Fähigkeit zur Herstellung in Hinblick auf Infrastruktur und Ausrüstung nicht ausreichend sei, sondern durch Elemente der Logistik, der gezielten strategischen Einlagerung von Ausgangsstoffen und Packmitteln sowie auch der Begleitung durch übergeordnete Dienststellen ergänzt und zur Wirkung gebracht werden könne.

Qualitätssicherung

Oberfeldapotheker Dr. Nadja Herkert (Zentrales Institut des Sanitätsdienstes der Bundeswehr (ZlnstSanBw) München) referierte zur „Untersuchung von Sanitätsmaterial am Beispiel von Desinfektionsmitteln“.

Das ZInstSanBw München sei im Rahmen der Unterstützungsleistung COVID-19 insbesondere damit beauftragt, Desinfektionsmittel sowie Grundstoffe zu deren Herstellung in Bundeswehrapotheken und Bundeswehrkrankenhausapotheken zu untersuchen. Im Rahmen der Routineuntersuchung erfolge die Prüfung von Grundstoffen sowie gemäß WHO-Rezeptur hergestellter Desinfektionsmittel durch Gaschromatographie und Flammenionisationsdetektion.

Die Grundstoffe werden grundsätzlich auf Identität und Reinheit in Anlehnung an die Arzneibuchmonographie, die fertigen Desinfektionsmittel in der Regel auf den Gehalt der alkoholischen Komponenten gemäß Deklaration untersucht. Die gaschromatographische Analyse mit Flammenionisationsdetektion (GC-FID) sei hierbei als Bestimmung der Wahl anzusehen, da hierbei substanzspezifische Signalintensitäten im Detektor lediglich eine untergeordnete Rolle spielten und brennbare Substan­zen bereits im Spurenbereich nachweisbar seien. Dies ginge jedoch zu Lasten der Selektivität, sodass bei Verdacht auf insbesondere kanzerogene Verunreinigungen, wie z. B. Benzol, diese lediglich über die Retentionszeit nachgewiesen, allerdings nicht zweifelsfrei identifiziert werden könnten.

Insbesondere bei einer Verdachtsprobe, die dem ZlnstSanBw München zur Untersuchung auf eine Verunreinigung mit Benzol übermittelt worden war, musste daher auf zusätzliche Bestimmungsmethoden zurückgegriffen werden. Der allgemeine analytische Standard zur selektiven Bestimmung von Verunreinigungen mittels Gaschromatographie und massenselektiver Kopplung (GC-MS) konnte in diesem Fall aufgrund weiterer vorliegender Verunreinigungen und dem damit verbundenen unspezifischen Fragmentierungsmuster aromatischer Verbindungen nicht herangezogen werden. Mit hinreichender Genauigkeit konnte Benzol jedoch nachgewiesen und bestimmt werden, indem mittels GC-FID unter Zuhilfenahme einer weiteren unterschiedlichen stationären Phase nach Standardaddition für beide Phasen identische Signale bei der für Benzol erwarteten Retentionszeit erzeugt werden konnten.

Notfall- und Katastrophenpharmazie

Abschließend referierte Oberstabsapotheker Dr. ­Frederik Vongehr zu „Erfahrungen im Umgang mit der Pandemie aus Sicht der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft – Arbeitsgemeinschaft (AG) Notfall- und Katastrophenpharmazie –“ in seiner Funktion als deren Vorsitzender.

Der Vortrag stellte die vor der Pandemie existenten Strukturen im Bereich des Gesundheitlichen Bevölkerungsschutzes vor und bewertete die ergriffenen Maßnahmen im Hinblick auf die Schaffung einer nachhaltigen Resilienz der Arzneimittelversorgung der Bevölkerung. Der Gesetzgeber verpflichte den pharmazeutischen Beruf­stand zur Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung – auch während Krisen.

Die COVID-19-Pandemie sei nicht nur für die öffentlichen Apotheken eine besondere Herausforderung. Der Weltapothekerverband FIP (Federation internationale pharmaceutique) habe überdies betont, dass die Apotheke als erstes Informationszentrum der Bevölkerung diene. Hier seien Gesundheitsexperten und deren Rat niederschwellig zugänglich – unabhängig des zugrunde liegenden Szenars.

Mitglieder der AG haben bereits an der Erstellung des „Leitfaden KatPharm“ des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe im Jahre 2009 mitgewirkt. Neben allgemeinen Themen wurden bereits dort in einem Kapitel Empfehlungen zur Pandemievorsorge abgegeben. Damals sei dies mit dem Fokus auf die Grippepandemie geschehen; viele der dort getroffenen Aussagen sind gerade jetzt jedoch hochaktuell. Aktuelle Fragestellungen in Bezug auf COVID-19 seien u. a. behördliche Schließungen von Apotheken, Allokation respektive Kontingentierung von Arzneimitteln und Medizinprodukten, einheitliche Vorgaben zum Umgang in der Offizinpharmazie und nicht zuletzt die Abstimmung der zuständigen Behörden und berufsständischen Vertretungen. Für kontroverse Positionen und wenig konzertierte Handlungen sorgten etwa raumlufttechnische Anlagen sowie der Schutz von Apothekenpersonal durch Masken respektive Plexiglasscheiben. Hier bestehe deutlich erkennbarer Bedarf an Abstimmung und fachlichem Zusammenwirken.

Fazit

Hochaktuell waren die Themen, mit denen sich der AK Wehrpharmazie – wenn auch in coronabedingt etwas kleinerem Kreise als gewohnt – in Rostock-Warnemünde auseinandersetzte. Der neue Vorstand wird sich mit seinen Aktivitäten weiterhin am Puls der Zeit orientieren und dabei auch – wo immer möglich – auf interdisziplinäre Zusammenarbeit hinwirken.

Für den Arbeitskreis Wehrpharmazie

Oberstabsapotheker Dr. Frederik Vongehr
Sanitätsakademie der Bundeswehr
frederikvongehr@bundeswehr.org