Wehrmedizinische Monatsschrift

GEMEINSAM FORSCHEN

Einfluss von COVID-19 auf Krankenhauspersonal
und betroffene kardiologische Hochrisikopatienten1
Vorstellung einer zivil-militärischen Forschungskooperation

Ulrich Wesemann a, Gerd D. Willmund a, Julia Vogel b, Tienush Rassaf b, Johannes Siebermair b

1 In dieser Arbeit wird zur besseren Lesebarkeit nur die maskuline Form „Patient“ genutzt; gemeint sind immer alle Geschlechter.

Bundeswehrkrankenhaus Berlin, Psychotraumazentrum der Bundeswehr

Universität Duisburg-Essen, Klinik für Kardiologie und Angiologie – Westdeutsches Herz- und Gefäßzentrum

 

Zusammenfassung

Hintergrund: Seit COVID-19 von der WHO zur Pandemie erklärt wurde, hat sich der wissenschaftliche Fokus auch auf die psychischen Auswirkungen gerichtet. Um hierbei einen besseren Einblick zu gewinnen, wurde eine zivil-militärische Zusammenarbeit zwischen dem Westdeutschen Herz- und Gefäßzentrum der Klinik für Kardiologie und Angiologie an der Universitätsklinik Essen und dem Psychotraumazentrum am Bundeswehrkrankenhaus Berlin initiiert. Im ersten Studienarm wurden die psychischen Auswirkungen auf das Krankenhauspersonal mit Kontakt zu Betroffenen mit COVID-19 untersucht, im zweiten Studienarm die Hochrisikopatienten selbst.

Methoden: Für den ersten Studienarm wurden N = 78 Krankenhausmitarbeitende aus dem Bereich der Kardiologie in die Studie eingeschlossen. Davon hatten n = 40 direkten Kontakt zu Betroffenen mit COVID-19 (51 %); n = 8 hatten Kontakt zu Patienten mit Verdacht auf COVID-19 (10 %) und n = 30 hatten keinen direkten Kontakt zu Betroffenen mit COVID-19 (39 %). Im zweiten Studienarm wurden N = 60 stationär aufgenommene Hochrisikopatienten mit Verdacht auf COVID-19 untersucht und die bestätigten Fälle in einem Doppelblinddesign mit den nicht bestätigten Fällen verglichen.

Ergebnisse: Multivariate Regressionsanalysen zeigten, dass die Nähe zu Kranken mit COVID-19 einen negativen (inversen) Einfluss auf das Vermeidungsverhalten als Symptom einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) beim medizinischen Personal hatte. Zusätzlich fand sich dieser negative Einfluss auf körperliche Symptome, Somatisierung, Zwanghaftigkeit und den Wutausdruck. Darüber hinaus gab es einen signifikanten Einfluss von weiblichem Geschlecht auf erhöhte Wut. Dieser Einfluss bestätigte sich auch unter Kontrolle der Kovariaten Alter, Berufserfahrung und Berufsgruppe (die selbst keinen weiteren Einfluss hatten).

Bei dieser Hochrisikopopulation mit COVID-19-Verdacht und co-morbiden chronischen Lungenerkrankungen, schweren Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder onkologischen Erkrankungen fand sich eine deutlich erhöhte Prävalenzrate von 40 % für PTBS. In einer Doppelblindstudie konnte nachgewiesen werden, dass psychologischer Stress bei Betroffenen, bei denen die COVID-19-Diagnose später bestätigt wurde, signifikant stärker ausgeprägt war. Hier könnte demnach ein organisches Korrelat zugrunde liegen.

Diskussion: Die Ergebnisse, dass das medizinische Personal weniger psychisch belastet ist, wenn es in direktem Kontakt zu Patienten mit COVID-19 steht, stimmen nicht mit früheren Studien überein. Selbstwirksamkeit und Kontrollüberzeugungen sind für die Verarbeitung der kritischen Situationen relevant. Deshalb scheint die Wahrnehmung des persönlichen Risikos von wesentlicher Bedeutung zu sein, die in früheren Studien sehr unterschiedlich ausgeprägt war.

Die Stichtagsprävalenz von PTBS mit 40 % erscheint ausgesprochen hoch. Dies wird darauf zurückgeführt, dass die Betroffenen bereits durch die Vordiagnosen stark belastet waren. Der hinzukommende Verdacht auf COVID-19 verschlechtert die Prognose erheblich, ­sodass dies zu dieser immensen Prävalenzrate geführt haben könnte.

Schlussfolgerung: Die Risikowahrnehmung sollte in zukünftigen Studien erfasst werden. Es wird angenommen, dass die Nähe zu infizierten Personen (oder kritischen Ereignissen) lediglich eine Stellvertreter-Variable für die persönliche Risikowahrnehmung ist. Als Synopsis wird ein regelmäßiges Briefing des Krankenhauspersonals empfohlen, wie dies beispielsweise im Bundeswehrkrankenhaus Berlin stattfindet. Damit könnte psychischen Beeinträchtigungen vorgebeugt werden.

Bezogen auf Patienten mit COVID-19 wird ein routinemäßiges Screening von Angst-, Depressions- und Stresssymptomen empfohlen. Vor allem bei Betroffenen mit schweren oder chronischen Erkrankungen können sonst psychische Störungen leicht übersehen werden.

Schlagworte: COVID-19, psychische Gesundheit, zivil-militärische Zusammenarbeit, Krankenhauspersonal, Hochrisikopatienten

Keywords: COVID-19, mental health, civil military cooperation, hospital staff, high risk patients

Einleitung/Hintergrund

Seitdem COVID-19 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Pandemie erklärt wurde, hat sich vor allem der wissenschaftliche Fokus der Medizin und Pharmaindustrie stark darauf gerichtet. Dementsprechend sind auch die psychischen Auswirkungen der Pandemie von besonderem Interesse [26][27][30]. Das generelle Interesse an dieser Thematik liegt jedoch nicht nur an der rasanten Ausbreitung von COVID-19 über den gesamten Globus, sondern auch an den hohen Mortalitätsraten. Hier scheint vor allem Alter eine wesentliche Rolle zu spielen [6]. Laut Robert Koch-Institut (RKI) liegt die Zahl bestätigter COVID-19-Fälle bis zum 28. Dezember 2020 in Deutschland bei mehr als 1,66 Millionen und fast 31 000 an COVID-19 Verstorbenen [12]. Weltweit fanden sich laut WHO am gleichen Tag bereits mehr als 8 Millionen bestätigte Fälle und fast 1,8 Millionen daran verstorbener Patienten [29]. Global war COVID-19 damit das bestimmende gesundheits- und auch gesellschaftspolitische Thema des Jahres 2020.

Innerhalb kurzer Zeit kam es zu massiven gesellschaftlichen Veränderungen. Diese umfassten neben der Einführung von Maskenpflicht, „striktem oder gemäßigtem Lockdown“ und Reisewarnungen für viele Länder auch vermehrtes Arbeiten im Homeoffice, Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit, Schließungen von Schulen, Kindergärten oder Tagesstätten sowie Einschränkungen von privaten Treffen. Da solche Maßnahmen Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft haben, ist es naheliegend, dass dieses auch einen Einfluss auf die Psyche hat. In erster Linie kann aufgrund finanzieller und existenzieller Sorgen, Infektionsgefahr sowie der vermehrten Isolation ein Anstieg von Angsterkrankungen und depressiven Episoden vermutet werden. Zusätzlich dürfte dies auch einen starken Einfluss auf bereits bestehende oder sich entwickelnde Süchte haben.

Analog sind psychische Auswirkungen auch bei Angehörigen der Bundeswehr zu erwarten, obgleich sie aufgrund stabiler Arbeitsverhältnisse nicht so stark ausgeprägt sein dürften. Von besonderem Interesse bleiben deshalb die Gruppen, die direkt mit COVID-19 konfrontiert sind. Dazu gehören die betroffenen Patienten selbst sowie das medizinische Personal, das in die Behandlung involviert ist.

Um hier Aussagen über die psychischen Auswirkungen treffen zu können, wurde eine zivil-militärische Zusammenarbeit zwischen dem Westdeutschen Herz- und Gefäßzentrum der Klinik für Kardiologie und Angiologie an der Universitätsklinik Essen und dem Psychotraumazentrum am Bundeswehrkrankenhaus Berlin initiiert. Dabei sollen folgende Schwerpunkte untersucht werden:

  1. Differenzierung der Belastungen der Pandemie nach Berufsgruppe, Betroffenengruppe und Geschlecht,
  2. Ableitung von geschlechts- und berufsgruppenspezifischen Maßnahmen für die Primär- und Sekundärprävention für medizinisches Personal sowie
  3. Entwicklung von gezielt bedarfsgerechten Interventionen für die Betroffenen.

    Abb. 1: Grafische Darstellung des zweiarmigen Studiendesigns mit Krankenhauspersonal und betroffenen Patienten (Vektorgrafiken: www.vecteezy.com, Gestaltung: Charlyn Braun)

    Ziel des ersten Studienarms ist es, Methoden zum Schutz des Krankenhauspersonals bereitzustellen, die auf die spezifischen Bedürfnisse der Gesundheitsdienstleister zugeschnitten sind. Diese Methoden sollten kurzfristig die Widerstandsfähigkeit stärken. Langfristig wäre es wünschenswert, dieses Wissen in die Schulungen einzubeziehen, um Gesundheitsdienstleister auf zukünftige Ereignisse vorzubereiten. Dafür wird der Einfluss der individuellen Nähe zu Patienten mit COVID-19 als ­Stressor – unter besonderer Berücksichtigung der Berufsgruppe und des Geschlechts als Kovariaten – betrachtet.

    Ziel des zweiten Studienarms ist es, die Prävalenz von signifikantem „allgemeinen Stress“ und PTBS bei Patienten zu bestimmen, die mit dem anfänglichen Verdacht auf eine COVID-19-Infektion ins Krankenhaus eingeliefert wurden. Der Verdacht auf COVID-19 wird dabei als kritisches Ereignis für die psychische Gesundheit angesehen. Das weiterführende Ziel besteht darin, Betroffene mit und ohne endgültige Bestätigung einer COVID-19-Diagnose auf allgemeinen Stress und PTBS zu vergleichen. Die Hypothese dabei ist, dass es keinen Unterschied beider Patientengruppen gibt. Es wird davon ausgegangen, dass die Risikowahrnehmung in beiden Gruppen gleich hoch ausgeprägt ist.

    Abb. 2: Die Zeit zwischen Probenentnahme und Vorliegen des Testergebnisses wurde für die Befragung der Patienten genutzt. Das Bild zeigt das Einsetzen einer Testkassette in einen Thermo-Cycler zur Amplifizierung der Virus-mRNA.

    Methode

    In einem ersten Schritt wurde ein gemeinsamer Forschungsplan aufgestellt und ein Ethikvotum von der Universitätsklinik Essen unter der Nummer 20-9263-BO eingeholt.

    Der Forschungsplan besteht aus zwei Studienarmen. Diese umfassen zum einen Krankenhauspersonal mit und ohne direkten Kontakt zu mit COVID-19 infizierten oder infektionsverdächtigen Patienten, zum anderen die betroffenen Patienten selbst. In beiden Studienarmen wurden die Probanden auf psychische Auswirkungen hin untersucht. Die Auswahl der Fragebögen erfolgte dabei hypothesengeleitet und lehnte sich stark an die Calamities, Anxiety, Stress & Hostility (CASH) Studie an, die nach den umfassenden Forschungsergebnissen zum Terroranschlag am Breitscheidplatz in Berlin initiiert wurde [17][18][21-24][28]. Eine Beschreibung der verwendeten Tests befindet sich im Anhang zu diesem Beitrag.

    Im ersten Studienarm wurden N = 78 Krankenhausmitarbeiter aus dem Bereich der Kardiologie in die Studie eingeschlossen, von denen n = 40 direkten Kontakt zu Patienten mit COVID-19 hatten (51 %); n = 8 hatten Kontakt zu Patienten mit Verdacht auf COVID-19 (10 %) und n = 30 hatten keinen direkten Kontakt zu Patienten mit COVID-19 (39 %). Die Stichprobe unterteilt sich in Fachärzte für Kardiologie und Anästhesie (n = 11; 14 %), Ärzte (n = 30; 39 %) und Pflegepersonal (n = 37; 47 %).

    Im zweiten Studienarm wurden zwischen dem 8. März und dem 26. Mai 2020 N = 60 Patienten mit Verdacht auf COVID-19 eingeschlossen (davon n = 33 Männer). Die psychologische Untersuchung erfolgte zwischen SARS-CoV-2-Testung und Auswertung, sodass weder die Betroffenen noch das medizinische Personal Wissen über das tatsächliche Vorliegen von COVID-19 hatte; dieses entspricht einem Doppelblindstudiendesign. Letztlich bestätigte sich bei 19 (31,7 %) Patienten die Diagnose COVID-19. Das Durchschnittsalter betrug 59 ± 18 Jahre. Neun der 19 positiv getesteten Patienten hatten vorab diagnostizierte Malignome. Dies ist vor dem Hintergrund des größten deutschen Krebszentrums (Westdeutsches Krebszentrum) zu betrachten, welches sich am Universitätsklinikum Essen befindet. Etwa die Hälfte aller eingeschlossenen Patienten zeigte Dyspnoe. Andere wurden nur aufgrund schwerwiegender Vorbedingungen auf Isolationsstationen überwacht.

    Im Gegensatz zu Patienten mit bakterieller Lungenentzündung zeigten Jugendliche oder Patienten mittleren Alters Stunden vor einem sich rasch verschlechternden Atemversagen nur sehr wenige Symptome. In vielen Fällen wurde eine rasche Abnahme der Sauerstoffsättigung beobachtet. Viele Patienten mit bereits verminderter Sauerstoffversorgung (O2-Sättigung unter als 90 %) ­klagten nicht über schwere Atemnot, als sie ohne Hilfe in die Notaufnahme kamen, bis einige Stunden später eine schnelle Sequenzinduktion durchgeführt werden musste.

    Abb. 3: Verteilung der Teilnehmenden auf die Studienarme

    Ergebnisse

    Medizinisches Personal

    Im ersten Studienarm (medizinisches Personal) wurden zur Testung, ob die Nähe zu Patientinnen und Patienten mit COVID-19 einen Einfluss auf die psychische Befindlichkeit hatte, multivariate Regressionsanalysen durchgeführt. Diese ergaben, dass die Nähe zu Patienten ­einen negativen (inversen) Einfluss auf das Vermeidungsverhalten als Symptom einer PTBS (PCL-5) hat. Beim BSI fand sich dieser Einfluss auf körperliche Symptome, Somatisierung und Zwanghaftigkeit; beim STAXI auf den Wutausdruck [25]. Dies bedeutet: Je näher die Arbeit am Patienten erfolgt, desto weniger Symptome liegen vor. Zur Testung, ob es Geschlechtsunterschiede beim Personal gibt, wurden einfaktorielle Varianzanalysen (ANOVA) durchgeführt. Diese ergaben signifikante Unterschiede in der Hauptskala Wut (Häufigkeit wütender Gefühle im Laufe der Zeit: F(1,72)  > 5; p < .05) und ihrer Subskala Wut als Temperament (F(1,71) > 4; p < .05), mit jeweils höheren Werten bei Frauen. Die Skala Wutkontrolle (Kontrolle wütender Gefühle durch Verhinderung des Wutausdrucks gegenüber anderen Personen oder Gegenständen) war bei Frauen signifikant niedriger (F(1,69) > 8; p < .01).

    Zur Prüfung, ob andere Variablen (Störeinflüsse) für die Ergebnisse verantwortlich sein könnten, wurden Kovarianzanalysen (ANCOVA) durchgeführt. Diese bestätigten den Einfluss des Geschlechts auf die oben identifizierten Wutskalen unter Kontrolle von Beruf, der Nähe zu den Patienten mit COVID-19 sowie des Alters und der Berufserfahrung. Eine Korrelation zwischen Geschlecht und der Hauptwutskala, der Subskala Wut als Tem­perament und der Wutkontrolle bestätigte die Ergebnisse [19].

    Patienten

    Im zweiten Studienarm wurden Hochrisikopatienten mit Verdacht auf COVID-19 und komorbiden chronischen Lungenerkrankungen, schweren Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder onkologischen Erkrankungen untersucht. Es fand sich eine deutlich erhöhte Prävalenzrate von 40 % für PTBS. Anschließend erfolgte in einer Doppelblindstudie eine Prüfung auf Gruppenunterschiede zwischen den bestätigten und nicht bestätigten COVID-19-Fällen. Es gab eine signifikante Korrelation (r = .35; p < .05) zwischen der Diagnose von COVID-19 und der Belastung im PHQ-Belastungsmodul. In einem anschließenden Chi-Quadrat-Test mit den dichotomisierten Werten gab es einen signifikanten Unterschied zwischen den Gruppen ( แตก² (1, N = 50) > 5; p < .05). Hier fanden sich in der Gruppe mit hohem allgemeinen Stress [20] mehr Patienten mit COVID-19. Als Prädiktor für die PTBS hingegen konnte chronischer Ärger identifiziert werden. Die Skala „Trait-Ärger“ klärte 25 % der Varianz für das Vorliegen einer PTBS auf [26].

    Diskussion

    Risikowahrnehmung

    Das Ergebnis, dass das medizinische Personal weniger psychisch belastet ist, wenn es in direktem Kontakt zu COVID-19-Patienten steht, stimmt nicht mit früheren Studien überein. Dort wurde die Nähe zum kritischen Ereignis als Risikofaktor identifiziert [11]. Selbstwirksamkeit und Kontrollüberzeugungen sind für die Verarbeitung der kritischen Situationen relevant. Deshalb scheint die Wahrnehmung des persönlichen Risikos von wesentlicher Bedeutung zu sein, und diese war in früheren Studien sehr unterschiedlich ausgeprägt. Die Risikowahrnehmung sollte deshalb in zukünftigen Studien erfasst werden. Es wird angenommen, dass die Nähe lediglich eine Stellvertreter-Variable für die persönliche Risikowahrnehmung ist.

    Geschlechtsunterschiede

    Die gefundenen Geschlechtsunterschiede zeigten sich in ähnlicher Form bereits bei früheren Untersuchungen [21-24][28]. Damals wurden in Bezug auf die Theorie des Tokenismus eine häufigere Belästigung der Minderheiten in von Männern dominierten Berufen als Erklärung für diese Ergebnisse angegeben. Im Gegensatz dazu wird in der aktuellen Studie die häufigere doppelte Belastung von Arbeit und Familie für berufstätige Frauen als Erklärung gesehen. Zur Zeit der Datenerhebung war die Arbeitsbelastung des Krankenhauspersonals höher, da Kindergärten und Schulen geschlossen waren. Diese Doppelbelastung trifft auch in medizinischen Einrichtungen nach wie vor häufiger weibliches Personal.

    Faktor Stress bei Patienten

    Die hohe Prävalenz für PTBS von ca. 40 % kann teilweise durch die in unserer Studie untersuchte Hochrisikopopulation erklärt werden. Chronische Lungenerkrankungen, schwere Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder onkologische Erkrankungen in Kombination mit dem Verdacht auf COVID-19 können sich negativ auf die Schwere der PTBS-Symptome bei den Betroffenen ausgewirkt haben. Da die Patienten nicht wussten, ob sie von COVID-19 betroffen waren, war dies zum Zeitpunkt der Beurteilung möglicherweise ein zusätzlicher Stressfaktor. Die Ergebnisse unserer Studie stützen jedoch eindeutig die Hypothese, dass Betroffene mit COVID-19 ein höheres Maß an allgemeinen Stresssymptomen ­entwickeln als ohne COVID-19. In diesem Fall wäre Stress nicht nur ein psychologischer Faktor, sondern könnte auch ein organisches Korrelat haben. Es ist auch denkbar, dass das hohe Stressniveau Patienten mit COVID-19 ein Prädiktor für das spätere Auftreten posttraumatischer Stresssymptome nach Erhalt der Diagnose sein könnte. Stress könnte wiederum auch durch chronischen Ärger, der sich als Prädiktor für PTBS erwies, mitbedingt sein.

    Schlussfolgerung

    Die Belastungen des medizinischen Personals deuten darauf hin, dass neben körperlichen Symptomen auch Vermeidung und paranoides Denken von großer Bedeutung sind. Aufklärung und spezifische Informationen für das gesamte Krankenhauspersonal könnten daher dazu beitragen, diese Befürchtungen abzubauen. Diese Anweisungen sollten Informationen über die Bedingungen auf den betroffenen Stationen und das individuelle Risiko für Gesundheitsdienstleistende enthalten. Regelmäßige Aktualisierungen dieser Informationen werden empfohlen, um den Effekt aufrechtzuerhalten. Diese kurze und schnelle Intervention könnte die Symptome des Krankenhauspersonals reduzieren, das nicht direkt auf den Infektionsstationen arbeitet.

    Für die Vor- und Nachbereitungen auf Pandemieeinsätze sollten auch auf die geschlechtsspezifischen Auswirkungen eingegangen werden. Dadurch könnte sich mittels Selbst-Monitoring eine bessere Sensibilisierung auf mögliche Symptome ergeben. Dies könnte dann zu einer früheren Gegenreaktion führen, ohne dass die Symptome einen kritischen Wert erreichen.

    Bezogen auf die Patienten mit COVID-19 wird ein routinemäßiges Screening von Angst-, Depressions- und Stresssymptomen (genereller und posttraumatischer Stress) empfohlen. Vor allem bei Betroffenen mit schweren körperlichen Erkrankungen können sonst komorbide psychische Störungen leicht übersehen werden.

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    Manuskriptdaten

    Zitierweise

    Wesemann U, Willmund GD, Vogel J, Rassaf T, Siebermair J: Einfluss von COVID-19 auf Krankenhauspersonal und betroffene kardiologische Hochrisikopatienten – Vorstellung einer zivil-militärischen Forschungskooperation. WMM 2021; 65(3-4): 142-147.

    Für die Verfasser

    Dr. Ulrich Wesemann

    Bundeswehrkrankenhaus Berlin

    Psychotraumazentrum der Bundeswehr

    Scharnhorststr. 13, 10115 Berlin

    E-Mail: uw@ptzbw.org

    Anhang:
    Psychometrische

     Testverfahren

  4. Die in dieser Studie verwendeten psychometrischen Testverfahren werden im Folgenden kurz umrissen.

    PCL-5

    Die deutsche Version der Posttraumatic Stress Disorder Checklist (PCL-5) für das DSM-5 [15] soll angewendet werden, um posttraumatische Belastungssymptome und provisorische PTSD-Diagnosen nach DSM-5- und ICD-11-Kriterien bewerten zu können. Zwanzig Items beurteilen PTBS-Symptome auf einer fünf-stufigen Likert-Skala (0, ‚gar nicht‘ bis 4, ‚extrem‘), wobei sich alle Fragen auf den letzten Monat beziehen. Die PCL-5 wurde auf Basis der DSM-5-Kriterien entwickelt. Vorläufige psychometrische Auswertungen zeigten eine hohe interne Konsistenz (α = .94), eine gute Test-Retest-Zuverlässigkeit (.56 < R <.82) sowie hohe Diskriminierbarkeit und Konvergenz [2]. Für die deutsche Version liegt eine entsprechende Validierung an einer zivilen und militärischen Stichprobe vor, die die Ergebnisse stützen [7]. Die Bearbeitungsdauer beträgt 5 Minuten.

    BSI

    Die aktuelle psychische Befindlichkeit wird mit dem Brief Symptom Inventory (BSI) [5] gemessen. Bei dem BSI handelt es sich um eine Kurzform der deutschen Übersetzung der Symptom-Checkliste SCL-90-R [3]. 53 Items erfassen auf einer 5-stufigen Skala Belastungen der­ ­letzten 7 Tage. Das Instrument eignet sich vor allem, wenn eine deutliche psychische Belastung angenommen wird.

    ADNM

    Die Überprüfung zum Vorliegen einer Anpassungsstörung erfolgt mittels des Adjustment Disorder – New Module (ADNM)-Fragebogens [10]. Mittels ADNM werden die per Faktorenanalyse bestätigten Skalen „Intrusion“, „Vermeidung“ und „Anpassungsfehler“ erhoben. Die internen Konsistenzen der Skalen liegen zwischen α=.74 und α=.91, die Test-Retest Reliabilität zwischen rtt=.61 und rtt=.84 [4].

    PHQ-D

    Der Patient Health Questionnaire (erhältlich in deutscher Version: PHQ-D) ist ein psychodiagnostisches Selbstbeurteilungsinstrument zum Screening und zur Fallidentifikation sowie zur Schweregradmessung der häufigsten psychischen Störungen [14]. Es basiert auf den Kriterien des DSM-IV und wurde in dieser Studie in der Komplettversion mit 78 Fragen mit 2- bis 5-stufigen Antwortskalen verwendet. Diese beinhalten ­Module zur Erfassung somatoformer und depressiver Störungen, Angst- und Essstörungen sowie Alkoholmissbrauch. Schweregradskalen liegen für Depressivität (PHQ-9-Skala), somatische Symptome (PHQ-15) und Stressbelastung vor. Höhere Skalenwerte entsprechen einer höheren Symptombelastung. In der Validierungsstichprobe an 357 internistisch-allgemeinmedizinischen und 171 psychosomatischen Patienten waren Cronbach α = .88 für das Depressions- und α = .79 für das Somatisierungsmodul. Die Test-Retest-Reliabilität lag für das Depressionsmodul zwischen rtt = .81 und .96 [8]. Die Bearbeitungsdauer beträgt fünf Minuten.

    WHOQOL- BREF

    Die Lebensqualität wird mit dem World Health Organization Quality of Life-Fragebogen (WHOQOL-BREF) erhoben. Der WHOQOL-BREF ist als Kurzform des WHOQOL-100 mit insgesamt 26 Items ein international anerkanntes Instrument zur Erfassung der subjektiven Lebensqualität. Er findet bei Personen mit physischen oder psychischen Erkrankungen sowie bei gesunden Menschen Anwendung. Er gliedert sich in 26 Fragen, welche jeweils auf einer fünfstufigen Likert-Skala zu beantworten sind. Die Fragen sind in die vier Skalen physische Lebensqualität, psychische Lebensqualität, soziale Beziehungen und Umwelt gegliedert. Die Cronbach´s Alpha der Subskalen des WHOQOL-BREF liegen zwischen α = .57 und α =.88. Der Fragebogen diskriminiert sehr gut zwischen Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen und gesunden Personen sowie zwischen Personen mit physischen und mit psychischen Erkrankungen [1].

    STAXI-2

    STAXI-2 ist ein Fragebogen zur Erfassung verschiedener Aspekte des Ärgers. Einerseits wird der situationsbezogene Ärger (State-Ärger bzw. Zustandsärger) gemessen. Andererseits können verschiedene dispositionelle Ärgerdimensionen erhoben werden: Trait-Ärger mit den Komponenten Ärger-Temperament und Ärger-Reaktion, Formen des Ärgerausdrucks (nach innen bzw. nach außen gerichteter Ärgerausdruck) sowie die Ärgerkontrolle [13].

    Die Retest-Reliabilität der State-Ärger-Skalen liegt zwischen rtt = .14 und .29. Die interne Konsistenz der Trait-Ärger-Skalen liegt zwischen α = .79 und .91, die Retest-Reliabilität zwischen rtt = .67 und .78. Die interne Konsistenz der Ärgerausdrucks- und Ärgerkontrollskalen liegt zwischen α = .80 und .90, die Retest-Reliabilität zwischen rtt =.63 und .81. Es liegen umfangreiche Ergebnisse zur Validität des STAXI-2 vor. Explorative und konfirmatorische Faktorenanalysen belegen die faktorielle Validität des Verfahrens [12].

    PDI

    Der Peri-Trauma-Belastungs-Fragebogen (PDI) erfasst peritraumatische Belastung. Der Fragebogen erwies sich als reliabel (Cronbachs α = .75) und über die Zeit stabil. Die Reteststabilität liegt bei rtt = .74 [9].